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Der scheidende Dekan des Evangelischen Dekanats Vogelsberg über Entwicklungen, Chancen und gute ErfahrungenGeprägt von Wertschätzung und guter Kommunikation

ALSFELD (ol). Am 30. Juni um 14 Uhr wird er in einem Gottesdienst in der Alsfelder Walpurgiskirche verabschiedet: Pfarrer Dr. Jürgen Sauer. Zunächst Stadtpfarrer in Alsfeld, hat er seit 2001 als Dekan des Dekanats Alsfeld die Geschicke der Kirche in der Region mitgestaltet. Zeit für einen Rückblick auf schöne Begegnungen und große Veränderungen.

Mehr als dreißig Jahre lang war Dekan Dr. Jürgen Sauer in Alsfeld tätig. Zunächst als Pfarrer in der Evangelischen Kirchengemeinde Alsfeld, ab 2001 auch als Dekan des Evangelischen Dekanats Alsfeld. Nach der Fusion der Dekanate Alsfeld und Homberg zum neuen Dekanat Alsfeld im Jahr 2004 war er als hauptamtlicher Dekan aktiv.

Auch die nächste Fusion, die der Dekanate Alsfeld und Vogelsberg zum neuen Dekanat Vogelsberg, hat er mitgetragen und im fusionierten Dekanat bis Ende Mai kommissarisch als Dekan die Fusion und die Geschicke mitgeleitet. Kurz vor seinem Ausscheiden war es an der Zeit für ein Interview.

Interview mit Dekan Dr. Jürgen Sauer

Bei so viel Fusionserfahrung stellt sich natürlich die Frage, wie Sie zu den Zusammenlegungen von Dekanaten stehen. Notwendiges Übel oder sinnvoller Schritt in die Zukunft?

Die Erfahrung mit beiden Fusionen war sehr unterschiedlich, da die Fusion Alsfeld / Homberg freiwillig geschehen ist. Man hatte damals in beiden Dekanaten die Notwendigkeit dafür eingesehen. Es war ein relativ einfacher Übergang mit Stellenzusagen von Seiten der Landeskirche. Das war bei der Fusion Alsfeld/Vogelsberg anders: Sie war umstritten und von beiden Seiten nicht gewollt, es wurde ja von der Alsfelder Synode sogar beschlossen, dagegen zu klagen. Und die Probleme sind deutlich: Große Entfernungen, die Anzahl der Gemeinden, die Größe der Dekanatssynode – gleichwohl denke ich, dass es sinnvoll gewesen ist.

Denn wir hatten im Vorfeld schon über zehn Arbeitsbereiche, die wir gemeinsam bespielt haben, u.a. die Regionalverwaltung, die Notfallseelsorge, die Neue Arbeit, die Jugend- und Drogenberatung, jetzt Beratungszentrum, bis hin zur Arbeit mit Geflüchteten, die auch schon lange über die Dekanatsgrenzen hinweg stattfindet. Für diese Dinge auf der mittleren Ebene finde ich die Fusion schon eine sinnvolle Sache.

Wenn Sie von der Entwicklung der Dekanate berichten, dann beginnen Sie oft in Ihrem ersten Dekanatsbüro Am Lieden. Wie waren Sie denn dort besetzt und wie hat sich das bis heute verändert?

Am Lieden hatten wir eine Sekretärin, den Präses und den Dekan, und es gab auf dieser mittleren Ebene wenig kirchliche Mitarbeitende. Auch die Kirchenmusik war zu dieser Zeit noch bei den Kirchengemeinden und nicht beim Dekanat. Das Dekaneamt war damals ehrenamtlich, mit einer Drittelentlastung vom Pfarrdienst – das war eine sehr arbeitsintensive Zeit. Die Hauptamtlichkeit kam mit der Fusion im Jahr 2004.

Damals erhielt ich eine Dreiviertel-Dekanestelle und durfte mit einer Viertelstelle die Stadtkirchenarbeit aufbauen. Es hat sich viel verändert bis heute: Wir haben viel mehr Mitarbeitende, auch weil die Arbeitsbereiche sich sehr ausgeweitet haben: Die schulbezogene Kinder- und Jugendarbeit ist dazugekommen, die Fachstellen, also Bildung und Ökumene, Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, wurden besetzt. Grund für diese weitreichenden Veränderungen war, dass die Kirchensynode das Dekanatsstrukturgesetz beschlossen hatte, das besagt, dass die Dekanate die vier Handlungsfelder Bildung, Ökumene, Öffentlichkeitsarbeit und Gesellschaftliche Verantwortung in unterschiedlicher Ausprägung und personeller Ausstattung wahrnehmen sollten.

