Teil 1: Zur Bundestagswahl: Desiree Becker (Linke), Dennis Pucher (FDP), Robin Jünger (AfD)Wie sehen die Vogelsberger Direktkandidaten sich selbst?
VOGELSBERGKREIS – Rund 217.000 Wahlberechtigte sind am 23. Februar im Wahlkreis 172, Gießen, aufgerufen, einen neuen Bundestag zu wählen. Mehr als 3200 Wahlhelfer in 274 Urnenwahlbezirken auch in Teilen des Vogelsbergkreises helfen ihnen dabei. Um der Wählerschaft die Entscheidung zu erleichtern, haben wir die Direktkandidaten aller größeren Parteien angesprochen.
Name, Alter, politischer Werdegang: Diese Fakten zu den Wahlkreiskandidaten sind relativ leicht nachlesbar. Um etwas über die persönliche Motivation und politische Einschätzung zu erfahren, haben wir den den fünf Kandidaten und einer Kandidatin noch den Fragenkatalog mitgeschickt. Die Vorstellung veröffentlichen wir nach Art eines Interviews im Wortlaut in zwei Beiträgen. Heute sind es Desiree Becker (Linke), Dennis Pucher (FDP) und Robin Jünger (AfD).
Desiree Becker: gegen Rassismus, pro kommunale Wohnungsgesellschaften
Ausführliche Antworten auf Fragen gab Desiree Becker als Kandidaten der Partie Die Linke. Die 30-Jährige kommt gebürtig aus dem Saarland, lebt seit zehn Jahren in Gießen und hat auf Lehramt für Gymnasien Mathematik und Politik und Wirtschaft studiert. Mittlerweile ist sie als Gewerkschaftssekretärin für die Jugend in Mittelhessen und für ver.di tätig. Sie möchte mit der Linken engagierte Oppositionsarbeit leisten. Ihre Antworten auf unsere Fragen.
Becker: Wir haben uns in den vergangen Jahren zu sehr mit uns selbst beschäftigt und waren zu wenig für die Menschen da. Damit ist seit letztem Jahr Schluss! Schon vor dem Ampelbruch haben wir wichtige Weichen für die Zukunft der Linken gestellt. Zusammen mit Tausenden neuen Mitgliedern sind wir an den Haustüren unterwegs, hören den Menschen zu, sammeln die Sorgen und Nöte und helfen ganz praktisch und direkt vor Ort. Eines der wichtigsten Themen sind und bleiben explodierende Mieten und Lebenshaltungskosten. Wir haben bereits in einigen Großstädten mehrere Hunderttausend Euro für Mieter*innen zurückgeholt, das wollen wir mit unserer derzeitigen Heizkostenaktion nun überall möglich machen. Wir wollen keine Politik für Posten, Profite oder Konzerne machen, sondern für die Menschen. Wir streiten uns nicht darum, wer Kanzler*in wird. Wir wollen verändern, indem wir gute Oppositionsarbeit machen und unsere Strukturen wie die Sozialsprechstunden und unser Engagement in sozialen Vereinen sichern und ausbauen.
Frage: Wie sollte man in der deutschen Politik künftig mit der AfD umgehen?
Becker: Wir sind Unterstützer*innen eines Verbotsverfahren. Für uns gilt: Keine Zusammenarbeit mit Faschist*innen. Wir müssen anfangen, wieder für sichere Lebensumstände der Bevölkerung zu sorgen: D.h. wir verteilen von oben nach unten um und stellen uns gegen den Klassenkampf von oben. Wir brauchen ein funktionierendes Gemeinwesen auf Stadt und Land, Engagement in der Zivilgesellschaft und konsequentes Einordnen und Aufklären der Machenschaften der radikal Rechten. Wir müssen uns konsequent rechten Narrativen entgegenstellen und keine rechten Zeitgeist nähren, indem wir der AfD und ihrem geschichtsvergessenen und menschenverachtenden Getöse nachgeben. Wie schnell Brandmauern einreißen zeigte sich bereits bei Kooperationen von CDU und AfD im Osten. Das wichtigste ist und bleibt jedoch eine ehrliche Politik für die Menschen vor Ort zu gewährleisten und nicht die Politik der radikalen Rechten okkupieren, um Wähler*innenstimmen abzugreifen.
Fürchten Sie nach der Wahl österreichische Verhältnisse im Deutschen Bundestag? Oder: Wie lässt sich solch eine Entwicklung verhindern?
