Die Podiumsdiskussion "die Zukunft der Einkaufsstadt Lauterbach" erhitzte die Gemüter beim Thema UmgehungsstraßeDie Strolchstadt muss sich anders aufstellen
LAUTERBACH (cdl). „Die Entwicklung der Innenstadt ist mir heute zu kurz gekommen“, so Kurt Wiegel am Montagabend in der Aula der Alexander-von-Humboldt-Schule während der anschließenden Diskussionsrunde. Der Lauterbacher Anzeiger hatte zur Podiumsdiskussion „die Zukunft der Einkaufsstadt Lauterbach“ eingeladen. Dafür hatten sie den Gießener Geschäftsmann und Vorsitzenden des Business-Improvement-District (BID) Seltersweg Heinz-Jörg Ebert gewonnen. Er berichtete, wie es in Gießen gelungen ist, die Einkaufstraße Seltersweg für die Kunden wieder attraktiv zu machen.
Für weiteren Input auf dem Podium sorgten der Bad Nauheimer Architekt und Stadtplaner Hartmut Kind aus der Perspektive eines Stadtentwickler und Christina Saul vom Hessischen Einzelhandelsverband aus Frankfurt. Des Weiteren waren auf dem Podium der Lauterbacher Geschäftsmann Jens Otto Kimpel und der Gastronom Rainer Dietz sowie Lauterbachs Bürgermeister Rainer-Hans Vollmöller und Landrat Manfred Görig vertreten.
Der Abend begann vielversprechend mit dem Vortrag von Ebert und den unterschiedlichen Ansätzen sowie Auffassungen der Podiumsgäste. LA-Redaktionsleiterin Claudia Kempf und LA-Redakteur Bertram Lenz befragten gut vorbereitet die Podiumsteilnehmer. Doch bei der rund einstündigen Diskussion mit Fragen und Beiträgen aus dem Publikum sollte sich das ändern. Das eigentliche Thema des Abends geriet zur Randerscheinung und endete mit teils persönlichen Angriffen.
Der Startschuss zu einer hitzigen Debatte
Nachdem Vortrag von Ebert und der moderierten Diskussion der Podiumsteilnehmer, fokussierte sich Fragerunde fast ausschließ auf die beiden vorherrschenden Themen der Lauterbacher Stadtpolitik: Die geplante Umgehungsstraße und den Lauterbacher Bahnhof. Der Nebenaspekt Umgehungsstraße wurde zum alles beherrschenden Thema und „die Zukunft der Einkaufsstadt Lauterbach“ geriet zusehends aus dem Fokus.
Sowohl Bürger als auch die Unternehmer Kimpel und Dietz sprachen sich klar gegen die Umgehungsstraße aus. Trotz der vorliegenden Studie vertrat Kimpel die Auffassung, dass sich der Kunde schnell an die neuen Verkehrswege gewöhne. „Wenn er weg ist, ist er weg.“ Dietz pflichtete ihm bei. Er glaube, dass viele spontan reisende wegfallen würden. Diese würden neben Gastronomie und Übernachtungen auch den Einzelhandel frequentieren.
Weitere Worbeiträge aus dem Publikum mündeten in Angriffen gegen die CDU. Bürgermeister Vollmöller verteidigte den Beschluss, da stets alle Parteien bis auf die Grünen sich für die Umgehungsstraße ausgesprochen hätten. Das veranlasste Kurt Wiegel, der als Privatmann im Publikum saß, zu bemängeln, dass „die Entwicklung der Innenstadt heute zu kurz gekommen ist“. Rudolf Dietrich, ehemaliger Vorsitzender der Aktionsgemeinschaft Lauterbach – einem nicht mehr existierenden Zusammenschluss der Einzelhändler – redete sich in Rage und ging zum Frontalangriff auf die Politiker über und ließ sich erst nach mehrmaliger Aufforderung der Moderatorin unterbrechen. Der Bürgermeister verteidigte die Kommunalpolitiker und verwehrte sich gegen die Anschuldigungen.
