Wie es Heimen aktuell geht und was Hinterbliebene von Toten sagenCorona in Vogelsberger Altenheimen: „Hinter jedem Tod steckt ein Mensch“
VOGELSBERG (ls). Im November kam die erste Nachricht. Sechs Bewohner und ein Mitarbeiter im Alsfelder Haus Stephanus waren mit dem Coronavirus infiziert, ein Bewohner verstarb. Mittlerweile grassiert das Virus in mehren Senioreneinrichtungen im Vogelsberg und damit dort, wo es einfacher schwere Verläufe und sogar den Tod mit sich bringen kann. Während die Lage in den Heimen immer schwieriger wird, kämpfen Angehörige gegen eine einsame Trauer.
Wenn Marco K.* von seiner Uroma spricht, dann schwingt Traurigkeit mit. Im Alter von 93 Jahren ist sie vor Kurzem erst verstorben, wie so viele Menschen in diesem Jahr in Folge einer Corona-Infektion. Die Uroma von Marco K. hat in einem Altenheim im Vogelsberg gelebt – solange, bis Corona dieses Heim erreichte, sie erkrankte und binnen vier Tagen verstarb. Seither hat Marco K. viele offene Fragen.
„Meine Uroma war 93 Jahre alt. Sie war fit, sowohl körperlich, als auch im Kopf. Spaßeshalber haben wir immer gesagt, dass sie selbst die Queen noch überlebt“, sagt er. Trotzdem war da die Gewissheit im Hinterkopf. Die Gewissheit, dass irgendwann der Tag einmal kommen wird, an dem er vom Tod seiner Uroma erfährt. Dass es dann aber so unerwartet kommt und dann noch so schnell geht, damit hatte Marco nicht gerechnet, erzählt er und schüttelt leicht den Kopf.
Der erste Krankenhausbesuch in diesem Jahr war es für die Uroma nicht. Schon einmal lag sie dort, schon einmal dachte Marco, dass sie Corona hat. Einen Besuch am Krankenbett – unmöglich in diesem Moment. „Das war noch die Zeit, in der in den Krankenhäusern ein striktes Besuchsverbot galt“, sagt er. Auch wenn damals bald klar war, dass seine Uroma doch kein Corona hatte, sondern „nur eine Lungenentzündung, war diese Zeit, auch wegen des Besuchsverbots, hart für den jungen Mann.
Seiner Uroma ging es bald wieder besser, sie konnte das Krankenhaus verlassen. Doch die Erleichterung währte für Marco nur kurz. Sie wurde wieder krank. Diesmal war es Corona.
Vogelsberger Altenheime berichten von einer schwierigen Situation
Im Haus Stephanus – einem der Altenheime, in denen es gerade Corona-Fälle gibt, ist die Lage nach wie vor angespannt. In beiden Wohnbereichen des Hauses gibt es Fälle, erklärt Heimleiterin Marion Brömer auf Anfrage. Auch knapp einen Monat nachdem der erste Ausbruch in dem Alten- und Pflegeheim bekannt wurde, sind die Zahlen der Infizierten weiter angestiegen. Am vergangenen Donnerstag waren es laut Auskunft von Brömer 16 Bewohner, die an oder im Zusammenhang mit Covid-19 verstorben sind. 22 Bewohner waren zu diesem Zeitpunkt infiziert, 17 Mitarbeiter in Quarantäne. Ein Einzelfall ist das Haus Stephanus nicht, Corona hat längst mehrere Altenheime erreicht.
Auch im Haus Martin im Schottener Ortsteil Wingershausen gab es einen Ausbruch. Bis zum 20. Dezember hatten sich dort 31 Bewohner und 14 Mitarbeiter infiziert, drei Bewohner sind im Krankenhaus verstorben. Sie hätten „erhebliche Vorerkrankungen“ gehabt, die ihnen den Kampf gegen die Corona-Infektion erschwert hätten, teilt das Altenheim transparent auf seiner Homepage mit. Zwei Bewohner würden sich noch im Krankenhaus befinden, seien aber in keinem kritischen Zustand, hieß es zuletzt. Eine Entlassung noch in dieser Woche sei aber nicht auszuschließen, informiert die Heimleitung weiter.
