Ein Tag, der Perspektiven verändertWie Schüler und Senioren im Haus Stephanus zu einer Gemeinschaft werden
ALSFELD (ol). Ein Besuch im Haus Stephanus eröffnet Schülern der Gerhart-Hauptmann-Schule eine neue Welt und baut Vorurteile gegenüber dem Alter ab. Durch gemeinsames Backen, das Erlernen von Pflegefertigkeiten und das kreative Festhalten ihrer Erfahrungen wird eine Brücke zwischen Generationen geschlagen. Für die Schüler bleibt die Erkenntnis, dass ein solcher Austausch mehr als ein gewöhnlicher Schulausflug ist.
Ein Pflegeheim: Für viele Schüler ist es eine unbekannte Welt, oft behaftet mit Unsicherheiten und klischeehaften Vorstellungen. Doch als die sechzehn Schüler der Klasse 6b der Gerhart-Hauptmann-Schule an diesem Vormittag das Haus Stephanus betreten, beginnt eine Erfahrung, die Horizonte erweitert und Vorurteile abbaut, so berichtet das Alten- und Pflegeheim in einer Pressemitteilung.
Das Förderprogramm „Pflegeheim: Mitten im Leben“ und das Projekt „Generationen – Gesundheitsnetzwerk“ verfolgen genau dieses Ziel: Junge Menschen mit älteren zusammenbringen, Berührungsängste abbauen und soziale Isolation durch echte Begegnungen überwinden. Fachergotherapeutin Demenz und Projektkoordinatorin Minh Luis begleitet die Schüler gemeinsam mit den Praxisanleitern Mike-Phil Peppler und Natascha Lerch. Lehrer Sahin Kaplan sorgt für die pädagogische Unterstützung.
Vom Zaudernden zum Mitmacher
Zunächst bewegen sich die Schüler zögerlich durch die Flure. Der Geruch von Desinfektionsmittel, die ungewohnte Stille, die Begegnung mit dem Alter – all das ist neu. Doch schon nach wenigen Minuten weicht die Scheu der Neugier. „Am Anfang hatte ich Angst“, gibt eine Schülerin zu. „Ich wusste nicht, wie ich mit den alten Menschen reden soll. Aber dann war es total schön.“ Ein Bewohner schmunzelt: „Das ist, als wären die Enkel zu Besuch.“
Backen, Erinnerungen und Bienenstich
In der Wohnküche wird gerührt, geknetet und gelacht. Der Duft von frischem Teig erfüllt den Raum, als die Schüler gemeinsam mit den Senioren einen Bienenstich backen. Ein 92-jähriger Bewohner, einst Bäckermeister, beobachtet das Treiben aufmerksam. „Na, habt ihr so etwas schon mal gemacht?“, fragt er mit einem Augenzwinkern. Die Schüler tauchen nicht nur in die Kunst des Backens ein, sondern auch in Geschichten aus vergangenen Zeiten. „Ich hab‘ das Gefühl, ich backe mit meinem Opa“, flüstert ein Junge.
Nach dem Backen setzen sich alle an den Tisch. Nicht nur zum Essen – sondern für etwas Wertvolleres: Gesellschaft. „Das war eine schöne Abwechslung“, sagt der ehemalige Bäckermeister. „Die Kinder dürfen gerne wiederkommen.“
Pflege aus nächster Nähe erleben
Auf dem Flur wartet die nächste Herausforderung: der Rollstuhlschiebenschein. Einer sitzt, der andere schiebt – über Schwellen, Rampen, durch enge Kurven. „Ganz schön schwer, wenn es bergauf geht!“, ruft eine Schülerin erstaunt. Noch eindrücklicher wird es, als die Schüler lernen, eine Mitschülerin mit einem Lifter in einen Rollstuhl zu setzen. Plötzlich wird spürbar, was Pflege bedeutet. „Ich dachte, das ist nur ein bisschen helfen. Aber das ist richtig anstrengend“, sagt ein Schüler und wischt sich die Stirn.
Malen gegen das Vergessen
Zum Abschluss des Tages greifen die Schüler zu Pinseln und Farben. Auf Leinwänden halten sie ihre Erlebnisse fest. Einer malt eine Runde „Mensch ärgere dich nicht“, eine andere verewigt den Bienenstich – mit lachenden Gesichtern. „So bleibt uns der Tag lange in Erinnerung“, sagt sie stolz.
Mehr als ein Schulausflug
In der Reflexionsrunde sprudeln die Fragen: Dürfen die Bewohner nach draußen? Wie viel kostet ein Pflegeheimplatz? Wie ist der Tagesablauf? Besonders fasziniert sind die Schüler von den Erzählungen der Senioren – von Kriegserlebnissen, Nachkriegszeit und der Begegnung mit Elvis Presley. „Das ist wie eine Zeitreise!“, staunt ein Schüler. Lehrer Sahin Kaplan ist überzeugt: „Solche Erlebnisse bleiben. Vielleicht entwickelt sich bei einigen ein echtes Interesse an sozialen Berufen.“
Ein Stück Zuhause für alle
Zum Abschluss sitzen Schüler und Bewohner noch einmal zusammen – beim gemeinsamen Mittagessen. „Hier gibt’s Betreuung, Pflege, Essen. Eigentlich wie ein Hotel“, meint ein Schüler. „Nur mit viel mehr Herz“, ergänzt seine Sitznachbarin. Auch ein Bewohner zieht eine positive Bilanz: „Die dürfen gern wiederkommen. Dann haben wir hier mehr Leben!“
Was bleibt, ist mehr als ein Schulausflug. Es ist ein Tag, der Perspektiven verändert – für Schüler, für Senioren und für eine Gesellschaft, die Brücken zwischen den Generationen braucht.
Fotos: Minh Luis, GFDE-Haus Stephanus
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