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Lothar Wiese und Hans Langecker im PorträtDie Chefs der Notunterkunft

ALSFELD (akr). Während andere in ihrem Alter ihren wohlverdienten Ruhestand genießen, haben die beiden pensionierten Polizeibeamten Lothar Wiese und Hans Langecker alle Hände voll zu tun. Fast drei Jahre lang bildeten sie gemeinsam die Projektgruppe „Sicherheit“ im Krisenstab der Hessischen Erstaufnahmeeinrichtung, seit März leiten sie als Team die Flüchtlingsnotunterkunft in Alsfeld. Ein Porträt über zwei Helfer in der Not.

Es sind eisige Temperaturen, die an diesem Donnerstagmittag herrschen. Kein Wunder, dass man nur wenige Menschen im Außenbereich der Notunterkunft oberhalb der Hessenhalle antrifft. Vereinzelt sind es Raucher oder Leute, die sich auf dem Weg zu den Sanitär-Containern in die Kälte wagen. Die meisten der ukrainischen Geflüchteten haben sich nämlich in ihre Wohncontainer oder in die große Aufenthaltshalle zurückgezogen. Auch die beiden Standortleiter Lothar Wiese und Hans Langecker sind gerade mal nicht draußen unterwegs, sondern sitzen an ihren Computern – ebenfalls in einem Container, der nur wenige Quadratmeter groß ist.

„Wenn ich sehe, wie eine ältere Frau mit Stock über den Hof läuft, da frage ich mich wirklich: muss sie das in ihrem Alter noch erleben und dann auch noch hier in einer Massenunterkunft?“, erzählt der ehemalige Polizeibeamte Hans Langecker und wirkt dabei sehr nachdenklich. Der 70-Jährige weiß nämlich ganz genau, dass in dem Alter die Zeit kostbar ist. „Wer weiß, wie lange man noch fit ist, sowohl körperlich als auch geistig“, sagt er, auch wenn er sich trotz seines Alters darüber noch gar keine Sorgen machen muss.

Seine Vorfahren und Familie mussten ebenfalls flüchten, unter anderem wegen Krieg. Sie mussten erleben, wie es ist, seine ganze Existenz zu verlieren und nicht von jedem mit offenen Armen empfangen zu werden. Deshalb kann sich Langecker auch gut in die Menschen hineinversetzen. „Jeder Geflüchtete betritt ein fremdes Land, das ist für denjenigen natürlich eine Belastung“, erklärt er. Eine Belastung sei auch die Unterbringung in einer Gemeinschaftsunterkunft mit Hunderten von fremden Menschen, weiß Langecker. Schließlich bekommt er es als Standortleiter tagtäglich mit.

Ein kurzer Ruhestand

Der 70-Jährige ist eigentlich schon längst im Ruhestand, genauso sein 69jähriger Kollege Lothar Wiese. Als die beiden Polizeibeamten vor rund zehn Jahren in genau diesen verabschiedet worden, haben sie sicherlich nicht damit gerechnet, schon bald wieder in den Diensten des Landes Hessen zu stehen. Doch als knapp drei Jahre später hunderttausende Menschen Zuflucht in Deutschland suchen, war für Wiese und Langecker der Ruhestand vorbei – freiwillig.

„Hans und ich sind als pensionierte Beamte des höheren Dienstes vom Ministerium angesprochen worden, ob wir nicht die Hessische Erstaufnahmeeinrichtung in Gießen im Krisenstab unterstützen könnten“, erzählt der 69-jährige Wiese. Genauer gesagt sollten sie ihre polizeiliche Expertise einbringen und in Fachfragen beraten – ihr Fokus lag dabei auf der Vermeidung von Kriminalität in Notunterkünften. „Es war eine interessante Aufgabe, die mich gereizt hat“, erzählt er und lächelt.

Gemeinsam bildeten Wiese und Langecker für über zweieinhalb Jahre die Projektgruppe „Sicherheit“. Aus den zunächst geplanten „zwei bis drei Mal die Woche für ein paar Stunden“, wie es damals hieß, wurde allerdings schnell ein Fulltime-Job. Für Wiese war es eine Zeit, die er als „hochinteressant“, bezeichnet. Sein ein Jahr älterer Kollege Langecker kann dem nur zustimmen, wie er mit einem langsamen Nicken deutlich macht.

