Lea Semmler macht eine Ausbildung zu Malerin und LackiererinDie Leidenschaft im Handwerk gefunden
VOGELSBERG (ls). Was müsste sich ändern, damit sich junge Leute wieder aktiv für das Handwerk entscheiden? Die 17-jährige Lea Semmler macht eine Ausbildung zur Malerin und Lackiererin. Im Gespräch mit OL erklärt sie, warum sie sich aktiv für eine Ausbildung im Handwerk entschieden hat, warum sie ihre Entscheidung nicht bereut und warum mehr junge Leute den Mut haben sollten, aus der Reihe zu tanzen.
Lea Semmler ist anzusehen, dass sie gerne Malerin und Lackiererin lernt – obwohl sie sich als junge Frau dabei immer wieder in einer männerdominierten Branche behaupten muss. Unterstützung bekommt sie dabei aber von ihrer Chefin Jennifer Perutka, die sich selbst erst mitten in der Corona-Pandemie mit dem eigenen Ein-Frau-Betrieb selbstständig gemacht hat. Seit einem Praktikum im vergangenen Jahr sind die beiden Frauen ein eingespieltes Team, wenig später startete die 17-Jährige eine Ausbildung in dem kleinen Betrieb.
„Direkt vom ersten Tag an, von der ersten Sekunde hat mir das unglaublich viel Spaß gemacht. Ich wusste sofort: Hier gehöre ich hin“, erzählt die 17-Jährige von ihren ersten Berührungspunkten mit Handwerk. Etwas mit den Händen schaffen und sich bewegen statt den Tag im Bürostuhl verbringen, das sei ihr schon immer wichtig gewesen. Während Corona hatte sie dann genügend Zeit, um über ihre berufliche Zukunft nachzudenken und erste Erfahrungen in einem Praktikum in ihrem heutigen Ausbildungsbetrieb zu sammeln.
An ihrem ersten Tage sei die Nervosität und die Sorge darüber, etwas falsch zu machen, groß gewesen, erinnert sich die 17-Jährige zurück. In der Praxis sei es dann ganz anders gekommen. „Jenny hat mir alles ganz genau erklärt und hat von Anfang an großes Vertrauen in mich gesetzt“, sagt sie. Statt Wochen lang nur Tapete von Wänden zu entfernen, stieg Semmler direkt mit dem vollen Programm ein: Spachteln, Schleifen, Verputzen, Malen, Tapezieren und alles was dazu gehört.
„Nur so konnte ich Lea zeigen, was den Beruf ausmacht. Alles andere hätte die Vielfältigkeit nicht widergespiegelt“, ergänzt Ausbilderin und Malermeisterin Jennifer Perutka. Man müsse sich Zeit nehmen, um die jungen Menschen vom Handwerk zu überzeugen.
Seit Jahren schon wird im Vogelsberg so viel gebaut, wie schon lange nicht mehr. Handwerksbetriebe haben volle Auftragsbücher und lassen ihre Kunden lange warten. Was wie ein lukratives Geschäft wirkt, überschattet ein tiefgehendes Problem: Das Handwerk hier leidet – und das seit vielen Jahren schon. Insbesondere leidet es an fehlenden Fachkräften und mangelndem Nachwuchs. Während manche Betriebe deshalb Aufträge ablehnen müssen oder gar tageweise schließen, schließen wieder andere kleine Betriebe komplett.
Landes Ringen um Auszubildende
Kein Wunder, dass die Befürchtung groß ist, dass Handwerker und Handwerksbetriebe künftig rar werden oder großflächig verschwinden. Eine düstere Prognose für den Vogelsberg wirft da auch die IWAK-Studie auf, die dem Landkreis in der Zukunft den größten Fachkräftemangel prognostiziert. Bis 2028 werden hierbei 6.730 fehlende Arbeits- und Fachkräfte prognostiziert. Das entspricht einer Größenordnung von 17 Prozent der in 2021 noch sozialversicherungspflichtig oder geringfügig Beschäftigten.
Der Grund dieser Prognose: Viele Renteneintritte, wenig Nachwuchs – vor allem in Bauhandwerk, Sozial- und Pflegeberufen, in der Erziehung und Kinderbetreuung, aber auch bei Bäckereien und Metzgern.
Für die Vogelsberger Kreisverwaltung ist das nicht überraschend, arbeitet sie doch bereits seit einigen Jahren Strategien heraus, um dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken und dem Handwerk einen Imagewandel zu verpassen. Ganz einfach ist das wahrlich nicht.
Bei Lea Semmler hat das geklappt. Seit dem vergangenen Jahr macht die 17-Jährige aus Queck eine Lehre bei Perutka, besucht einmal wöchentlich die Berufsschule in Fulda. Aus dem Vogelsberg ist sie dort eine von nur zwei Auszubildenden und lernt neben den Grundfächern berufsbezogene Lernfelder wie Trockenbau und Putz, wo ihr Techniken, Zusammensetzung und Inhaltsstoffe beigebracht werden und kann sich in der Praxis zwischen modernen 3D-Techniken durch Kalkputz und denkmalgeschütztem historischen Arbeiten bei Fachwerk-Gebäuden kreativ ausleben.
