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Ein Rückblick auf sein SchaffenKulturaktivist, Literaturkenner, Menschenfreund: E.O. Müller feierte 80. Geburtstag

ALSFELD (ol). Er hat viele Menschen, jüngere wie ältere, für Literatur, Kultur und Politik begeistert, er hat das kulturelle und politische Leben in Alsfeld über mehrere Jahrzehnte mitgestaltet und er schwelgt bis heute in Reisefreuden und jeder Menge Lesestoff: E.O. Müller, von 1975 bis 2004 Lehrer für Deutsch, Englisch und Gemeinschaftskunde an der Albert-Schweitzer-Schule, ist den meisten Alsfeldern ein Begriff – bis in die Gegenwart hinein wirken seine Verdienste auch rund um den fairen Handel. Am 14. August wurde er 80 Jahre alt.

„Die Hälfte meines Lebens“, zitiert der Jubilar ein Gedicht Friedrich Hölderlins, als er zurückblickt: Vor genau vierzig Jahren nämlich bezog er mit seiner Frau Anette, die wie er an dem Alsfelder Gymnasium unterrichtet hat, sein Haus in der Alsfelder Mellenbergstraße. Von hier aus habe der rührige Pädagoge und selbsternannte „Kulturaktivist“ zahl- und beispiellose Aktivitäten und Aktionen geplant, die stets ein Ziel hatten: Ungerechtigkeiten erkennen und öffentlich zu machen, Menschen in schwierigen Situationen – vor Ort und besonders in anderen Teilen der Welt – zu helfen und Menschen in komfortablen Situationen dafür zu sensibilisieren.

Besonders in den bewegten 70er-Jahren bis Mitte der 90er verging kaum ein Monat, in dem E.O. Müller nicht in den regionalen Medien präsent war. Kein Wunder – begründete sein Engagement sich doch auf vier Säulen: Da war zum einen die Schule, in der er mit Informationsveranstaltungen, Podiumsdiskussionen und sowohl literarischem als auch politischem Theater aktiv war. Da war die Arbeit in Organisationen, wie als Vorsitzender im Arbeiterkulturkartell oder im Vorstand des Demokratischen Forums. Da war die direkte politische Arbeit, innerhalb derer er unter anderem als Sprecher der Alternativen Liste Alsfelds oder im Kreisvorstand der Grünen aktiv war. Schließlich zählt er noch die politischen Reiseberichte auf, mit denen er oft in der Tageszeitung vertreten war.

1975 an die Albert-Schweitzer-Schule

Als junger Lehrer kam E.O. Müller 1975 an die Albert-Schweitzer-Schule. Während seiner ersten Jahre als Deutsch- und Englischlehrer studierte er noch in Frankfurt: Politologie und Soziologie – Fächer, die ihn interessierten und die ihm Fundament und Wissen für seine vielen Engagements lieferten. Ein heißes Thema Anfang der 80er Jahre war Nicaragua. Dort war in einem Bürgerkrieg die Somoza-Diktatur gestürzt worden. Die Sandinisten kamen an die Macht und setzten große Errungenschaften für weite Teile der Bevölkerung um, beispielsweise die Schulpflicht für Kinder von 6 bis 13 Jahren an gebührenfreien Schulen.

Von zahllosen literarischen und politischen Projekten erzählen Plakate und Bücher in E.O. Müllers Arbeitszimmer. Fotos: Traudi Schlitt

Viele Länder der Welt, insbesondere solche mit eher linken Regierungen, solidarisierten sich damals mit den Sandinisten, auch viele Künstlerinnen und Künstler warben für Unterstützung. Erstmals wurde „Nicaraguakaffee“ in Deutschland vertrieben, um Hilfen für die Kaffeebauern in dem Land zu realisieren. Hier zeigte E.O. Müller besonderen Einsatz: Ab 1982 war er Sprecher der Nicaragua-Initiative und des Arbeitskreises Dritte Welt – beides hatte der engagierte Pädagoge mitgegründet. Heute verurteilt er indes aufs Schärfste die autoritäre bis diktatorische Wende in der Politik des mittelamerikanischen Landes.

Eng verwoben waren seine politischen Aktivitäten mit Veranstaltungen, die Kultur und Politik vereinten: Zu seiner Großveranstaltung „Canto General“ – ein von Mikis Theodorakis vertonter Gedichtband von Pablo Neruda über den Kampf Lateinamerikas gegen den Kolonialismus – kamen 1985 600 Menschen in Alsfeld zusammen. 1991 verfasste er ein Manifest zur Großveranstaltung gegen den 2. Irakkrieg; 1995 rief er die Klimaaktionstage ins Leben.

