Profi-Drummer Daniel Schild über Konzert-Absagen, fehlende Einnahmen und zwei Jahre Pandemie„Jetzt haut‘s mir nicht mehr so ganz den Boden unter den Füßen weg“
VOGELSBERG (ls). Über 200 Tage im Jahr ist Daniel Schild normalerweise unterwegs, meist auf den großen Bühnen der Nation. Der ehemalige Alsfelder ist Profi-Drummer für Musiker wie Jonas Monar oder Pietro Lombardi – oder jedenfalls war er das, denn Corona hat seinem Leben den Boden unter den Füßen weggehauen. Statt auf der Bühne in ausverkauften Konzerthallen, verbringt Schild die meiste Zeit auf seinem ausgebauten Bauernhof in einem kleinen Dorf nahe Homberg Ohm. Wie er die letzten zwei Jahre erlebt hat, ob sich die Branche wieder erholt und wie lange das wohl dauert: ein Gespräch zwischen Hoffnung und Resignation.
Seit 2016 ist bei dem Alsfelder Profi-Drummer Daniel Schild viel passiert. Damals landete der leidenschaftliche und international gefragte Musiker nach einem Auftritt auf Europas größtem Drumfestival, dem ‚Drums & Percussion‘ in Paderborn auf dem Cover der Musikzeitschrift „Drumheads“, eines der zu diesem Zeitpunkt drei führenden Musikmagazine Deutschlands. Im Anschluss folgte ein Vertrag als Autor für eben dieses Magazin. Workshops schreibt der 42-Jährige noch immer, mittlerweile seit drei Jahren allerdings für ein anderes Fachmagazin: Das „drums & percussion“ Magazin
„Damals habe ich für das Magazin zu bestimmten Themen Workshops geschrieben und wurde dann vom Chefredakteur als Drummer vorgestellt“, erinnert sich Schild. Eine große Anerkennung für den Musiker, denn immerhin landen in der Zeitschrift sonst meist nur internationale Künstler.
Daniel Schild selbst lernte nach dem Abitur erst ein Jahr am Drummers-Institute in Düsseldorf und wechselte dann zum Studium von Schlagzeug und Percussion an die Musikhochschule in Mannheim, schloss das Studium allerdings nicht mit einem Abschluss ab, weil das Musikerleben dazwischenkam und Schild international viel unterwegs war. „Ich war so viel auf Tournee, dass ich ein Urlaubssemester nehmen musste, was bis heute anhält“, erzählt er lächelnd.
Drei Konzerte und dann kam Corona – wieder einmal
Mit dem Vordiplom in der Tasche lernte er damals den arabisch-stämmigen Profimusiker Afshin kennen, in dessen Band er einstieg und praktisch non-stop zwei Jahre auf Tour war. Seither lebt der ehemalige Alsfelder seinen Traum, „das kann man so sagen, ja“. Es folgten eigene Projekte, Musicals, Varietés und verschiedene Tourneen als Sideman für bekannte Künstler. Zuletzt war er mit dem jungen Musiker Jonas Monar unterwegs, der mit dem Song „Nie zu Ende“ den ARD-Titelsong zu den olympischen Winterspielen 2018 schrieb.
Das aktuell größte Projekt für den 42-Jährigen war allerdings die Tournee mit Pietro Lombardi, für dessen Deutschlandtour er eigentlich als Tour-Drummer engagiert ist – wenn sie denn wirklich mal weiter gehen darf, denn durch die Corona-Pandemie wurde die Tour verschoben, die geplanten Konzerte fanden nicht statt. „Letztes Jahr im Dezember konnten wir drei Termine spielen, dann wurde wieder alles eingefroren, weil die Hallen zu groß waren und die Zahlen zu stark angestiegen sind. Das war nicht mehr machbar“, erzählt er.
