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Historische und behördliche Uneinigkeit über Gewässernamen in der Vogelsberg-RegionNamensverwirrung um die Antrift: Wo fließt die Antreff wirklich?

ANTRIFTTAL (ol). Eine Unterscheidung zwischen den Gewässernamen „Antreff“ und „Antrift“ sorgt für Verwirrung in der Vogelsberg-Region. Während amtliche Karten das Gewässer durchgängig als „Antreff“ bezeichnen, sind lokale Schilder und historische Referenzen teilweise anders. Behörden und Kartenwerke sind sich uneinig, was zur Namens-Divergenz beiträgt.

Wer Angenrod auf der B 62 durchfährt, dem wird an der zurzeit in der Erneuerung befindlichen Straßenbrücke mit einem braun gehaltenen Hinweisschild signalisiert, dass er hier die „Antrift“ überquert. Nur einige hundert Meter unterhalb liegt auch der seit 1981 bestehende Antrift-Stausee und dort beginnt auch die Ortsgrenze der Gemeinde Antrifttal, denen die Ortsteile Seibelsdorf, Ruhlkirchen, Bernsburg, Ohmes und Vockenrod zugehören. Die ersten drei Ortsteile werden, wie auch Angenrod, von der Antrift durchflossen. Unterhalb von Bernsburg – an der Grenze des Vogelsbergkreises zum Schwalm-Eder-Kreis ab Willingshausen – trägt der Bach jedoch laut amtlichen topografischen Karten bis zur Mündung bei Zella in die Schwalm den Namen „Antreff“, berichtet Dr. Ingfried Stahl in einer Pressemitteilung.

Nach der Kommunalgebietsreform 1971 bildeten in dieser Region auch Willingshausen, Merzhausen und Zella kurzzeitig die Gemeinde  Antrefftal, wurden dann aber wegen zu geringer Einwohnerzahl Anfang 1974 kraft Landesgesetz in die neu geschaffene Gemeinde Willingshausen im Schwalm-Eder-Kreis integriert, wie es heißt.

Heute schon Standard geworden bei geographischen Studien und Recherchen ist allerdings die digitale Version unter Nutzung von Google maps oder earth. Und schaut man hier etwas genauer auf die Fließgewässernamen „Antreff“ beziehungsweise „Antrift“ und wem diese Bezeichnungen zugeordnet werden, so stellt man fest, dass die „Antrift“ lediglich ein etwa 800 Meter langer Gewässerabschnitt oberhalb des Strauchteiches bei Ober-Breidenbach ist und als kleines Rinnsal dann in die bereits vom Bildsteinkopf südlich von Windhausen herunterfließende „Antreff“ mündet, so der Dorfhistoriker weiter.

Die Gewässerbezeichnung „Antreff“ anstelle von „Antrift“ wird auch in den neueren kartographischen Werken verwendet. So auch in der topographischen Karte 5321 Storndorf aus dem Jahr 2021. Diese wurde dem Verfasser auf seine Anfrage bei der Hessischen Verwaltung für Bodenmanagement und Geoinformation (HVBG) kostenlos zugesandt, verbunden mit dem Hinweis, sich zwecks konkreteren Informationen zur Namen-Divergenz  an das Hessische Landesamt für Naturschutz, Umwelt und Geologie (HLNUG) (Wiesbaden-Biebrich) zu wenden.

Nach Vorort-Besuch des Landesamts am Rhein erhielt Stahl dann kurze Zeit darauf von Sachbearbeiter des Dezernats W 3 – Hydrologie und Hochwasserschutz, Diplom-Geograph Dirk Bastian (Dezernat W 3 des HLNUG) eine detaillierte E-Mail zum aktuellen Stand der Gewässerbezeichnungen „Antreff“ beziehungsweise „Antrift“.

Demnach entspringe die „Antreff“ nach den Daten des HLNUG am Beginn der Gewässerlinie bei der Koordinate 515904 und besitze die LAWA-konforme Gewässerkennziffer 42882. „Die „Antrift“ hingegen ist nach unseren Daten ein sehr kurzes Nebengewässer der „Antreff“, entspringt bei den Koordinaten 516538/5611589 (Koordinatensystem ETRS89 UTM Zone 32N) und besitzt die LAWA-konforme Gewässerkennziffer 428821116″, so Bastian.

