Interview mit Doris Roth über die Lehrkräfteakademie„Die Stadt wird bestimmt davon profitieren“
ALSFELD (jal). Doris Roth war lange Jahre Lehrerin an der Albert-Schweitzer-Schule. Mittlerweile arbeitet sie an der Hessischen Lehrkräfteakademie, deren Neubau in Alsfeld ersteht. Im Interview mit OL erklärt die Alsfelderin, was die Einrichtung genau macht – und was sie vom Schulalltag am meisten vermisst.
Doris Roth hat einen ganzen Haufen Absolventen der ASS fit fürs Abitur gemacht, den Autor dieses Textes eingeschlossen. Wobei, würde sie nicht schon so lange in Alsfeld leben, würde die gebürtige Österreicherin aus dem Weinort Perchtoldsdorf direkt vor den Toren Wiens wohl eher sagen, sie habe die jungen Leute auf die Matura vorbereitet, wie in Österreich und der Schweiz das Abitur genannt wird.
Weil die Ausbildung aus ihrem Heimatland hier nicht anerkannt wurde, machte Roth von 1994 bis 1996 ihr zweites Referendariat an der ASS, unterrichtete anschließend hauptsächlich Geschichte und Sport. Von 2012 bis 2021 war sie Leiterin der Oberstufe. Vom aktiven Schuldienst ging es für Roth dann an die Hessische Lehrkräfteakademie, die bislang unter anderem in Frankfurt, Gießen und Wiesbaden sitzt, und für die in Gießen und auf dem Alsfelder Bücking-Gelände bald ein Neubau entstehen soll. Die neue Zentralstelle, an der mehr als 200 Beschäftigte arbeiten werden, soll im Jahr 2024 bezugsfertig sein.
Im Gespräch mit Oberhessen-live erzählt Studiendirektorin Roth, weshalb die Akademie für engagierte Lehrer ein toller Arbeitsplatz ist – und was sie sich für die Nachbarschaft des Neubaus wünschen würde.
Oberhessen-live: Frau Roth, dass die Lehrkräfteakademie nach Alsfeld kommt, haben mittlerweile viele mitgekriegt – was die Einrichtung aber überhaupt ist, sicherlich weniger. Können Sie das in einem Satz zusammenfassen?
Doris Roth: Eine nachgeordnete Behörde des hessischen Kultusministeriums.
Okay, vielleicht brauchen wir doch ein bisschen mehr als einen Satz.
Vereinfacht lässt sich sagen: Das Hessische Kultusministerium hat die Aufgabe der zentralen Planung und Steuerung in der Bildungspolitik, in Absprache über die Kultusministerkonferenz auch im Austausch mit den anderen Ländern. Die Aufgabe der LA ist es, die Leitlinien und Vorhaben in die Praxis des Schulalltags zu übertragen.
Können Sie ein Beispiel aus Ihrem Dezernat nennen?
Nehmen wir einmal an, es würde entschieden, beispielsweise zwei Fächer im Gymnasium in einem Fach zusammenzufassen, dann wäre es die Aufgabe meines Dezernats, die beiden Lehrpläne der beiden Fächer für ein gemeinsames Unterrichtsfach anzupassen. Natürlich ist das ein extrem unwahrscheinlicher Fall.
Oder nehmen wir die Bildung in der digitalen Welt. Da ist inzwischen schon viel passiert, dass sich Schülerinnen und Schüler in verschiedenen Fächern mit moderner Technik auseinandersetzen. Wir kümmern uns darum, für alle Schulformen die Lehrpläne beziehungsweise die Curricula dieser Vorgaben entsprechend anzupassen.
Ist es richtig, dass auch das hessische Zentralabitur demnächst in Alsfeld entstehen wird?
Ja, das stimmt. Der Standort Alsfeld hat hier eine besondere Aufgabe. Wir übernehmen die Koordinierung und Erstellung aller Abituraufgaben für ganz Hessen. Auch die Abschlussprüfungen der Haupt- und Realschulen und Fachoberschulen werden zentral von uns erstellt.
Wie läuft das ab?
Die einzelnen Aufgaben werden von Lehrkräften aus ganz Hessen zusammen erstellt. Zum Beispiel bekommt eine Lehrkraft von der Albert-Schweitzer-Schule in Alsfeld den Auftrag, einen Vorschlag fürs Geschichtsabitur auszuarbeiten, genau wie zum Beispiel eine Kollegin oder ein Kollege in Schwalmstadt oder Kassel. Alle diese Vorschläge kommen am Ende bei uns im Dezernat an. Die Gesamtkoordinatoren sichten die eingegangenen Vorschläge, bearbeiten diese und bereiten sie für die Prüflesungen vor. Dann stellen wiederum andere dafür zuständige Lehrkräfte sicher, dass sich die Aufgaben wirklich lösen lassen. Insgesamt gibt es für jedes Fach im schriftlichen Abitur drei Prüflesungen, dazu gehören Prüflesungen mit dem Kultusministerium und dort eingesetzten Lehrerinnen und Lehrern. Am Ende werden die Aufgaben speziell verschlüsselt an die Schulen übermittelt.
Das heißt, die Lehrkräfteakademie arbeitet eng mit Lehrinnen und Lehrern zusammen, die gerade noch selbst unterrichten?
Genau, das ist wie ich finde das Tolle an der Einrichtung. Wer also als Lehrerin oder Lehrer hierbei selbst mitgestalten möchte, der kann dies bei uns tun und sich an dieser Stelle einbringen. Ich denke da nicht nur an die Abschlussaufgaben, sondern auch an das Weiterentwickeln der Lehrpläne. Viele unserer Mitarbeiter sind Lehrerinnen oder Lehrer, die neben dem Schuldienst bei uns für ein Projekt tätig sind. Allein in meinem Dezernat haben wir nur für das Sachgebiet Landesabitur etwa 70 abgeordnete Lehrkräfte, die jedoch hauptsächlich in der Schule arbeiten. Lehrkräfte, die sich für die Bildungspolitik interessieren, können sich jederzeit auf geeignete Ausschreibungen an der Lehrkräfteakademie bewerben und mitarbeiten.
