Spendenaktion für junge Ukrainerin Khrystyna Nardid ins Leben gerufenKampf um eine berufliche Zukunft als ukrainische Apothekerin in Deutschland
ALSFELD (ls). In der Ukraine war Khrystyna Nardid studierte Apothekerin, dann begann der Krieg, Bomben schlugen in ihre Heimatstadt Charkiw ein und hinterließen Tod und Zerstörung. Gemeinsam mit ihren Eltern floh sie, erlebte dabei Dinge, die sie nie wieder vergessen wird. Nach einer schwierigen Flucht hat sie in Alsfeld etwas Ruhe gefunden, möchte zurück in den Beruf der Apothekerin – aber das ist gar nicht so einfach. Neun Tage zwischen Bomben, Schlaflosigkeit und Zerstörung.
„Khrystyna, kannst du kurz kommen? Ich brauche deine Hilfe beim Übersetzen“, sagt die Apotheken-Mitarbeiterin, als sie vom Verkaufsraum die Mitarbeiter-Räumlichkeiten im hinteren Teil der Alice-Apotheke betritt. Es ist nicht das erste Mal an diesem Tag, das letzte Mal wird es auch nicht sein. Nur ein paar Minuten später steht die Mitarbeiterin wieder im Türrahmen, dieses Mal müssen Vitamin-Präparate und deren unterschiedliche Einnahmemöglichkeiten ins Ukrainische übersetzt werden.
„Da ist sie uns wirklich eine große Hilfe, denn viele Menschen, die zu uns in die Apotheke kommen, können nicht gut Englisch“, erklärt Apotheken-Chefin Stefanie Schön. Seit die Notunterkunft für geflüchtete Menschen in der Hessenhalle eingerichtete wurde, kommen viele Kunden aus der Ukraine, die Verständigung lief bislang über gebrochenes Englisch, manchmal mit Händen und Füßen, wie Schön erklärt. „Wir sind die erste Apotheke, die die Menschen auf ihren Weg von oben hier runter in die Stadt sehen“, ergänzt sie.
Aber nicht nur Menschen aus der Ukraine würden in die Apotheke kommen, sondern aus unterschiedlichen Ländern. Immer wieder müssten also Inhaltsstoffe, Besonderheiten, Anwendungsmöglichkeiten und Nebenwirkungen übersetzt werden, auch ins Englische. „Khrystyna kann fließend Englisch sprechen, was sehr hilfreich ist“, sagt Schön. Deutsch kann die 22-jährige Ukrainerin, die erst seit einigen Wochen in Alsfeld ist, nicht – das soll sich aber, wenn es nach den drei Frauen und dem gesamten Apotheken-Team geht, bald schon ändern.
Neun Tagen zwischen Bomben, Schlaflosigkeit und Zerstörung
Khrystyna Nardid hat in ihrer ukrainischen Heimatstadt Charkiw ein vierjähriges duales Studium als Apotheken-Fachkraft mit Diplom absolviert und dort als Apothekerin gearbeitet, dann begann der Krieg. Charkiw war eine der ersten Städte, die durch die russischen Truppen angegriffen wurde, erzählt die 22-Jährige in fließendem Englisch. Doch nicht gleich mit dem Beginn des Krieges seien sie und ihre Eltern geflüchtet, zunächst blieben sie in der Stadt, schliefen – wenn das überhaupt möglich war – im Flur ihrer Wohnung – abseits von den Fenstern.
Zu diesem Zeitpunkt lag Charkiw nachts schon in Dunkelheit. Die Lichter wurden nicht mehr angemacht, um den Russen das Anvisieren möglicher Ziele zu erschweren. Mehrmals am Tag heulten die Sirenen; mehrmals am Tag ging es in die Bunker. Raus auf die Straße gingen sie kaum noch, verteilt in der ganzen Stadt schlugen Bomben ein, mittlerweile ist Charkiw fast komplett zerstört. „In der Stadt gab es so viele schöne Gebäude. Auf Bildern habe ich gesehen, wie kaputt sie jetzt sind“, erzählt die 22-Jährige.
Den Moment, an dem die Familie entschied aus der Ukraine zu flüchten, wird Nardid so schnell nicht vergessen. Neun Tage nach Kriegsbeginn flogen in der Nacht russische Flieger tief über das Haus, in dem die Familie lebte, kurz darauf schlugen Bomben ein, die die ganze Umgebung zum Erschüttern brachten. „Es ist so laut gewesen, dass wir nicht wussten, wo genau die Bombe eingeschlagen ist, ob in unser Haus oder in der Nähe“, schildert die 22-Jährige. In diesem Moment sei ihnen deutlich vor Augen geführt worden, wie gefährlich das Leben dort sei, am Morgen haben sie sich auf die Flucht begeben.