Von den insgesamt 23 Alten- und Pflegeheimen im ganzen Vogelsberg ist das Virus mittlerweile bei mindestes acht angekommen. Laut dem Vogelsbergkreis wurden insgesamt 86 Bewohner und 40 Mitarbeiter kreisweit positiv auf Corona getestet, so jedenfalls der Stand am vergangenen Donnerstag. Zu diesem Zeitpunkt waren im ganzen Kreis bereits 21 Bewohner verstorben. Mittlerweile dürften noch mehr dazu gekommen sein. Wie es das Virus in die Einrichtungen geschafft hat, kann durch das dynamische Infektionsgeschehen nicht mehr eindeutig geklärt werden.
Infektionsgeschehen nicht ganz eindeutig
Die Frage, wie genau es zu der Infektion kommen konnte, beschäftigt auch Marco, wenn er an seine Uroma denkt. „Für uns war es erst einmal ein Schock, als wir gehört haben, dass sie wirklich an Corona erkrankt ist, wie sie sich infiziert hat, wissen wir nicht genau. Plötzlich war es da und der komplette Wohnbereich wurde unter Quarantäne gesetzt“, erzählt Marco. Er selbst glaubt, dass diese Situation für seine Uroma mit einer der schwierigsten Situationen gewesen sein dürfte. Sie sei ein geselliger Mensch gewesen, der immer viel unternommen habe, erzählt er und erinnert sich an eine Situation zurück, die ihn heute zum Schmunzeln bringt. Damals sei ein Familienmitglied extra weiter angereist, um die Uroma zu sehen, doch die alte Dame habe bereits nach wenigen Minuten verkündet, dass sie nun gehen müsse, weil man im Wohnbereich nun gemeinsam ein Spiel spielen wolle.
Als Corona da war, mussten die alten Menschen dann auf ihrem Zimmern oder der Etage bleiben. Dass Marcos Uroma, diese gesellschaftsliebende Frau, ihre letzten Tage in ihrem Zimmer verbringen musste, versucht Marco mit Verständnis zu begegnen. „Das war für sie sicherlich nicht schön, aber leider notwendig“, sagt er heute.
Viele der Vogelsberger Altenheime hatten auf ein Ausbruchsgeschehen zunächst mit einer Quarantäne und Isolation von bestimmten Wohnbereichen reagiert. So ähnlich lief es auch im Haus Stephanus. Dort hatte man zunächst einen Wohnbereich in Quarantäne gesetzt, ab dem 1. Dezember war es das ganze Haus. Seit dem 16. Dezember gilt ein generelles Besuchsverbot in Vogelsberger Altenheimen, in denen es Infizierte gibt. Damit reagierte das Vogelsberger Gesundheitsamt auf die steigenden Corona-Zahlen in den Einrichtungen. „In den Alten- und Pflegeheimen des Vogelsbergkreises spitzt sich die Lage von Minute zu Minute zu. In zahlreichen Einrichtungen gibt es Covid-19-Fälle mit einem teils eklatanten Ausbruchsgeschehen, was auch zu einem Besuchsverbot in diesen Einrichtungen führt“, hieß es dazu als Begründung.
„Und dann ging plötzlich alles ganz schnell“
Marco hat seine Uroma im Sommer das letzte Mal gesehen – das einzige Mal, dass er sie in diesem schwierigen Jahr, in dem es darum geht, die Alten und Kranken zu schützen, überhaupt gesehen hat. „Im Sommer war die Pandemie gerade etwas abgeflacht und die Regelungen wurden etwas gelockert“, erinnert er sich. Damals sei sie zu Besuch gewesen, man habe draußen gemeinsam Kaffee getrunken und Kuchen gegessen. Danach blieb der Kontakt auf einige wenige Telefonate beschränkt. Die Infektionslage nahm wieder langsam Fahrt auf, die Kontaktbeschränkungen wurden verschärft.
