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KOMMENTAR zum Ergebnis der Landtagswahl im VogelsbergDas Wahlergebnis ist ein hochgefährlicher Denkzettel für Berlin

MEINUNG|VOGELSBERG. Wenn man völlig parteipolitisch neutral etwas Positives an dieser Wahl sehen möchte, dann lässt sich vielleicht sagen: Die Wahlforscher in Deutschland sind besser als ihr Ruf. Betrachtet man das Ganze aus Sicht von SPD und CDU, dann heißt es wohl eher: Man hat das Debakel kommen sehen. Auch in unserer Region verlieren die Volksparteien massiv, gewinnt die AfD exorbitant hinzu. Das liegt natürlich, aber nicht nur am Zoff in Berlin. Ein Kommentar von OL-Chef Juri Auel.

Eines kann man Swen Bastian wahrlich nicht vorwerfen: dass er nicht alles versucht hätte. Vielleicht wollte er den Sieg um das Direktmandat schon ein wenig zu sehr. Kein Kandidat verschickte so eifrig Pressemitteilungen über jede noch so kleine Wahlkampfveranstaltung wie er. Sein wohl größter Coup: Der 39-Jährige kam der Einladung der CDU nach und feierte mit der Partei die Einweihung eines neuen Parteibüros – und schaffte es sogar aufs Foto für die Zeitung dafür. Was der CDU eher weniger gefiel, denn die Aufmerksamkeit sollte sich an diesem Tag schon auf ihre eigenen Leuten richten.

Vielleicht war es den Lesern und Wählern aber auch irgendwann einfach zu viel Bastian. Ganz und gar nicht vielleicht, sondern definitiv, sind Bastians für viele streitbare Persönlichkeit und sein Handeln nicht der einzige Grund für die zweistelligen Verluste der SPD im Vogelsberg, die mit 10,7 fast noch einen Prozent weniger verliert als die CDU mit 11,6.  Der Blick auf die landesweiten Ergebnisse und die ebenfalls zweistelligen Verluste der CDU im Kreis legen somit eindeutig nahe, dass der Dauerstreit der Groko in Berlin ein wichtiger Grund für dieses lokale Wahlergebnis ist. Weder die CSU und die SPD in Bayern, noch die CDU und die SPD in Hessen konnten sich davon lösen. Es scheint, als hätte der CDU-Kandidat Michael Ruhl schlichtweg pures Glück gehabt, nicht all zu krass oder weniger als Bastian von seiner Partei mit in den Abgrund gerissen worden zu sein.

Trotz großer Anstrengung hat es für Swen Bastian nicht gereicht. Foto: ol

Der Blick auf die Ergebnisse der AfD und den Grünen lassen einen hingegen zum einen ratlos, zum anderen verwirrt und auch ein klein wenig hoffnungsvoll zurück. Ratlos, weil man sich fragt, wie es sein kann, dass in einer Region, in der bestimmt nicht alles glatt läuft, der es aber verhältnismäßig gut geht, 16 Prozent, also knapp 3 Prozent mehr als im Landesschnitt, die AfD wählen. Verwirrt, weil deren Direktkandidat Steffen Rühl, der weit weniger medial präsent war als seine Kontrahenten, auf stolze 15,3 Prozent kommt. Und hoffnungsvoll, weil die AfD zwar 12,3 Prozent seit der letzten Wahl dazu gewonnen hat – aber die Grünen immerhin auch 6,5. Ein Zeichen dafür, wie polarisiert auch der Vogelsberg inzwischen ist. Die Extreme befeuern sich gegenseitig. Die Süddeutsche Zeitung schreibt von zwei „Zeitgeisten“, die gerade aufeinanderprallen.