Ziel war die Stärkung der mittleren Ebene – es sollte über die kirchengemeindlichen Angebote hinaus Dinge geben, die insbesondere Menschen erreichen, die nicht zur Kerngemeinde gehören. Mit vielen unserer Angebote, insbesondere im Bereich Bildung und Ökumene – Dorfentwicklung beispielsweise oder Flüchtlingsarbeit – ist das auf jeden Fall gelungen. Auch über die Öffentlichkeitsarbeit sind wir nun in den Medien viel präsenter als Kirche. Wir haben lange Zeit alle vier Bereiche abgedeckt und sind damit gewachsen – mit der Fusion natürlich nun noch mehr.

Wie viel Verwaltung einen Dekan trifft

Man hörte gerade in den letzten Jahren viel von der kirchlichen Verwaltung, da es gerade dort viele Neuerungen gab. Würden Sie also sagen, dass auch die Kirche sich heute grundsätzlich mehr mit Verwaltung beschäftigt als früher? Leidet darunter das das seelsorgerische Arbeiten oder wird das mit mehr Personal kompensiert?

Ja, die Verwaltung hat zugenommen. Dazu trägt die staatliche Gesetzgebung massiv bei, der wir natürlich als Körperschaft öffentlichen Rechts auch unterliegen. So gilt beispielsweise auch das Kita-Gesetz für uns oder die Datenschutzgrundverordnung. Ich glaube, es ist aber auch eine gesellschaftliche Entwicklung: Die Streitbereitschaft hat zugenommen, auch im kirchlichen Bereich. Damit wächst der Wunsch nach Absicherung und damit wiederum der Bedarf an Regelungen.

Ein Beispiel dafür ist die Doppik: Um die Buchhaltung transparenter zu machen, ist sie sicher eine Möglichkeit, aber der Verwaltungsaufwand ist enorm. Auch die Pfarrerinnen und Pfarrer beklagen die gestiegenen Anforderungen an Dokumentation und Statistik, insbesondere da, wo Kirchengemeinden Träger von Einrichtungen sind.

Teilweise wird das durch Änderungen in der Verwaltung ein wenig kompensiert, indem übergemeindliche Gemeindebüros gebildet werden, was derzeit einige Kirchengemeinden auch tun. Die Arbeit wird dadurch effizienter und die Mehrbelastung etwas abgefedert.

Wieviel Verwaltung trifft den Dekan? Ist bei aller Verwaltungstätigkeit immer noch genug Raum für die eigentliche Arbeit eines Pfarrers, für Seelsorge und den Kontakt mit den Gemeindegliedern oder muss man sich davon verabschieden?

Die Verwaltungsarbeit wird glücklicherweise weitgehend von den Verwaltungsfachkräften gemacht. In deren Büros wird viel vorbereitet. Ich weiß über die Vorgänge natürlich Bescheid, habe alles abgezeichnet und – zusammen mit der Präses – die Verantwortung getragen. Aber vielmehr als das bestimmt doch Beratungstätigkeit das Aufgabengebiet eines Dekans. Jahresgespräche der Pfarrerinnen und Pfarrer, die Bilanzierung der Pfarrerinnen und Pfarrer mit den Kirchenvorständen, die Beratung der Kirchenvorstände, beispielsweise bei Pfarrstellenwechsel und anderen Fragen.

Ein weiteres wichtiges Aufgabengebiet ist die Gremienarbeit. Und natürlich bin ich Beschwerdeinstanz, also kommt auch viel Konfliktmanagement dazu. Ich habe das aber alles immer so verstanden, dass es auch eine seelsorgerliche Komponente hat. Wenn man zum Beispiel mit einem Pfarrer nach neuen Perspektiven sucht oder Probleme zu besprechen hat, dann gehört die Seelsorge unbedingt dazu.

….und wie ist das mit dem Predigen, dem Kerngeschäft der Gemeindepfarrer? Hat Ihnen das als Dekan gefehlt?

