Mehr Mobilität fürs Dorfleben„Das Dorfauto, der Bürgerbus und ich“ – Neues Mobilitätskonzept im Vogelsbergkreis
LAUTERBACH/VOGELSBERGKREIS (ol). Kürzlich wurden in der vhs Lauterbach erfolgreiche Projekte zur Förderung nachhaltiger Mobilität im Vogelsbergkreis vorgestellt. Dabei spielen gemeinsame E-Mobilität und Carsharing eine wichtige Rolle, um die Abhängigkeit vom Individualverkehr zu reduzieren und umweltfreundliche Alternativen zu schaffen.
„Das Auto ist im ländlichen Raum unverzichtbar.“ So formulieren viele politisch Verantwortliche den Grundsatz ihrer Mobilitätspolitik und -gestaltung. Dass es durchaus Alternativen gibt, zeigte jetzt laut einer Pressemitteilung der Naturfreunde Vogelsberg e.V.ein von Kirsten Wegwerth und Jennifer Curlett organisierter Workshop der Kreis-Volkshochschule in Lauterbach auf. Unter dem Titel: „Das Dorfauto, der Bürgerbus und ich“, gab sie den NaturFreunden Vogelsberg e. V. und dem Verkehrsclub VCD Gelegenheit, drei Projekte im Kreis vorzustellen, die für mehr Mobilität mit weniger Auto sorgen.
Eingebettet in einige Basisinformationen zur Klimakrise und der Notwendigkeit, von einer hauptsächlich am Auto orientierten Mobilitätspolitik Abschied zu nehmen, berichtete Michael Poschen von den NaturFreunden von der Entwicklung der gemeinsamen E-Fahrzeugnutzung durch fünf benachbarte Familien in Angersbach. „Vom Nachbarschaftsmodell zum Dorfprojekt“ lautete das Motto seiner Präsentation zu den drei E-Fahrzeugen, die zehn Personen in „Neu Mexico“ gemeinsam unterhalten und nutzen. Warum dieser Teil Angersbachs diesen Namen trägt, konnte auch mit Hilfe der ortskundigen Teilnehmenden nicht geklärt werden. Klar wurde hingegen, dass es möglich sei, in nachbarschaftlicher Zusammenarbeit, Fahrzeuge für den Alltagsbetrieb zu teilen.
Angeschafft hat die Nachbarschaftsinitiative ein schnelles E-Bike, das 45 km/h fährt und dessen Akkuladung für 140 Kilometer Fahrstrecke reicht, einen Kabinenroller (Futura 2), der genauso schnell fährt und eine Reichweite von 60 km hat. Als drittes E-Mobil gehört ein Renault Twizy (Höchstgeschwindigkeit: 85 km/h, Reichweite: 60 km) zum Fahrzeugpark.
Wichtig sei den Beteiligten gewesen, erläuterte Poschen, „das Gefühl zu erleben, wie es ist den Sechs-Zylinder-Verbrenner durch einen Elektro-Zweisitzer zu ersetzen, um im Ort die Brötchen zu holen oder zum nah gelegenen Arbeitsplatz zu kommen.“ Dabei gehe es auch weniger darum, „das Familien-Urlaubsauto zu ersetzen, sondern herauszufinden, ob wir den Zweit-, Dritt-, oder Viertwagen in der Familie durch ein emissionsfreies Fahrzeug ersetzen können.“ Wenn sich das E-Mobilitäts-Sharing für die Beteiligten gut anfühle, solle die Anzahl der vorhandenen Verbrenner reduziert werden. Zwei der Familien haben ihren zweiten Verbrenner abgeschafft und nutzen im Bedarfsfall eins der Elektro-Sharing-Fahrzeuge, heißt es. Von besonderem Interesse war für die Teilnehmenden selbstverständlich die Frage, was das Projekt gekostet hat. Mit der Investitionssumme von etwas weniger als 20.000 Euro habe man den möglichen Rahmen des vorhandenen Förderprogramms „Regionalbudget“ mit einer Förderquote von 80 Prozent voll ausgeschöpft, so Poschen. Für den einzelnen beteiligten Haushalt habe sich ein Eigenanteil von 800 Euro ergeben.