Lothar Wiese und Hans Langecker sind ein eingespieltes Team.

120 Notunterkünfte waren im Rahmen des Flüchtlingssommers vor rund sieben Jahren in ganz Hessen entstanden – Wiese und Langecker kannten sie alle, das mussten sie auch. Schließlich haben sie jeder einzelnen Einrichtung mindestens einmal einen Besuch abgestattet, immer gemeinsam als eingespieltes Team, das sie auch heute noch immer sind.

Sie haben die Unterkünfte nicht nur beurteilt und bewertet, Strafdaten dokumentiert und Kontrollsysteme erarbeitet, sondern sich auch intensiv mit dem Verhalten der Sicherheitsmitarbeiter beschäftigt. Sprich: Wie sich diese in bestimmten Situationen zu verhalten haben, welche Ausrüstung sie brauchen oder auch, welche Rechte sie überhaupt haben – um nur einige Beispiele zu nennen, mit denen sich Wiese und Langecker so auseinandergesetzt haben.

Wiese war früher unter anderem Leiter der Polizeidirektion in Gießen und bis zu seiner Pensionierung in 2013 Leiter der Polizeidirektion Fulda. Der 70jährige Langecker war unter anderem Leiter der Schutzpolizei im Landkreis Marburg-Biedenkopf und der Bereitschaftspolizei in Lich, ehe er bis Ende 2012 das Amt des Präsidenten der Hessischen Bereitschaftspolizei innehatte.

Schon damals kreuzten sich die Wege der Pensionäre. Sie kennen sich nämlich noch aus ihrem Studium für den höheren Polizeidienst. „Wir haben gemeinsam eine Fahrgemeinschaft gebildet“, erzählt Langecker, heute teilen sie sich einen Container von nur wenigen Quadratmetern – dazu aber später mehr. Da beide nämlich sehr heimatverbunden sind, entschieden sie sich lieber fürs Pendeln, anstatt umzuziehen. „Ich habe lieber die Fahrerei in Kauf genommen“, lacht Wiese. Er ist auf dem Land groß geworden und da wollte er eben auch immer wieder hin. Gleiches gilt für seinen Kollegen.

Sehr aktiv, sehr engagiert

Der 69-Jährige ist ein echtes Alsfelder Urgestein. Seit seiner Geburt ist er seiner Heimat treu. Gemeinsam mit seiner Frau, mit der er seit 42 Jahren verheiratet ist und eine Tochter hat, lebt er in Eifa. Dort hat er sich den Traum von den eigenen vier Wänden erfüllt. „Für mich war ein eigenes Haus das A. und O.“, sagt er stolz.

Wiese ist ein sehr engagierter Mann. Nebenbei ist er nämlich noch in zahlreichen Vereinen aktiv: Musikalisch unter anderem in der „show and brass band“, in der er acht Jahre lang der Vorsitzende war, sowie bei den Storndorfer Schützen. Zudem ist er nicht nur Mitglied im Obst- und Gartenbauverein, sondern auch der zweite Vorsitzende beim Sportbootclub Fulda. Nicht zu vergessen die 15 Jahre im Ortsbeirat.

Ein echtes Urgestein ist aber auch Hans Langecker. Geboren im damaligen Elternhaus in Londorf lebt der sportliche 70-Jährige heute noch immer in dem Rabenauer Ortsteil, gemeinsam mit seiner Frau, mit der er seit 44 Jahren verheiratet ist. Der Vater zweier Söhne kann ebenfalls auf ein beachtliches ehrenamtliches Engagement blicken.

24/7 im Einsatz für Kriegsgeflüchtete

Er ist Mitglied der Freiwilligen Feuerwehr, des Heimat- und Kulturvereins, des Obst- und Gartenbauvereins und der Jagdgenossenschaft in Londorf. Darüber hinaus war er nicht nur jahrelang Erster Beigeordneter und Kreistagsabgeordneter, sondern ist auch als Mitglied im Organisationsteam des Seniorencafés aktiv und engagiert sich als ehrenamtlicher Fahrer beim Bürgerbus, den er mit ins Leben gerufen hat.

