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Anzeichen emotionaler Vernachlässigung erkennen und handelnHessenweiter Zulauf für Fachtag des Hauses am Kirschberg zum Thema „Emotionale Vernachlässigung in der frühen Kindheit“

LAUTERBACH (ol). Beim Fachtag der Landesarbeitsgemeinschaft hessischer Mutter-Vater-Kind-Einrichtungen wurde kürzlich über das Thema der emotionalen Vernachlässigung in der frühen Kindheit informiert. Experten wiesen auf die Schwierigkeiten der Erkennung und die möglichen Folgen hin, während Fachkräfte lernen sollten, Anzeichen frühzeitig zu erkennen und entsprechend zu handeln.

Sie beschäftigen sich mit Kindern, die in hohem Maß vernachlässigt werden: Fachkräfte in Mutter-Vater-Kind-Einrichtungen stehen damit oft vor großen Aufgaben, denn es gilt nicht nur, Vernachlässigung zu erkennen, sondern diese auch zu benennen und mit den Beteiligten ins Reden und Handeln zu kommen. Zum Thema emotionale Vernachlässigung in der frühen Kindheit fand nun ein Fachtag der Landesarbeitsgemeinschaft (LAG) hessischer Mutter-Vater-Kind-Einrichtungen in der Aula der Sparkasse in Lauterbach statt, so berichtet die Einrichtung Haus a Kirschberg in einer Pressemitteilung.

Durchgeführt und organisiert wurde er vom Team des Hauses am Kirschberg, das seit mehr als fünfzig Jahren eine wichtige Rolle im Bereich der Mutter-Vater-Kind-Einrichtungen spielt – nicht nur in der Region, sondern bundesweit. Als Referentin konnte Stefanie Schmidt gewonnen werden. Angesichts der Tragweite dieses Themas sprach sie von den „Vernachlässigten der Vernachlässigten“. Konkret ging es dabei um die vielen Gesichter der Vernachlässigung, ihre Gründe und ihre Auswirkungen, aber auch Strategien zum Umgang damit. Steffanie Stehling, Pädagogische Bereichsleitung Mutter-Vater-Kind Arbeit im Haus am Kirschberg, hatte selbst Ort und Thema in die LAG Hessen eingebracht: „Wir haben in unseren Arbeitsbereichen gemerkt, welche Bedeutung die Frage nach der emotionalen Vernachlässigung hat, und die Resonanz von Einrichtungen aus ganz Hessen zeigt, dass dieses Thema auf großes Interesse stößt.“ Mehr als 130 Fachkräfte von Trägern von Mutter-Vater-Kind-Einrichtungen hatten sich auf den Weg gemacht. Uta Basting, die Vorsitzende der LAG, begrüßte diese in Lauterbach und dankte dem Haus am Kirschberg für die Organisation. Der Fachtag berge die Chancen für Fachkräfte zur Sensibilisierung der Erkennung früher Anzeichen, führte die Vorsitzende aus: Harte Zahlen, Daten und Fakten stünden neben vielen praktischen Themen und Studien. Im Fokus seien aber auch Mitarbeiterschutz und Elternarbeit.

Mit Stefanie Schmidt hatte Stehling eine Referentin gewonnen, die als Psychologin und Koordinatorin im Albert-Schweitzer-Kinderdorf Hessen e.V. und der dort angegliederten Weiterbildungseinrichtung Connect als Referentin und Mentorin tätig ist. Sie hatte umfangreiche Informationen, praktische Übungen und nachhaltiges Wissen mitgebracht, das sie im Lauf des Fachtages vermittelte.

So stellte sie emotionale Vernachlässigung ganz konkret als ein Element der Kindeswohlgefährdung dar. Anders als bei anderen Gefährdungen falle hier das Erkennen schwerer: Deutliche Anzeichen auszumachen und anzusprechen erfordere viel fachliche Expertise. Obwohl heute deutlich mehr Fälle von emotionaler Vernachlässigung bekannt würden, gebe es dennoch eine sehr große Dunkelziffer, sagte die Referentin. Oft könne man Emotionale Vernachlässigung und psychische Vernachlässigung nicht genau unterscheiden; Verhaltensauffälligkeiten bei Kindern sollten daher von pädagogischen Fachkräften in Krippen, Kitas, Schulen und von Mitarbeitenden der Frühen Hilfen erkannt und ernstgenommen werden. „Die Hoffnung ist: früh erkennen, früh einsteigen, früh helfen“, so Schmidt, die auch darauf hinwies, dass die Folgen der Emotionalen Vernachlässigung häufig erst später auftreten würden. „Wir gehen davon aus, dass mehr als jedes zehnte Kind von dieser Art der Vernachlässigung betroffen ist.“

