Alsfelds Bürgermeister Stephan Paule im großen OL-Interview„Wir lassen uns da nicht drängen“
ALSFELD (akr). Es gibt viele Themen, die die Alsfelder aktuell bewegen. Da gibt es das neue Industriegebiet mit den Interessenten DHL Express und Amazon und die damit einhergehende Sorge vor dem Verkehr, die Marktplatzsanierung oder aber auch das Radfahren in Alsfeld. Über all diese Themen und noch weitere hat Bürgermeister Stephan Paule im großen OL-Interview gesprochen.
Oberhessen-live: Herr Paule, mehre Stadtverordnete haben sich bislang für eine Ansiedlung von DHL Express in Alsfeld ausgesprochen. Welchen Anbieter würden Sie denn bevorzugen – DHL oder doch lieber Amazon?
Stephan Paule: Also ich werde mich zum jetzigen Zeitpunkt sicherlich nicht für den einen oder anderen positionieren, weil erstens die Entscheidung den Stadtverordneten obliegt, natürlich wird der Magistrat und ich an der Spitze auch eine Empfehlung abgeben, aber jetzt haben sich beide erst einmal vorgestellt und jetzt sind alle Fraktionen dabei, sich weitere Informationen einzuholen und auch die Meinung zu bilden – und da will ich in diesen Prozess jetzt nicht eingreifen und vorab Dinge vorwegnehmen, die erst zu einem späteren Zeitpunkt, also frühestens im September, entschieden werden.
Aber haben Sie denn eine persönliche Präferenz?
Ich habe meine persönlichen Gedanken. Aber ich weiß auch, dass viele Informationen vielleicht noch zusätzlich kommen. Wer weiß, wenn der ein oder andere merkt, dass er in Konkurrenzsituation steht, gibt er uns vielleicht noch etwas zusätzlich mit auf den Weg. Nicht in Geld, sondern zusätzlich als Gedanken, was er alles mitbringt, was für den Standort attraktiv sein kann. Insofern warten wir mal ab, bis sich das Bild vervollständigt hat und dann können wir entscheiden.
Konkurrenzsituation ist das richtige Stichwort. Den Planern von Amazon dürfte es nicht unbemerkt geblieben sein, dass man im Rennen um den Standort ins Hintertreffen geraten ist. Hat der Konzern sich bemüht, sein Angebot nochmal zu verbessern?
Wir sind mit beiden Interessenten sowie mit weiteren, die sich der Öffentlichkeit noch nicht vorgestellt haben, natürlich immer weiter im Gespräch. Weil wir wollen ja auch nicht ums Verderben das Grundstück so schnell wie möglich verkaufen, sondern das Gewerbe ansiedeln, das für die Stadt nachhaltig die besten Arbeitsplätze, die beste Gebäudestruktur und nachhaltigste Ergänzung zum Wirtschaftsleben hier in Alsfeld bietet. Und ja mit allen, also mit den zwei genannten, mit Nordwest und mit welchen, die man noch nicht kennt, führen wir weiter Gespräche.
Können Sie da schon Näheres verraten?
Nein. Es gilt, dass immer dann, wenn Dinge zur Beschlussreife gediehen sind, wir die Öffentlichkeit informieren. Das ist bei uns viel transparenter als in manch anderer Gemeinde.
Es gibt also noch weitere Interessenten. Wie viele sind das?
Ich will mich da jetzt auf keine Zahl festlegen. Mehr als einer und weniger als 100. Ein ganz breites Feld. Das liegt daran, dass wir wöchentlich mehrere Interessenanfragen bekommen. Manche sind nach dem ersten Kontakt schon beendet, bei anderen steigen wir erst tiefer ein, um dann zu erfahren, ob das jemand ist, den wir dann auch bis zu einer Vorstellungsreife bringen können oder wo auf dem Weg etwas rauskommt, wo wir dann sagen: Ist nichts für uns.
Gibt es denn bei den anderen Interessenten jemanden, der in der Größenordnung von Amazon und DHL mitspielt?
