Interview mit Johanna Mildner über das Alsfelder WintermärchenWie König Drosselbart trotzdem in die heutige Zeit passt
ALSFELD – Seit zwölf Jahren ist Johanna Mildner Leiterin der Alsfelder Marktspielgruppe. Das von ihr initiierte Wintermärchen ist längst zu einem festen Bestandteil der Kulturszene geworden. Mit Gespräch mit OL-Autor Axel Pries – die beiden sind seit Jahren gute Bekannte – erklärt die 47-Jährige kurz vor der Premiere von König Drosselbart den Erfolg und auch den pädagogischen Wert des Schauspiels. Dabei äußert sie einen Wunsch.
Frage: Die Aufführung vom König Drosselbart ist als konsequent klassisches Märchen vorgestellt worden. Nun habt ihr euch ja schon immer bei bekannten Märchen bedient. Was heißt denn klassisch und wie kommt es dazu?
Johanna Mildner: Wir haben überlegt, was wir spielen wollen, und wir haben festgestellt, dass wir ein, ich nenne es mal klassisches Märchen noch nie hatten. Wir hatten schon die Brüder Grimm oder Andersen und Hauff, bei denen wir uns bedient haben, und letztes Jahr hatten wir mit Peterchens Mondfahrt einen kleinen Ausflug in die neuere Literatur. Aber diesmal sind wir wieder bei den Brüdern gelandet und haben ein Märchen gewählt, das zwar jeder vom Titel kennt, aber kaum jemand weiß, worum es darin eigentlich geht. Für mich ist das so ein klassisches Märchen, weil es da um ein Königshaus und die Prinzessin geht und um einen Prinzen, der auch König wird. Letztendlich ist es eine Liebesgeschichte. Wenn man dieses Märchen liest, fragt man sich: Geht denn das heute noch alles so? Denn die Prinzessin wird als zickig und oberflächlich dargestellt.
Den Gehalt an die moderne Gedankenwelt anpassen
Frage: Ja. Das Original hat wie viele Märchen auch eine Aussage, die aus der Zeit gefallen scheint – die zickige Tochter, die heiraten soll. Wie siehst du das? Muss so etwas bleiben als Original oder sollte man das an die Zeit adaptieren?
Mildner: Ich bin schon ein Fan davon, dass man das ursprüngliche Märchen erkennt. Das auf jeden Fall. Aber ich will es natürlich interpretieren, denn beim Lesen frage ich mich: Was ist denn passiert zwischen dem König und der Prinzessin? Warum ist der König so hart und warum reagiert die Prinzessin so abweisend? Ich kann das doch nicht einfach so annehmen. Nur weil die Brüder Grimm das so aufgeschrieben haben, kann ich doch heute nicht einfach sagen: Ja, die Prinzessin ist zickig, überheblich und arrogant, wie schrecklich. Aber warum ist sie so? Das muss ich mich fragen – und auch: Warum ist der König, der Vater so? Auch der Prinz, der König Drosselbart, verhält sich ja schäbig. Warum ist der so? Bei der Interpretation habe ich das Stück natürlich an die heutige Gedankenwelt angepasst. Aber nicht die Inszenierung selbst: Bei den Kostümen und dem Bühnenbild ist es das klassische Märchen mit Lust auf Glitzer und schönen Kleidern. Die Kronen sind vorhanden und die schönen Stoffe: Das Stück ist was fürs Auge in diesem Jahr. Und was fürs Herz, denn letztendlich ist es eine Liebesgeschichte. Gerade in dieser Zeit brauchen wir mal eine Auszeit, in der es einfach mal nur um etwas Schönes geht.
Viele Menschen sorgen für den Erfolg
Das Alsfelder Wintermärchen ist jedes Jahr bislang erfolgreich aufgeführt worden. Was glaubst du, worin der Erfolg liegt?
