61-jährige Edda Lanz auf ihrem Weg zur Friseurin. Ein PorträtWenn Träume in Erfüllung gehen
ALSFELD (ls). „Als junge Frau sagten mir meine Eltern, ich soll was Anständiges lernen“, erzählt Edda Lanz. Etwas Anständiges war für ihre Eltern eine Lehre als Bürokauffrau. Sie tat, was die Eltern sagten. Nach 42 Jahren zog die heute 61-Jährige einen Schlussstrich und verfolgt seit dem endlich ihren eigenen, ziemlich haarigen Traum: Eddda Lanz wird Friseurin.
Der Duft von frischem Shampoo liegt in der Luft und ein warmer Windstoß des laufenden Haartrockners streift die Haut beim Betreten des Salons. Die letzten Kunden vor der ruhigen Mittagspause bekommen gerade die Haare gestylt, bevor sie den Laden verlassen. Die ersten Kolleginnen haben sich nach einem voll besetzten Morgen schon in eine kurze Mittagspause verabschiedet, bevor wieder die nächsten Kunden auf den gemütlichen Stühlen Platz nehmen und eine Typveränderung wünschen.
Edda wirbelt noch durch den Salon. Heute hatte die 61-jährige Auszubildende schon zwei Kunden. Farben werden sortiert, die Haare vom letzten Schnitt aufgekehrt, sämtliche Oberflächen abgewischt und das Geschirr der Kunden weggeräumt. „Hier gibt es immer was zu tun“, sagt die immer lächelnde, blonde Frau. In ihrem Team ist sie die gute Seele des Salons. Diejenige, die immer freundlich und respektvoll ist, für Ordnung sorgt und überall mit anpackt. Mit ihren 61 Jahren ist das für Edda nichts Neues: „Man hilft eben, wo man kann“. Edda ist Auszubildende und bis vor knapp drei Jahren stand die gelernte Bürokauffrau noch bei einem Alsfelder Juwelier hinter der Verkaufstheke und legte den Kunden glänzende Schmuckstücke um den Hals. Heute schneidet sie Haare.
Woher der Wunsch kam, weiß sie nicht
Mehr als zwölf Jahre stand Edda Lanz als Verkäuferin hinter der Theke des Juweliers. Gelernt hat sie vor über 40 Jahren den Beruf der Bürokauffrau, vorher bereits als Verkäuferin gearbeitet und danach noch Betriebswirtschaft studiert. Seit dem Ende des Schulabschlusses ist sie berufstätig. „Mir war es immer sehr wichtig, dass ich in Kontakt mit Menschen stehe“, erzählt sie. Schon damals war die Storndorferin Stammkundin bei ihrer heutigen Ausbildungsstätte.
„Immer wenn ich Edda die Haare gemacht habe, hat sie mir erzählt, dass Friseurin zu sein ihr großer Traum ist. Sie stellte sich oft vor, wie sie, wenn sie einmal alt ist und in einem Pflegeheim lebt, ihren Mitbewohnern dort die Haare frisiert, Lockenwickler dreht und ihnen die Nägel macht“, erinnert sich auch Saloninhaberin Julia Jungk an den Wunsch ihrer langjährigen Kundin. Doch ihre Eltern hatten damals einen anderen Plan für die junge Frau. Bürokauffrau sollte sie werden. Schon damals habe sie ihrer Mutter regelmäßig die Haare in Lockenwickler gedreht und sie frisiert. In der Zeit, in der sie nicht im Vogelsberg lebte, musste eine Freundin dran glauben. Woher ihr Berufswunsch kam, weiß sie nicht: „Es war einfach da. Einfach ein Gefühl.“
Wildes Philosophieren und Träumen
Dass sich ihr Traum doch noch erfüllen wird, daran hatte Edda zu diesem Zeitpunkt nicht gedacht. Vor ein paar Jahren entschied sie sich dazu, endlich zu leben und sich ihre Träume zu erfüllen. „Ich hatte immer vier große Wünsche. Zwei davon habe ich mir schon erfüllt. Ich bin mit der Transsibirischen Eisenbahn gefahren und habe eine große Reise nach Indien gemacht. Die anderen beiden Träume sind gerade in Arbeit“, sagt Lanz. Vor knapp drei Jahren fasste die damals 58-Jährige einen einschneidenden Entschluss: Schluss mit der Vollzeitstelle im Verkauf und noch mal zurück auf die Schulbank – und das mit 58 Jahren.
