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Mit Musik und Märchen gegen die Einsamkeit im AlterInteraktiver Märchennachmittag im Haus Stephanus verbindet Generationen
ALSFELD (ol). Ein interaktiver Märchennachmittag im Haus Stephanus weckte bei Menschen mit Demenz lebendige Erinnerungen mithilfe von Geschichten und Musik. Begleitet von einem Seniorenchor und einem Märchenquiz, erlebten die Teilnehmenden wertvolle Momente der Gemeinschaft. Das vom hessischen Förderprogramm unterstützte Event fördert soziale Teilhabe und erinnert daran, dass auch im Alter Verbundenheit möglich ist.
Es beginnt mit einer Melodie. Erst zaghaft, dann kräftiger, bis schließlich alle einstimmen: „Hoch auf dem gelben Wagen“, „Großmutters Stübchen“, „Die Gedanken sind frei“. Mit jedem Ton öffnet sich eine Tür in die Vergangenheit. Erinnerungen kehren zurück, längst verborgene Geschichten erwachen zu neuem Leben. Der Märchennachmittag im Haus Stephanus war mehr als eine Veranstaltung. Er war eine Brücke in die Kindheit der Bewohnerinnen und Bewohner – ein Moment des Wiederfindens in der Welt der Märchen und Musik, so beschreibt es die Einrichtung in einer Pressemitteilung.
„Wir sind Professoren der Vergesslichkeit“
Minh Luis, Projektkoordinatorin und Fachergotherapeutin für Demenz, eröffnete den Nachmittag mit einem Satz, der nachhallte: „Wir sind schon alt, aber wir sind auch Professoren der Vergesslichkeit.“ Sie sieht Demenz nicht als Defizit, sondern als eine andere Art des Erinnerns. Nicht alles verschwindet, manches bleibt, manches taucht in neuer Form wieder auf.
Märchen als Schlüssel zur Erinnerung
Mit leuchtenden Augen lauschten die Teilnehmenden der Lesung von „Frau Holle“. Barbara Skempil trug die Geschichte vor, begleitet von Märchenliedern. Doch es ging um mehr als Zuhören – es war ein aktives Erzählen, ein gemeinsames Entdecken. „Erzählen Sie mir die Geschichte noch einmal!“, sagte eine Bewohnerin voller Begeisterung. Das Zuhören löste etwas aus, brachte längst Vergessenes an die Oberfläche.
Ein Lied und eine Erinnerung
„Das hat mal ein Kinderchor aus China gesungen“, erzählt eine 93-jährige Bewohnerin. „Aber sie konnten das R nicht aussprechen – immer ‚aber der Wagen, der lollt‘. Ich dachte, sie machen das aus Spaß, aber nein – die konnten es wirklich nicht!“ Eine beiläufig erzählte Anekdote – und doch ein Stück lebendig gebliebener Vergangenheit.
Singen als Brücke zwischen den Generationen
Musik ist ein Schlüssel zur Erinnerung. Sie braucht kein bewusstes Nachdenken – sie ist einfach da. Gemeinsam mit sieben aktiven Senioren des Seniorenchores „Margot and Friends“ unter Leitung von Margot Naumann sangen die Teilnehmenden Volkslieder, die sie ein Leben lang begleitet hatten. „Kein schöner Land in dieser Zeit“ und „Wohlauf in Gottes schöne Welt“ erklangen, getragen von Stimmen, die sich mit jeder Strophe sicherer wurden.
Märchenquiz: Wissen, das bleibt
Ein weiterer Höhepunkt war das Märchenquiz, moderiert von engagierten Praktikanten. Die Fragen „Was verliert das Mädchen bei Frau Holle im Brunnen?“, „Mit welchen Steinen markiert Hänsel den Weg?“ und „Warum sticht sich Dornröschen an der Spindel?“ weckten Erinnerungen und brachten die Teilnehmenden zum Schmunzeln.
Es wurde eifrig geraten, überlegt und erzählt. Wissen, das ein Leben lang bleibt – auch wenn manches andere in Vergessenheit gerät.
Wenn Erinnerungen eine Medaille verdienen
„Normalerweise müsste sie eine Medaille bekommen!“, sagte ein Chormitglied, als eine 93-jährige Bewohnerin mit beeindruckendem Detailwissen glänzte. „Wenn ich mit 93 noch so geistig flott bin, danke ich Gott auf den Knien“, ergänzte ein anderer. Ein Gespräch entspann sich: „Aber Sie sind doch auch schon 87.“ Die Antwort lautete: „Ja, ich gehe aufs 88 Lebensjahr. Einen Monat habe ich schon hinter mir – ein Schritt Richtung 88. Aber fühlen tue ich mich wie 73!“ Lachen füllte den Raum. Ein Moment der Leichtigkeit.
Gemeinschaft gegen Einsamkeit
Doch neben all der Freude ging es an diesem Nachmittag um etwas noch Wichtigeres: Gemeinschaft. Begegnung. Nähe. Das Haus Stephanus wird durch das hessische Förderprogramm „Altenheimen: Mitten im Leben“ unterstützt und setzt das Projekt „Generationen-Gesundheitsnetzwerk: Gemeinschaftliche Bewältigungsstrategie gegen Einsamkeit im Alter“ um. Ziel ist es, Menschen zusammenzubringen und soziale Teilhabe zu stärken. Denn oft sind es nicht große Ereignisse, die das Leben lebenswert machen – sondern die kleinen, intensiven Momente. Und vielleicht ist das die wichtigste Botschaft des Nachmittags: Dass nicht nur Dornröschen, sondern auch Erinnerungen wieder zum Leben erwachen können.
Fotos: Minh Luis, GFDE-Haus Stephanus
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