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Auf Räubers SpurenHistoriker Dr. Sascha Reif enthüllt Bandenkriminalität im Vogelsberg vor 200 Jahren

GEMÜNDEN (ol). Bei einem Vortrag in Burg-Gemünden referierte Historiker Dr. Sascha Reif kürzlich über die Bandenkriminalität im Vogelsberg vor rund 200 Jahren. Er erzählte spannende Geschichten über Räuberbanden und den historischen Kontext dieser Verbrechen.

„Auf Räubers Spuren – Bandenkriminalität vor rund 200 Jahren im Vogelsberg“, war das sehr interessante Thema des Vortrages von Historiker Dr. Sascha Reif, zu dem die Vereinsgemeinschaft 750 Jahre Burg-Gemünden e.V. laut einer Pressemitteilung am vergangenen Freitag ins Dorfgemeinschaftshaus in Burg-Gemünden eingeladen hatte.

Zu den markanten Geschichten um die Burg in Burg-Gemünden im Laufe der Jahrhunderte gehöre auch, dass dort zumindest in der Zeit, als Räuberbanden in Oberhessen ihr Unwesen trieben, zeitweise Verbrecher eingekerkert worden seien, als Durchgangshaft oder Untersuchungshaft, wie man heute sagen würde, so  Fördervereinsvorstandsmitglied Roland Albert. Durch Zufall war Fördervereinsvorstandsmitglied Ulrich Kratz im Rahmen der Vorbereitungen für die 750-Jahrfeier in Burg-Gemünden im kommenden Jahr darauf gestoßen, dass ein Vorfahre von ihm selbst einst Opfer eines solchen Überfalles gewesen sei.

Zum geschichtlichen Kontext darüber und wie es Anfang des 19. Jahrhunderts politisch in der Gegend um Burg-Gemünden ausgesehen habe und vor allem auch über die „Vogelsberger Bande“,  darüber wusste Dr. Sascha Reif in seinem Vortrag  Spannendes zu berichten.

„Bande“ sei damals eigentlich eher eine Bezeichnung der Polizei gewesen, selber hätten sich die Räuber eher „Kamerusch“ (Kameradschaft/Chawrouse) genannt, so Reif. Die Zeit zwischen 1780 und 1825 sei wohl die Blütezeit der Räuberbanden im Vogelsberg gewesen. Das Wichtigste bei so einem Thema sei die Frage: „Wo kam diese Kriminalität, oder was immer damit in Verbindung gebracht  wird, damals her?“ Heute sei einem das fremd, aber im 18. und 19. Jahrhundert sei ein Leben auf der Straße durchaus nichts Ungewöhnliches gewesen. Man schätze, so Dr. Reif, dass damals rund fünf bis zehn Prozent der Bevölkerung keinen Wohnsitz hatten. Bezogen auf Hessen könne man dabei von  einer Zahl von dreihundert- bis fünfhunderttausend Menschen ausgehen. Man spreche da von „vagierenden Unterschieden“, von Menschen, die aus unterschiedlichen Gründen ihren Wohnsitz verloren hatten und aus denen auch die Kriminellen gekommen seien.

Gründe dafür, so Dr. Reif, sind in ganz Hessen Zerstörungen und Plünderungen in und nach den Kriegszeiten, gekoppelt mit Nahrungsknappheit, einem Überangebot an Arbeitskräften auf dem Land, Teuerungen und Hungerkrisen gewesen. Als weitere gravierende Faktoren kam damals noch dazu, dass jemand sein Land und seinen Wohnsitz verlieren konnte. Gerade bei den kleinen Bauern habe auch schon eine Missernte dazu führen können, dass sie sich als Tagelöhner etwas dazuverdienen mussten und wenn das nicht klappte, dann sei der Weg auf die Straße ein kleiner Schritt gewesen. Wer keinen Wohnsitz mehr hatte, musste sehen, wie er klar kommt, so der Historiker. Irgendwie könne man, wenn den Menschen nichts mehr anderes übrig blieb, das Stehlen teilweise auch im weitesten Sinne als Mundraub betrachten. Damals hatten die Gießener Verfolgungsbehörden auch festgestellt, dass viele Einwohner oberhessischer Dörfer zumindest teilweise vom Diebstahl gelebt hätten.

Die Gäste erfuhren vom Schicksal von Jonas Hoos, Sohn eines angesehenen Bauern aus Reptich im nordhessischen Schwalm-Eder-Keis. Nach dem Tod der Mutter und erneuter Heirat seines Vaters, lief er im Alter von neun Jahren von zu Hause weg. Diente danach Fuhrleuten in einem Wirtshaus bei Jesberg, reiste durch ganz Deutschland und zog mit  der bekannten Gaunerin Angelika Krämer als Lumpensammler durchs Land. Er wurde  wegen Diebstahls zu acht Monaten Zuchthaus mit anschließendem Landesverweis verurteilt. Doch er konnte es nicht lassen. Nach 17 weiteren nachgewiesenen Diebstählen und Raubüberfällen wurde er im Juni 1812 in Gießen enthauptet, berichtet Reif.

