Gemäßigter Schlagabtausch, viele Versprechen und klare BotschaftenPodiumsdiskussion an Albert-Schweitzer-Schule: Politischer Austausch mit Bundestagskandidaten
ALSFELD (ol). Die Albert-Schweitzer-Schule in Alsfeld veranstaltete eine Podiumsdiskussion mit Vertretern der maßgeblichen Parteien zur Bundestagswahl. Wichtige Themen wie Umwelt- und Wirtschaftspolitik, soziale Ungleichheit sowie Migrationsfragen wurden kontrovers diskutiert. Die Veranstaltung förderte den direkten Austausch zwischen Schülern und Politikern und bot einen wertvollen Einblick in aktuelle politische Debatten.
Die Vorbereitungszeit war knapp, doch der Schulleitung und der Fachschaft PoWi der Albert-Schweitzer-Schule war es dennoch gelungen, aus fast allen maßgeblichen Parteien Direktkandidaten zur Podiumsdiskussion einzuladen. Diese folgten der Aufforderung offenbar gerne – nicht zuletzt, da mit den Schülerinnen und Schülern der Oberstufe viele Erstwähler unter den Gästen waren. Und diese sparten nicht mit Fragen, die sie im Verlauf der zweistündigen Veranstaltung stellten – Antworten hatten Dietmar Schnell (Die Linke, in Vertretung von Desiree Becker), Michael Zörb (Bündnis 90/Grüne), Felix Döring (SPD), Alexander Keller (FDP, in Vertretung von Dennis Pucher), Frederik Bouffier (CDU) und Robin Jünger (AfD) zuhauf im Gepäck, wie das Alsfelder Gymnasium in einer Pressemitteilung berichtet.
Schulleiter Christian Bolduan begrüßte vor wenigen Tagen nicht nur die Politiker in der vollbesetzten Aula seiner Schule, sondern auch Gäste aus dem Schwalmgymnasium und der benachbarten Max-Eyth-Schule. „Politik trifft Basis und Erstwähler“ – so skizzierte er die Veranstaltung – ein Motto, das die Stimmung sehr gut wiedergab. Er erinnerte alle Beteiligten an einen fairen, wertschätzenden Umgang miteinander und erhoffte sich „eine Sternstunde im politischen Diskurs.“ Moderiert wurde diese von den beiden Q4-PoWi-Leistungskursschülern Johann Kraus und Friedrich Seibert. Sie hatten gemeinsam mit ihren Kursen strenge Regeln erarbeitet und ließen sowohl die Politiker als auch die Interessierten aus dem Publikum zu den vier für sie als zentrale Themen identifizierten Fragen zu Wort kommen.
Zunächst ging es um Umwelt und Wirtschaftspolitik. Hier lautete die Frage, wie sich Klimaschutz und Wirtschaftspolitik vereinbaren lassen: Während CDU und FDP dem Handel mit CO2-Zertifikaten eine große Rolle beimessen, stünden die Grünen für Klimagerechtigkeit durch Transformation. Deutschland habe die Umstellung auf E-Mobilität bisher verschlafen, so Michael Zörb. Dietmar Schnell ergänzte, dass der Zertifikatehandel nur den Großkonzernen zugutekomme und mitunter auch ein „ziemlicher Schwindel“ sei. Die AfD wolle die Förderung von Ausgleichsflächen vorantreiben, sagte Robin Jünger, der für die Unternehmen mit einem Konzept aus Fördern und Fordern Anreize schaffen möchte. Blanke Lüge unterstellte ihm Felix Döring, die AfD habe keinerlei Interesse an Umwelt- und Klimaschutz. Der SPD sei wichtig, dass Klimaschutz nicht die Lebenskosten der Menschen verteuere. Daher müssten beispielsweise energieintensive Industrien stärker in Klimaschutz investieren.
Hier wie zu allen weiteren Frageblöcken stellten die Schülerinnen und Schüler viele Fragen. Sie waren gut vorbereitet und auch streitlustig. So hatte hier Frederik Bouffier zu verteidigen, warum der, der mehr Geld hat, durch Zertifikatehandel einfach weniger Umweltschutz betreiben müsse.
Im nächsten Block fragten die Moderatoren nach den Plänen zur Bekämpfung von Armut und sozialer Ungerechtigkeit. In jeweils 60 Sekunden mussten die nach dem Zufallsprinzip ausgewählten Kandidaten ihre Statements abgeben: Die SPD sprach sich für eine Milliardärssteuer, die Aufhebung der Schuldenbremse und ein solidarisches Rentensystem aus. Der Grünenvertreter brachte Robert Habecks Vorschlag von der Erhebung von Sozialbeiträgen auf große Kapitalerträge aufs Tapet, während die CDU möglichst viele Menschen in Arbeit bringen möchte. Auch die Lohnnebenkosten und die Steuerlast von Arbeitnehmern seien zu hoch. Robin Jünger sprach von Leistungsförderung, guten Renten und einer fairen Besteuerung, was Dietmar Schnell von den Linken direkt widerlegte: Die AfD sei eine Partei, die die Superreichen fördere und sonst nichts, so sein Fazit aus dem Parteiprogramm der AfD. Die Linke stehe für höhere Mindestlöhne, die Deckelung von Mieten und einer einzigen Krankenversicherung für alle Menschen. „Arbeit ist das beste Mittel gegen Armut“, sagte Alexander Keller. Seine Partei wolle das Bürgergeld anpassen und Chancengleichheit u.a. durch Bildung erreichen. Die Rente sei u.a. durch eine Aktienrente zu finanzieren.