Nein, nicht alle AfD-Wähler sind Nazis

Nein, 16 Prozent der wahlberechtigten Vogelsberger sind jetzt nicht automatisch Nazis. Viele werden die Partei aus Protest gewählt haben – auch ihren Direktkandidaten, ohne ihn genau zu kennen. Doch diese Taktik, der Regierung einen Denkzettel zu verpassen, ist hochgefährlich, solange die AfD so auftritt und sich so gibt, wie sie es eben tut. Nicht einfach konservativ oder patriotisch – sondern nationalistisch, völkisch, fremdenfeindlich. Würde die AfD es schaffen, nicht einmal mehr im Traum daran zu denken, die Nazizeit auch nur mir einem einzigen Wort zu verharmlosen oder zu relativieren, würde sie nicht mehr die freie Presse beschneiden wollen, nachweislich mit Neonazis zusammenarbeiten und massiv Fremdenhass schüren – sie wäre eine wählbare, stinknormale, konservative Partei, die vermutlich den neuen Bundeskanzler stellen würde. Eine CDU nur in anders, sozusagen. So, wie sie früher war.

Aber das ist sie eben aktuell nicht. Aktuell ist die AfD der Versuch, ein Feuer zu löschen, indem man Benzin hineingießt. Deswegen taugt sie nicht als Protestpartei. Deswegen ist es bedenklich, wenn so viele Vogelsberger ihr Kreuzchen bei ihr setzen. Dazu kommt: Das Erklärmuster, die Partei würde nur von den Armen, Abgehängten gewählt, greift hier nicht. Dafür geht es den Vogelsbergern zu gut. Auch gibt nicht überproportional viel Geflüchtete in der Region oder krasse Problemviertel mit Migranten. Das zeigt: die AfD ist mit ihren Thesen und Meinungen in die Mitte der Gesellschaft vorgedrungen, ohne selbst zur Mitte zu werden. Mit der Zeit wird sich zeigen, ob dies in Hessen und im Vogelsberg ein temporäres Phänomen sein wird – oder ob es den schon länger etablierten Parteien gelingt, die AfD zu entzaubern und sie wieder verschwinden zu lassen. Mit diesem Sonntag sitzt sie mit Hessen zumindest das erste Mal in allen 16 Landesparlamenten.

LINKTIPP: Zum OL-Liveticker mit vielen Interviews und Stimmen zur Wahl geht es hier entlang.

7 Gedanken zu “Das Wahlergebnis ist ein hochgefährlicher Denkzettel für Berlin

  1. @ Losgelassen:

    „…Dort erzählte man mir, wie sehr die austauschschüler sich wunderten, dass es kein WLAN oder Computerboards in der deustchen Schule gibt wie in Spanien….“

    Selbst überprüft? Zumindest auf die weiterführenden Schulen in Alsfeld trifft das nicht zu. Soweit mir bekannt ist gibt es dort in so gut wie allen Klassenräumen Aktivboards, bzw. Smartboards. in der Geschwister Scholl Schule sogar flächendeckendes W Lan und zwei sogenannte I Pad Klassen.

    Also bitte nicht alles verallgemeinern, und nicht alles gleich glauben, was man so erzählt bekommt.

  2. Und wieder einmal zeigt sich, dass die manipulativen Umfragen mit welchen uns zeitweise absurde Einschätzungen untergejubelt werden sollen, der Intervention nicht wert sind. Der Bürger hat verstanden, Berlin ….

  3. >> Es scheint, als hätte der CDU-Kandidat Michael Ruhl schlichtweg pures Glück gehabt, nicht all zu krass oder weniger als Bastian von seiner Partei mit in den Abgrund gerissen worden zu sein. <<
    Boah, Juri Auel! Da hat aber wieder Anneliese die Analyse gemacht! Einfache Textaufgabe:
    Bei der Landtagswahl in einem hessischen Bergkreis erhält der Kandidat Herr CDU 44,9 %, der Kandidat Herr SPD 38,6 % der Wahlkreisstimmen. Bei der Landtagswahl fünf Jahre später verlieren beide Kandidaten annähernd gleich viel. Welcher der Kandidaten erringt das Direktmandat?
    P.S.:
    Noch eine kleine Denksportaufgabe zum Üben:
    Zwei konservative heimische Direktkandidaten eines oberhessischen Bergvolks bewerben sich um das Direktmandat in einem oberhessischen Bergkreis. Einer von ihnen hat zwei Punkte mehr auf dem U.
    a) Welcher Kandidat gewinnt mit weniger Punkten das Direktmandat?
    b) Warum?
    c) Welcher Kandidat ist mit seinen Thesen und Meinungen in die Mitte der Gesellschaft vorgedrungen, ohne selbst zur Mitte zu werden?
    d) Welche Partei welches Kandidaten wäre eine wählbare, stinknormale, konservative Partei und würde den neuen Bundeskanzler stellen, wenn sie die Nazizeit nicht auch nur mit einem einzigen Wort verharmlosen oder relativieren und auch noch viele andere hässliche Dinge nicht tun würde?
    e) Welcher "Blick auf die Ergebnisse der AfD und den Grünen" ist dem Genitiv sein Tod?