Die Realität österreichischer Verhältnisse ist längst in Deutschland angekommen: eine kommende Bundesregierung unter Friedrich Merz wird Arbeitnehmer*innen weiter den Kampf ansagen, Angriffe auf zentrale Rechte wie Lohnfortzahlungen im Krankheitsfall und Streik geschehen bereits schon jetzt. Die Schwächsten der Gesellschaft leiden bereits jetzt unter den Sozialhaushaltskürzungen der scheidenden Regierung: Menschen werden in die Wohnungslosigkeit getrieben, Geflüchtete und Bürgergeldempfänger*innen als Feindbild auserkoren. Unterdessen werden weitere Steuergeschenke für Reiche und Konzerne diskutiert, die in den letzten Jahren ohnehin massiv verschont wurden. Dabei läge die Lösung auf der Hand: es braucht eine gerechte Besteuerung von Vermögen und Erbschaften, die Stärkung sozialer Sicherungsnetze und eine Festigung betrieblicher Mitbestimmung. Wir haben es selbst in der Hand: wollen wir den Rücken der wenigen Reichen stärken und unsere hart erkämpften Rechte aufgeben oder uns endlich organisieren, Armut, Niedriglöhne und mickrige Renten bekämpfen und Arbeit stärken und für unsere Interessen einstehen?
Welches sind IHRE wichtigsten drei Themen für die kommende Legislaturperiode?
Erstens: wir brauchen gute Löhne, eine bessere Tarifbindung und Arbeitsbedingungen für alle Beschäftigten – die EU hat mit der Mindestlohnrichtlinie schon lange wichtige Grundsteine dafür gelegt und all das müsste eigentlich längst umgesetzt sein.
Zweitens: die Preise für Mieten, Lebenshaltungskosten und Lebensmittel müssen endlich runter. Jüngste Zahlen des Paritätische zeigen, dass immer mehr Menschen alleine durch die explodierenden Mieten armutsgefährdet sind – mittlerweile sind über ein Fünftel der Bevölkerung nach Abzug von Wohn- und Nebenkosten armutsgefährdet. Gleichzeitig sammelt sich der Reichtum bei einigen wenigen in Deutschland immer mehr an, weil seit Jahren eine ungebremste Umverteilung von Unten nach Oben stattfindet.
Und drittens: die rassistische Debatte rund um Migration muss endlich enden. Kein Geflüchteter ist Schuld daran, dass sich die Reichen die Taschen auf Kosten der Allgemeinheit voll machen, Mieten erhöht und Beschäftigte ausgebeutet werden. Im Gegenteil: ein Großteil der Menschen, die in Deutschland Schutz fanden, sorgen dafür, dass Pakete rechtzeitig ankommen, Busse fahren, Krankenhäuser funktionieren und dieses Land nicht kollabiert. Vor rund einem Jahr gingen Hunderttausende gegen Deportationsfantasien der Rechten auf die Straße – heute ist davon leider wenig übrig. Schlimmer noch: mittlerweile laufen alle Parteien außer uns diesen Abschiebefantasmen hinterher, wollen entweder konsequent oder mit Bauchschmerzen abschieben und opfern dabei gleichzeitig elementare Menschenrechte.
Was sehen Sie als das drängendste Problem/Thema für den Vogelsbergkreis in den kommenden vier Jahren an?
Die chronische Unterfinanzierung von Kommunen darf so nicht weitergehen: es braucht endlich eine solide finanzielle Basis für Investitionen in die öffentliche Daseinsvorsorge, eine nachhaltige kommunale Energieversorgung und einen effizienten, sowie verlässlichen ÖPNV. Ebenso ist bezahlbarer Wohnraum nicht nur eine Herausforderungen für die Stadt, sondern auch im ländlichen Raum. Wir brauchen auch hier kommunale Wohnungsgesellschaften, die sich genossenschaftlich organisieren, Wohnraum schaffen und zur Verfügung stellen. Auch die Stärkung von Vereinen, Initiativen, Sozialverbänden und zivilgesellschaftlichen Engagements muss in den Fokus rücken.
Dennis Pucher: „Für eine tatkräftige Politik, die Wachstum schafft“
Als Kandidat für die FDP tritt Dennis Pucher an. Der 41-jährige ist verheiratet und wohnt im wunderschönen Lich. Seit 17 Jahren ist er politisch für die FDP aktiv. Seit sieben Jahren ist er Mitglied der Licher Stadtverordnetenversammlung und seit 2012 Kreistagsabgeordneter im Landkreis Gießen. Aktuell habe ich die Ämter des Fraktionsvorsitzenden und Kreisvorsitzenden der FDP inne. Für die kommende Bundestagswahl bin ich Kandidat der Freien Demokraten im Wahlkreis Gießen-Vogelsberg.
An der Justus-Liebig-Universtität Gießen hat er ein Studium der mittleren und neueren Geschichte sowie der Politikwissenschaften absolviert und als Magister Artium (M.A.) abgeschlossen. Er war in der öffentlichen Verwaltung tätig, ist heute mit eigenem Unternehmen für Fördermittelfragen, Digitalisierungsthemen und Infrastrukturen im Markt vertreten.
Frage: Wir haben erlebt, wie die Ampel-Regierung binnen dreier Jahre in der Wählergunst abgestürzt ist. Wo lagen die größten Fehler? In aller Kürze: Was will die FDP künftig besser machen?
