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Interview mit Gewerkschaftsvertreterin über die Frage, ob Amazon oder DHL Express nach Alsfeld kommen sollteVerdi: „Tendenz geht grundsätzlich zu DHL“

ALSFELD (jal). Die Alsfelder haben die Wahl: Mit Amazon und DHL Express wollen zwei große Unternehmen sich in der Stadt ansiedeln. Mechthild Middeke von Verdi kennt einen der beiden Bewerber ziemlich gut. Die Gewerkschafterin ist Expertin für Amazon in Bad Hersfeld. Im Interview mit OL erklärt sie, warum Verdi zumindest grundsätzlich gesehen eher DHL für einen besseren Arbeitgeber hält.

Amazon und die vor allem für Geschäftskunden tätige Expressabteilung von DHL, die wenig mit den normalen Paketen zu tun hat, die der Postbote Privatleuten jeden Tag bringt, buhlen um die selbe Fläche im Alsfelder Industriegebiet Am Weißen Weg. In der Stadtpolitik ist bislang ein leichter Vorsprung für DHL erkennbar.

Mechthild Middeke ist schon bald 20 Jahre Mitglied bei Verdi. Und eigentlich schon genau so lang beschäftigt sich die Gewerkschaftssekretärin für den Fachbereich Handel bei Verdi in Nordhessen mit Amazon. Der Onlinehändler eröffnete in Bad Hersfeld und damit in ihrem Zuständigkeitsbereich im Jahr 1999 sein erstes deutsches Warenlager.

Oberhessen-live: Frau Middeke, entschuldigen Sie, wenn wir gleich zur Sache kommen: DHL oder Amazon – wer ist aus Sicht von Verdi der bessere Arbeitgeber?

Mechthild Middeke: Für uns ist bei einer solchen Frage ein wichtiges Kriterium, ob nach Tarifvertrag bezahlt wird, ob man als Unternehmen auch bereit ist, mit Gewerkschaften zu verhandeln und Rahmenbedingungen abzuschließen. Das ist bei Amazon nicht erkennbar.

Also geht Ihre Tendenz schon zu DHL?

Die Tendenz geht grundsätzlich zu DHL, weil DHL mit einem Teil seiner Tochtergesellschaften ein tarifgebundenes Unternehmen ist und mit diesen eine langjährige Tradition pflegt, mit Gewerkschaften und Betriebsräten die Arbeitsbedingungen zu regeln. Amazon spricht zwar auch mit Betriebsräten, aber die Gewerkschaft bleibt außen vor. Das ist ihre generelle Position.

Tendenz zu DHL Express in Alsfelder Stadtpolitik erkennbar

Früher gab es mal eine Diskussion, ob Amazon ein Einzelhändler ist oder doch eher ein Logistiker – weil in der zweiten Branche traditionell schlechter bezahlt wird als im Einzelhandel. Wie ist das heute?

Das war 2013, als wir mit dem Arbeitskampf bei Amazon begonnen haben, eine Argumentation des Unternehmens. Das spielt jetzt aber keine Rolle mehr. Amazon ist im letzten Jahr sogar Mitglied im HDE, dem Hauptverband des Einzelhandels, geworden – allerdings ohne Tarifbindung. Diese Möglichkeit lässt der Arbeitgeberverband leider zu. Wobei Amazon schon verschiedene Geschäftsfelder hat und bei der Logistik immer mehr in die Endzustellung zum Kunden reingeht, wie man auch am geplanten Sortierzentrum in Alsfeld sieht.

Der Standort in Bad Hersfeld, den Sie ja betreuen, ist hingegen ein klassisches Warenlager von Amazon. Wissen Sie denn trotzdem, wie die Arbeitsbedingungen in rein logistischen Einrichtungen von Amazon sind?

