Wie La Strada dem 54-jährigen John geholfen hatAus der Wohnunglosigkeit in die eigenen vier Wände
ALSFELD (akr). 14 Monate lang hatte John keinen festen Wohnsitz. Mal schlief er bei Freunden, mal bei Verwandten. Sozialhilfe bekam er nicht. Aus Scham ist der 54-Jährige nicht zum Amt gegangen, sein eigener Stolz hat ihn davon abgehalten. Mittlerweile steht John wieder auf eigenen Beinen – dank der Wohnungsnotfallhilfe La Strada. Das ist seine Geschichte.
„Hilfe, ich weiß nicht weiter“ – John, der in Wirklichkeit anders heißt, kann sich noch genau an seine Worte erinnern, als er am Abend des 24. Novembers 2020 mit ein paar wenigen Habseligkeiten an der Pforte der Wohnungsnotfallhilfe La Strada stand. An diesem Tag, genau 14 Monate nachdem er seine Wohnung verlor, weil er die Miete nicht mehr zahlen konnte, traf John die Entscheidung, dass es so nicht mehr weiter gehen kann. Endlich bat er um Hilfe.
John kommt ursprünglich aus den USA, genauer gesagt aus dem Bundesstaat Michigan.1988 wurde er als Berufssoldat in Fulda stationiert, lernte hier seine damalige Frau kennen, mit der er zwei Kinder bekam. Gemeinsam lebte die Familie in Lauterbach. Doch nur knapp fünf Jahre später, 1993, musste der heute 54-Jährige seinen Job als Soldat aus medizinischen Gründen aufgeben.
„Ich habe Arthrose“, erzählt John. Er hat eine dunkle, leicht rauchige Stimme. Seinen amerikanischen Akzent hört man nur ganz leicht heraus. Nicht mehr als Soldat arbeiten zu können, war für ihn ein Schlag in die Magengrube. „Aber was will man machen? Das Leben geht weiter“, sagt der große und kräftige Mann lässig. Er arbeitete schließlich mal hier, mal dort, aber immer für mindestens fünf Jahre, wie er erzählt. 2019 rutschte er dann in die Arbeitslosigkeit, aus der er nicht wieder herauskam. Bis dato habe er immer ein geregeltes Einkommen gehabt.
2012 folgte die Scheidung von seiner Frau, sein Auszug aus dem gemeinsamen Haus und hinein in eine kleine Wohnung. Keine leichte Zeit für John. Er ist ein absoluter Familienmensch, lächelt über das ganze Gesicht, wenn er von seinen Kindern erzählt, die zum Zeitpunkt der Trennung 18 und elf Jahre alt waren. Seine Kinder blieben bei seiner Ex-Frau. „Ich konnte sie aber immer sehen und sie konnten auch jederzeit zu mir kommen“, erzählt der 54-Jährige.
Aus Scham nicht aufs Amt
Zum 21. September 2019 wurde John seine Wohnung gekündigt, in der er seit dem Auszug aus dem gemeinsamen Haus wohnte. Er konnte die Miete nicht mehr zahlen. „Ich habe mich nie arbeitslos gemeldet. Ich wollte mich nicht erniedrigen und habe immer versucht, Arbeit zu finden, aber in der Corona-Zeit war das nicht einfach“, erzählt er. Aus Scham ist er nicht zum Amt gegangen. „Mein eigener Stolz hat es nicht zugelassen“, gibt er zu.
Die Hilfe von La Strada hat er zu diesem Zeitpunkt aber noch nicht aufgesucht. 14 Monate lang lebte der 54-Jährige ohne festen Wohnsitz, kam bei Freunden und Verwandten unter, zuletzt bei seiner Tochter und ihrem damaligen Lebensgefährten. Eine für John demütigende Zeit. „Ich konnte nicht mehr für meine Familie sorgen. Das hat weh getan und mir einen psychischen Knacks gegeben“, erzählt er und hält einen Moment inne.
Panikattacken, begleitet von Selbstmordgedanken – John fiel in eine depressive Phase, stand nach eigenen Angaben mehrere Male vor dem 21 Meter hohen Hainigturm zwischen Lauterbach und Angersbach. Die Treppen sei er aber nicht hinauf gegangen. „Ich war eine feige Sau. Ich konnte es nicht, ich hatte zu viel Angst.“ Rückblickend betrachtet habe er sich auch nicht umbringen wollen. „Das waren Flusen im Kopf, eine Kurzschlussentscheidung“, sagt er mittlerweile.
Am Abend des 24. November 2020 packte John schließlich seine paar Habseligkeiten zusammen und ließ sich von seinem Sohn zu La Strada fahren. Bei seiner Tochter konnte er nicht bleiben, zu groß waren die Differenzen zwischen ihm und dem damaligen Lebensgefährten seiner Tochter. „Wir hatten kein gutes Verhältnis“, resümiert er ohne weitere Details zu nennen. Nur so viel: Wenn er da geblieben wäre, wäre es wahrscheinlich zu „Handgreiflichkeiten“ gekommen. Die Situation sollte nicht eskalieren, deshalb rief er seinen Sohn an, der ihn schließlich zu La Strada fuhr.
Hilfsangebote wie La Strada waren dem gebürtigen US-Amerikaner schon länger bekannt. „Ich stand schon in Verbindung mit den Ämtern, als ich meine Wohnung verlor“, erzählt er. Der 54-Jährige wusste, wo er Hilfe bekommen kann. Diese Angebote habe er aber nur „vermerkt“, „eingedrungen“ seien sie nicht, wie er zugibt.
