Gastbeitrag von Carsten Schmidt, Wehrführer und stellvertretender Stadtbrandinspektor, zur aktuellen Corona-Lage„Kameradschaft ist wie eine Pflanze, die immer wieder gegossen werden muss“
ALSFELD (ol). Während die Omikron-Welle viele Menschen in die Quarantäne treibt und die Infektionszahlen steigen, macht sich Alsfelds stellvertretender Stadtbrandinspektor Carsten Schmidt Gedanken, wie sich zwei Jahre Pandemie auf eine kameradschaftliche Gemeinschaft auswirken, die normalerweise wie eine Familie ist. Ein Gastbeitrag im Wortlaut.
Es ist wieder ruhig geworden in und um das Alsfelder Feuerwehrhaus im Fulder Tor. Stillstand zum Schutz der kritischen Infrastruktur, das beschreibt die selbst auferlegte Lage bei der Feuerwehr Alsfeld wohl am besten. Was geht ist wieder auf „Online“. Feuerwehr ist kommunale Selbstverwaltung. Also entscheidet auf Grundlage der geltenden Regelungen und Erlasse die Leitung Feuerwehr, also der Stadtbrandinspektor, wie man mit Pandemie umgeht.
Unseren Stadtbrandinspektor Daniel Schäfer kenne ich schon lange. Seit der Jugendfeuerwehr teilen wir dieses Hobby. Er hat es auch zu seinem Beruf gemacht. Als Berufsfeuerwehrmann in Frankfurt bringt er hohe fachliche Kompetenz ein. Seine Entscheidungen sind nachvollziehbar. Mit seiner Zusatzausbildung zum Notfallsanitäter hat er den medizinischen Background, der für uns jetzt so wichtig ist in der Pandemie.
Manchmal, wenn ich aus dem Bürofenster in den Innenhof des Feuerwehrhauses schaue, denke ich, es fehlt nur noch so ein Busch wie in einer Westernstadt, den der Wind über den Hof treibt. Tagsüber ist es ein Arbeitsplatz, zwei Gerätewarte arbeiten hier, und dann haben noch die beiden städtischen Elektriker ihren Sitz im Feuerwehrhaus. Abends kommen eigentlich die Ehrenamtlichen.
Meine Aufgabe treibt mich bald täglich ins Fulder Tor. Seit über zehn Jahren bin ich Wehrführer der am meisten alarmierten Einsatzabteilung im Landkreis. Die Einsätze reichen vom Klassiker wie der Katze auf dem Baum, Wohnungsbrände, Industriebrände über das Gartenfeuer, wo auch manchmal dann die Feuerwehr dazu kommt. Finger im Abfluss, oder im Tisch eingeklemmt. Notfalltüröffnungen, Ausleuchten von Einsatzstellen oder Hubschrauberlandungen bei Nacht. Wenn es nicht mehr weiter geht, kommt die Feuerwehr.
Mehr nebenbei bin ich noch stellvertretender Stadtbrandinspektor und Vereinsvorsitzender. Alles mit Leidenschaft. Wenn es die Zeit erlaubt, noch Ausbilder bei Kreislehrgängen. Vor alledem die Familie. Familie ist wichtig. Die gibt Rückhalt. Dazu noch eine dreistellige Anzahl an Einsätzen. Mit über 2.300 Einsätzen in meiner Feuerwehrzeit zähle ich mich mit Anfang vierzig schon zu den „Alten Hasen“.
Da kommen schon ein paar hundert Stunden Feuerwehr im Jahr zusammen. Alles weil es Spaß macht. Die meisten Stunden nach der Arbeit, als Ehrenamt. Einsätze auch während der Arbeit. Meine Brötchen verdiene ich im Bereich Einkauf und Logistik bei PF-Schweißtechnologie. Mein Chef unterstützt mein Ehrenamt, stellt mich frei, auch für andere Termine der Feuerwehr. Sonst wäre es so gar nicht möglich.