  4. Es ist schön zu sehen, wie sich die „Volksparteien“ gerade selbst demontieren. Sie hatten ihre Chance. Sie haben sie nicht genutzt. Der Langmut der Deutschen ist legendär. Aber auch der längste Langmut endet irgendwann. Wenn eine Angela Merkel notgedrungen ihren Abschied in ferner Zukunft in Aussicht stellt, dann braucht man nicht mehr diskutieren. Dann weiß man, daß die „Volksparteien“ in absehbarer Zeit nicht reformierbar sind. Der Wähler schaut sich bis dahin woanders um.

  5. Wo bleibt meine qualifizierte Antwort auf Michael Hartmann? Oder werden die „Originellen“ hier vorgeführt, indem man sie unkommentiert vor sich hin pöbeln lässt?

  6. Ich war gerade in Spanien, das Land das seit 10 Jahren in der Dauer-Krise ist. Dort erzählte man mir, wie sehr die austauschschüler sich wunderten, dass es kein WLAN oder Computerboards in der deustchen Schule gibt wie in Spanien. Die Löcher in meiner Straße sind kaum zu zählen, dafür der Wald für Windkraft abgeholzt und Wege zugeschotter. Hausarzt habe ich seit meinem Umzug nach Alsfeld keinen, da keiner der Ärzte mehr Patienten aufnimmt.
    Aber für 1,6 Mio Nicht-EU Ausländer ist Hartz IV Geld da und es gilt als wenig, dass jeden Monat ein weiteres Alsfeld in die Sozialkassen einwandert.
    Die Kanzlerin sagte letztes Jahr nach Ihrer Wahlschlappe, Sie wüsste nun aber nicht was man anders oder besser machen könne? Außer „besser kommunizieren“ sprich sie denkt die Wähler sind zu blöd, zu begreifen.

    Wenn die Volksparteien nicht bald beginnen, Politik für die Mitte zu machen die hier alles stemmt und alles zahlt werden wir italienische Politik Verhältnisse erleben, und dies mit Vorsatz herbeigeführt.

  7. Nachrichtensprecher und Journalisten sollten neutral Bericht erstatten und nicht dem Bürger und Wähler eine fertige Meinung präsentieren und diese belehren oder gar kritisieren.
    Ein weiter so wurde abgestraft, wie ist dabei völlig egal.
    Abgestraft oder abgewählt wurden die, weil die Bevölkerung unzufrieden ist, und zwar mit sehr vielen Themen. Das hat nichts damit zu tun, ob hier nun besonders viele oder wenige neue „Bürger“ rumlaufen. Von der Strafe haben auch die Grünen profitiert, oder meinen Sie jetzt wohl auch das besonders viele Vogelsberger nicht nur zum Nazi sondern auch zum ex. SED’ler und Linke 68er mutiert sind.
    Statt rumzuheulen und einem Bastian hochzuleben wäre es hilfreicher den politischen Kurs aller Parteien zu ändern.
    Andere Länder in der EU haben das auch geschafft. Dort diskutiert man nicht ob 46 oder 47% Rente reichen und einer evt. 48% gibt, nein, da zahlt man 90, 98 oder sogar 101%.
    Und warum? Nicht weil die eine bessere Industrie haben, nein, die geben das Geld für IHRE Bürger aus.
    Andere Beispiele? Digitalisierung, Netzausbau? Ich sage nur Romrod!
    Wir haben Verstanden, (Werbung), nichts habt Ihr, mit wehenden Fahnen in den Abgrund, Medien und Staatsfernsehen vorne weg. Auch unser Bgm. Hat nichts verstanden, er ist froh immer noch der stärksten Partei anzugehören obwohl diese Bundesweit verloren hat und keine Mehrheit mehr hat.
    Italienische Verhältnisse sind das, ich bin echt begeistert.

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