Bis 2018 haben sich die pensionierten Polizeibeamten der Vermeidung von Kriminalität in den Notunterkünften gewidmet, ehe sie dann selbst wieder ihren Ruhestand genießen und Zeit mit ihrer Familie verbringen wollten. Doch auch dieser Ruhestand war alles andere als lang. Genauer gesagt dauerte er wieder nur knapp vier Jahre. „Ruhestand ist schön, aber ich kann nicht den ganzen Tag Rasen mähen oder so – irgendwann sind alle Arbeiten erledigt“, lacht Wiese.

Standortleitung der Notunterkunft

Seit März widmet er sich seiner neuen Aufgabe: Die Standortleitung der Notunterkunft in Alsfeld. Zunächst allein, bekam er nach knapp eineinhalb Wochen Verstärkung – und zwar von keinem geringeren als seinem „Projektgruppe Sicherheit“- Kollegen Langecker. „Ich habe sofort an Hans gedacht“, erzählt er und blickt grinsend zu dem 70-Jährigen, der nur eine Armlänge von ihm entfernt in dem Container sitzt, der seit knapp neun Monaten sozusagen sein Arbeitsplatz ist.

Langecker hatte eigentlich gar nicht mehr geplant, seinen Ruhestand wieder zu verlassen, gibt er zu. „In unserem Alter ist jeder Tag wichtig“, betont er. Seinen ehemaligen Partner nicht zu unterstützen kam für ihn dann aber auch keineswegs in Frage. „Wäre es jemand anderes gewesen hätte ich wahrscheinlich nein gesagt“, grinst er und ergänzt: „Wegen des Geldes machen wir das nicht.“ Finanziell seien die beiden nämlich keineswegs drauf angewiesen. „Es hält auch ein Stückweit fit und es macht Spaß“, wirft Wiese ein.

Für die erfahrenen Beamten war es jedenfalls kein Problem, sich in ihrem neuen Job schnell zurechtzufinden und mit den Aufgaben vertraut zu machen. „Wir hatten einen guten Background – wir können koordinieren, anleiten, organisieren, Aufgaben verteilen, uns auf neue Führungssituationen einstellen und kennen die Strukturen des RP“, sagt der 70-Jährige selbstbewusst.

Und genau das beweisen sie seit über neun Monaten. Im Gegensatz zu 2015/2016, als es sich überwiegend um junge Männer handelte, die Zuflucht in Deutschland gesucht haben, liegt der Fokus der beiden als Standortleiter nicht mehr auf der Vermeidung von Kriminalität.  Die spielt bei den ukrainischen Geflüchteten auch eine weniger große Rolle. „Damals war das Kriminalitätsaufkommen schon größer“, erinnert sich Langecker zurück.

Doch es sei keineswegs so „überdimensioniert“ gewesen, wie es manche dargestellt hätten, betont der 70-Jährige, als nicht zum ersten Mal an diesem Tag die Tür des Containers aufgeht und ein eisiger Hauch frische Luft ins Innere gelangt. Es ist nur eine kurze Unterschrift, die gesetzt werden muss, ehe der Unterkunfts-Mitarbeiter den Container der beiden wieder verlässt. In der Notunterkunft wird nämlich keine Entscheidung ohne Wiese und Langecker getroffen, um es kurz und knapp auf den Punkt zu bringen.

Lange werden sie diesen „Fulltime-Job“ aber nicht mehr ausüben, denn die beiden haben für das kommende Jahr schon einiges geplant. Wiese freut sich beispielsweise auf Touren in seinem Wohnmobil oder Fahrten mit seinem Boot, während sich Langecker gedanklich gefühlt schon auf seine nächste ausgiebige Fahrrad- oder Wandertour vorbereitet, Hauptsache etwas Aktives. Für sie steht nämlich fest: Im Mai nächsten Jahres, solange soll die Unterkunft vorerst noch bestehen, ist für sie Schluss – „dieses Mal wirklich“, sagt Wiese, und muss lachen – genau wie Langecker.

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