Stadtplaner Kind gab zu bedenken, dass die Stadt weniger wahrnehmbar sein werde. „Es gibt einen sogenannten Donut-Effekt“, erklärte Kind. In der Mitte der Stadt entstehe ein Loch wie bei einem Donut. Das Gewerbe ziehe mit der Straße ein Stück raus. Aber vielleicht werde dann der Bahnhof für das Gewerbe uninteressanter, „da muss man aufpassen, dass man sich nicht konterkariert, sage ich aus rein stadtplanerischer Sicht.“
Der Lauterbacher Bahnhof als Element zur Innenstadtbelebung
„Es fährt ein Zug nach nirgendwo“, hatte die LA-Moderatorin das Bahnhofsthema angekündigt. „Der Bahnhof ist schon sehr verwaist“, so Kind. Der Bahnhof sei „ein Filetstück für das Gewerbe“ und ein wichtiger zweiter Punkt, wenn es darum gehe, die Innenstadt aufzuwerten. Er empfehle sich mit diesem Areal ganz genau auseinanderzusetzen.
Vollmöller bekräftigte, dass die Diskussionen um den Bahnhof schon lange geführt werden. „Wir sind sicherlich eine nicht ganz wohlhabende Stadt. Wir haben den Schutzschirmvertrag geschlossen.“ Leider werde sich der Zuschuss für den Bahnhof nicht bewerkstelligen lassen. Allerdings sei ein Gewerbegebiet rund um den Bahnhof angedacht und auch die Grundstückspreise seien vertretbar.
Das Gießener Beispiel Seltersweg
Doch bevor sich die Gemüter erhitzen, wurden im ersten Teil der Veranstaltung Lösungsansätze und Beispiele aufgezeigt. „Ich halte Lauterbach für die schönste und sauberste Stadt in Hessen“, mit diesem Satz zog Heinz-Jörg Ebert gleich zu Beginn seines Vortrags die rund 200 Gäste auf seine Seite. Gießen wachse schneller als Frankfurt. Eine gesunde Innenstadt habe positive Auswirkungen auf die gesamte Stadt, gerade der Mietspiegel sei hier ein guter Indikator. „Heutzutage wünschen sich unsere Kinder zu Ostern einen Gutschein von Zalando.“ Durch die Konkurrenz aus dem Internet hätten es die Städte schwer einen Einzelhandel in der Stadt zu halten. Eigentümerstandortgemeinschaften seien beispielsweise eine Lösung.
Jede Stadt sei anders und brauche individuelle Lösungen. „Gießen kann man doch nicht mit Lauterbach vergleichen. Oh doch, wir sitzen alle im gleichen Boot“, so Ebert. In Gießen seien viele Geschäftsführer von Filialen völlig losgelöst von Stadt. Daher könne man von ihnen nicht viel erwarten. „Wir hatten in Gießen aktive Werbegemeinschaften, aber es gab auch eine Menge, die sich fröhlich zurückgelehnt haben. Das hat zur Abnutzung geführt.“
Laut Studien werden bis zum Jahr 2020 in etwa 50.000 Einzelhandelsgeschäfte in Deutschland schließen. Daher müsse man an Konzepten arbeiten um weiterhin zu bestehen und den Einzelhandel sowie Innenstadt attraktiv gestalten. Lauterbach habe ein wunderschönes Ambiente zu bieten. Jedoch einen trostlosen Wochenmarkt mit fünf Wägelchen. Hinzu kommen, dass die Leerstandsgestaltung völlig lieblos sei. Das ziehe weiteren Leerstand von links und rechts geradezu an.
Zunächst das Erscheinungsbild aufpolieren
„Den Schrei nach Struktur und Professionalität“ habe es in Gießen vor zehn Jahren noch vor dem großen Boom der Interneteinkäufe gegeben. „Was haben wir für ein Image in Gießen?“, sei zunächst die Frage gewesen. Das Urteil der eigenen Bürger sei vernichtend ausgefallen. „Auch Lauterbach muss sich fragen, was sind die Zielgruppen?“ In Gießen habe man mit kleinen Schritten angefangen.
Das seien beispielsweise die Beleuchtung, Blumenkübel oder die Eisbahn am Weihnachtsmarkt gewesen. Daraufhin hätten die Hausbesitzer begonnen, ihre Häuser zu sanieren. Kleine Grünflächen und große Feste seien hinzugekommen und Lichtplaner hätten den Seltersweg verwandelt. Mit wenig Aufwand habe man eine große Wirkung erzielt. Geschlossene Weihnachtsbeleuchtung in die Stadt geholt.
Zusätzlich sei ein Dienstleister für Sauberkeit engagiert worden. Die Mitwirkung des Handels sei gleich null gewesen, alle Maßnahmen hätten sich an die Hauseigentümer gerichtet. Der Vermieter profitiere somit von den stabilen Mieten. „Wir werden kein Onlinehandel betreiben, aber das Netz werden wir nutzen müssen“, beendete Ebert seinen Vortrag.