Die erste Nacht verbrachte John auf dem Sofa im Aufenthaltsraum, doch schon am nächsten Tag konnte der Hilfesuchende ein Zimmer im Übergangswohnheim beziehen. Dass es ein solches Angebot in Alsfeld überhaupt gibt, hat man unter anderem Andreas Wiedenhöft zu verdanken. Er hat die Einrichtung in der Altenburger Straße vor rund 28 Jahren ins Leben gerufen, damals noch als Fachberatungsstelle mit Tagesaufenthalt, ehe dann später noch das Übergangswohnheim und das Betreute Wohnen das Angebot erweiterten.
Seinen eigenen Weg ändern
„La Strada“ ist italienisch und bedeutet übersetzt „Die Straße“. „Unsere Einrichtung versteht sich aber nicht als Ende eines Weges, sondern vielmehr als Teil der Straße, beziehungsweise als eine Art Kreuzung. Man kann zu uns kommen, um seinen Weg zu ändern“, sagt Wiedenhöft. Wie diese Hilfe aussehen kann, hängt davon ab, mit welcher Notlage der Mensch die Einrichtung aufsucht.
Es kann sein, dass jemand eine Beratung braucht, weil ihm beispielsweise eine Räumungsklage droht. Eine andere Möglichkeit ist, dass jemand zu La Strada kommt, weil er beispielsweise seit zwei Tagen nichts mehr gegessen und auf der Straße geschlafen hat. „Dann braucht man nicht nur eine Beratung oder etwas zu essen, sondern auch eine Übernachtung, dafür ist dann das Übergangswohnheim da“, erzählt der Leiter. Bei jeder Notlage werde gemeinsam geschaut, wo genau das Problem liegt und was am dringendsten angegangen werden muss.
Im Falle von John war das natürlich erstmal ein Dach überm Kopf. Deshalb zog der 54-Jährige zunächst ins Übergangswohnheim. Das sollte aber nicht auf Dauer sein. Johns Ziel war es, wieder auf eigenen Beinen zu stehen, wieder in seinen eigenen vier Wänden zu leben. Unterstützt wurde er auf diesem Weg von Alexandra Schuch. Die Sozialarbeiterin ist für das „Betreute Wohnen“ verantwortlich und hat John von Anfang an begleitet.
Ins Betreute Wohnen aufgenommen
„Wir unterstützen nicht nur bei der Wohnungssuche, sondern stellen auch sämtliche Anträge, nehmen Kontakt zum Vermieter auf, kümmern uns darum, dass der Klient Möbel hat und seine Leistungen bezieht, also einfach das komplette Programm, damit er wieder in die Selbstständigkeit findet“, erzählt sie. Mieter der Wohnung ist dann übrigens nicht La Strada, sondern der Klient selbst.
Das Team vom Betreuten Wohnen steht einfach mit Rat und Tat zur Seite. Oftmals gibt es auch noch andere „Baustellen“, die gemeinsam angegangen werden müssen, sei es Überschuldung, Haftvermeidung oder gesundheitliche Schwierigkeiten.
Ein Auszug aus dem Wohnheim, hinein in eine eigene Wohnung, ist bei manchen auch mit Ängsten verbunden, weiß die Sozialarbeiterin. „Nicht alle schreien: Jippie, jippie, ich habe einen Wohnung, alles wird wieder gut“, erzählt Schuch. Es komme auch vor, dass manche sich der Aufgabe, allein zu wohnen, dann doch nicht gewachsen fühlen.
Bei John ist das anders. Er habe sich riesig darauf gefreut, nach knapp sechs Monaten im Übergangswohnheim seine eigenen vier Wände zu beziehen. Seit dem 1. Juni 2021 lebt er nun in einer rund 42 Quadratmeter großen Wohnung in einem alten Bauernhaus in Alsfeld – ein Zufallsfund auf Ebay Kleinanzeigen. „Die Menschen im Haus sind super. Bessere Nachbarn hätte ich mir nicht wünschen können“, sagt der 54-Jährige und strahlt dabei über das ganze Gesicht.
Zurück ins Berufsleben kehren wird John aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr. „Ich werde Frührente beantragen“, erzählt er. Dabei kann er sich auf die Hilfe von Alexandra Schuch verlassen. Sie ist nicht mehr nur seine Betreuerin, sondern die beiden pflegen ein freundschaftliches Verhältnis und stehen regelmäßig in Kontakt. Immer wieder betont der 54-Jährige, wie dankbar er für ihre und die Hilfe aller anderen La Strada Mitarbeiter ist. Aktuell bekommt John Hartz IV, also 449 Euro im Monat. Damit kommt er auch gut zurecht, wie er sagt. „Es dürfte mehr sein, aber ich würde mich nicht beschweren“, sagt er.
John hat dank La Strada aber nicht nur gelernt, wieder auf eigenen Beinen zu stehen. Auch seine Denkweise über Wohnungslose oder Menschen mit Alkoholproblemen habe sich geändert. „Ich habe früher abwertend gedacht, solche Leute als niedere Menschen angesehen, die ihr Leben nicht in den Griff bekommen wollen“, gibt er zu. Jetzt habe er aber verstanden, dass man Menschen nicht einfach verurteilen sollte. „Jeder hat seine Geschichte, jeder hat sein Päckchen zu tragen.“ So aus John.
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