Letzter Amtsbesuch bei Romrods Bürgermeisterin Birgit RichtbergEin Abschied nach 18 Jahren
ROMROD (akr). 18 Jahre lang war Birgit Richtberg Bürgermeisterin von Romrod – und das, obwohl sie eigentlich erst vor hatte, nur eine Amtszeit zu bekleiden. In wenigen Tagen endet nun ihre dritte und zugleich auch letzte. Eine Rückschau mit einer starken Frau, deren Blick sonst der Zukunft gilt.
An der Innenseite von Birgit Richtbergs Bürotür im Romröder Rathaus klebt ein Sticker. „Keep calm and carry on“ steht darauf geschrieben. Übersetzt bedeutet das: „Bleib ruhig und mach weiter“. Ein Motto, dass die 58-Jährige in ihrer Amtszeit stets befolgt hat. Denn als Bürgermeisterin sei man keine „Grüß-Gott-Tante“, sondern habe mit vielen Konflikten und Situationen zu tun, die nicht unbedingt einfach sind und die man persönlich durchstehen muss. „Und da spricht einfach vieles dafür Ruhe zu bewahren, nicht über zu reagieren und den Dingen ihre Zeit zu geben, sich zu entwickeln“, erzählt Richtberg, während sie auf den kleinen rot-weißen Sticker an ihrer Tür blickt.
Ruhe zu bewahren, das war in den letzten Wochen ihrer Amtszeit kaum möglich. Es war sehr, sehr stressig, erzählt Richtberg und atmet tief ein. Sie habe versucht, soweit es geht die Dinge abzuarbeiten, damit es möglichst ohne Brüche weitergeht. „Ich habe aber auch ein Kästchen für meinen Nachfolger. Da packe ich die Dinge rein, von denen ich genau weiß, dass dafür die Zeit nicht mehr reicht, sie aber wichtig sind“, lächelt sie. Denn alles wird sie eben nicht mehr schaffen können, am 1. April nimmt Hauke Schmehl auf dem Chefsessel im Rathaus Platz.
Richtberg ist also nicht mehr lange Bürgermeisterin der Schlossstadt. Für sie ist das nicht einfach nur ein Job gewesen, sondern eher eine Berufung, wobei sich diese Bezeichnung für sie immer etwas „groß“ anhöre, wie sie zugibt. Sie habe es jedenfalls sehr, sehr gerne gemacht. „Es war im Nachhinein gesehen einfach eine Aufgabe, die tatsächlich für mich gemacht war“, lächelt sie. Das hätte sie sich vorher nicht vorstellen können.
Richtberg kandidiert nicht erneut als Romrods Bürgermeisterin
Denn es war vorher nie ihr Wunsch, Bürgermeisterin zu werden. Sie hat Landwirtschaft studiert, promoviert und war Geschäftsführerin beim Wasser- und Bodenverband Vogelsberg, wo sie auch glücklich war. Nebenbei war sie etwas kommunalpolitisch aktiv. „Das hätte ich mir auch weiter so vorstellen können“, erzählt sie. Als dann aber Menschen zu ihr kamen und ihr sagten, dass das Amt der Bürgermeisterin doch zu ihr passen würde, kam alles anders.
Sie schlief zwei, drei Nächte darüber. Lange überlegen musste sie nicht. „Ich bin ein relativ schnell entschlossener Mensch, ich glaube das kann man als Bürgermeister auch sein.“ Für sie als promovierte Agrarsoziologin sei das Amt auch reizvoll gewesen, weil da im Prinzip ein bisschen auch angewandte Wissenschaft mit drin stecke.
Rückhalt der Familie
Allein getroffen hat sie die Entscheidung aber nicht. Richtberg ist ein Familienmensch, deshalb war es ihr auch wichtig, mit ihrer Familie darüber zu sprechen. So ein Amt mit einer Familie, drei Kindern und einem sehr großen Pflichtbewusstsein zu vereinbaren, das führe einen auch an die ganz persönlichen Grenzen, auch kräftemäßig, weiß sie. „Es tritt eigentlich alles dahinter zurück, das muss man sagen“, betont Richtberg. Deshalb liegt ihr auch das Thema Vereinbarkeit von Familie und Beruf am Herzen.