Ja, wenn sie damit meinen, ob es sich dabei um bekannte deutsche Unternehmen handelt, die mindestens auf dem deutschen Markt agieren und mindestens einer börsennotierten Muttergesellschaft angehören, dann ja. Es kann aber auch sein, dass es ein unattraktiver Teil ist, der Fläche verbraucht und wenig Arbeitsplätze bringt – und trotzdem ein großer Name vorne dran steht, das wollen wir natürlich nicht. Und daher gucken wir uns das alles bis ins Detail vorher an.
Im September steht die erste Stadtverordnetenversammlung nach der Sommerpause an. Fällt dann auch gleich eine Entscheidung?
Das ist letztlich auch eine Frage dessen, wie viel weitere Informationen die Stadtverordneten sich bis dahin einholen und ob es auch aus Sicht der Verwaltung beschlussreif ist. Es kann September sein, kann aber genauso gut sein, dass es die Oktobersitzung wird. Wir lassen uns da nicht drängen.
Wenn sich die Stadtverordneten im September dann für Amazon oder DHL Express entscheiden, ist dann überhaupt noch etwas frei auf der Fläche des geplanten Industriegebietes?
Ja – es kommt natürlich drauf an. Amazon hat ja Interesse für 180.000 Quadratmeter bekundet, das ist im Prinzip die linke, westliche Hälfte. Da wäre dann nichts mehr frei. Wenn DHL mit 120.000 Quadratmetern kommt, dann bleiben noch 60.000 übrig. Das ist ja auch ein großes Grundstück. Da wäre noch Platz für ein weiteres oder mehrere Unternehmen, wenn es sich weiter aufteilt. Und auf der Fläche von Nordwest sind ja auch noch Flächen, die derzeit noch nicht verkäuflich sind, so 70.000 Quadratmeter etwa. Die sind im Moment aus steuerlichen Gründen von ihren Eigentümern noch nicht veräußert, aber da kann auch noch etwas kommen.
Eine Frage, die viele Menschen im Hinblick auf das Industriegebiet beschäftigt, ist der Verkehr. Die Stadt ist für einen Kreisel auf der B62, Hessen Mobil nicht. Warum ist das so?
Begründet wird das in mehreren Schreiben von Hessen Mobil mit der Richtlinie für den Bau von Landstraßen – unter dem Begriff Landstraßen fallen in dieser Richtlinie alle klassifizierten Straßen: Bundes-, Landes und Kreisstraßen – und Hessen Mobil sagt: Nach den Regelungen des Bundes, die wir hier haben, ist immer dann, wenn eine Bundesstraße mit einer niedrigeren klassifizierten Straße, wie eben einer Erschließungsstraße für ein Industriegebiet verknüpft wird, kein Kreisverkehr angezeigt, sondern nur bei relativ gleich angeordneten Straßen. Für mich persönlich reicht das als Begründung nicht aus.
Warum?
Ich persönlich sage, man muss das pragmatisch und realistisch sehen, nach dem Verkehrsfluss, der sich am Ende ergibt und nach den Maßgaben, wie man sich im Stadtgebiet bisher auch verhalten hat. Der Kreisel an der Elpersweide ist auch eine Bundesstraße außerhalb der Stadt, und da wurde er auch von Hessen Mobil genehmigt. Wir haben auch den an der Pfefferhöhe und am Disröder Feld. Von daher bin ich weiter im engen Gespräch, auch mit dem Ministerium, das ja die Aufsichtsbehörde von Hessen Mobil ist, ob an dieser Richtlinienentscheidung, keine Kreisverkehre auf offener Strecke zulassen zu wollen, noch etwas zu ändern ist. Ich hoffe sehr, dass sich da noch etwas bewegt.
Also wird sich die Stadt nicht einfach abspeisen lassen?
