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Feiertage im Auslandseinsatz: Der Ex-Soldat Alexander Heinz erzählt von ErfahrungenFern der Heimat ist der Gottesdienst wieder gefragt

ALSFELD. Als vor ein paar Tagen der Vogelsberger Bundestagsabgeordnete Michael Brand zur Teilnahme an der Aktion „Ich denk an dich“ aufrief, da fühlte sich der Alsfelder Buchhändler Alexander Heinz direkt angesprochen. Es geht um Weihnachtsgrüße für deutsche Soldaten im Auslandseinsatz, und der Alsfelder weiß, wie wichtig die tatsächlich für Soldaten sein können – er war selbst viele Jahre Zeitsoldat, dabei auch zweimal im Ausland: im Kosovo und auch in Afghanistan. Er meint: Den Männern und Frauen dort fehlt manchmal der Rückhalt in der Heimat.

 

Nein, es ist nicht so, dass die Männer und Frauen ständig leiden, die als Bundeswehr-Soldaten im Ausland Dienst tun, erzählt Alexander Heinz im Gespräch mit Oberhessen-live. Aber doch: Es sind besondere Zeiten, die sie durchleben, Situationen auch, in denen mancher Wertmaßstab aus Deutschland über den Haufen geworfen wird, manche Ansicht sich verändert. Die Kameraden funktionieren ein Stück weit als Familien-Ersatz, und dennoch: Der Rückhalt daheim – in Deutschland, in der Familie – ist für alle Soldaten extrem wichtig.

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Heute Inhaber eines Buch- und Schreibwarenladens in Alsfeld: Alexander Heinz 2005 als Militärpolizist im Kosovo.

„Es wird viel geschrieben“, nennt der 39-Jährige als Erfahrung bei seinen eigenen Einsätzen. 14 Jahre ab 1995 tat er Dienst als Zeitsoldat, inklusive der BWL-Studienjahre an der Bundeswehrhochschule in Hamburg: erst als Panzerfahrer, dann als Feldjäger. 2005 war er für vier Monate in Suva Reka im Kosovo stationiert und 2007 noch einmal für vier Monate im afghanischen Mazar-e Sharif. Vor allem beim zweiten Einsatz ließ Alexander Heinz Familie und Feundin sehr besorgt zurück.

„Als erstes ist die Privatsphäre weg“

Dabei sei der Alltag in der Fremde gar nicht so schwierig, erzählt er. Es gibt Änderungen: „Als erstes ist die Privatsphäre weg.“ Dann reduziert sich das Leben im Wesentlichen auf das Lager und den Betrieb darin. Der Alsfelder stellte fest: „Man kommt nicht viel zum Denken, es ist immer was zu tun.“ Der Alltag in den Auslandseinsätzen ist straff organisiert und durchdrungen von Regeln – notwendige Verhaltensmaßnahmen in einer unruhigen, potenziell gefährlichen Umgebung. Es gibt Schichtdienste, es gibt eine Betreuungseinheit, es gibt die Kameraden. „Die Familie, das ist die Einheit, in der man ist“.  Für den Alltag gilt wohl, so meint der erfahrene Soldat: „Die Familie daheim leidet mehr unter der Trennung.“

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Trügerische Idylle: das Erzengelkloster in den Bergen des Balkans naher dem Lager der Nato-Truppen – zerstört und mit Stacheldraht gesichert.

Wenn da nicht die Feiertage wären. Einen Auslandseinsatz zur Weihnachtszeit hat der Familienvater in seiner Bundeswehrzeit nicht erlebt, aber doch auch ein Osterfest in der Fremde – und damit die Ausnahme-Situation. „An Feiertagen kommt man etwas zur Ruhe.“ Das ist dann auch die Zeit des Nachdenkens und eine Zeit, in der die Soldaten besonders Kontakt zur Familie in Deutschland suchen.

Der handgeschriebene Brief ist wieder gefragt

2005 im Kosovo, da war die Verbindung technisch noch recht schwierig: „An den Rechnern mit E-Mail-Zugang war immer eine lange Schlange.“ Die Schwierigkeit wirft zurück auf das uralte Handwerk des Briefeschreibens: „mit der Hand!“ Als Feldpost gingen die Briefe nach Deutschland – von wo viele Pakete im Lager eintrudelten. „Da war immer viel Schokolade drin.“ Als er später in Afghanistan ankam, war die Bundeswehr in der Hinsicht bereits besser gerüstet und waren telefonische Kontakte üblicher. Dadurch war die Heimat nicht mehr ganz so fern.