Werden denn auch Lehrkräfte selbst in Alsfeld unterrichtet werden? Akademie hört sich ja ein wenig nach Uni an.
Sicherlich werden in Alsfeld auch Fortbildungen für Lehrerinnen und Lehrer angeboten werden, aber die Lehrkräfteakademie mit den neuen Standorten Alsfeld und Gießen ist die übergeordnete Bezeichnung und ein „Verwaltungsgebäude“.
Wenn jemand Schulleiterin oder Schulleiter werden und sich vertiefende Kompetenzen aneignen möchte, gibt es bei uns spezielle Fortbildungen. Eine wichtige Aufgabe der Lehrkräfteakademie ist natürlich die Ausbildung der Lehrkräfte, das darf man nicht vergessen.
In Alsfeld gibt es mehrere Schulen. Werden die durch die Nähe zur Akademie irgendwelche positiven Effekte spüren können?
Ein Vorteil für Lehrkräfte, die an der Lehrkräfteakademie in Alsfeld tätig sind, wäre die zentrale Lage in der Mitte des Landes. Aber die Akademie spricht alle Lehrkräfte in Hessen an und da ist die Standortverlagerung in die Mitte des Landes nur von Vorteil.
Wird die Akademie Alsfeld verändern?
Die Stadt wird bestimmt davon profitieren. Am Standort in Alsfeld werden circa 200 Arbeitsplätze entstehen. Bei uns arbeiten sehr viele engagierte Lehrer. Für viele ist es schwer am Hauptstandort Frankfurt und im Rhein-Main-Gebiet eine bezahlbare Wohnung zu finden. Ich kann mir durchaus vorstellen, dass diese jungen Familien mit dem Gedanken spielen, in unsere Region zu ziehen, wo es viel Natur gibt und die Preise für Wohnraum im Vergleich noch erschwinglicher sind. Ich werde jetzt schon gebeten, Bescheid zu sagen, wenn ich etwas von freien Wohnungen oder Bauplätzen höre.
Aber vermutlich sind nicht alle Menschen, die bislang in Frankfurt oder Wiesbaden bei der Akademie arbeiten, glücklich über den Umzug?
Das ist voll und ganz nachzuvollziehen. Für die Kolleginnen und Kollegen, die umziehen oder pendeln werden müssen, ist das erst einmal eine Herausforderung und mit Belastungen verbunden. Auf der anderen Seite gibt es viele neue Chancen, zum Beispiel sollen auch mehr Möglichkeiten für mobiles Arbeiten geschaffen werden, um die Vereinbarkeit von Beruf und Familie zu fördern.
Immerhin ist Ihre Chefin jemand, der auch aus unserer Region stammt. Die Kirtorferin Heide Steiner ist von der Vizepräsidentin zur Präsidentin der Akademie aufgestiegen.
Ja, das ist ein wunderbares Zeichen für den Bezug der Akademie zur Region: Dass wir eine Präsidentin haben, die einen lokalen Bezug hat.
Sie sind im vergangenen Jahr an die Akademie gewechselt. Was vermissen Sie aus dem echten Schulalltag am meisten?
Die Schülerinnen und Schüler. Diese Beziehung, den Austausch mit jungen Menschen. Du kommst in die Schule rein und weißt, du stehst jetzt mitten im Leben, bist am Puls der Zeit, kannst im Geschichtsunterricht über tagesaktuelle Politik diskutieren und immer wieder neue Standpunkte hören, die einem selbst wieder Denkanstöße geben und wirst auf den Boden zurückgebracht. Das fehlt mir schon. Und dennoch bin ich mit mir im Reinen, gewechselt zu haben. Nach 28 Jahren Schuldienst wollte ich im letzten Drittel meines Berufslebens nochmal etwas Anderes machen und den Blickwinkel ändern. Die Leitung der Oberstufe hat mir großen Spaß gemacht, aber es ist genauso schön, jetzt den Kopf in eine andere Richtung anzustrengen. Es belebt, nicht immer die gleiche Tätigkeit auszuüben, auch wenn sie viel Spaß gemacht hat.
Der Standort in Frankfurt soll schon sehr abgelebt sein. Konnten Sie mitbestimmen, wie die Akademie in Alsfeld aussehen und ausgestattet sein soll?
Von Anfang an konnte ich wie andere auch Ideen einbringen. Ein Projektbüro plant den Umzug und nimmt Anregungen des Personalrats und der übrigen Beschäftigten mit auf. Unsere Bedürfnisse werden ernst genommen, auch wenn sie dann vielleicht nicht immer eins zu eins umgesetzt werden. Aber die Arbeitsplätze sollen zum Beispiel modern und offen nach dem Multi-Space-Prinzip eingerichtet werden.
Beim Bücking-Gelände, wo der Neubau entsteht, ist noch jede Menge Platz. Wenn Sie einen Wunsch frei hätten: Was hätten Sie gern in der Nachbarschaft der Akademie?
Wir haben ja vorhin schon über das Pendeln gesprochen. Wenn ich mir etwas wünschen dürfte, dann wäre es toll, wenn Kolleginnen und Kollegen WGs oder preisgünstige Unterkünfte beziehen könnten, um sie an der Lehrkräfteakademie zu halten. Sie könnten so für zwei, drei Tage bequem in Alsfeld arbeiten. Das würden sich viele vorstellen können.
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