Wir sind ja schon lange und vehement im Gespräch, ich habe auch die Abgeordneten eingeschaltet. Es ist natürlich so, dass man nicht das Recht beugen kann und darf. Aber wenn es Spielräume gibt, die Hessen Mobil nutzen kann, sind wir auch dahinter, dass das auch geschieht.
Bleiben wir nochmal beim Verkehr. Was sagen Sie den Leuten, die Angst vor dem Verkehr haben, wenn die Autobahn doch mal dicht sein sollte?
Alsfeld ist eine Stadt, die geprägt ist, einmal von ihren wirtschaftlichen Vorteilen, aber auch von ihren verkehrlichen Nachteilen durch drei sich treffende Bundesstraßen und die Autobahn. Man kann logischerweise das Argument immer in beide Richtungen drehen. Die einen sagen: Alsfeld liegt so verkehrsgünstig, die Stadt hätte in den letzten Jahrzehnten viel mehr aus dieser Lage machen müssen. Und jetzt sagt die andere Seite: Ja, aber wenn wir jetzt entsprechende Unternehmen hier ansiedeln, dann gibt es mehr Verkehr und die Stadt leidet darunter.
Eins ist klar: Das, was wir planerisch und politisch tun können als Stadt, nämlich dafür sorgen, dass die Verkehre, die im Industriegebiet anfallen, möglichst nicht ins Stadtgebiet laufen, sondern direkt auf die Autobahn, das müssen wir machen – und das ist sowohl bei Nordwest, als auch bei Amazon und DHL der Fall. Alle haben Ziele außerhalb der Region und der Verkehr läuft auf die Autobahn ab. Wenn Autobahnen gesperrt sind, wenn Freitagnachmittag alle aus dem Rhein-Main-Gebiet nach Hause fahren, dann erleben wir, dass die Ortsdurchfahrt Alsfeld durch den nicht auf der Autobahn fahrenden Verkehr belastet wird.
Eben, genau das ist die Angst der Leute.
Nehmen wir mal an, wir würden keine Ansiedlung machen, dann hätten wir an Freitagnachmittagen trotzdem eine volle Innenstadt, da ist ja Stau auch ohne Nordwest, Amazon oder DHL – und das wird sich nicht ändern. Es wird nicht besser und leichter für die, die an der Schellengasse oder Alicestraße und den betroffenen Stadtteilen wohnen. Es wird aber auch von unserer Seite alles Mögliche dafür getan, dass es nicht schlimmer wird.
Sie setzen sich ja auch schon seit Jahren für eine Umgehungsstraße um Alsfeld herum ein. Glauben Sie wirklich, dass dieses Projekt kommt – und wenn ja, wann wird es soweit sein?
Ich werde die Hoffnung da nicht aufgeben. Auf der anderen Seite sehen wir, dass die heutigen Zeitläufe oftmals solchen Verkehrsgroßprojekten auch nicht sehr gewogen sind. Man muss die Argumente ernst nehmen, dass auch eine Umgehungsstraße für Alsfeld natürlich auch weiter, beziehungsweise wieder mit erheblichen Eingriffen auch in die Umwelt verbunden wäre, sonst wäre es ja kein großes Projekt. Und die Zeit heute legt uns sehr, sehr starke Fesseln an, wann wir wo aus welchem Grund in die Umwelt eingreifen dürfen.
Das ist grundsätzlich auch gut so. Die Frage ist: Ist das Alsfelder Problem auf eine andere Art zu lösen? Das wird am Ende nicht nur die Stadt Alsfeld alleine beantworten können, sondern da muss die Bundesrepublik Deutschland in Abwägung mit der gesamten Situation handeln – es kommt die neue A49, wir haben drei Bundesstraßen im Stadtgebiet und wie verändern sich bei der nächsten Verkehrszählung dadurch möglicherweise die Verkehrsströme. Man muss also entscheiden, ob eine Ortsumgehung für Alsfeld noch eine realistische und zeitgemäße Option ist. Ich sage, es muss zumindest geprüft und vorangetrieben werden. Wenn am Ende das Ergebnis heißt, es passt nicht mehr in die Zeit oder es macht verkehrstechnisch keinen Sinn, dann bin ich der Letzte der sagt, ich halte an einem überkommenden Projekt fest. Aber solange das nicht abschließend geprüft ist, halte ich sehr wohl daran fest, dass man es prüfen muss.