Um die Rolle Deutschlands in Europa und der Welt angesichts globaler Krisen wie Kriegen und Handelskonflikten ging es im nächsten Themenblock. Europa warte auf eine Führungsrolle Deutschlands als stärkste Volkswirtschaft in Europa, so Bouffier. Deutschland habe durch die Ampel-Regierung Ansehen eingebüßt, fand Robin Jünger; es müsse wieder ein verlässlicher Partner auf Augenhöhe werden. Die SPD betonte die Bedeutung von Unabhängigkeiten – sowohl von den USA unter Donald Trump als auch von Russland. Dass das beispielsweise im Energiesektor möglich sei, zeige der Anteil der erneuerbaren Energien, der in Deutschland bei sechzig Prozent liege. Mit Blick auf die EU-Skepsis der AfD sprach Döring sich eindeutig für „mehr statt für weniger Europa“ aus. Auch die FDP sieht Deutschland an der Seite seiner Partner. Keller betonte die Bedeutung einer starken Bundeswehr als Parlaments- und Verteidigungsarmee. Für die Grünen sei „Europe united“ die Antwort auf „America First“, so Zörb. Deutschland und Europa könnten Vermittler in der Welt sein. Auch sein Augenmerk galt der Energieunabhängigkeit. Auch die Linke wolle Europa deutlich stärken, sagte Dietmar Schnell. „Trump geht über Leichen und Putin bricht Völkerrecht“. Er selbst spreche sich – im Gegensatz zu der Mehrheit der Linken – für eine Unterstützung der Ukraine aus. In der anschließenden Diskussion warfen die anderen Parteien der AfD ihre EU-Haltung kritisch vor, diese war auch Gegenstand zahlreicher Rückfragen aus dem Publikum.
Genauso diskutierfreudig zeigten sich die Anwesenden beim letzten Themenkomplex, dem erklärten Reizthema des diesjährigen Wahlkampfes. Wenige Tage lagen die vieldiskutierten Abstimmungen der CDU mit der AfD zurück, sodass hier am engagiertesten debattiert wurde. Die Moderatoren fragten die Politiker nach „Remigration“, Zurückweisungen an der deutschen Grenze und sichere Drittstaaten. Robin Jünger sprach vom „Mythos Remigration“, der seine Bedrohung lediglich dadurch entfalte, dass andere ihn so interpretierten. Die Idee vom „sicheren Drittstaat“ befinde sich schon im Grundgesetz – eine Aussage, die er später vehement verteidigen musste. „Kein Mensch ist illegal“ lautete die Antwort der Linken. Ausbeutung und Klimawandel seien Merkmale der Fluchtbewegungen. Außerdem sei die deutsche Gesellschaft zu einem Drittel migrantisch geprägt: Die Ideen der AfD seien absurd. Alexander Keller sprach sich für ein klares Einwanderungssystem und für Integration durch Arbeitserlaubnis aus. Felix Döring warf Robin Jünger vor „Kreide gefressen zu haben“ und bezeichnete das Verhalten von Friedrich Merz als skandalös. Die vergangene Woche sei die „schlimmste, die er bisher im Bundestag erlebt habe“. An Frederik Bouffier gewandt, appellierte er an die CDU, sich auf die „Seite der Kirchen und Angela Merkels zu stellen und nicht auf die von Merz und den Rechtsextremen“. Auch die Grünen gingen auf die Abstimmungen ein; Zörb sprach von einem „Dammbruch auf dem Rücken der Schwächsten“. Seine Partei wolle bestehendes Recht umsetzen und dazu unter anderem die Polizei besser ausstatten. Zurückweisung an Grenzen sei notwendig, so Bouffier in seinem Statement. Die SPD mahnte eine sensible Sprache im Umgang mit geflüchteten Menschen an und sprach von einem „Tabubruch für nichts und wieder nichts“: Die FDP wolle sich in „wichtigen Fragen nicht davon abhängig machen, ob die AfD zustimmt oder nicht“, sagte Alexander Keller. Die Linke sagte, keine der in Frage stehenden Maßnahmen hätte die schrecklichen Taten, die als Anlass für die Abstimmungen genommen wurden, verhindert. Mit einem wortbrüchigen Partner wie Friedrich Merz sei für keine Partei eine verlässliche Regierungsarbeit möglich.
Die Fragen aus dem Publikum, die Fragen der Erstwähler also, drehten sich nun sehr um das Thema Migration. Insbesondere AfD und CDU wurden hier aufgefordert, deutlich zu werden: Welche „Millionen“ seien gemeint, die die AfD remigrieren wolle, und ob die CDU wirklich Kinder in Abschiebehaft nehmen wolle. Auch unter den Politkern kam es zu deutlichen Worten, die den Anwesenden einen guten Einblick in die politische Auseinandersetzung dieser Zeit bot. Zum Ende der Veranstaltung nahmen viele Schülerinnen und Schüler die Möglichkeit wahr, mit den Politkern noch in einen intensiven Austausch zu treten. Tatsächlich also eine „Sternstunde“, für die auch die Mit-Organisatorin und Fachbereichsleiterin Dr. Katja Müller allen Beteiligten dankte.
Fotos: T. Schlitt
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