Wie die gemeinsame Fahrzeugnutzung funktioniert, wenn man auf einen kommerziellen Anbieter zurückgreift, erläuterte Gerhard Kaminski, der in Alsfeld daran mitgewirkt hat, dass ein Carsharing-Auto bereitgestellt wurde. Das sei vor sieben Jahren auf Initiative des Kreisverbands des Verkehrsclubs Deutschland (VCD) durch den Anbieter stadtmobil Rhein-Main geschehen. Dabei handele es sich momentan noch um einen Benziner, aber die Carsharing-Gesellschaften gehörten bundesweit zu den Vorreitern beim E-Fahren, knapp ein Viertel der Fahrzeugflotte sei bereits umgestellt – auf reine E-Fahrzeuge, Plug-In-Hybride kämen nicht zum Einsatz.
Kaminski betonte, dass nicht nur die Antriebstechnik für die zukünftige, nachhaltige Mobilität von Bedeutung sei, sondern auch das Nutzungsverhalten. Statistisch werde ein Auto nur von 1,3 Personen benutzt, das üblicherweise vier oder fünf befördern könne und nur eine Stunde pro 24 Stunden bewegt. „Effiziente Ressourcennutzung, die ein Kernelement der Nachhaltigkeit ist, sieht anders aus“, so der VCD-Referent. Werde ein Carsharing Fahrzeug genutzt, spare das nach wissenschaftlichen Studien fünf Autos ein. Dem Argument, dass in kleinen Orten nicht genügend Leute für das Autoteilen zusammenkämen, konnte er aus den Alsfelder Erfahrungen entgegenhalten, dass nicht die Teilnehmendenzahl, sondern der Umsatz die maßgebliche Größe für die Wirtschaftlichkeitserwartungen eines Anbieters ist. Carsharing lohne sich grundsätzlich für alle, die weniger als 12.000 Kilometer mit dem Auto fahren. Sie sparen die Anschaffungskosten und zahlen nur die tatsächlichen Fahrten, mit einem Zeittarif und einem Kilometergeld, wie es heißt.
Wie die praktische Handhabung funktioniert, konnten die Kursteilnehmenden auf dem Parkplatz vor dem VHS-Gebäude in Lauterbach ausprobieren. Mit den E-Fahrzeugen aus „Neu-Mexiko“ waren sogar Probefahrten möglich. Außerdem konnte der E-Bürgerbus aus Gemünden (Felda) in Augenschein genommen werden. Dieser wird von einem eigens zu diesem Zweck gegründeten Bürgerbusverein betrieben und verbessert die Erreichbarkeit zentraler Einrichtungen, wie Arztpraxen, der Apotheke und dem Supermarkt aus allen sieben Ortsteilen, heißt es. Das Verfahren zur Einrichtung eines solchen Angebots, das über die „Landesstiftung Miteinander in Hessen“ läuft, erläuterte Kaminski.
Beide Referenten machten deutlich, dass die aufgezeigten Projekte Bausteine für eine zukunftsweisende Mobilität bilden sollten, die im Vogelsbergkreis die vorhandene Bahnlinie zum Dreh- und Angelpunkt machen sollte. Ihre Modernisierung könnte im Rahmen eines Gesamtkonzepts mit Mobilitätsstationen verbunden werden. Diese könnte die aufgezeigten E-Fahrzeuge, Fahrrad-Parkboxen und den Bürgerbus intelligent anbinden. Das würde die Umwelt und das Klima entlasten und – gut gemacht – auch den Geldbeutel, so hieß es. Mehr Information gibt es bei Gerhard Kaminski unter der E-Mail gerkamin@t-online.de oder bei Michael Poschen unter der E-Mail m.poschen@t-online.de.
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