Gibt es denn schon einen Termin für eine solche Prüfung?
Nein, die nächste Fortschreibung des Bundesverkehrswegeplans ist ja erst in einigen Jahren und im Vorgriff dieser Fortschreibung muss das dann erfolgen. Und zum Beispiel Daten wie sich die A49, wenn sie fertig ist, auswirkt auf die Verkehrsströme, können wir ja noch gar nicht haben.
Kommen wir zu einem anderen Thema. Die Opposition wirft Ihnen vor, sich zu überheben. Zum Beispiel gebe es auch mit dem neuen Baugebiet Beerenwiese einfach nicht genügend Wohnfläche in Alsfeld für eine so große Unternehmensansiedlung. Wann und wo bekommt in Alsfeld mehr bezahlbaren Wohnraum?
Wir haben in den letzten fünf Jahren deutlich über 100 Bauplätze verkauft, was uns niemand zugetraut hätte. Dieselben, die jetzt sagen, wie sorgen wir für bezahlbaren Wohnraum, haben vor sechs oder sieben Jahren noch gesagt: Wir müssen uns auf den demografischen Wandel einstellen und möglicherweise schon ausgewiesene Baugebiete zurückgeben – das ist Gott sei Dank anders gekommen. Wir sind langsam am Ende der Bauplatzkapazität. Das ist das eine. Wohnungsknappheit kann man nur durch drei Mittel besiegen: Bauen, Bauen, Bauen. Das unterstützt die Stadt einmal durch die großen Förderprogramme ISEK und IKEK. Und letztes Jahr im Ausschuss ging es ja auch um die Ausweisung eines neuen großen Neubaugebietes. Dieses wird natürlich wie alles, wo Planungsrecht geschaffen werden muss, nicht von heute auf morgen da sein. Aber sowohl die Kontaktaufnahme mit den Grundstückseigentümern und Flächen- und Bebauungsplanregelungen werden von uns auf den Weg gebracht.
Ein großes Thema in Alsfeld ist die Marktplatzsanierung. Der Marktplatz ist mittlerweile soweit fertig saniert, doch Fahrradfahrer finden immer noch keine Möglichkeit, ihre Räder vernünftig abzustellen. Warum dauert es so lange, einen Fahrradständer zu installieren?
Es fehlen nicht nur die Fahrradständer, sondern auch viele Dinge: Begrünung, es fehlen Sitzmöglichkeiten, es fehlt die Fahrradladestation und diverse andere Kleinigkeiten. Das alles muss abgestimmt werden mit der Denkmalpflege. Das ist auch passiert. Dann muss es bestellt werden, und das ist auch passiert. Jetzt muss man warten, dass es geliefert wird und wenn es geliefert wird, bauen wir es auf.
Gibt es denn schon einen anvisierten Liefertermin?
Nein.
Also es kann schon noch dauern?
Es ist halt schade. Der gespendete Baum von den Firmen Räther und Bornmann zeigt ja auch, wie schön und wichtig das ist. Es ist bedauerlich, dass es etwas länger dauert.
Die Reduzierung der Parkplätze hat viele Geschäftsleute in der Stadt verärgert. Wie nehmen Sie aktuell die Stimmung wahr?
Im Moment, also das ist auch dem guten Sommerwetter der letzten paar Tage geschuldet, ist ja die Stadt so voll wie wir es uns gerne wünschen und das nehmen auch die Geschäftsleute wahr. Sie nehmen wahr, dass die Truppe um BUND und ADFC gerne alle Parkplätze wegnehmen möchte, gleichzeitig nimmt es auch die Politik wahr, gleichzeitig nimmt die Politik auch wahr, dass die Geschäftsleute gerne die zweite Reihe erhalten hätten. Diskussionen muss man führen, wenn Entscheidungen anstehen und die Diskussion eine Parkreihe, keine Parkreihe zwei Parkreihen ist Ende 2018 geführt worden.