Lauterbach muss mehr als die Strolchstadt werden
Nach den Ausführungen Eberts wurden die weiteren Podiumsteilnehmer zu ihrer Einschätzung zum Thema „die Zukunft der Einkaufsstadt Lauterbach“ befragt. Christina Saul merkte an, dass es für Kleinstädte bisher keine Erfahrungswerte gebe. Jens Otto Kimpel fand Gefallen an den Ausführungen von Ebert und würde das Vorgehen unterstützen und als Hausbesitzer in die Außendarstellung investieren.
Rainer Dietz war der Auffassung, dass die Gewerbetreibenden sich wieder zusammenschließen sollten und eine Gemeinschaft gründen sollten. „Der Kunde, der nicht fündig wird, muss weitergeleitet werden“, so Dietz. Kimpel bemängelte, dass der Einzelhandel oft die Beratungsfunktion übernehme und der Kunde im Anschluss im Internet die Ware einkaufe. Dem entgegnete Saul, dass Studien genau das Gegenteil aufzeigen würden. Kunden würden sich oft zuerst im Internet informieren und dann vor Ort einkaufen.
„Der Handel muss neu denken, wir müssen den Crosschannel vorantreiben. Letzendes funktioniert der Handel nur mit dem Internet“, so Saul. Mit Crosschannel meine sie online bestellen und die Ware im Laden abholen.
„Was muss eine Stadt der Zukunft können und wie muss sie aussehen?“, richtete sich die nächste Frage den Architekten und Stadtplaner Hartmut Kind. „Man erlebt Lauterbach als Strolchstadt. Die Stadt ist als Stadt der Strolche in aller Munde“, so Kind. Doch das alleine sei zu wenig. In Lauterbach habe man die Frage, wie man eine Stadt vermarktet in den letzten Jahrzehnten zu wenig verfolgt. „Lauterbach braucht ein Erlebnis.“ Guter Service im Einzelhandel und das Sitzen unter grünen Bäumen sei ein Anfang. Außerdem müsse über eine Alternative zum historischen Pflaster nachgedacht werden.
Ein Marketing Konzept für die ganze Region
„Im Vogelsberg geht es nur gemeinsam“, war die Botschaft von Görig, der damit für ein gemeinsames Projekt für die ganze Region warb. Das Thema sei mehr als nur Lauterbach. Die Bürger sollten nicht nur an ihre Stadt denken, sondern an die Region. Im Vogelsberg habe man „Strolchstadt Lauterbach, Märchenstadt Alsfeld, Burgenstadt Schlitz und Schloss Homberg viele Einzelprojekte. Zunächst habe alles mit dem Thema Image und Standortmarketing für die Region zu tun. Davon würden auch die Städte profitieren. Als Beispiele nannte er den Slogan „Wir können alles außer Hochdeutsch“, der viele Jahre lang eine ganze Region präsentiert habe und führte das Marketing der Region Tirol an.
Es gelte zunächst die Kräfte zu bündeln, da sonst viele Effekte einfach verpuffen würden. Das heiße aber nicht, dass die Städte kein Eigenmarketing betreiben sollten, erklärte er in einem weiteren Schritt, nachdem Teile des Publikums ihren Unmut äußerten. Gerade die Städte würden vom Image des Vogelsbergs profitieren.
Vollmöller ergänzte, dass die Stadt Lauterbach mit dem Ausscheren aus dem Tourismusverband einen Fehler gemacht habe. Es habe Engpässe wegen des Schutzschirms gegeben. Zurzeit rudere man zurück und wolle sich erneut dem Tourismusverband anschließen, sobald genügend Mittel zur Verfügung stehen.
Wie kann der Weg für Lauterbach aussehen?
Auf das Stadtmarketing bezogen sei man gerade dabei sich andere Städte anzusehen, um von gelungenen Konzepten zu lernen. „Man muss das Rad nicht neu erfinden. Das Lichtkonzept hat mir gefallen.“
Stadtplaner Kind kritisierte, dass der Vogelsberg zu viel an Tourismus denke und sich zur sehr über den Vulkan profiliere. „Ich bin zum Teil beim Landrat. Die Region muss vorangehen, aber nur zum Teil“, so Ebert. Interkommunal dauere es viele Jahre, „da bekommt man nicht alle zusammen und immer wieder springen Leute ab. Mein Plädoyer ist, das eine zu tun, aber das andere nicht zu lassen.“ Die Positionierung müsse an erster Stelle angegangen werden und dann müsse man sich darüber hinaus in der Region einbringen.
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