Unter anderem ging die Referentin auf Risikofaktoren ein, die zu Vernachlässigung führen können: Armut, psychische Erkrankungen oder Suchterkrankung und eigene negative Bindungserfahrungen der Eltern gehörten dazu. Allerdings betonte sie, dass emotionale Vernachlässigung kein Problem von bestimmten Gesellschaftsschichten ist: „Zu hohe Erwartungen, Druck, Kaltherzigkeit und inadäquates Reagieren auf die Bedürfnisse eines Kindes findet man auch bei Familien, die auf den ersten Blick alles haben. Doch solche Verhaltensweisen können ebenfalls zur emotionalen Vernachlässigung führen.“

In einer ersten Arbeitseinheit des Tages ging es darum, Definitionen für emotionale Vernachlässigung zu finden. Die anwesenden Fachkräfte konnten aus ihren eigenen Erfahrungen berichten, die Beiträge waren sehr zahlreich und zeigten eine große Bereitschaft, sich mit diesem wichtigen und schwierigen Thema zum Wohl der betroffenen Kinder auseinanderzusetzen, hieß es.

Eine sinnbildliche Interaktions-Übung mit einem Ball, der zwischen Elternteil und Kind hin und her geworfen wird, verdeutlichte, wie unterschiedlich Interaktion zwischen Kind und Elternteil seien können. Wird ein vom Kind geworfener Ball vom Elternteil aufgefangen oder prallt er ab? Wie wird der Ball an das Kind zurückgeworfen? Einen Ball könne man weich und wohlwollend, aber auch fest und zornig zurückwerfen oder vielleicht auch gar nicht.

Anhand weiterer Beispiele wurden viele Themen, mit Fokus Eltern-Kind-Arbeit deutlich: Was braucht ein Kind von seinen Eltern, um sich emotional gesund entwickeln zu können und was passiert, wenn Eltern dies nicht wahrnehmen können oder wollen? Wie begegnet eine Fachkraft Eltern und Kindern? Wie weit muss sie sich auf die Situation einlassen und an welchen Stellen sollte sie sich abgrenzen?

Ein weiteres Themenfeld des Fachtages war, den Blick der Fachkräfte auf Anzeichen von emotionaler Vernachlässigung von Kindern durch Eltern zu schärfen. „Gutes Handwerkszeug ist für uns für die Eltern-Kind-Arbeit ganz besonders wichtig.“ Netzwerkarbeit, interdisziplinärer und kollegialer Austausch erleichtern die konkrete Einschätzung von emotionaler Vernachlässigung. Daher ist es wichtig sich gut zu vernetzen, erklärt Steffanie Stehling. Birgit Lotz, Teamleitung der stationären Clearingstelle, betont: „Gibt es Anzeichen für emotionale Vernachlässigung, ist die Aufgabe von uns als Fachkräften, diese Anzeichen und schwierigen Situationen bei den Eltern anzusprechen. Gemeinsam mit ihnen werden mögliche Handlungsalternativen besprochen und im Verlauf reflektiert.“

Fachkräfte sollten daher auf ihr Wissen, ihr Gefühl und ihr Netzwerk vertrauen. „Es ist daher unglaublich wichtig, interdisziplinäre Gespräche zu führen, ein Anliegen, das die Politik bisher nicht genügend im Blick hat“, berichtet Stehling. Teilweise beteiligen sich Fachkräfte wie Lehrpersonen, Ärzte oder Erzieherinnen unentgeltlich an solchen Gesprächen.

Die Fachkräfte jedenfalls seien willens, sich mit Blick auf das Kindeswohl stets weiteres Wissen anzueignen, ihre Netzwerke zu pflegen und über den eigenen Tellerrand zu schauen. Der intensive Fachtag in Lauterbach habe ihnen dazu viele Möglichkeiten und Anstöße vermitteln.

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