Nein, das hat mir nicht gefehlt, weil ich es ja immer auch hatte. Ich habe viele Vertretungen übernommen – und das im ganzen Altdekanat Alsfeld. So kenne ich hier so gut wie jede Kirche. Dazu kamen viele große Gottesdienste, die ich anlässlich von Jubiläen, Einführungen und Verabschiedungen mitgestaltet habe. Der Kontakt zu den Gemeinden war also immer da.

„Als Dekan ist man in einer Sandwich-Position“

Als Dekan hat man gemeinsam mit der oder dem Vorsitzenden der Dekanatssynode ein Dekanat zu führen, man ist auf einer Ebene tätig, die wie keine andere Schnittstelle zwischen Kirchenleitung und Kirchengemeinden ist. Empfanden Sie diese Funktion auch belastend oder schwierig? Und wieviel Gestaltungsspielraum hat eigentlich ein Dekan?

Als Dekan ist man wirklich in einer Sandwich-Position. Da sind die Vorgaben aus der Kirchenverwaltung und andererseits die Anforderungen der Gemeinden. Das kollidiert dann schon manchmal mehr oder weniger, wie man derzeit an der Pfarrstellenneubemessung sieht. Hier bekommen wir die Zahlen aus Darmstadt, wo und wie wir sie aber umsetzen, liegt an uns. Das ist bei allen schmerzlichen Entscheidungen, die zu treffen sind, besser als bei früheren Pfarrstellenbemessungen, bei denen über die Verteilung direkt in Darmstadt entschieden wurde.

Wir können viel besser nach den einzelnen Gemeinden schauen, nach Entwicklungen und Bedürfnissen. Andererseits übernimmt man damit natürlich auch viel Verantwortung und macht sich angreifbar. Gestaltungsspielraum gibt es also durchaus, auch an anderer Stelle, etwa indem man als Dienstvorgesetzter auch mal ab- und zutut. Man kann zum Beispiel Vakanzvertretungen offener gestalten, sodass sie auf mehrere Schultern verteilt werden. Den Gestaltungsspielraum erkennt man auch daran, dass die einzelnen Dekanate doch sehr individuelle Ausprägungen haben, sie gestalten sich in vielerlei Hinsicht wirklich selbst.

In der Evangelischen Kirche sind die meisten Führungspositionen sowohl hauptamtlich als auch ehrenamtlich besetzt. Ihr Pendant in der Leitung ist der oder die Vorsitzende der Dekanatssynode. Welche Vorteile sehen Sie in dieser Doppelspitze und wie gut können Haupt- und Ehrenamtliche, Theologen und Nichttheologen eigentlich zusammenwirken?

Es ist eine reformatorische Grundeinsicht, dass alle Getauften Verantwortung für die Kirche übernehmen können und sollen, und das bildet sich in der Doppelspitze ab. Ich halte es auch für gut, dass Pfarrerinnen und Pfarrer, Dekane und Dekaninnen nicht alles bestimmen, sondern dass ein Kommunikationsprozess stattfinden muss. In der Praxis kommt es darauf an, dass die Zuständigkeiten klar bestimmt sind und dass man gut miteinander kommuniziert und sich abstimmt. Das ist mit den Präsides, mit denen ich gearbeitet habe, stets sehr gut gelungen.

Sicher können Sie für die Zeit Ihrer Pfarrerschaft in Alsfeld und auch für Ihre Zeit als Dekan in Alsfeld auf viele herausragende Ereignisse und Begegnungen zurückblicken. Welche davon sind Ihnen besonders in Erinnerung geblieben oder wirken vielleicht sogar bis heute?

Ich erinnere mich sehr gern an die Jugendfreizeiten zu Beginn meiner Dienstzeit – ich freue mich heute noch, wenn ich damalige Jugendliche treffe. Auch die gemeinsamen Gottesdienste mit den Kollegen im Alsfelder Pfarrdienst waren sehr schön. Für diese Teamarbeit, die ich da kennengelernt habe, habe ich auch als Dekan immer geworben. Diese hat letztendlich mit zu dem Regionalisierungsprozess geführt, den viele Pfarrerinnen und Pfarrer heute auch wünschen.

Konfi-Arbeit, Nachmittage für ältere Menschen, einen Frauengesprächskreis, den ich ins Leben gerufen haben – all das hat mir immer viel Freude gemacht. Im Dekaneamt hat mir die Partnerschaftsarbeit mit Indien sehr gut gefallen, überhaupt die Arbeit in den Ausschüssen und Gremien. Es gab aber auch dramatische Ereignisse, die zu bewältigen waren – auch sie werden mir in Erinnerung bleiben.