„Der Verlauf unserer Gewässerlinien, und somit auch die Lage der Quellen als Beginn dieser Linien, wie auch die Gewässerbezeichnungen, geht/gehen zum großen Teil auf die Übernahme einer relativ frühen Version der Gewässerlinien des Hessischen Landesamtes für Bodenmanagement und Geoinformation (kurz HLBG, früher Landesvermessungsamt) zur Mitte der 1990er Jahre zurück. Damals wurden die sogenannten ATKIS-Daten an den deutschen Landesvermessungsämtern aufgebaut, die bis heute in vielfach weitergeführter Form die Grundlage fast aller offiziellen Kartenwerke darstellen“, erläutert Bastian weiter.

„Nach der Übergabe dieser Gewässerdaten an unser Amt wurden diese Daten nach hydrologischen (und weniger kartographischen) Kriterien bei uns weitergeführt und ausgebaut. Dies hat mit dem heutigen Stand zu einem topologisch annähernd lückenlosen digitalen Gewässernetz in Hessen geführt, welches eine Vielzahl hydrologischer Attribute aufweist. Dagegen wurde auch am HLBG das dortige digitale Gewässernetz parallel weitergeführt, allerdings mit einem Schwerpunkt auf die kartographische Genauigkeit. Leider haben sich die beiden Gewässernetze inzwischen so stark auseinander entwickelt, dass eine Vereinheitlichung nicht mit den momentanen personellen Kapazitäten leistbar ist (ähnlich verhält es sich übrigens auch in anderen Bundesländern). Dennoch etablieren wir laufend Änderungen an unserem Gewässernetz, die dann in 4-5 jährigen Intervallen veröffentlicht werden (bzw. zum Austausch unserer Gewässerlinien in den landeseigenen Karten-Viewern führen)“, so Bastian.

„In unseren Daten hat die „Antreff“ von der Quelle bis zur Mündung in die „Schwalm“ nur diese eine Bezeichnung. Aus unserer Sicht handelt es sich stets um das gleiche Gewässer, welches mit stets der gleichen LAWA-konformen Gewässerkennziffer 42882 dokumentiert ist. Häufig haben unsere Gewässer dann noch gleichzeitig für einen oder mehrere Gewässerabschnitte je einen Abschnittsnamen. Diese Abschnittsnamen stellen für Ortsansässige meist eine viel größere Identifikation dar als der Gesamtname des Gewässers, da der Gesamtname – also der Gewässername – normalerweise der Name ist, den das Gewässer an seiner Mündung trägt. Gerade bei längeren Gewässern kann dieser Gewässername  für Anwohner des Oberlaufs für ihr Gewässer völlig fremd wirken. In Karten wird aber trotzdem leider in der Regel nur der Gewässername und nicht der Abschnittsname dargestellt. Eventuell wollen wir das in Zukunft in unseren Karten umstellen“, erläutert Bastian weiter.

„Im Fall der  „Antreff“ kann ich jedoch in unseren Daten keinen einzigen zusätzlichen Abschnittsnamen entdecken. Lediglich im Bereich der Ortschaft Ruhlkirchen gibt es einen parallelen Gewässerlauf von circa 600 Meter Länge (wahrscheinlich ein Mühlgraben), welcher den Gewässernamen „Antrift“ und die Kennziffer 428825992 besitzt. Darüber hinaus heißt die weiter südlich befindliche Talsperre nicht „Antrefftalsperre“ sondern „Antrifttalsperre““, so Bastian.

Bastian, gehe davon aus, dass, da beide Bezeichnungen ziemlich ähnlich seien, historisch und /oder regional teilweise „Antreff“ oder „Antrift“ genannt wurden oder werden, auch wenn das in den Daten des HLNUG so nicht erkannt werden könne. Ergänzend zu diesen Ausführungen wird vom HLNUG mitgeteilt, „dass es in Einzelfällen immer wieder zu Namensänderungen der Gewässerlinien im digitalen Gewässernetz kommen kann. Initiiert werden diese Änderungen meist von Orts- und Sachkundigen bei der Gemeinde- oder Kreisverwaltung. In besonderen Fällen werden solche Namensänderungen auch von örtlichen Heimatvereinen und ähnlichem an uns herangetragen. Die jeweils vorgeschlagene Namensänderung wird dann vom HLNUG geprüft und im Falle der Annahme dann in der nächsten Gesamtaktualisierung, die alle vier bis fünf Jahre erfolgt, eingebracht.“