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Quasi unter Kollegen: der deutsche Feldjäger Alexander Heinz mit einen Polizisten aus Tadschikistan an der neuen Brücke.

Aber dennoch gibt es offenbar erstaunliche Unterschiede im Seelenleben der jungen Männern und Frauen dort im Vergleich zu deutschen Gewohnheiten daheim. Mag es an der Gefahr liegen, die außerhalb des Lagers lauert oder einfach an der ungewohnten Situation: Die sonntäglichen Gottesdienste sind gut besucht: „Die Kapelle war immer voll.“ Alexander Heinz glaubt, dass es die Stunde Ruhe, die Gelegenheit, in sich zu gehen, ist, die die Gottesdienste in den Feldlagern so attraktiv erscheinen lässt.

Gut besuchte Gottesdienste und manche Taufe

Mehr noch: Wer sich ständig in latenter Gefahr befindet, wie Auslandsoldaten es tun, sucht vielleicht doch Beistand, wie er in Deutschland weniger gefragt ist. Dass in Afghanistan ständig Gefahr lauert, ist bekannt – zumindest außerhalb des Lagers. Wobei der Alsfelder erzählt, dass er bei den wenigen Überlandfahrten, an denen er teilnahm eigentlich keine Angst empfunden habe. Er sei eher in angespannter Konzentration gewesen – und fand dabei noch Zeit, Fotos von der Landschaft zu machen. Latente Gefahr herrschte auch im Lager, denn es kam vor, dass dort Raketen niedergingen – aber mangels Zünder nicht explodierten. Das sei wohl mehr ein Gruß der Taliban aus den Bergen gewesen, meint Alexander Heinz: „Die haben gezeigt, dass sie es können.“

Auch im Kosovo herrschte alles andere als Frieden. Ein Jahr, bevor er nach Suva Reka kam, das auch Suhareka geschrieben wird, hatte es dort noch geknallt, waren serbische Häuser und Kirchen in Flammen aufgegangen. Und auch 2005 stand in den Lagemeldungen stets: „Die Lage ist ruhig, aber nicht stabil.“  Unter solchen Voraussetzungen ist der christliche Glaube gefragter als zu Hause, erzählt der ex-Soldat. Nicht nur, dass die Gottesdienste besuchter waren – es habe auch eine ganze Anzahl von Taufen gegeben.

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Unterwegs mit den Kindern auf dem Autodach: eine Straßenszene aus Masar-e Scharif.

Dramen, wenn böse Nachrichten aus Deutschland kommen

An Festtagen wie er sie erlebte, wurde es dann ruhig im Lager. Die „Oase“, so der interne Name der „Hauptbetreuungseinheit“, wo Soldaten üblicherweise Zerstreuung suchen, leert sich: „Man geht in seine Unterkunft und versucht vielleicht Kontakt nach Hause zu kriegen.“ Ein Moment, in dem Soldaten Rückhalt brauchen. Und ein Moment, in dem es dann besonders schmerzt, wenn da nichts kommt. Da habe er als „Polizist“ der Bundeswehr auch Dramen erlebt, die mit Selbstmord endeten. Zum Beispiel weil die Freundin per Mail mitteilte, dass sie einen neuen Freund hat, und die gemeinsame Wohnung ausgeräumt ist. Wer dann ein labiles Gemüt hat, kann überregieren, weiß Alexander Heinz – und dann ist die vermeintliche Lösung mit der Waffe nicht weit. Besonders gefährdet als Soldat sei, so die Erfahrung, wer meint, mit einem Auslandseinsatz Probleme in der Beziehung ausblenden zu können. „Das geht meist schief.“

Aber was Soldaten generell besonders vermissen, so eine Erfahrung des früheren Feldjägers Alexander Heinz: „die Anerkennung in der Heimat.“ Deshalb sei die auch bundesweit initiierte Aktion der Grußpostkarte tatsächlich wichtig.

Von Axel Pries

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