Volktrauertag: Gedenkfeier am Ehrenmal auf dem Alsfelder Friedhof„Ich will nicht aufhören zu erinnern“
ALSFELD (akr). Am Volkstrauertag wird in Deutschland der Opfer von Krieg, Terror und Gewaltherrschaft gedacht. In Alsfeld nahmen auch in diesem Jahr nur wenige Menschen an diesem stillen Gedenktag auf dem Friedhof teil. Doch macht das Gedenken denn überhaupt noch Sinn? Ja – findet Pfarrer Theo Günther und erklärte in seiner Rede am Ehrenmal, warum das Erinnern nicht aufhören sollte.
„Wir gedenken heute wieder der Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft. Wir trauern mit denen, die Leid tragen, teilen ihren Schmerz und trauern auch mit denen, die jetzt Leid tragen, unter den Verhältnissen unserer Zeit“, eröffnete Pfarrer Theo Günther seine Rede am Ehrenmal auf dem Alsfelder Friedhof, auf dem sich in diesem Jahr wieder nur wenige Alsfelder versammelt hatten.
Dass es Jahr für Jahr immer weniger Menschen sind, die an diesem stillen Gedenktag, dem Volkstrauertag, teilnehmen, habe Günther bereits in seiner Zeit als Pfarrer in Wallenrod feststellen können. „Es werden jedes Jahr weniger – und Corona macht es nochmal intensiver“, betonte der Pfarrer.
Pfarrer Theo Günther. Fotos: akr
Doch auch ohne Corona sei das nicht verwunderlich, denn die unmittelbar Betroffenen des letzten Weltkrieges werden immer weniger. „Wer noch Kind eines gefallenen oder vermissten Soldaten ist, der muss heute mindestens 75 Jahre alt sein“, so Günther. Die konkrete Erinnerung sterbe mit der Zeit aus.
Die konkreten Erinnerungen gehen verloren
Günter habe sich dann selbst irgendwann gefragt: Macht dieses Gedenken dann noch Sinn? Oder sei es nur eine „lästige Pflicht“ für Politik und Gesellschaft? Er habe für sich entschlossen, und das bereits vor mehr als zehn Jahren, „ja, das Gedenken macht Sinn. Es ist und bleibt mir wichtig“. Gerade weil die konkrete Erinnerung an die Opfer der Vergangenheit abnehme, weil mit den Namen, die auf den Denkmälern stehen, immer weniger Menschen etwas anfangen können.
Mitglieder der Reservistenkameradschaft stellten wieder eine Ehrenwache.
„Weil die konkreten Erinnerungen verloren gehen, brauchen wir gestaltete Erinnerung“, betonte er. Diese könne uns nämlich helfen, die Fehler der Vergangenheit nicht zu wiederholen und die Gefahren der Wiederholung würden mit dem Abstand wachsen. „Ich will nicht aufhören zu erinnern, auch wenn es immer weniger werden“, so der Pfarrer.
Auf dem Ehrenmal in Wallenrod stehe geschrieben „Den Toten zur Ehre, den Lebenden zur Mahnung“ – Er habe entschieden, sich mahnen zu lassen. Doch wohin mahne ihn diese Geschichte? Drei Gedanken äußerte er hierzu. Erstens: Krieg bringe immer nur Verlierer und Opfer hervor und das auf allen Seiten.
Kränze wurden niederlegt.
Zweitens: Kein Volk, keine Religion, keine Nation und Macht dürfe sich über andere erheben, weil man der Überzeugung sei, besser, richtiger, wahrer zu sein. Das gelte im Großen der Politik genauso wie im kleinen Zusammenleben, in der Familie oder Nachbarschaft. Als dritten Gedanken führte er Demut an, denn wer um die eigenen Unzulänglichkeiten, die eigene Fähigkeit, falsch zu liegen weiß, der könne auch selbst Fehler eingestehen und bereit sein, der anderen Seite zuzuhören.
Musikalisch umrahmt wurde die Gedenkfeier vom evangelischen Posaunenchor.
Günther schloss mit einem Zitat vom ehemaligen Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker, der am Ende seiner Rede zum 40. Jahrestag des Kriegsendes am 8. Mai 1985 dazu aufrief: „Lassen Sie sich nicht hineintreiben in Feindschaft und Hass gegen andere Menschen. Lernen Sie miteinander zu leben, nicht gegeneinander.“
In Frieden leben – keine Selbstverständlichkeit
Anschließend übernahm Arthur Schnitzer vom VdK Alsfeld das Wort: „Anlass für die Gründung des VdK war das Leid der vielen Kriegsopfer in Deutschland, der an Körper und Seele Versehrten, der Kriegswitwen,- waisen und der Eltern, deren Söhne gefallen waren“, rief er in Erinnerung. Viele von ihnen seien arbeitsunfähig und auch aus anderen Gründen nicht in der Lage gewesen, für sich selbst zu sorgen. „Ihre Rentenansprüche durchzusetzen war das erste Ziel, dass sich der VdK damals gesetzt hatte.“
Arthur Schnitzer vom VdK.
Schnitzer betonte, dass wir hier seit 76 Jahren das Glück hätten, in Frieden leben zu können. „Das ist keine Selbstverständlichkeit, sondern eher eine Ausnahme auf diesem Erdball.“ Am Volkstrauertag werde eben auch an die Millionen von Menschen auf der Welt gedacht, die dieses Glück nicht haben, „sondern deren Leben in diesem Augenblick, in dem wir hier beisammen sind, durch Hunger, Krieg und Gewalt bedroht ist“, so Schnitzer.
In unserem Land müsse man leider beobachten, dass die Feindseligkeit größer und der Tonfall, in dem gesellschaftliche Debatten geführt werden, rauer geworden sei. „Hetze, Häme, Gewaltandrohungen – für alle, die in der Öffentlichkeit stehen, von Polizisten, Hilfsorganisationen über Kommunalpolitiker bis zu Journalisten, gehören mittlerweile zum Berufsalltag dazu.“ Das sei laut Schnitzer eine bedenkliche Entwicklung, die unbedingt gestoppt werden müsste. Deshalb ruft der VdK dazu auf, sich auf das zu besinnen, was die Menschen eine und nicht trenne.
Schnitzer appellierte schließlich: „Treten Sie weiterhin unbeirrt für Frieden, für gegenseitige Unterstützung und für eine politische Kultur ein, in der nicht die Laustärke, sondern die Stärke der Argumente zählt.“
Last die Bundeswehr im Land, hört mit dem Kriegspielen auf.