Ohne ihre Familie im Hintergrund hätte sie das Amt nicht ausüben können. Deshalb war es ihr von vornherein auch so wichtig, dass ihre Lieben das auch mittragen, weil sie genau wusste, was auf sie zukommen wird: Abends und am auch am Wochenende arbeiten, zum Beispiel. Das kannte sie nämlich bereits von ihrer Arbeit als Geschäftsführerin. Doch ihre Eltern hätten ihr immer den Rücken freigehalten und unter anderem auch dafür gesorgt, dass immer ein Mittagessen auf dem Tisch stand.
Diese Unterstützung war auch gerade in ihrer ersten Amtszeit wichtig, denn 2007, also drei Jahre nachdem sie auf dem Chefsessel im Rathaus Platz nahm, ist sie nochmal Mutter geworden – womit sie und ihr Mann niemals gerechnet hätten. „Das war natürlich heftig“, gibt sie offen zu.
Als die Fruchtwasseruntersuchung ergab, dass das Kind gesund war, schrieb sie einen Brief an alle Haushalte, um die Bürgerinnen und Bürger zu informieren. Doch auch diese Situation konnte sie dank der Unterstützung ihrer Familie und Au-Pairs aus Mexiko meistern. Da sie nicht weit vom Rathaus entfernt wohnt, konnte sie dann beispielsweise schnell rüber flitzen, wenn ihr Sohn gestillt werden musste.
Dass sich Richtberg nach dem Ende ihrer Amtszeit also erstmal mehr um ihre Eltern kümmern wird, steht für die Bürgermeisterin außer Frage, schließlich haben sie ihr in all den Jahren immer zur Seite gestanden. „Ich finde es auch schön, dass ich dafür dann Zeit haben werde“, lächelt sie. Sie möchte aber nicht nur ihre Eltern unterstützen, sondern auch erstmal Luft holen können. „Das ist etwas, das ich in meiner Zeit als Bürgermeisterin eigentlich nie konnte: Luftholen und einfach mal Zuhause was in Ruhe machen können“, erzählt sie. Aber auch Freunde zu besuchen, die sie lange nicht gesehen hat, steht auf ihrer To-Do-Liste.
Im Kreistag wird sie aber weiterhin vertreten sein und auch ihre verschiedenen Mandate weiter bekleiden. Das Thema regionale Entwicklung, also wie es mit dem Vogelsberg weiter geht, das treibe sie schon um und werde sie auch weiter begleiten. „Ich bin auch froh, dass ich da dann ein bisschen mehr in die Tiefe gehen kann“, lächelt sie.
Am 1. April 2004 hatte Birgit Richtberg ihren ersten Tag als Bürgermeisterin. Eine lustige Geschichte ist ihr dabei in Erinnerung geblieben. Als sie Telefonate führen wollte, suchte sie nämlich nach Unterlagen mit Telefonkontakten – fand aber keine. Das hatte auch einen Grund, denn ihr Vorgänger Rudolf Marek hatte die Telefonanlage gelöscht. „Meine damalige erste Hand ist fast aus der Hose gesprungen“, schmunzelt Richtberg, als sie sich zurückerinnert. Langsam mussten nach und nach alle Kontakte wieder zusammengestellt werden. „Das war schon ein bisschen lustig“, sagt sie.
Als Romrod eine SPD-Hochburg war
Die Rathauschefin erinnert sich aber auch noch an die erste Herausforderung, vor der sie als Bürgermeisterin stand. Als sie nämlich ihr Amt angetreten ist, als unabhängige Kandidatin, die von der CDU unterstützt wurde, hatte in Romrod die SPD die Mehrheit. „Also die Mehrheiten waren eben nicht so, dass die Fraktion, die mich unterstützt hat, auch was durchbringen konnte“, erzählt sie.
Von daher habe sie viel Vertrauen gewinnen müssen – und auch genau schauen und gute Argumente haben für das, was auf dem Programm stand. Wenn man wirklich die Intention habe, was Gutes für die Kommune bewegen zu wollen, dann könne man auch unterschiedliche Meinungen zusammenzuführen. „Und ich glaube, ich war da nicht schlecht“, sagt sie. Es habe gut geklappt und von daher sei das zwar eine herausfordernde, aber auch durchaus eine schöne Zeit gewesen.