Aufgewachsen in Nordhessen, sind Sie nun seit mehr als drei Jahrzehnten in Alsfeld heimisch. Die Stadt und die Region sind Ihnen ans Herz gewachsen. Ein Ausdruck dessen war die Stadtkirchenarbeit, die Sie hauptamtlich innehatten. Welche Schwerpunkte haben Sie hier gelegt?

Da sind natürlich die besonderen Kirchenführungen, die ein Schwerpunkt waren. Sie beschäftigten sich nicht nur mit Jahreszahlen, sondern waren auch thematisch ausgerichtet und kirchenpädagogisch aufbereitet. Kultur in der Kirche war ein weiterer Schwerpunkt: Lesungen mit Musik, Vorträge mit anschließender Diskussion zu Themen, die am Rande von Kirche sind, nicht nur geschichtlich orientiert, sondern auch aktuell.

Auch die Öffnung der Kirchen war mir wichtig, daher habe ich auch den Arbeitskreis Offene Kirche mitgetragen. Einen weiteren Schwerpunkt bildeten Ausstellungen zu Themen wie Klimapolitik oder Frieden, aber auch bildende Kunst mit religiösen Bezügen.

„Bei jedem Einsatz spüre ich aber, wie notwendig die Notfallseelsorge ist“

Sie haben in der Seelsorge ja auch neue Wege eingeschlagen, indem Sie sich zum Notfallseelsorger weiterbildeten. Was bedeutet diese Arbeit für Sie?

Ich halte Notfallseelsorge für ein bedeutendes Arbeitsfeld, und der Wunsch danach kam ja auch von den Rettungskräften. Gleichwohl ist die Arbeit der Notfallseelsorger sehr fordernd. Bei jedem Einsatz spüre ich aber, wie notwendig die Notfallseelsorge für die Angehörigen von Opfern ist. Wenn wir uns um Angehörige kümmern, dann übernehmen wir auch manchmal ganz praktische Sachen.

Die Menschen sind dafür so dankbar und zeigen uns damit, dass unsere Arbeit wichtig für sie ist und wir ihnen in einer wirklich schwierigen Situation helfen konnten. Von der Polizei und den Rettungskräften gibt es viele positive Rückmeldungen zu unserer Arbeit. Nach schweren Einsätzen bieten wir die Möglichkeit der Nachsorge an, die die Rettungskräfte in Anspruch nehmen können, was auch mehr und mehr geschieht.

Sie sind jetzt schon im Urlaub, Ihre Nachfolgerin Dr. Dorette Seibert ist im Amt und Ihre Verabschiedung findet am 30. Juni in der Walpurgiskirche statt. Dann beginnt Ihr Ruhestand offiziell. Welche (weiteren) Pläne haben Sie für diese Zeit? Gibt es etwas, das sie als Erstes unbedingt tun werden? Planen Sie dauerhafte ehrenamtliche Engagements?

Die Notfallseelsorge und die Mitarbeit im Vorstand des Beratungszentrums werde ich auch nach meiner Pensionierung fortführen. Allerdings möchte ich ein Jahr lang keine Vertretungsdienste übernehmen. In dieser Zeit will ich schauen, wo und wie ich mich ehrenamtlich einbringen möchte.

Die nächsten Wochen werde ich jetzt erstmal nutzen, um meinen alten Eltern ein vor längerer Zeit gegebenes Versprechen zu erfüllen. Meine Familie ist groß, meine Söhne mit ihren Familien weit verstreut – auch für sie mehr Zeit zu haben, darauf freue ich mich sehr.

Sie waren und bleiben dem Evangelischen Dekanat sicher verbunden. Was sind Ihre Wünsche an die Leitung und die Mitarbeitenden?

Ich wünsche sowohl der Leitung als auch den Mitarbeitenden eine von Wertschätzung und guter Kommunikation geprägte Arbeitsatmosphäre, die etwas spüren lässt von der Freude über den, für den wir als Kirche unterwegs sind. Und den Kolleginnen und Kollegen im Pfarrdienst wünsche ich Kreativität für ihr Tun und dass sie auf sich selbst achten.

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