In dem Altenheim, in dem Marcos Uroma lebte und das an dieser Stelle ungenannt bleiben soll, gab es dann tatsächlich den ersten Corona-Fall – ausgerechnet in dem Wohnbereich, in dem auch die Uroma lebte. „Nachdem wir das mitgeteilt bekamen, wurden die Bewohner der Etage nacheinander getestet, auch meine Uroma. Der Test fiel positiv aus – und dann ging plötzlich alles ganz schnell“, sagt er. Anfangs lag sie noch auf ihrem Zimmer, es gehe ihr gut, hieß es. Marco war zunächst beruhigt, aber nicht überrascht. „Meine Uroma war eine Frau, die sehr viel wegstecken konnte.“
Am zweiten Tag wurde die alte Dame aber plötzlich ins Krankenhaus gebracht. Zu diesem Zeitpunkt wussten Marco und seine Familie nicht wirklich, was los war, und warum sie ins Krankenhaus gebracht wurde. Später hatte sich herausgestellt, dass die Pfleger im Heim der Empfehlung des Hausarztes gefolgt waren und einen Krankenwagen riefen. „Das ist das Tückische an dieser Krankheit: Den Menschen geht es vermeintlich gut, aber die Werte sagen etwas anderes“, erzählt er nachdenklich. Aber auch im Krankenhaus habe es zunächst den Anschein gemacht, als gehe es ihr gut. Von dort aus habe sie einen Tag später telefoniert und erzählt, dass sie sich besser fühle und auf dem Weg der Besserung sei. „Am nächsten Tag war sie tot.“
Auch im Alten- und Pflegeheim Rambachhaus in Alsfeld gibt es in diesem Dezember Corona-Patienten. 25 Bewohner, zehn Mitarbeiter waren in dem Pflegeheim in der vergangenen Woche infiziert, wie die Heimleitung Ingrid Ratmann sagt. Während die Bewohner teilweise leicht Symptome gezeigt hätten, seien die Mitarbeiter weitestgehend symptomfrei. Auch hier wurden die betroffenen Bereiche direkt isoliert. Ratman sieht es ähnlich wie Marco: Das heimtückische an dem Virus sei, dass man infiziert sein kann, ohne Symptome zu haben und so unwissentlich andere Leute ansteckt.
Kritik am Land Hessen
Nun greife dort das Pandemie-Konzept, Besuche gebe es nicht. Mehrmals wöchentlich würde nun das Pflegepersonal mit Schnelltest getestet, zusätzlich gebe es noch weitere Tests der Bewohner. Die leitenden Pflegekräfte wurden in der vergangenen Woche durch eine Ärztin geschult, um die Tests selbst durchzuführen, was einen enormen Mehraufwand bedeute. Die Mitarbeitenden seien motiviert, aber dennoch müsse einer Überlastung des Personals verhindert werden. Auch in Sachen Schnelltests sei eine schnelle Unterstützung des Landes wünschenswert.
Im Haus Stephanus stößt die Testverordnung für Schnelltests auf Kritik. Im Sommer hätte man das bereits auf dem Weg bringen müssen, erklärt Heimleitung Brömer. Außerdem, so sagt sie, wäre es hilfreich, wenn von anderen Hilfsorganisationen Unterstützung käme, um personelle Engpässe abzufedern. Auch über Hilfe von Menschen mit entsprechender Ausbildung würde man sich freuen, in der derzeitigen Lage werde jede helfende Hand gebraucht. Einem Bericht der OZ nach hat der Kreis Freiwillige, die im Impfzentrum helfen möchten angefragt, inwieweit sie auch bereit seien, in den Heimen mit anzupacken.