Ein Ziel hatte die Familie nicht; keine Freunde, Verwandte, Bekannte oder Familie in EU-Staaten. Also ging es zunächst im vollbeladenen Zug nach Kiew, von dort weiter nach Lwiw und von da aus mit dem Bus nach Polen, wo Nardid und ihre Eltern zunächst für eine Nacht mit vielen anderen Geflüchteten aus der Ukraine in einem Lager blieben. „Es war eine schwierige Reise“, resümiert die 22-Jährige. Wie schwierig – und wie anstrengend – das zeigte sich erst in Polen. Dort verstarb überraschenderweise und ganz plötzlich eine Bekannte, die gemeinsam mit der Familie geflüchtet war. Der Schrei der Angehörigen habe sie zutiefst erschüttert. „Das werde ich nie vergessen“, sagt sie.
Gleichzeitig sei ihr dabei bewusst geworden, dass ihre Großeltern möglicherweise die richtige Entscheidung getroffen hatten, als sie sich gegen die Flucht entschieden. Sie hatten Angst, dass die Flucht zu anstrengend für sie sei – auch wenn sie so jeden Tag mehrfach wegen des Bombenalarms vom dritten Stock ihres Wohnhauses in die Bunker oder den Keller müssen.
Nach zwei Tagen Flucht, Zeit zum Aufatmen
Vom Lager in Polen ging es für die Familie mit dem Bus weiter nach Deutschland. Zunächst haben sie nicht gewusst, wohin sie gebracht werden, erinnert sich die junge Frau. Der Busfahrer, der selbst nur gebrochenes Englisch sprach, habe eine Bekannte am Telefon gehabt, die über den Telefonlautsprecher auf Russisch übersetzte, dass sie nach Frankfurt am Main fahren. Statt nach Frankfurt kam der Bus in der Erstaufnahmeeinrichtung in Gießen an, ehe die Menschen weitergebracht wurden. Wieder ohne Information, wohin es geht. Insgesamt war die Familie zwei Tage lang unterwegs, ehe sie in Alsfeld ankam. „Hier haben wir Ruhe gefunden, konnten durchatmen“, sagt sie.
Während Khrystyna Nardid und ihre Eltern im Hotel Schwalbennest in Alsfeld untergebracht wurden, wurden Freunde der Familie in der Notunterkunft in der Hessenhalle untergebracht, wo zu diesem Zeitpunkt die Romröderin Nina Birnbaum ehrenamtlich half und die Familien dort unterstützte.
„Ich wollte die Menschen dort unterstützen und ihnen dabei helfen, Wohnungen zu finden oder aber den Kindern den Weg in die Schule ebnen“, erzählt Birnbaum. Auch bei Gängen in Behörden half Birnbaum und konnte damit, trotz teilweise hoher bürokratischer Hürden, bereits vielen Ukrainern rund um Alsfeld helfen. Eine davon ist Khrystyna Nardid. Für sie, ihre Eltern und auch die befreunde Familie, die anders als die Nardids in der Hessenhalle untergebracht war, fand Birnbaum Wohnungen in unmittelbarer Nachbarschaft in Altenburg, die sie vorab noch mit gespendeten Möbeln und weiteren Einrichtungsgegenständen ausstattete. Nardids Eltern und die Freunde haben bereits Jobs gefunden, in denen sie eingestellt sind.
Auch der 22-jährigen Apothekerin wollte Birnbaum helfen, doch da gab es ein Problem: die junge Apothekerin darf in Deutschland nicht in diesem Beruf arbeiten, mitunter weil das ukrainische Diplom nicht anerkannt wird, aber auch weil sie die Sprache nicht beherrscht. Trotzdem stelle Birnbaum den Kontakt zu Stefanie Schön, der Inhaberin der Alice-Apotheke her, wo die junge Frau auf 450-Euro-Basis eingestellt wurde – allerdings lediglich für Tätigkeiten im Lager oder aber für Übersetzungen.
„In Deutschland herrscht ein Fachkräftemangel, auch im Pharmazie-Bereich“, sagt Schön. Umso erfreuter sei man über jegliche Unterstützung. Deshalb haben es sich Birnbaum und Schön auf die Fahne geschrieben, der jungen Frau dazu zu verhelfen, sich hier ins Berufsleben zu kämpfen. Dazu muss sich Nardid die sprachliche C1-Bescheinigung erarbeiten, also Deutsch auf Muttersprach-Niveau lernen, sowie die Pharmazie-fachliche Qualifikation. Künftig soll die Volkshochschule helfen, jedenfalls für die normalen Deutsch-Kenntnisse. Wann der Kurs beginnen soll, ist noch immer ungewiss.