2001 organisierte er an der Albert-Schweitzer-Schule eine thematische Diskussionsveranstaltung zum Thema „Gewinner und Verlierer der Globalisierung“. 2003 initiierte er, ebenfalls an der Schule, eine vielbeachtete Informations- und Diskussionsveranstaltung mit dem Analytiker Prof. Horst-Eberhard Richter zum Irak-Konflikt. Diese Aufzählung könnte man ergänzen mit Theaterstücken wie „Der Löwe und die Perle“ des Literaturnobelpreisträgers Wole Soyinka, das Müller in der Schule selbst inszenierte, oder „Wer tötete Chico Mendes?“ von der Berliner Compagnie, deren Gastspiel mehr als 400 Zuschauer anlockte.

Sehr gut vernetzt

Dabei arbeitete er stets mit vielen anderen Akteuren zusammen, durch seine Mitwirkung in verschiedenen Gremien und Arbeitskreisen war er sehr gut vernetzt. Er aktivierte zum Mitmachen, sammelte Spenden, reiste und schaute sich vor Ort die Lage in den Ländern an, mit denen er sich beschäftigte. Daraus wiederum machte er seine politischen Reiseberichte, denen wiederum verschiedenste Handlungen folgten.

In seinem Arbeitszimmer finden sich viele Zeugnisse seines jahrzehntelangen Schaffens. Hier blickt E.O. Müller zurück und nach vorn.

Diese Art, Dinge anzugehen und zu vermitteln, kennzeichnete auch E.O. Müllers Unterricht: Im „Spiel um Liebe und Poesie“ setzte er im Schultheaterprojekt „Interkulturelles Lernen“ dem Dichter Pablo Neruda ein Denkmal. Er vereinte Literatur mit politischem Wissen, indem er begleitende Informationsveranstaltungen organisierte und die Eintrittsgelder als Spenden zur Verfügung stellte. Seine Projekte sollten Begleitung und Folgen haben – diesem Anspruch ist Müller stets gerecht geworden. Vielen seiner Schülerinnen und Schüler wird er auf diese Weise sowohl seine Liebe für Literatur als auch einen kritischen Blick auf die Zustände in der Welt mitgegeben haben. Und er wäre nicht E.O. Müller, wenn er nicht weit darüber hinaus tätig gewesen wäre:

Im Jahr 2003 hat er den Alsfelder Weltladen mitgegründet: „Das Europäische Parlament hat einmal festgestellt, dass fairer Handel die effizienteste Art der Entwicklungsförderung ist – das kann ich nur unterstreichen“, so Müller, der auch der erste Vorsitzende des Vereins Weltladen Alsfeld war. Dass auch hier die Öffentlichkeits- und Bildungsarbeit eine große Rolle spielte und noch spielt, passt in Müllers Gesamtkonzept. Wie der Weltladen heute dasteht – lange nachdem Müller sich aus gesundheitlichen Gründen zurückgezogen hat – freut ihn sehr: „Eine Erfolgsstory aus Empathie und Solidarität, Ehrenamt und Politik mit dem Einkaufskorb.“

Die Liebe zur Literatur

Und dann wäre da noch seine Liebe zur Literatur, die E.O. Müller in vielen Facetten und in Lauf der Jahre mit vielen Menschen teilte: Als Gründer des Literaturkreises „Lesen heißt doppelt leben“ bot er von 2005 bis 2018 Texte zu verschiedensten Themen, da er der Überzeugung war, dass „Literatur kompetent macht in Grundsatzfragen des Menschlichen, gerade dadurch, dass sie den großen Bereich der Dinge, die zwischen Menschen hin- und hergehen, ernst nimmt.“

Zu seinen kulinarischen Lesungen zusammen mit Johanna Mildner und Dr. Walter Windisch-Laube kamen große Autoren wie Karen Duve, Felix Mettler oder Bodo Kirchhoff nach Alsfeld. Im Alsfelder Kino stellte er in Sequenzanalysen am Beispiel von Luciano Viscontis Verfilmung von Thomas Manns „Tod in Venedig“ Strukturen der Literaturadaption dar, Walter Windisch-Laube interpretierte dazu die Filmmusik.

Wer sich mit E.O. Müller trifft und ein Blick in sein Arbeitszimmer wirft, das mit Plakaten der von ihm organisierten Veranstaltungen übersät ist, und wen er einen Blick in seine zahllosen Ordner mit Zeitungsberichten aus den Jahrzehnten seines Schaffens werfen lässt, der weiß, dass die hier getroffene Aufzählung weit davon entfernt ist, komplett zu sein. Wie seine Mitstreiter, Weggefährten, Schülerinnen und Schüler und sein Publikum zu diesen Zeiten, denkt der „Kulturaktivist“ gerne an all das zurück – und er hofft, dass es Wurzeln geschlagen hat und bis heute wirkt.

Er selbst reist immer noch gerne, auch wenn er und seine Frau sich inzwischen auf den europäischen Raum beschränken: „Neues Entdecken und Vertrautes wiederfinden kann man überall“, findet E.O. Müller. Sprachs und brach kurz vorm 80. wieder auf.

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