„Ich glaube, dass auch die Person der Bürgermeisterin, also die Persönlichkeit dieses Menschen, das Amt beeinflusst und auch die Dinge, die dort geschehen“, erzählt sie. Sie sei eigentlich immer bestrebt gewesen, ganz viel dafür zu tun, dass möglich viele Menschen motiviert werden, mitzuarbeiten -„und ich glaube, das ist auch gelungen.“
Gemeinsam mit Menschen zu arbeiten, das lag der scheidenden Bürgermeisterin immer am Herzen. „Ich muss sagen, ich war nie jemand, der ‚Ich‘ gesagt hat, sondern ich war immer total dankbar, ‚wir‘ zu sagen.“ Denn das bedeute auch, dass sich die Verantwortung auf mehreren Schultern verteilt, man nicht ganz alleine ist. Das sei immer besser und schlechter – je nachdem, wie die Situation gerade ist. „Wenn die Sonne scheint, dann sind alle unter dem Schirm ganz glücklich.“ Wenn es aber mal schwierig wird, dann sei man auch schon mal recht einsam in diesem Job.
Projekte als Herzensangelegenheit
Das habe sie in diesem Beruf auch lernen müssen. „Aber ich glaube, ich bin dann störrisch und beharrlich genug, dann danach zu handeln und das auch zu vermitteln, den Leuten zu sagen, dass sie mal runter kommen und abwarten sollen.“ Die Dinge müssten schließlich auch die Zeit haben, sich zu entwickeln. So wie es beispielsweise beim Gemeindeverwaltungsverband der Fall war, der im Dezember 2015 gegründet wurde und aus den Kommunen Romrod, Grebenau, Schwalmtal und Feldatal besteht. „Das Thema Kooperation, das ist etwas, an das ich wirklich glaube.“ Sie habe immer versucht, die Dinge, die sie gut findet und die sie perspektivisch für so kleine Kommunen richtig findet, auch wirklich umzusetzen.
Ein erstes Thema war hierbei das Mehrgenerationenhaus in Romrod. „Das ist immer noch meine Herzensangelegenheit“, erzählt sie stolz. Mittlerweile haben sich unter dem Dach des Mehrgenerationenhaus viele tolle Projekte entwickelt, sei es Ferienbetreuungen in Kindergarten und Schule, Spielnachmittage, die Nachbarschaftshilfe, die Erinnerungswerkstatt oder auch das Tagesmütternetzwerk „Wunderland“, um nur einige Beispiele zu nennen. Im Moment seien Tabletkurse für Senioren sehr beliebt. „Das läuft wie geschnitten Brot“, lacht sie. Dinge, die mit Menschen zutun haben, das habe sie immer umgetrieben – und da werde sie auch weiterhin aktiv sein, aber eher auf der Projekt-Ebene.
Richtberg blickt also auch jetzt wieder in Richtung Zukunft. „Meine Mama hat immer gesagt, man darf nicht jemand sein, der nur bis zur eigenen Nasenspitze denkt.“ Wenn man einen Betrieb hat, muss man auch lernen, vorausschauend zu denken. Das hat sie von Klein auf immer mitbekommen, denn sie wuchs in Romrod auf dem elterlichen Bauernhof auf. Und dieses vorausschauende Denken, das sei auch für die Arbeit als Bürgermeisterin nicht schlecht gewesen.
Erinnerungen aus den Amtszeiten
Während ihrer Amtszeiten hat die 58-Jährige viel erlebt. Manche Ereignisse sind ihr hierbei besonders im Gedächtnis geblieben. Dazu zählt auch ein Vorfall, der sich vor einigen Jahren in Romrod ereignete. „Das tut mir total leid und ich finde es immer noch sehr schlimm.“ In Romrod gab es mal einen „Beißvorfall“ mit einem Hund und einem kleinen Kind, beginnt die Bürgermeisterin zu erzählen. Nach und nach wurden die beiden Familien angehört und die Familie des Hundes hatte den Wunsch geäußert, dem kleinen Mädchen zu zeigen, dass der Hund gar nicht böse ist. „Das Mädchen war aber total traumatisiert und die Eltern wollten das nicht“, erzählt sie.
Die Stadt habe nach den bestehenden Gesetzen händeln müssen. Sprich: im öffentlichen Raum musste Abstand gehalten werden, Leinenpflicht und so weiter. Damit war die Geschichte aber noch nicht vorbei. Denn dann war der Hund wieder in einen Vorfall verwickelt, allerdings nicht mit einem Kind, sondern mit einem anderen Hund. Hierbei wurde der Hund verletzt, der das Kind gebissen hatte. „Die Besitzer waren außer sich und haben gesagt, dass wir doch dagegen etwas tun müssten“, erzählt sie. Auch hier wurden wieder beide Seiten angehört. Klären ließ es sich aber nicht. Der Hund verstarb schließlich.