Man müsse sich vorstellen, dass Pietro Lombardi Hallen für rund 5.000 Menschen fülle, die größte geplante Halle ist die Lanxess-Arena in Köln. Über 10.000 Tickets seien für das Konzert in Köln verkauft worden. Die Termine wurden auf März verlegt, der mittlerweile vierte Anlauf der Tour, die nun durch die Omikron-Welle wieder auf der Kippe steht. „Bisher wird an der Tournee festgehalten, aber die Wahrscheinlichkeit, dass ich im März wieder auf derart große Bühne spielen werden, geht meiner Meinung nach gen null“, sagt er.
Als Künstler sei man mittlerweile abgestumpft, man resigniere. „Jetzt haut’s mir nicht mehr so ganz den Boden unter den Füßen weg, wie es am Anfang mal war“, gibt er zu. In 2020 hat Schild gerade einmal ein Zehntel der Termine gespielt, die er normalerweise spielt. Von 365 Tagen im Jahr ist er normalerweise um die 200 Tage unterwegs, hat ein Jahrespensum von 120 bis 150 Terminen. Von jetzt auf gleich war er zuhause.
„Das Spielen auf der Bühne fehlt mir“, sagt er. Nach zwei Jahre habe er sich mittlerweile fast schon dran gewöhnt, wenngleich ihm der gewohnte kreative Input aus Events, Leuten und Großstadt fehle – der alltägliche Musiker-Trubel, der ihn das ruhige Dorfleben erst so richtig genießen lasse. „Die Umstellung plötzlich und ausschließlich zuhause – auf dem ruhigen Dorf – zu sein, ist mir anfangs enorm schwergefallen, weil ich diesen normalen Alltag nicht kenne.“
Zwischen Hoffnung und Absage
Das geht mittlerweile seit zwei Jahren so. „Wenn mal etwas stattfinden darf, dann nur sehr eingeschränkt oder es wird ein Konzert geplant und dann doch noch kurzfristig abgesagt“, erzählt Schild. All seine Januar- und Februar-Termine wurden abgesagt. Normalerweise nämlich spielt er den ganzen Februar über auf dem Wintervarieté in Marburg, doch das wurde wie so vieles bis auf 8 sehr eingeschränkte Termine gecancelt.
Eigentlich lebt der 42-Jährige vom Live-Spielen, konnte sich allerdings in den vergangenen Jahren nebenher ein zweites Standbein aufbauen: das Unterrichten. Das tut er nicht nur als Dozent für Schlagzeug- und Rhythmus-Kurse an der Frankfurter Musikhochschule FMW, sondern auch an der Rock- und Pop-Akademie in Gießen und auch bei bedarf als Vertretung in der Alsfelder Rock- und Pop-Werkstatt von Stephan Haus, bei dem Schild selbst das Schlagzeug spielen lernte.
Aber auch Privatunterricht in seinem eigenen Tonstudio gibt Schild. Das nämlich hat er in einem umgebauten Pferdestall auf seinem ausgebauten Bauernhof einrichtet, den er vor vier Jahren gekauft hat, und dreht dort nicht nur praktische Begleitvideos zu seinen Theorie-Workshops, die regelmäßig im „drums & percussion“ Magazin erscheinen, sondern nimmt dort auch Remote-Recordings, also Schlagzeug-Aufnahmen, als Auftragsarbeit für einige Künstler auf.
Corona-Hilfen nicht so unbürokratisch wie versprochen
„Jetzt im Nachhinein muss ich sagen: Gott sei Dank habe ich dieses Standbein“, sagt er. Nicht nur psychisch habe es geholfen, sondern auch finanziell, denn durch Corona sind gut Zweidrittel seines Einkommens weggebrochen. Zwar gab es auch für Künstler Corona-Hilfe, die als „unbürokratisch“ angekündigt wurden. „Das war aber nicht der Fall“, erklärt er.
Das habe daran gelegen, dass die Corona-Hilfen anhand der Betriebsausgaben berechnet wurden und daher überwiegend auf Gastronomen oder Einzelhändler ausgerichtet waren. Solo-Künstler hätten in der Regel allerdings keine laufenden Betriebskosten, denn die entstehend erst dann, wenn sie unterwegs sind und solche Dinge wie Fahrt- und Übernachtungskosten haben. „Durch Corona und das Verbot von Konzerten waren Künstler nicht unterwegs und die Betriebskosten sind bei vielen von jetzt auf gleich auf null gefallen“, erklärt Schild.