Ich weiß es, ehrlich gesagt, nicht so genau. Die gute Resonanz, mit der das Märchen mittlerweile angenommen wird, nehme ich mit Erstaunen und Dankbarkeit wahr. Da sind viele Erwachsene, die auch ohne kleine Kinder in die Vorstellungen kommen, wohl weil sie wissen, sie erleben da zwei Stunden eine schöne Zeit. Sie wissen ja auch, wer das macht. Das bin ja nicht nur ich, sondern die Leute wissen, dass es tolle Kostüme von der Ruth Henkel gibt, dass Inge Zuschlag ein tolles Bühnenbild schafft, dass die Jenny Wagner mit mir einen tollen Job macht und Dirk Lindemann für tolle Musik sorgt. Letztlich all die Schauspieler, die zwar immer wieder wechseln, aber doch mit großem Herzblut und einem professionellen Ansatz dabei sind.
Das Wintermärchen läuft schon viele Jahre, und es gibt Wechsel in der Besetzung. Gibt es damit auch mal ernsthafte Schwierigkeiten, Nachwuchs zu finden?
Also, unser Protagonist, der den König Drosselbart (Johann Kraus) spielt, macht nächstes Jahr Abitur, und er hat mir gesagt, dass er sich freut, mit der Schule fertig zu sein und in die Welt ziehen zu können. Aber er sei doch traurig, dass er nächstes Jahr nicht mehr dabei ist. Er ist seit 2017 dabei, also auch schon wieder sieben Jahre, eine lange Zeit. Vor zwei oder drei Jahren hatten wir mal einen großen Einbruch, weil so viele aufgehört haben, und ich fürchte, dass das jetzt auch wieder passieren wird.
Wie Nachwuchs vom Schauspiel profitiert
Du wünschst dir also Nachwuchs für das nächste Jahr?
Ja, es wäre toll, wenn wir Nachwuchs finden. Das müssen gar nicht mal die ganz Kleinen sein, sondern ich suche immer wieder auch gerne Jugendliche und junge Erwachsene, die Lust haben, das Schauspiel einmal zu probieren.
Von der Albert-Schweitzer-Schule war der Kurs Darstellendes Spiel bei einer Probe dabei. Ist von der Seite vielleicht etwas zu erwarten?
Möglicherweise, wobei das tatsächlich auch eine 13. Klasse war. Das waren Jahrgangskollegen vom Johann, und die werden natürlich jetzt auch alle gehen. Es müsste also in der Mittelstufe oder jüngere Oberstufe anfangen, dass Jugendliche zu uns kommen. Vielleicht haben wir ja etwas die Neugierde geweckt.
Das Darstellende Spiel an der Schule hat ja einen pädagogischen Hintergrund, der etwas mit Persönlichkeitsbildung zu tun hat. Wie viel hilft Schauspiel bei der Stärkung einer Persönlichkeit? Was sagt die erfahrene Schauspielerin dazu?
Die Idee, darstellendes Spiel an der Schule anzubieten, finde ich ganz, ganz wichtig, und ich hoffe, das bleibt dabei. Zu meiner Zeit gab es das leider noch nicht. Es geht dabei nicht nur darum, den Mut zu haben, auf der Bühne etwas zu performen, sondern auch darum, die Sache durchzuziehen. Man erlernt dadurch auch unheimlich viel Disziplin, und ich entwickelt ein Bewusstsein für meinen Körper und meine Stimme.
Wenn da der Mut ist, überhaupt auf die Bühne zu gehen…
Der Mut zur Bühne muss natürlich da sein, aber manchmal entwickelt sich das auch. In der Marktspielgruppe hatten wir immer mal Schauspielerinnen und Schauspieler, die ein Problem mit der Stimme hatten, die gestottert haben oder zu leise gesprochen haben und die im Privaten eher zurückhaltend sind. Die haben sich mit den Jahren zu starken Persönlichkeiten auf der Bühne entwickelt. Das war und ist toll zu beobachten.
Die Aufführungen
Reguläre Vorstellungstermine in der Alsfelder Stadthalle sind Sonntag, 15. Dezember um 15 Uhr, Sonntag, 22. Dezember um 11 Uhr, Freitag, 27. Dezember um 15 Uhr und Samstag, 28. Dezember um 15 Uhr. Die Karten gibt es im Buchladen Lesenswert von Johanna Mildner zu kaufen. Unterstützt wird die Aufführung auch in diesem Jahr wieder durch das Bundesförderungsprogramm „Demokratie leben“, das sich unter anderem für eine lebendige Zivilgesellschaft einsetzt.
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