Das Leben als Zahlenstrahl aus selbstgestrickten SockenImprovisationstheater „Ewig und 3 Tage“ begeistert im Güterbahnhof
ALSFELD/VOGELSBERG (ol). Die Tabutanten, ein Duo aus den Impro-Schauspielerinnen Christine G. Holzer und Simone Schmitt, präsentierten im Alsfelder Güterbahnhof ihr neues Programm „Ewig und 3 Tage“. Mit einem Mix aus Humor und Tiefgang brachten sie das Publikum zum Lachen und regten zum Nachdenken über die Themen Sterben und Unendlichkeit an, unterstützt von der Lichtermeerstiftung und den Vogelsberger Hospizvereinen.
Zum dritten Mal konnte Tanja Bohn von der Lichtermeerstiftung laut einer Pressemitteilung Ende November die Tabutanten im Vogelsberg begrüßen. Mitgebracht hatten die beiden Impro-Schauspielerinnen Christine G. Holzer und Simone Schmitt ihr neues Programm „Ewig und 3 Tage“, das sich nicht nur der Ewigkeit, sondern auch der Endlichkeit widmet.
Und genau darum geht es der Lichtermeerstiftung, die gemeinsam mit den beiden Vogelsberger Hospizvereinen aus Alsfeld und Lauterbach zu dem Abend eingeladen hatte: „Wir möchten das Thema Sterben und Trauer aus der Tabuzone holen, da es jeden betrifft, und es sehr beruhigend sein kann, wenn man sich frühzeitig damit auseinandersetzt“, sagte Tanja Bohn zur Begrüßung. Außerdem sei es wichtig, die Institutionen zu kennen, die im Vogelsberg Hilfe anbieten – auch dazu seien Abende wie dieser hilfreich. Zu dieser Gelegenheit sollte im vollbesetzten Güterbahnhof über diese Themen gelacht werden, und wer die Tabutanten schon einmal erlebt hatte, hatte keine Zweifel an dieser Mission.
Doch: Ihr Drehbuch sei noch weiß, erklärten Christine G. Holzer und Simone Schmitt ihrem erwartungsvollen Publikum das Improvisationstheater, dessen Planlosigkeit auch Fülle bedeute und Leichtigkeit, da man zu nichts verpflichtet sei. Um in Fahrt zu kommen, sammelten die Schauspielerinnen „Futter für ihre Szenerie“, Begriffe, die sich im Lauf des Abends in vielen Szenen wiederfinden würden. Was bedeutet Leben für die Alsfelder, was die Ewigkeit, was dauert zu lange, was sollte lange dauern? Gibt es in Alsfeld ein Lebensmotto, und was sagen sich die Alsfelder eigentlich morgens vorm Spiegel? Viele Stichworte prasselten auf die Bühne und wurden auf dem Flipchart festgehalten, interessante Ansichten und viel Potenzial für die Szenen rund um die Ewigkeit.
„Was soll ich eigentlich den ganzen Tag, die ganze Zeit, machen, wenn ich nach dem Tod in der Unendlichkeit angekommen bin? Was will ich von der Unendlichkeit und was will sie von mir?“ Fragen einer fiktiven Therapiestunde, die man weiterdenken kann, zumal die Alsfelder zuvor fast unisono kundgetan hatten, auf eine hypothetische Tablette, die das Leben ab sofort für ewig weiterführen lassen könnte, verzichten zu wollen. Nebenbei nahmen sich die beiden Schauspielerinnen auch Weihnachten zur Brust: Eine Zeit, vor der alle Angst hätten, besonders die Frauen, die die ganze Last zu tragen und durchzuhalten hätten, während die Männer getreu ihrem zuvor offenbarten Lebensmotto „Ahle Wurscht“ ungestört vor sich hinlebten. Am Ende dieser Szene würde die Therapeutin sich bei ihrer Klientin zu Weihnachten einladen, Himmel und Erde essen und auf die eigene Familie pfeifen.
Die nächste Szene entwickelte eine Lebensreise: Claudius, 27, plant seinen Segeltörn, reist nach Kroatien, wird Vater, wird älter, schreibt seine Stationen auf – doch irgendwann bleiben die Seiten leer. Claudius ist tot und muss sich im Himmel zurechtfinden, wo eine rheinische Frohnatur namens Rebekka sich seiner annimmt. Während er sich den Himmel eher so „weiß und ruhig“ vorgestellt hatte, stellt er fest, dass der Vorstand wohl ein Metzger aus Alsfeld ist, denn es gibt Wurst ohne Ende, die aufgrund ihrer runden Gestalt Anfang und Ende symbolisiert. Claudius blickt auf seine Beerdigung und wünscht, er hätte das ein oder andere vorbereitet. Aber das hat er nicht, da Sterben ja immer nur die anderen betrifft. Außerdem ist es furchtbar langweilig im Himmel: Claudius hat nichts zu tun: „Der Himmel kann die Hölle sein!“
Aus den vorgehenden Auftritten dürfte vielen Wiederholungsbesuchern die Therapeutin Hedwig aus Aschaffenburg bekannt gewesen sein. Sie sinnierte über die bahnbrechende Bedeutung von selbstgestrickten Socken in allen Lebenslagen – Socken an Gebärenden und an Babyfüßen, Socken im Bett und auf der Couch, wenn der erste Liebessturm vorüber ist, Socken auf dem Sterbebett. „Das Leben ist ein Zahlenstrahl aus selbstgestrickten Socken“, lautete das Fazit, jede Masche eine liegende Acht, ein Zeichen für die Unendlichkeit!
Auf den Alsfelder Friedhof auf dem Frauenberg begaben sich die Schauspielerinnen in der nächsten Szene: Dort steht Hildegard am Grab ihres Mannes, einen Flachmann dabei und sauer darüber, dass er sie alleingelassen hat. Ein kleiner Mistkäfer wendet sich an sie und bringt ihr Grüße von ihrem Gerd – liegt es vielleicht am Alkohol? Keineswegs, und Hildegard teilt mit dem Botschafter aus dem Jenseits ihren Frust und ihre Bockigkeit darüber, dass sie jetzt allein zurechtkommen, aber wenigstens den Whisky nicht mehr teilen muss. In Wirklichkeit vermisst sie auch das, was sie an ihm genervt hat – das morgendliche Verstecken hinter der Zeitung, die sie aufgehoben hat, genauso wie die stinkende ahle Worscht. Nebenbei entwickeln Hildegard und der Käfer noch ein neues Angebot für die Trauergruppe: „Witwe sucht Witwer“ – mit Tanz, eine Szene mit Potenzial!
Die Sammlung aus Alsfelder letzten Wünschen – eine durchtanzte Nacht mit Wein und dem Herzensmenschen, den Sonnenaufgang sehen, sexy auf der Pirsch sein mit Salzekuchen – sorgte noch einmal für diese besondere Mischung aus Tiefe und schallendem Gelächter, für die die Tabutanten bekannt sind. Mit ihrer Dänisch- Performance über das, was wirklich glücklich macht – unter anderem Salzekuchen sowie Himmel und Erde – rissen Christine G. Holzer und Simone Schmitt ihr Publikum ein letztes Mal von den Stühlen. Und sie gaben ihnen ein Mantra mit auf den Weg, nicht nur zur Weihnachtszeit: „Ich bin schön!“ Das hatten sie zuvor aus dem Publikum aufgeschnappt und ließen es gerne in Alsfeld zurück. Am besten für Ewig und 3 Tage.
Schreibe einen Kommentar
Bitte logge Dich ein, um als registrierter Leser zu kommentieren.
Einloggen Anonym kommentieren