Viele Kollegen hätten dann aber aus der Not heraus die Hilfen beantragt, müssen sie aber nun zurückzahlen, weil gesagt wird, dass sie für Betriebskosten seien. „Ich habe Kollegen, die müssen 10.000 bis 15.000 Euro zurückzahlen, mit Deadline – und nicht gestundet“, erzählt Schild. In der Branche sei es schon vor Corona schwierig gewesen, seit Corona ist „es eigentlich unterm Strich der Horror“, sagt er.
Seit zwei Jahren müsste man schauen, wie man über die Runden kommt, viele Leute hätten die Branche verlassen – egal ob es Licht- und Tontechniker seien, Fahrer von Nightlinern und auch Musiker hätten der Branche den Rücken gekehrt. Es herrsche ein Fachkräftemangel in diesem Bereich und es werde dauern, bis sich das wieder von der Pandemie erholen wird und auf die Berufe in diesem Bereich wieder Verlass sei. Früher sei mal ein Konzert abgesagt worden, weil es ein Unwetter gab oder der Künstler sich ein Bein gebrochen hat – alles in allem eher unwahrscheinlich, heute liege die Wahrscheinlichkeit einer Absage bei über 50 Prozent.
Achterbahnfahrt der Gedanken und Gefühle
„Die Musik- und Konzert-Branche wird vermutlich die letzte sein, die wieder wie gewohnt öffnen darf“, mutmaßt er. Während der ganzen Pandemie gab es für Künstler kaum Zugeständnisse, kaum Lockerungen. Weiterhin können Großveranstaltungen wie Konzerte nicht stattfinden, zumindest nicht unter der gewohnten Teilnehmerzahl.
Mittlerweile ist ein Punkt erreicht, in der die Politik nicht mehr viele Möglichkeiten habe, das tägliche Leben einzuschränken. Der Bereich der Großveranstaltungen und Konzerte sei der einzige Bereich, in dem man noch etwas tun könne – gemessen an der restlichen Gesellschaft würde das nur einen kleineren Teil mit einer weniger lauten Stimme betreffen.
Konzerte seien verschoben, viel Künstler wie Johannes Oerding oder Maite Kelly sagen die Konzerte mittlerweile ganz ab, Clubs schließen. „Eine Tour in der Größenordnung zu verschieben sind jedes Mal enorme Kosten“, klärt er auf. Schon jetzt sei es ein Problem Termine für 2022 festzulegen, weil die belegt sind mit Terminen, die eigentlich 2020 hätten stattfinden sollen. Die Situation ist frustrierend, findet der Schlagzeuger. Man bekomme Termine und hofft, dass sie stattfinden. „Der Bauch sagt ‚hoffentlich‘ und der Kopf sagt ‚auf keinen Fall‘. Diese Achterbahnfahrt der Gedanken und Gefühle läuft seit zwei Jahren“, sagt Schild.
Er selbst habe immerhin noch das Glück gehabt für drei Termine auf der Bühne gestanden zu haben im vergangenen Jahr, auch wenn das für ihn ein mulmiges Gefühl gewesen sei. Als 2G-Plus-Veranstaltung durften die Konzertbesucher damals auf Maske und Abstand verzichten: „Das war eine ganz normale Atmosphäre, aber es fühlte sich extrem komisch an und dann sitzt man da auf der Bühne, guckt in die Menge und freut sich – aber nach dieser ganzen Zeit bleibt ein komisches Gefühl“, erklärt Schild. Es werde, da ist er sich sicher, noch eine ganze Weile dauern, bis es sich wieder normal anfühlt in vollen Hallen, dicht-an-dicht gemeinsam zu rocken.
„Die Branche wird sich erholen und vielleicht wird etwas Neues entstehen, es wird aber dauern bis alles wieder in geregelten Bahnen läuft“, sagt Daniel Schild. Auch bei ihm wird es dauern, bis er wieder auf den großen Bühnen der Republik hinter seinen Drums sitzen wird.
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