Und wie immer, wenn man einen Kompromissvorschlag macht, gefällt er beiden Seiten nicht. Es gibt Leute, die sagen, ein guter Kompromiss ist dann, wenn beide Seiten sagen, sie haben zu viel nachgeben müssen. Und es hat den Anschein für mich, dass es so ist. Es gibt weiterhin viele aus dem autokritischen Lager, die sagen, sofort autofrei und es gibt Geschäftsleute, die sagen, bringt die zweite Parkreihe zurück. Unser Weg zu sagen, eine Parkreihe, beim Feierabendmarkt am Donnerstag Sperrung für Autos und auch am Wochenende – das ist eine Kompromisslinie, mit der wir jetzt erst einmal Erfahrungen sammeln müssen und dann werden wir auswerten und sehen, wie man es weiterentwickeln kann.
Wie es sich weiterentwickeln kann – das ist das richtige Stichwort. „Über kurz oder lang wird der Alsfelder Marktplatz komplett autofrei sein“ – was sagen Sie zu dieser Prognose?
Über kurz nicht. Über lang muss man sich das Verhalten der Menschen ganz genau anschauen. Wir erleben schon an manchen Tagen, dass einige Parkplätze auch immer mal frei bleiben, ohne dass die Frequenz in der Stadt abnimmt. Gleichzeitig merken die Geschäftsleute, dass je mehr Parkplätze belegt sind, ihr Umsatz steigt. Also sind das ganz diffuse Wahrnehmungen. Ich kann da keine Prognose abgeben, ob dass irgendwann der Fall sein wird. Aber: Ich kann demjenigen, der das gesagt hat, auch nicht absprechen, dass der Marktplatz irgendwann mal, vielleicht weil Menschen nicht mehr hier parken wollen, ganz autofrei wird oder weil die Notwendigkeit nicht mehr besteht, weil wir mit den anderen Projekten aus der Stadtentwicklung ja auch innenstadtnahe Parkplätze planen. Namentlich eben dieses Parkhausprojekt unter dem Stichwort „Areal an der Schellengasse“ auf dem sich heute schon Parkplätze, Rossmann und Tedi befinden und die Metzgerei Koch. Das ist ja ein dickes Brett, wo wir eine Entlastung des sehr stark frequentierten Parkraums in der Innenstadt herholen wollen.
Wie ist denn da derzeit der aktuelle Stand?
Wir müssen uns mit einem Eigentümer einig werden – dem größten im Gesamten. Da sind es auch noch steuerliche Gründe, warum er noch nicht so bald verkaufen kann, wie wir es gerne möchten. Ansonsten hatten wir schon eine Einigkeit über die Konditionen erzielt, aber es gibt ja keine Enteignung bei so etwas. Das heißt wir müssen warten, bis er auch verkaufen will.
Nochmal zurück zur Marktplatzsanierung, wo die Baustelle ja nun in Richtung Obergasse gewandert ist. Was sagen Sie den Geschäftsleuten, denen zum Beispiel die Sanierung jetzt am Schwälmer Brunnen zu lange dauert?
Also erst einmal ist das ein Aufschrei gewesen, als die Baustelle begann. Mittlerweile sind wir ja schon weiter, sind in der Obergasse quasi fertig. Ansonsten muss man sagen: Es gibt keinen idealen Zeitpunkt. Im Winter ist das Weihnachtsgeschäft, im Sommer das Sommergeschäft. Die Leute von der Firma Giebel waren in der Obergasse wirklich super schnell am Werk und das haben die Geschäftsleute auch im Gespräch mit dem Vorstand des Verkehrsvereins anerkannt. Das war binnen vier Wochen offen und wieder zu. Klar, man kann nicht jede Belastung vermeiden, wenn man etwas neu machen will, aber über Jahrzehnte gar nichts machen ist auch keine Option.