Einen Rechtsstaat im heutigen Sinne gab es ja noch nicht, erst recht kein „soziales Netzwerk“. Missernten, Seuchen, Kriegswirren, aber auch rechtswidrige Übergriffe der „Obrigkeit“ konnten Menschen schnell entwurzeln und an den „Bettelstab“ bringen. Vor die Wahl gestellt, Hungers zu sterben oder sich als Räuber und Wegelagerer durchzuschlagen, sahen viele, trotz der Drohung vor drakonischer Strafen, wohl keinen anderen Ausweg. Obwohl im Laufe der Jahre in Bezug auf staatliche Zuständigkeiten einiges geändert worden war, nannte Dr. Reif es aber „einen unübersichtlichen Flickenteppich“ von verschiedenen Bereichen, Regierungsbezirken, was die Strafverfolgung in der Zeit anging. Man könne sagen, jeder Bezirk habe so seine eigene Justizregeln gehabt und  auch die Zuständigkeiten seien oft ziemlich ungeklärt gewesen.

Ein bekannter Fall sei ein Überfall auf einen Viehhändler im Frankfurter Bereich, als sich beispielsweise zwei benachbarte Bezirksämter so lange über die  Zuständigkeit stritten, dass dann schließlich gar keine Strafverfolgung mehr stattgefunden habe. Ebenso sei ein Vorfall bekannt, dass Täter, auf deren Kerbholz ein Überfall mit mehreren Verletzten ging, aufgrund der Zuständigkeitsstreitereien der Ämter ohne Strafe davonkamen, berichtet der Historiker.

Durchaus hätten  auch vorangegangene Kriege, auch wenn sie schon lange Zeit zurücklagen, zu viel Zerstörung im oberhessischen Bereich geführt, deren Folgen auch über hundert Jahre danach für die Bevölkerung noch spürbar gewesen seien.

Dr. Reif sprach auch von den Kriegen Napoleons in Hessen, die schwach ausgeprägte  staatliche Organe zur Folge hatten. Zu der Armut kam noch hinzu, dass Truppen aus Russland, Sachsen und Preußen verköstigt werden mussten und die damit einhergehenden Plünderungen ebenfalls eine große Belastung für die oberhessische Gegend darstellten und in der Zeit besonders zu Hungerjahren führten, heißt es. Als bevorzugte Beute nannte Dr. Reif vor allem Glocken, Altargegenstände, Stoffe, kupferne Waschkessel, Braukessel, Brenngeschirr für Branntwein, Lebensmittel und je nach Gelegenheit auch Eier, Hühner, Schafe, Bienen und Wäsche. Geld spielte damals noch  keine große Rolle bei den Raubzügen.

Armut, Krieg, politische Unsicherheit und die  handlungsunfähige Justiz begünstigten die Kriminalität in Oberhessen. Besitzlosigkeit, Vaganten- und Soldatentum waren zusätzliche Wege in das „Räuberleben“. Allein Im Vogelsberg hatte es 300 bis 350 vom Raub lebende Personen gegeben, als bekannte Mitglieder nannte Dr. Reif die „Vogelsberger Bande“ der alleine schon 160 Männer und Frauen angehörten.

Das Justizamt Burg-Gemünden sei Zentrum der Strafverfolgung in Oberhessen gewesen, auf Initiative von Pfarrer Münch und Amtmann Grolman wurde ab 1830 öffentlich eine Bürgergarde organisiert. Täter waren dann bis zu späteren Verhandlungen in Gießen und Marburg vor Ort in Arrestzellen untergebracht und in diesem Zusammenhang sei auch von spektakulären Fluchtversuchen die Rede gewesen.

Die Strafverfolgung habe sich besonders im Nachgang zu Napoleon geändert, Es wurde eine Polizei nach französischem Vorbild eingeführt und in sehr kurzer Zeit konnten auch vermehrt Diebstähle aufgeklärt werden. Diese politische Umwälzung habe sich auf jeden Fall ausgezeichnet.

Danke abschließend an Dr. Sascha Reif für den sehr interessanten Vortrag über Menschen und Vorfahren aus der bewegten Vergangenheit. Die Gäste hätten diesen mit Spannung verfolgt und zwischendurch Fragen gestellt. Gefreut hätte es zudem bei die Veranstalter, dass sich auch immer wieder die jüngere Generation für Vortragsthemen, zu denen die Vereinsgemeinschaft einlädt, interessiere.

Unterstützt werden die von der Fördergemeinschaft 750 Jahre Burg-Gemünden e.V. gestarteten kulturellen Aktionen, zu der auch weitere Naturprojekte,  Veranstaltungen  und Vorträge mit Themen rund um die Burg und Burg-Gemünden gehören, im Zuge des TRAFO-Projektes „TraVogelsberg  eine Region bricht auf“. Der Vogelsberg wird als Modellregion im Programm TRAFO der Kulturstiftung des Bundes gefördert.

Unter dem Motto: „Kultur jederzeit“, initiiert das „TraVobil – Büro für kulturelle Einmischung“, gemeinsam mit den Menschen der Region des Vogelsbergkreises zeitgenössische Veranstaltungsformate, stärkt kulturelle Vielfalt und schafft neue Netzwerke. So wurde die Fördergemeinschaft 750 Jahre Burg-Gemünden e.V., für ihre finanziellen Aufwendungen, sei es bei Vorträgen und vielem mehr, inzwischen  dankenswerter Weise von „TraVogelsberg“ mit 1000 Euro unterstützt.

Schon am Samstag, 28. Oktober, um 17 Uhr,  lädt die Fördergemeinschaft zum dritten Teil der Vortragsreihe „Burg-Gemünden im Laufe der Jahrhunderte“ mit Dr. Dirk Richardt ins Dorfgemeinschaftshaus in Burg-Gemünden ein.

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