„Sie kam zu mir und erzählte, dass sie mit ihrem Mann darüber geredet hat und sich entschlossen hat noch mal eine Ausbildung zur Friseurin zu machen. Jetzt sei es so weit. Und darauf fragte sie mich, ob sie die Ausbildung bei mir machen dürfte“, erzählt Jungk. Lange überlegen musste die Saloninhaberin nicht. Bedenken gab es von ihrer Seite aus keine – bei Edda allerdings schon.
„Ich habe meine Entscheidung nicht bereut. Ich habe mir ein bisschen Sorgen darüber gemacht, dass ich der Julia und ihrem Salon damit Schaden anrichte. Dass die Leute es komisch finden, dass sie so eine alte Auszubildende annimmt“, erklärt die Auszubildende ihre Sorgen. Beschwerden gab es nie, eher im Gegenteil: Bewunderung für den Mut. Auch Jungk war gelassen. „Ich hatte keine Bedenken – schon gar nicht aufgrund des Alters. Wir verstehen und blind. Ich muss ihr die Sachen nicht sagen, sie sieht es selbst und ist oft sogar noch zwei Schritte schneller als ich.“ Schnell mauserte sich Edda zur guten Seele des Salons, übte an Übungsköpfen, beobachtete und baute sich ihren eigenen Kundenstamm auf. Das junge Team, kein Problem für die 61-Jährige. „Mit jüngeren Arbeitskollegen bleibt man selbst jünger“, erklärt sie schmunzelnd.
Rente? Nein, danke!
Wo andere in dem Alter schon an die Rente denken, fing Edda noch mal von vorne an. Mit jungen Menschen noch mal die Schulbank drücken zu müssen, war für sie kein Problem. „Edda hat wirklich fantastische Noten“, sagt Julia Jungk. Sie geht gerne in die Schule. Für beide stand direkt fest: Nach der Ausbildung wird Edda im Laden übernommen. Wie lange sie dort nach der Ausbildung noch arbeiten wird, weiß sie noch nicht – solange sie sich gut fühlt, erzählt sie, will sie weiter arbeiten. „Eddas Arbeitsvertrag endet mit ihrem Hunderten Geburtstag“, wirft die Chefin spaßig ein.
Im Juli ist Edda nach drei Jahren endlich ausgelernt, dann beginnt der Rest ihres Lebens – „Und dann geht es erst richtig los“, sagt sie, schließlich lerne man gerade in einem so fingerfertigen Beruf wie in dem eines Friseurs nie wirklich aus, sondern meist erst nach der Ausbildung noch mehr dazu. Männerhaarschnitte seien dabei ihr Favorit, aber auch im Föhnen und Färben sei sie sehr talentiert und äußerst behutsam. „Ich habe schon immer mit Kunden gearbeitet, aber als Friseur ist der Kontakt noch mal viel intimer“, erzählt sie.
Den inneren Frieden gefunden
Für die 61-jährige Edda Lanz aus Storndorf gehen damit bald auch ihr letzten beiden Wünsche in Erfüllung: Ab Juli ist sie offiziell Friseurin und nach der Ausbildung wird sie eine lange Schiffreise machen.
Bevor sie sich wieder zurück an den perfekten Haarschnitt ihrer Übungspuppe macht, hat die erfahrene Frau noch einen Tipp: „Ich habe mir immer eingebildet, dass ich es so machen muss, wie andere es sagen. Dann habe ich gemerkt, dass ich dadurch nicht glücklich werde – also habe ich es anders gemacht. Jetzt habe ich meinen inneren Frieden gefunden. Wenn man einen Traum hat und auch die Möglichkeit hat sich diesen Traum zu erfüllen, dann sollte man das tun, auch wenn es schwierig sein könnte. Die Aussage ‚Hättest Du doch mal …’ gibt es bei mir nicht mehr“, erklärt Edda abschließend. Und dann fielen wieder die nächsten Haare.
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