Allein mit der Trauer
„Es ist kein schönes Gefühl, wenn man weiß, dass man einen geliebten Menschen nur einmal in diesem Jahr gesehen hat“, sagt Marco in Hinblick auf die Kontaktbeschränkungen durch Corona. Bilder, und seine sie auch noch so aktuell oder gar live gestreamt, können keinen persönlichen Kontakt ersetzen. „Als ich das letzte Mal mit meiner Uroma telefoniert habe, hat sie gesagt, wenn Corona vorbei ist, würden wir zusammen ein Eis essen gehen. Dafür ist es jetzt zu spät“, sagt Marco und blickt traurig zu Boden. Auch dass er nicht richtig Abschied nehmen konnte, belastet ihn. Die gewohnten Rituale wurden ausgehebelt. „Jeder saß mit Abstand voneinander entfernt, ein gemeinsames Erinnern gab es nicht. Irgendwie ist man mit seiner Trauer allein gelassen.“
Die Trauer sei noch groß, größer sei allerdings die Wut. Marco ist verärgert darüber, dass seine Uroma nun eine Statistik ist. Immer wieder höre er die Menschen darüber sprechen und lese Kommentare in sozialen Medien, wo die Menschen weitere Todesfälle abtun, sie als nicht „schlimm“ bezeichnen; als wären sie bloß eine Zahl – gerade bei älteren Menschen. „Hinter dieser Zahl steckt für mich ein Schicksal, ein Name, Erinnerungen. Hinter jedem Tod steckt ein Mensch. Wenn dann jemand sagt, im Vogelsberg gibt es doch nur 40 Todesfälle – ja, für die meisten Menschen sind es Unbekannte. 39 der Verstorbenen kannte ich auch nicht – eine Verstorbene allerdings kannte ich“, sagt Marco. Es tut ihm weh, dass die Menschen den Tod abtun und den Schmerz der Hinterbliebenen vergessen.
Aus dem Haus Stephanus berichtet Marion Brömer von einer besonders herausfordernden und gleichzeitig belastenden Zeit – für Bewohner und auch für Mitarbeiter. Aus diesem Grund stelle man für die Mitarbeiter auf Wunsch und nach Bedarf eine professionelle psychologische Begleitung zu Verfügung, auch einen Seelsorger gebe es.
An Weihnachten soll es übrigens eine kleine Ausnahme vom Besuchsverbot geben: Für Angehörige an allen drei Tagen zu verschiedenen Uhrzeiten eine einstündige Besuchszeit in den dafür vorgesehenen Räumen. Voraussetzung hierfür ist, dass die Besucher dort einen Corona-Schnelltest machen. Ist dieser negativ, kann der Besuch stattfinden – die FFP2-Maske müsse aber trotzdem als zusätzlicher Schutz sein, genauso wie die Plexiglasscheibe als Abtrennung. So will es auch eine neuste Anordnung des Kreises.
*Der Name und das Alter wurden von der Redaktion geändert.
Mein Großvater starb ebenfalls mit 93 Jahren, geistig noch topfit, allerdings kürzlich, fast blind und zu diesem Zeitpunkt im Rolli, auch im Altenheim, an den Folgen Coronas.
Allerdings in anderer Form, nämlich an Vereinsamung, aufgrund von Besuchsverboten, mangels Kontaktmoglichkeiten innerhalb des Hauses und mangels Sehvermögen und dadurch fehlender Beschäftigungsmöglichkeiten.
Ob C19 oder jeder andere Infekt… In diesem Alter, ist es leider nicht ungewöhnlich, dass diese, insbesondere bei Vorerkrankungen, zum Tode führen. Wenn das Immunsystem zudem noch durch die Massnahmen geschwächt ist, ist die Prognose leider nicht gut.
Ich möchte damit einfach darauf aufmerksam machen, dass nicht nur eine Infektion bei Menschen in Einrichtungen, zum Tode führt.