Wenn nichts gemacht wird, meckern die Leute. Und wenn doch etwas angepackt wird, stören die Baustellen. Glauben Sie, den Alsfeldern kann man es manchmal nicht recht machen?
Gut, das sind gruppenpsychologische Fragen, die kann man, das sehen sie mir nach, weil ich ja ein stückweit Karnevalist geworden bin, mit dem Begriff „Mecker-Watt“, glaub ich, gut umschreiben. Es gehört irgendwie dazu, sich über Dinge, die man nicht gleich gut findet, erst einmal öffentlich und bei Bekannten zu beschweren. Das ist auch in Ordnung. Am Ende wird man den letzten Kritiker auch nicht überzeugen können. Deshalb braucht man unabhängig dieser Zurufe einen klaren Kompass, wo man hin will. Und das Ziel ist: Das sage ich seit meiner ersten Haushaltseinbringung aus 2014: Wir müssen einen Investitionsstau abbauen. Den baut man eben nicht in einem Jahr ab, sondern den baut man kontinuierlich ab. Die Belastungen, die damit einhergehen, sind logischerweise nicht immer schön, aber das als Argument zu nehmen, gar nichts mehr zu machen, ist auch falsch.
Was man sich aber zu Herzen nehmen kann, ist die Sache, wie man das kommuniziert. Da gab’s ja mal die Kritik, man sei zu früh oder spät informiert worden. Da kann man immer was dran verbessern und lernt jeden Tag dazu. Aber bei 16.000 Einwohnern und über 200 Verkaufsläden allein in der Innenstadt – irgendeinen erwischt man immer nicht, der sich dann ärgert. Das tut mir sehr leid. Wir arbeiten auch daran, dass das nicht mehr vorkommt.
Wir merken an unseren Lesezahlen, dass das Thema Radfahren die Alsfelder enorm interessiert. Die Politik spricht immer wieder über ein Radwegekonzept. Können Sie uns und den Alsfeldern verständlich erklären: Was genau sagt dieses Konzept – und wann sollen demnach wo genau neue Fahrradwege entstehen?
Also es gibt da zwei Dinge. Es gibt einmal von Verbänden wie ADFC, BUND und so weiter ein vorgelegtes Radwegekonzept, das vor einigen Jahren vorgelegt wurde. Das beinhaltet zum Beispiel die Öffnung von Einbahnstraßen für den Radverkehr, auch die berühmte Fahrradstraße in der Jahnstraße und andere Bereiche. Einiges davon haben wir umgesetzt, beispielsweise die Öffnung von einigen Einbahnstraßen. Anderes, wie die Fahrradstraße in der Jahnstraße, haben wir aus verkehrsrechtlichen Gründen nicht genehmigen können. Wir müssen mehr für das Alltagsradeln tun, das haben nicht nur die Verbände, sondern auch wir erkannt. Wir haben letztes Jahr den Nahmobilitätscheck durchgeführt, wovon auch in diesem Herbst die Ergebnisse vorgestellt werden können, wo dann einzelne Vorschläge nochmal gemacht werden, wie man das Radfahren in Alsfeld verbessern kann, aber die Premiumlösung, dass man auf einem sicheren Radweg von Stelle X zu jeder anderen Stelle y im Stadtgebiet kommt, das sehe ich noch in weiter Ferne.
Und das andere?
Im Rahmen der Dorferneuerung haben wir dieses große Radwegekonzept für Alsfeld angestoßen, das ist auch eine Mammutaufgabe, weil wir am Ende sagen, dass jeder Stadtteil mit seinem Nachbarstadtteil und der Kernstadt mit sicheren Radwegen verbunden sein muss. Das Thema gehen wir auch planerisch an.
Gibt es da schon konkrete Vorstellungen, wo Radwege entstehen können?
