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Wie eine Skulptur das Haus Stephanus bewegtKunst als Brücke zwischen Generationen
ALSFELD (ol). Im Haus Stephanus sorgt die Skulptur Steffi für Gesprächsstoff und stärkt die Gemeinschaft. Ursprünglich umstritten, ist das Projekt heute ein Motor für den Austausch zwischen Generationen und schafft ein lebendiges Gemeinschaftsgefühl im Pflegeheim.
Eine überdimensionierte Figur sorgt für Aufsehen im Haus Stephanus. Sie spaltet Meinungen, entfacht Diskussionen – und wächst am Ende allen ans Herz. Sie steht da. Groß, kurvig, auffällig. Ein Kunstwerk, das polarisiert. Steffi – so ihr Name – ist weit mehr als eine Skulptur. Sie ist Gesprächsstoff, Projekt und Symbol für eine Gemeinschaft, die über sich hinauswächst, so heißt es in einer Pressemitteilung der Einrichtung.
Das Haus Stephanus beteiligt sich am hessischen Förderprogramm „Pflegeheim – Mitten im Leben“ und der Initiative „Generationen-Gesundheitsnetzwerk: Gemeinschaftliche Bewältigungsstrategie gegen Einsamkeit im Alter“. Ziel ist es, durch kreative und generationenübergreifende Aktivitäten das Miteinander zu stärken. Doch dass ausgerechnet eine bunte Figur zum Mittelpunkt des Heims werden würde, hätte anfangs wohl niemand gedacht.
Von Skepsis zu Begeisterung
Als Steffi erstmals ihren Platz einnimmt, herrscht Verwunderung. Eine überdimensionierte Nana-Skulptur? Manche schütteln den Kopf, andere lehnen sie kategorisch ab. „Was soll das hier?“ – eine Frage, die immer wieder zu hören ist. Doch genau diese Irritation wird zum Startpunkt eines unerwarteten Wandels. Steffi entwickelt eine Anziehungskraft. Bewohner beginnen, über sie zu sprechen, sie anzufassen, ihre Form zu begreifen. Eine Bewohnerin, die Ende Februar 100 Jahre alt wird und Steffi anfangs am liebsten loswerden wollte, sagt später: „Ich wollte sie erst weghaben. Aber jetzt – sie ist wunderschön!“
Herausforderung auf wackeligen Beinen
Doch bevor Steffi ihr Heim erobert, muss sie erst einmal stehen. Und das ist leichter gesagt als getan. Fünf Mitglieder des Kulturvereins Landenhausen durchforsten Baumärkte, recherchieren, diskutieren. Beton? Holz? Spezialkleber? Jede Lösung wird ausprobiert – und oft wieder verworfen. „Das Projekt hat uns um den Schlaf gebracht“, gesteht Gerlinde Kielburger lachend. Doch mit jeder Entscheidung wächst nicht nur Steffis Stabilität, sondern auch die Gemeinschaft rund um sie.
Nummer 110 – Ein neuer Bewohner
Irgendwann wird klar: Steffi gehört dazu. Die Praktikantin Talea Eckstein bringt es auf den Punkt: „Das ist unsere neue Bewohnerin – Nummer 110.“ Von diesem Moment an lebt Steffi. Beim Frühstück wird über sie gesprochen, beim Nachmittagskaffee wird über ihre Farben debattiert. Manche träumen sogar von ihr. Eine Schülerin erzählt: „Ich habe geträumt, dass Steffi zusammenbricht.“ Am nächsten Morgen eilt sie besorgt in den Aufenthaltsraum, um nachzusehen – doch Steffi steht.
Ein wachsendes Projekt
Was als umstrittenes Kunstexperiment begann, hat sich zu einer Quelle der Begegnung entwickelt. Mittwochs ist Steffi-Tag – dann treffen sich Bewohner, Angehörige, Ehrenamtliche und Praktikanten, um an ihr weiterzuarbeiten. Sie wird geschliffen, stabilisiert, verfeinert. Bis Ende Mai 2025 soll sie fertig sein – bunt bemalt, strahlend, ein lebendiges Zeugnis für Kreativität und Zusammenhalt.
Minh-Luis, Ergotherapeutin und Projektkoordinatorin, staunt selbst über die Dynamik: „Ich hätte nie gedacht, dass eine Figur so viel bewegen kann.“ Sie beobachtet, wie Bewohner, die sonst zurückgezogen sind, plötzlich Interesse zeigen. „Kunst kann ein Pflegeheim verändern. Steffi ist der beste Beweis.“
Steffi lebt – und bleibt nicht stehen
Das Projekt zeigt eindrucksvoll, wie Kunst gegen Einsamkeit wirken kann. Dank des „Generationen-Gesundheitsnetzwerks“ ist ein Raum entstanden, in dem Alt und Jung auf Augenhöhe gestalten, lachen und Erinnerungen teilen. Und vielleicht wird Steffi eines Tages sogar auf Reisen gehen. Doch eines steht schon jetzt fest: Sie ist nicht nur stabil geworden. Sie lebt.
Fotos: Minh Luis, GFDE-Haus Stephanus
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