Als Birgit Richtberg dann eines Tages mit ihrem Vierbeiner bei der Tierärztin war, traf sie auf die Besitzerin des verstorbenen Hundes. Richtberg sagt, sie habe die Frau freundlich gegrüßt, denn sie grüße jeden freundlich in Romrod. Nun – freundliche Grüße gab es offenbar nicht zurück. Die Frau habe sie zusammengeschrieen, sie würde sie nicht mehr grüßen, denn sie sei Schuld an dem Tod ihres Hundes, sagt die Bürgermeisterin. „Das sind die einzigen Menschen, die ich in Romrod nicht mehr grüße und das tut mir sehr leid“, erzählt sie – auch wenn sie nichts dafür kann. Aber mit solchen Dingen habe man eben auch zu tun. Dinge, die man nicht regeln kann, die man nicht ungeschehen machen kann.
In Erinnerung geblieben ist ihr natürlich auch die Zeit rund um das Projekt „LuWiA“, das nun den Namen „Haus Schlossblick“ trägt. „Es war schon etwas dramatisch“, sagte Richtberg bereits vor einigen Wochen in einem Interview mit OL über die Zeit als der zunächst geplante Betreiber des Seniorenheims SozioVita plötzlich absprang und die Suche nach einem neuen Betreiber begann.
Doch in diesem Gespräch blickt Richtberg nicht auf die Rückschläge in dem Projekt zurück, sondern auf die positiven Erlebnisse, die sie damit verbindet. Dazu gehörte die kleine Gruppe an Menschen, die dem Projekt von Anfang an treu geblieben seien und mit ihrer Expertise der Bürgermeisterin zur Seite standen. „Das war wirklich eine solche Solidarität“, lächelt sie. Alleine hätte sie all das nicht geschafft, man hätte dauerhaft eine Projektsteuerung gebraucht, wenn nicht sogar noch mehr. „Das hat mir gezeigt, was ein ehrenamtliches Engagement wirklich tragen kann“, sagt die sichtlich dankbar. Diese Treue, diese Verbundenheit, das habe sie wirklich tief bewegt.
So wie Richtberg damals die Romröderinnen und Romröder mit einem Brief von ihrer Schwangerschaft informierte, schrieb sie auch wieder einen Brief an alle Haushalte, als sie ankündigte, nicht erneut zur Bürgermeisterwahl anzutreten. „Ich wollte nicht, dass man sich vorher die Mäuler darüber zerreißt und die Gerüchteküche läuft.“ Sie habe die Informationen steuern wollen.
Der richtige Zeitpunkt, zu gehen
Ob die 58-Jährige das Amt weiter bekleidet hätte, wenn es ihre gesundheitlichen Probleme nicht geben würde, kann sie nicht genau beantworten. „Das war sicherlich ein gewichtiger Grund“, betont sie. Als sie als Bürgermeisterin angefangen hat, hatte sie eigentlich vor, nur eine Amtsperiode zu bleiben und dann etwas anderes zu machen. „Aber das funktioniert nicht, weil es einfach zu vielfältig ist“, erklärt sie. Man habe dann ja quasi erst reingeschnuppert und würde dann wieder raus gehen. „Das wäre nicht gut gegangen.“
Nach zwei Amtsperioden hätte sie es sich überlegen können, erzählt sie. Aber das wäre kein guter Zeitpunkt gewesen, weil man da gerade in der Thematik Gemeindeverwaltungsverband steckte, ein Projekt, in das sie viel Herzblut und Energie gesteckt habe . „Da dann einfach von Bord zu gehen ist schwierig.“
Und das zweite Projekt, das nicht einfach war: LuWiA, das durch viele Krisen durchgezogen wurde. Da habe sie auch nicht einfach gehen können. „Insofern gehe ich jetzt zu einem Zeitpunkt, der meines Erachtens noch relativ günstig ist. Denn es gibt jetzt keine faulen Eier, von denen ich wüsste.“ Die Projekte seien alle „aufgegleist“ und alles auf einem guten, klaren Weg – einen Weg, den sie nun nicht mehr begleiten wird – jedenfalls nicht mehr als Bürgermeisterin.
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