Zieht man für die Gewässerbezeichnung Antreff das Standard-Werk „Deutsches Gewässernamenbuch“ von Albrecht Greule und erschienen 2014 im De Gruyter-Verlag zu Rate,  so liest man „… entspringt im Vogelsberg, im Oberlauf Antrift, mündet bei Loshausen.“ Und weiter: „Die Bestimmung des Grundworts Antr-, voralthochdeutsch Andr-ist schwierig: Vermutlich entspricht es, um ein r-Suffix erweitert, als Lehnname dem vermutlich keltischen Basiselement in And- (Grundbedeutung: hervorkommen, hervorsprudeln in Entle (vorgermanisch Andila).  Die Antrift/Antreff sprudelt gleichsam aus dem Vogelsberg hervor, wo sie auf 430 Metern Höhe entspringt. Die Namensform Antrift ist eine späte Eindeutschung „an der Trift“.“

In historischen Landkarten für unsere engere Region werde die Namensbezeichnung „Antrift“ für den Oberlauf des Gewässers auch nicht durchgehend verwendet. So ist der Bach sowohl in einer Karte des Amtes Romrod aus dem Jahr 1663 (HStAD, P 1, Nr. 1094) als auch in einer des Kurfürstentums Hessen von 1840 bis 1861, hier Angenrod noch als „Angerod“ angegeben, als „Die Antref“ beziehungsweise „Antreff Fl“ eingetragen.

Die Gewässer-Namens-Schilder an Gewässerübergängen (Verkehrszeichen 386.1-53  geben einen touristischen Hinweis auf Fluss oder Kanal. Es sind rechteckige Richtzeichen in braun mit weißem Rand und weißer Beschriftung. Oben zeigen sie den Namen des jeweiligen Flusses oder Kanals, darunter eine Wellenlinie als Wasser-Symbol. Die genaue Ausführung folgt den Richtlinien für die touristische Beschilderung (RtB). Diese Zeichen richten sich demgemäß an den ortsfremden touristischen Verkehr auf öffentlichen Straßen. Sie werden außerhalb von Autobahnen verwendet und sollen, um die Wirkung anderer Verkehrszeichen nicht zu schmälern, nur sparsam eingesetzt werden, heißt es.

Unübersehbar befinden sich auch in Angenrod an beiden Seiten der historischen 1818 gebauten Sandstein-Bogenbrücke über den Bach seit gut zwei Jahrzehnten diese touristischen Schilder mit der Gewässern-Namen-Inschrift „Antrift“.

Auf Anfrage Stahls bei der Verkehrsbehörde des Vogelsbergkreises in Lauterbach teilte Sachgebietsleiter Kevin Alles (Amt für Ordnungs- und Straßenverkehrsangelegenheiten, Allgemeines Verkehrsrecht) mit, bezüglich der Aufstellung des Hinweisschildes sei am 04. Dezember 2001 eine Anordnung seitens des Vogelsbergkreises gegenüber dem Baulastträger erteilt worden. Wann das Schild tatsächlich aufgestellt worden sei, lasse sich nicht mehr nachvollziehen.

Die Anordnung habe folgenden Wortlaut: „Im Zuge der B 62 in Alsfeld-Angenrod ist an der Brücke über die Antrift aus beiden Fahrtrichtungen jeweils das Z 386-53 „Antrift“ StVO anzubringen.“ Aufgrund der Zuständigkeit wurden dann diese Schilder von Hessen Mobil – Straßen- und Verkehrsmanagement – an der Brücke angebracht, wie es heißt. Sie seien zurzeit wegen der Ausbesserungsarbeiten an der B 62-Brücke temporär zur Seite gelegt worden.

Ergänzende Angaben machte hierzu nach einem Vorort-Besuch von Stahl in Schotten auch Cornelia Höhl (Presse- und Öffentlichkeitsarbeit Mittelhessen) von Hessen Mobil (Straßen-  und Verkehrsmanagement, Schotten). Die Sachgebietsleiterin bestätigte auch, dass Hessen Mobil, nachdem die Entscheidung für alle verkehrsbehördlichen Maßnahmen immer auf Grundlage der gültigen Rechtsvorschriften federführend von der Verkehrsbehörde getroffen werde, abschließend die Aufgabe habe, die straßenverkehrsbehördlichen Entscheidung durch die Anbringung der angeordneten Verkehrszeichen und Verkehrseinrichtungen vor Ort umzusetzen.

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