Was zum Ende der Regierung Scholz geführt hat, ist das Ergebnis einer insgesamt schlechten Performance. Die Ampel-Koalition hatte die Akzeptanz der Bürgerinnen und Bürger verloren, weil man eine gemeinsame Antwort angesichts der multiplen Krisen schuldig geblieben war. Der größte Fehler war sicherlich, den seiner Zeit beschlossenen Koalitionsvertrag – in Anbetracht dieser Krisen und des Wegfalls des Klima- und Transformationsfonds als Finanzierungsgrundlage – nicht neu zu verhandeln. Ziel von uns als FDP muss es sein, unsere Positionen in zukünftigen Bündnissen klarer zu vertreten und durchzusetzen. Wir stehen für eine tatkräftige Politik, die Wachstum schafft, den Staat effizienter macht und irreguläre Migration begrenzt.
Wie sollte man in der deutschen Politik künftig mit der AfD umgehen?
Die AfD ist keine bürgerlich-konservative Partei – auch wenn sie sich häufig als das zu inszenieren versucht. Sie ist eine mittlerweile in weiten Teilen völkisch-extremistische Partei. Für uns als Freie Demokraten, die sich der Freiheit und Menschenwürde von Grund auf verpflichtet fühlen, verbietet sich daher nach wie vor jede Form der Zusammenarbeit. Es muss meiner Meinung nach darum gehen, die AFD inhaltlich wie personell zu stellen, das bedeutet: den Bürgerinnen und Bürgern da draußen klarzumachen, dass von diesen Personen, die in der AFD Verantwortung tragen, keinesfalls tragfähige Lösungen für unser Land zu erwarten sind – ganz gleich ob auf kommunaler Ebene, im Land oder Bund. Diese Partei zehrt einzig und allein vom Dagegensein.
Fürchten Sie nach der Wahl österreichische Verhältnisse im Deutschen Bundestag? Oder: Wie lässt sich solch eine Entwicklung verhindern?
Die politische Lage in Österreich ist zweifelsfrei ein Warnsignal auch für uns in Deutschland. Auch wenn ich die Gefahr konkret weniger für die aktuellen Bundestagswahlen sehe, so zeichnet sich doch mit Blick auf die darauffolgenden Wahlen eine besorgniserregende Entwicklung am Horizont ab. Uns Demokratinnen und Demokraten muss es daher gelingen, die Sorgen und Ängste der Bürgerinnen und Bürger aus der politischen Mitte zu adressieren und zu lösen. Das ist das beste Rezept gegen das Erstarken autoritärer Kräfte.
Welches sind IHRE wichtigsten drei Themen für die kommende Legislaturperiode – unabhängig davon, ob Sie an einer Regierung beteiligt sind oder nicht?
Meine drei wichtigsten Themen für die kommende Legislaturperiode sind ein starker Wirtschaftsstandort, konsequente Digitalisierung und die Förderung des Ehrenamts. Deutschland muss für Unternehmen attraktiver werden – Subventionen lösen keine strukturellen Probleme. Mehr Marktwirtschaft, Innovationsförderung und Wettbewerb sichern langfristiges Wachstum. Die digitale Transformation erfordert flächendeckenden Glasfaserausbau, KI-gestützte Prozesse und OpenSource-Software in der Verwaltung für mehr Effizienz und Chancengleichheit. Ehrenamt als soziale Stütze muss durch Bürokratieabbau und gezielte Förderung gestärkt werden, um engagierte Bürgerinnen und Bürger zu entlasten.
Was sehen Sie als das drängendste Problem/Thema für den Vogelsbergkreis in den kommenden vier Jahren an?
Die prekäre Haushaltslage der Kommunen. Die Infrastruktur müsste dringend ausgebaut werden. Stattdessen haben unsere Kommunen leere Kassen zu beklagen – bei immer steigenden Aufgabenzuweisungen durch Land und Bund. Als FDP setzen wir uns dafür ein, die Kommunen finanziell besser auszustatten, damit sie auch in Zukunft handlungsfähig bleiben können.
Robin Jünger: „Umgang der anderen Parteien mit der AfD ist infantil“
Robin Jünger aus Pohlheim ist der Direktkandidaten der AfD für die Bundestagswahl 2025. Der 28-Jährige wurde vom AfD-Kreisverband einstimmig gewählt – ohne Gegenkandidat. Robin Jünger ist seit 2016 AfD-Mitglied und kommt aus Laubach. Aktuell wohnt er in Pohlheim. Er gehört dem AfD-Landesvorstand an und ist erster Beisitzer im Kreisverband Gießen. Nach seinem Abitur in Nidda absolvierte er eine kaufmännische Ausbildung, ist heute Inhaber einer Firma für Online-Marketing.
Frage: Wir haben erlebt, wie die Ampel-Regierung binnen dreier Jahre in der Wählergunst abgestürzt ist. Jetzt wird neu gewöhlt. In aller Kürze: Was macht die AfD besser?
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