In einem männerdominierten Beruf durchsetzen
„Für mich war schon immer klar, dass ich eine Ausbildung machen möchte, etwas Praktisches und erst einmal kein Abitur“, erklärt sie. Die Noten dafür hätte sie allemal gehabt. Statt weiter die Schulbank zu drücken, steht Lea täglich auf unterschiedlichen Baustellen und kann ihr erlerntes Wissen direkt in der Praxis umsetzen. Jeder Tag sei anders, langweilig werde es nie und abends sehe sie dann, was sie mit ihren Händen geschaffen habe – wenn auch die Umstellung von Schulbank zu körperlicher Tätigkeit besonders am Anfang nicht ganz so einfach war.
„Nach einem Arbeitstag war ich schon fertig, aber auch sehr stolz auf das, was ich geschafft habe“, sagt sie. Mittlerweile habe sie sich gut daran gewöhnt und die Arbeit falle ihr leicht.
So hat das Dreamteam aus Queck erst im vergangenen Jahr ein dreistöckiges Haus von oben bis unten komplett gemacht. Viel Arbeit sei das gewesen, aber die 17-Jährige erinnert sich genau deshalb gerne daran zurück – auch weil es dabei ein Zusammenspiel von mehreren Handwerkern gegeben habe. „Die waren anfangs skeptisch, ob die beiden Frauen das schaffen. Jetzt kann man sagen: Ja, das haben wir geschafft“, erzählt die Auszubildende sichtlich stolz.
Ganz leicht habe man es als Frau auf den Baustellen oftmals nicht. Nicht selten komme es vor, dass sie unterschätzt würden, man eher mindere Aufgaben auf Großbaustellen zugewiesen bekomme oder Sprüche fallen, dass Frauen in die Küche gehören. „Das ist schon ein Kampf, in dem man sich beweisen muss“, verrät Perutka.
Lea Semmler hat es jedenfalls nicht davon abgehalten, genau in diesem männerdominierten Beruf ihre Ausbildung zu machen, ganz im Gegenteil. „Ich kann mich gut durchsetzen“, sagt sie. Dennoch sei es sicherlich mit ein Grund, warum viele junge Mädels von einer Ausbildung eher abgeschreckt seien, wenn es auch mittlerweile eine weiblichere Entwicklung im Handwerk gebe. In ihrer Berufsschulklasse ist die 17-Jährige nämlich nicht die einzige Auszubildende.
„Es gibt viele Frauen, die den Weg mittlerweile gehen und viele dieser jungen Frauen machen auch ihren Meister. Sie haben sich bewusst für den Beruf entschieden und haben wirklich Lust darauf, im Gegensatz zu vielen Männern“, ergänzt die Malermeisterin aus Queck.
Handwerk wird in Schulen hintenangestellt
Um so wichtiger sei es bereits in der Schule schon gezielt die Schüler für Ausbildungen zu begeistern. „Das hat mir wirklich gefehlt, weil schon von den Lehrern immer kommuniziert wurde, dass man Abitur machen soll, damit man einen guten Job bekommt. Von einer Ausbildung war da nie die Rede“, sagte die 17-Jährige. Das Handwerk und die Ausbildung sei schon dort hintenangestellt worden, wodurch es schnell den Ruf bekomme, dass es im Vergleich zum Abitur und dem oft folgenden Studium nichts wert sei. Das Gegenteil aber ist der Fall: Handwerk hat noch immer den sprichwörtlich bekannten goldenen Boden, die Ausbildungsgehälter sind gestiegen und die Auftragsbücher durch Fachkräftemangel randvoll. „Wir sind bis Ende des Jahres ausgebucht“, bestätigt Perutka.
Heutzutage gebe es kaum noch jemanden, der sich für eine Ausbildung im Handwerk entscheidet, weil das Abitur einen höheren Stellenwert besitze, als das Handwerk. „Das muss sich dringend ändern“, fordert Semmler. Anfangen müsse man dabei bereits zuhause, weiter gemacht werden muss in den Schulen. „Sonst gibt es bald keine Handwerker mehr.“
Als sie in der Schule von ihren Plänen für die Ausbildung berichtet hätte, seien die Lehrer regelrecht überrascht gewesen, einige hätten darauf gedrängt, dass sie zunächst ihr Abitur mache. In den drei Jahren, in denen ihre früheren Mitschüler nun ihr Abitur machen, verdient Lea Semmler bereits Geld und hat danach eine abgeschlossene Ausbildung mit viel Praxiswissen hinter sich. „Und dann habe ich immer noch viele Möglichkeiten. Ich kann meinen Meister machen, kann immer noch mein Abitur machen und studieren, wenn ich in Richtung Innenarchitektur gehe“, erklärt die junge Frau.
Den Grundstein dafür legt sie bereits jetzt während ihrer Ausbildung. Für junge Leute hat sie einen Tipp: „Traut euch aus der Menge heraus etwas anderes zu tun – auch wenn alle sagen, dass ihr Abitur machen sollt. Traut euch ins Handwerk zu gehen, probiert es aus!“ Ihre ausgeschlossene Art zeigt: Lea Semmler brennt für ihren Beruf und hat ihre Leidenschaft im Handwerk gefunden.
Wenn ich das Lese Denke ich an meine Lehrzeit,jeden Tag mit dem Meister zusammen so konnte alles was nötig war Lernen in der Lehrzeit.Später und auch heute noch werden oft die Lehrlinge als billige Arbeitskraft angesehen.Einen guten Lehrbetrieb heute zu finden ist schwer.
Schade das nicht mal eine Serie gemacht wird über die Lehrlinge in Alsfeld und Umgebung! Wäre auch mal interessant für die jüngeren Leser was es in Alsfeld und Umgebung für Ausbildungsstellen gibt und sich darüber informieren können.