Man hat Ziele als Wehrführer mit seinem Team. Stolz bin ich auf unsere Truppe die vom Fulder Tor in den Einsatz fährt. Auch auf die in der Jugendarbeit und in der Feuerwehrmusik. Die, die sich immer wieder Zeit nehmen um neue Ideen umzusetzen, immer heiß auf neue Aufgaben sind – einfach eine tolle Truppe.
Aktuell ist es eine komische Lage. Feuerwehrleute sprechen oft von Lagen. Beim Einsatz kommen alle mit FFP2 Maske. Am Alarmeingang liegen Sie bereit. Man fährt zum Einsatz, arbeitet diesen ab. Danach wird das Einsatzfahrzeug für den nächsten Einsatz vorbereitet. Dann geht man wieder nach Hause. In der Regel sind 100 Prozent der Ausrüstung einsatzbereit. Ein Klarstand auf den die Bundeswehr neidisch wäre. Ehrenamtliche kümmern sich um jedes Einsatzfahrzeug. Mit Leidenschaft. Sie tanken und waschen es. Sie Prüfen die Geräte auf Einsatzbereitschaft und all das nach Feierabend und am Wochenende.
Die Stadt zahlt ihnen eine kleine Aufwandsentschädigung. Früher grillte man im Anschluss das ein oder andere Steak. In meinen jungen Jahren bei der Feuerwehr lag der Kohleverbrauch des Grills schon mal bei 120 Kilo im Jahr. Man sitzt Zusammen, pflegt Kameradschaft. Manchmal eine Kuchenrunde. Übrigens fast immer ohne Alkohol. Die meisten kommen mit dem eigenen Auto, da zieht man das alkoholfreie Kaltgetränk vor. Man ist ja keine Feierwehr.
Auf das Nötigste beschränkt
Feuerwehr beschränkt sich aktuell wieder auf das Nötigste. Einsätze, Gerätewartung und die Weiterbildung im Rahmen der Möglichkeiten. Das bedeutet, dass die Ausbildung wieder online stattfindet. Immer wieder montags für etwa eine Stunde. Montags ist Feuerwehrwehrtag in der Kernstadt. Einloggen, anhören, Fragen stellen, ausloggen. Mal steht der Stellvertretender Wehführer Tobias Riemann, mal Stadtbrandinspektor Daniel Schäfer oder ich vor der Kamera. Hin und wieder andere Führungskräfte.
Abwechslung in den Themen der Onlineausbildung ist wichtig, damit es Interessant bleibt. Am letzten Samstag ab 9 Uhr war das Onlinestudio belegt durch den Sprechfunklehrgang des Landkreises. Die Lehrgangsteilnehmer sind zu sehen im 60 Zoll Monitor, sitzen Zuhause verstreut im ganzen Landkreis. Zwei Kreisausbilder unterrichten diese an diesem Vormittag. Ralf Winter aus Schwabenrod und Markus Weppler aus Schlitz, beide mit einer Fortbildung in Online-Unterricht. Männer der ersten Stunde der Online-Ausbildung im Landkreis. Sie wechseln sich ab vor der Kamera. Der Alsfelder Manfred Grüner bedient die Technik im Hintergrund.
Im Feuerwehrhaus trifft man fast nur noch sogenannte Funktionsträger an. Büroarbeit steht immer an. Berichte schreiben, Investitionen und Ausbildungen planen. So werden auch an diesem Samstag hin und wieder Ehrenamtler auftauchen und in Büros oder Werkstätten verschwinden. „Small Talk“ nur mit FFP2 Maske. Es klingelt das Telefon, es ist eine Minute nach zehn. Der stellvertretende Kreisbrandinspektor Hubert Helm steht vor der Tür. Er will schauen wie es läuft, etwas „Small Talk“ halten. Auch er hat die Onlineausbildung im Landkreis „gepusht“.