Bevor der Planer nicht erste Ergebnisse vorgelegt hat, kann man viel spekulieren. Manchmal gibt es Wirtschaftswege, die eigenen sich augenscheinlich und dann gibt es plötzlich Gründe, die doch dagegensprechen. Manchmal gibt es Wege, wo man zunächst denkt, das wird nie ein Radweg und dann ist es doch möglich. Das muss erst einmal vernünftig zu Ende geplant sein.
Also wird das Radwegekonzept im Herbst Thema in der Stadtverordnetenversammlung sein?
Das Radwegekonzept wird planerisch dieses Jahr von uns vergeben. Das heißt, wir werden nächstes Jahr mit den Planungsergebnissen rechnen können.
Welche Stadt gibt für Sie aus welchem Grund ein gutes Vorbild für Alsfeld ab?
Da kann man von jeder Stadt etwas lernen. Von Grünberg haben wir zum Beispiel gelernt, was das Thema Stadtbus angeht, „De kleene Grimmicher“ hieß er dort. Das haben wir auch beobachtet – also nicht, dass es das in anderen Städten nicht gebe, aber das ist so etwas, wo man sich dran orientieren kann. Dann haben wir denkmalpflegerisch gute und schlechte Beispiele in Städten unserer Größe. Wenn man an Fritzlar denkt, das ist eine ganz wunderbare Stadt, die wunderbar saniert worden ist. Homberg (Efze) ist beim Hessentag sehr gut saniert worden, da fehlt aber auf den größeren Plätzen so bisschen das Leben, das wir aktuell auf dem Marktplatz ja sehr stark haben. Dann haben wir auch unsere Kreisstadt Lauterbach, mit der wir uns immer vergleichen. Das ist auch gut, weil wir im freundschaftlichen Nebeneinander sehen, was macht der andere beispielsweise für Events. Da tauscht man sich immer aus und befruchtet sich gegenseitig.
Spornt das dann auch so ein bisschen an?
Na klar, immer. Das mit der Corona-Modellstadt beispielsweise, das war eine Alsfeld-Sache. Da werden viele gesagt haben, guck doch mal auf Alsfeld. Man kann ja auch selber mal vorne sein.
So Herr Paule, dann kommen wir doch schon zur letzten Frage: In ein paar Wochen ist Bundestagswahl. Was sollte sich in Berlin ändern, damit es Alsfeld besser geht?
Es ist immer wichtig, dass Kommunen, von den Bürokratien der Ebenen Länder, Bund und EU möglichst verschont bleiben. Wir wissen, dass viele Förderprogramme an bestimmte Ziele gekoppelt sind mit denen Politik im Bund oder im Land oder der EU steuern will. Das verlangt uns ungeheuer viel Leistung ab, Arbeitskraft in der Verwaltung, um den Papierkram zu erledigen, um vielleicht etwas aus den Fördertöpfen zu bekommen. Mir schwebt vor, dass Förderungen künftig so organisiert werden, dass wenn es Förderprogramme gibt, diese als Investitionszuschüsse direkt in die Haushalte der Kommunen fließen und im nachgelagerten Bereich, also wenn Projekte fertig sind, geprüft wird: hat die Stadt Alsfeld wirklich die zugeschossenen 1,5 Millionen für den Kindergartenbau verwendet, wenn ja okay. Und wenn nein, dann muss man es eben zurückzahlen. Das wäre etwas, womit man leben kann, aber wir haben eine Situation, da muss man vorher erst alles begründen und einreichen und im nachgelagerten Bereich wird es nochmal überprüft. Das ist einfach doppelt gemoppelt und das kann man sich sparen. Das fordert uns ungeheuer viel Arbeitsleistung ab, die wir gewinnbringender in die Projekte selbst investieren können.
Lieber Herr Paule,
zeigen Sie Größe und führen Sie Alsfeld in eine moderne und ökologische Vorzeigestadt in Hessen. Bitte lassen Sie sich nicht einwickeln und widerstehen den Versuchungen.