„Wir haben einen Apothekermangel und haben Menschen, die integriert werden sollen auf der einen Seite und dann haben wir diese Ungewissheit auf der anderen Seite“, erklärt Schön. So könne eine reibungslose und schnelle Integration nur schwerfällig gelingen. „Wie sollen die Menschen die Sprache lernen, die sie für den Berufseinstieg brauchen, wenn sie sie nicht sprechen, weil kein Unterricht stattfindet?“, frag Birnbaum. Hinzu komme, dass die fachliche sprachliche Ausbildung, mit der die junge Frau schon begonnen hat, samt Literatur kostspielig sei, ohne sie gibt es für die 22-Jährige allerdings keinen Weg in den Beruf. Hilfe vom Amt gibt es für diese sprachlich-fachliche Ausbildung nicht, es werde lediglich auf den Deutschkurs der Volkshochschule verwiesen.
Spendenaktion mithilfe des MES-Fördervereins ins Leben gerufen
Aus diesem Grund haben Birnbaum und Schön nun eine Spendenaktion ins Leben gerufen, um Khrystyna einen Chance auf eine Zukunft in Deutschland zu bieten. Mithilfe des Vereins zur Förderung der Beruflichen Bildung an der Max-Eyth-Schule Alsfeld wurde ein Spendenkonto eingerichtet, durch dessen Einnahmen der Deutschunterricht für die fachliche Sprachausbildung finanziert werden soll.
„Wir haben unsere Bereitschaft erklärt […] in der Abwicklung der Spenden zu unterstützen, da unser Vereinszweck ist, jungen Menschen Hilfestellung auf dem Weg zur Beruflichen Qualifikation zu geben“, erklärte auch Vereins-Vorstand Christoph Stüber und hat außerdem eine weitere gute Nachricht im Gepäck: Die Schulverwaltung habe gegenüber dem Verein erklärt, dass eine Aufnahme von ukrainischen Schülern auch in studienqualifizierenden Bildungsgängen möglich sei.
Wo Khrystyna die fachliche Sprachausbildung macht, steht derzeit noch nicht fest, zunächst fehlt es noch an der Finanzierung des Unterrichts. „Vielleicht finden wir ja auch Menschen, die unterrichten können oder Kontakte herstellen können“, ergänzt Birnbaum.
Für die 22-jährige Apothekerin jedenfalls steht eines jetzt schon einmal fest: „Es war für uns ein großes Glück Nina kennengelernt zu haben. Sie hat uns schon viel geholfen und hilft uns immer noch. Ich bin ihr sehr dankbar“, sagt sie.
Wer Khrystyna Nardid auf dem Weg zurück in ihren Beruf unterstützen möchte, der kann entweder unter dem Verwendungszweck „Fachsprachkurse – Ukraine“ an das Spendenkonto des Fördervereins (IBAN: DE 50518500790301027613) spenden, oder aber sich durch eine Spende in einer der aufgestellten Spendendosen beteiligen. Nähere Informationen zur Spendenaktion gibt es auch online.
Es gibt keinen gerechten oder guten Krieg ,sondern nur verlierer.
Da gebe ich Ihnen recht Herr Kalbfleisch, kriegerisches Morden hinterlässt auch bei den Mördern ein Trauma.
Klar zu benennen ist aber der widerliche Aggressor, der Täter.
Ein freies Land, mit mörderischer Gewalt anzugreifen : Morden – Plündern – Rauben !
……. wer ist hier der TÄTER ?!!!!!!!
Wohlfeil im sinnbildlichen „Sessel der bequemen Sicherheit“ zu sitzen (zb. in Deutschland) lässt es wahrlich nicht zu, große Klappe zu haben und Menschen welche in ihrer Existenz/ ihrem Leben/ ihrer Freiheit mehr als bedroht werden …….. „gute“ Ratschläge zu geben.
Was Sie ja schon wiederholt taten.
Meine gänzliche Unterstützung gilt der UKRAINE …….
wer spendet für langjährige deutsche arbeitslose?
alle die Arbeiten gehen und Abgaben zahlen!
wie viel hast du für die langjährigen deutschen Arbeitslosen gespendet, und warum?
Toller Bericht, eine tolle und starke Frau!
Was für eine Bereicherung für Alsfeld. Vielen Dank!