Als ich die Nummer vom Türöffner anwähle, sehe ich wie sich in der Fahrzeughalle die Deckenbeleuchtung anschaltet und das Hoftor blinkend auffährt. In diesem Moment ist schon ein Gong aus dem Funkraum zu hören. Auch Handy und Pager melden sich fast zeitgleich. „F-BMA“. Das Stichwort für eine ausgelöste Brandmeldeanlage. Je nach Stichwort werden mal mehr, mal weniger Feuerwehrleute alarmiert. Immer mit einer gewissen Reserve.
Etwa zwei Dutzend Feuerwehrmänner und Frauen machen sich bei diesem Alarm auf dem Weg zum Feuerwehrhaus, und ich in Richtung Umkleidekabine. Ich habe gerade die Hose an, da kommen schon die ersten in die Umkleidekabine. Ich schaue aufs Smartphone. Wer kommt, wer nicht. Die AlarmApp zeigt mir an, wer nicht kommen kann. Die Programmierung der Funktionen der AlarmApp ist so ein kleines Hobby von mir.
Gerade mal fünf Minuten nach dem Alarm rücken die ersten beiden Fahrzeuge aus. In schneller Folge drei weitere Fahrzeuge. Eine Viertelstunde nach dem Alarm stehen alle Fahrzeuge wieder in der Halle. Es war ein Fehlalarm. Der Angriffstrupp tauscht noch die benutzten Atemschutzmasken. Sie hatten ihr Atemschutzgerät im Fahrzeug auf der Anfahrt bereits angelegt. Wenn sie an der Einsatzstelle aussteigen, sind sie bereit, um ins Feuer zu gehen. Bereit, um Menschen zu retten.
Inzwischen routinemäßig werden die Kontaktflächen in den Fahrzeugen desinfiziert. Halb elf ist es inzwischen. Normalerweise wäre jetzt Stau vor der Kaffeemaschine. Heute nicht. Alle verlassen wieder das Feuerwehrhaus, ohne zweiten Kaffee. Der wäre jetzt obligatorisch.
Mehr als nur Feuerwehreinsätze
Unser Ehrenamt ist so viel mehr als nur Feuerwehreinsätze. Jugendarbeit, Brandschutzerziehung, Ausbildung. Gemeinschaft pflegen, Zusammensein. Vertrauen
schaffen. Feuerwehr lebt von Kameradschaft, vom Vertrauen. Wenn es einer dieser Einsätze ist, wo man vom Flur aus in eine brennende Wohnung schaut, ein Atemschutzgerät auf dem Rücken trägt und das Strahlrohr fest in der Hand hält. Momente, in denen das Adrenalin das Blut komplett ersetzt hat. Wenn man weiß, „jetzt gehts um die Worscht“ – dann ist Vertrauen wichtig.
Man muss Wissen wie der andere tickt. Nicht nur im Feuer, sondern auch bei anderen Einsätzen. Das tolle an der Freiwilligen Feuerwehr ist, dass es ein bunter Haufen ist. Da kommt der BWLer mit dem Lokführer zusammen oder mit dem Elektriker. IT-ler, Polizisten, Schreiner, Rettungsdienstler, Straßenbauer. Alle tragen ihren Anteil am Einsatzerfolg bei. Jeder im Rahmen seines Könnens und seiner Möglichkeiten.
Kameradschaft bezeichnet eine zwischenmenschliche Beziehung im Sinne einer Solidarität innerhalb einer Gruppe. So beschreibt es Wikipedia. In der Feuerwehr spricht man oft von Feuerwehrkameraden. Dies bezeichnet dann den Personenkreis, der weit mehr ist als der Arbeitskollege. So etwas kann man sich in einer Gruppe von Menschen nur erarbeiten, und dann pflegen. Kameradschaft ist wie eine Pflanze, die immer wieder gegossen werden muss. Zurzeit fehlt ihr das Wasser. Die Pflanze kann viel ab, aber inzwischen braucht sie wieder Wasser.
Ein sehr guter Artikel, der die jetzige Situation treffend beschreibt.
In Teilen gilt dies auch für die kleineren Feuerwehren.
Ich bin mir sicher,dass die normalen Zeiten auch wieder bald zurück kommen werden.