Die Erfahrungen damit sind ehrlich gesagt noch recht dünn, weil Amazon diesen Weg sich dort zu engagieren noch nicht sehr lange geht. In den Fulfillment-Centern, also den Warenlagern, haben wir in der Tat mehr Erfahrung. Dort ist es uns gelungen, überall Betriebsräte zu installieren, anfänglich gegen den Widerstand Amazons, und auch gewerkschaftliche Strukturen ein bisschen aufzubauen, mit Vertrauensleuten. Und wir sind immerhin an sechs Standorten mit sieben Fulfillment-Centern streikfähig, 16 solcher Zentren gibt es insgesamt. Das ist ja gar nicht so ohne, so etwas überhaupt hinzukriegen.

Wo sind die drängendsten Probleme, die Sie bei Amazon sehen?

Beim Gesundheitsschutz im Zusammenhang mit der Digitalisierung.

Das müssen Sie erklären.

Die Arbeit verdichtet sich immer mehr. Amazon ist wirklich gut dabei, mit Datensammeln und Logarithmen Arbeitsprozesse immer mehr zu steuern. Hinzu kommt der vermehrte Einsatz von Robotik. Im Prinzip wollen sie die Arbeit beim Menschen genauso steuern können wie beim Roboter. Der Mitarbeiter wird damit immer gläserner. Diese Art der Arbeitsverdichtung, die das mit sich bringt: Die macht uns große Sorgen. Der Slogan „Wir sind keine Roboter, wir sind Menschen“ ist wirklich sehr ernst zu nehmen.

Aber Prozesse zu optimieren ist doch etwas, was DHL als Logistiker, wo jede Minute zählt und Geld kostet, doch mit Sicherheit auch betreibt – oder nicht?

Ich gehe mal davon aus, dass jedes Unternehmen in dieser Hinsicht aktiv ist. Die Frage ist trotzdem immer, wie der Mitarbeiter in der Firmenphilosophie betrachtet wird. Ob er wirklich nur als Rädchen im Getriebe betrachtet wird, als Kostenfaktor – oder ob man auch unter dem Gesichtspunkt von Humanisierung in der Arbeitswelt das Ganze etwas anders angeht. Ich muss aber dazu sagen, dass ich nicht genau weiß, wie bei DHL diese Prozesse im Moment gesteuert werden.

Was würden Sie sich – vorausgesetzt, Amazon würde mit Ihnen verhandeln – sonst noch konkret von dem Unternehmen wünschen?

Ganz grob gesagt: Ein fairerer Umgang mit Mitarbeitern, die man als Menschen wahrnimmt, die auch ihre Bedürfnisse haben und nicht immer hundert Prozent oder gar hundertfünfzig Prozent, wie es gewünscht ist, funktionieren. Den Mitarbeitern werden ständig Zahlen vorgehalten, das erzeugt einen enormen Leistungsdruck. Es bräuchte eine andere Art des Umgangs, die auch übers Management transportiert werden müsste, denn es mangelt auch häufig an der Führungsarbeit. Und natürlich könnte bei Amazon, dem größten Onlineversandhändler, auch finanziell mehr rumkommen bei den Beschäftigten.

Danke für das Stichwort. Amazon würde laut seiner Präsentation den Beschäftigten im Logistikbereich in Alsfeld nach einer angeblich hessenweiten Regelung mindestens rund 12 Euro die Stunde bezahlen, nach zwei Jahren Betriebszugehörigkeit sollen es durchschnittlich 2600 Euro brutto im Monat sein, einschließlich beschränkter Mitarbeiteraktien und Boni. Was halten Sie davon?

Der Vergleich wäre bei uns dafür der Tarifvertrag Einzel- und Versandhandel Hessen. Der Stundensatz in diesem Tarifvertrag für Tätigkeiten im Lager ist 14,65 Euro und zwar von Beginn an. Wir sind derzeit in Tarifverhandlungen und erwarten eine Steigerung bei den Löhnen in diesem Jahr. Hinzukommen aber auch die anderen Vorteile, die in einem Tarifvertrag verbindlich festgehalten sind, wie 36 Werktage Urlaub, zum Beispiel. Und wir haben ein tarifliches Urlaubs- und Weihnachtsgeld von jeweils mehr als 1000 Euro. Das ist mit einem Rechtsanspruch verbunden und etwas anderes als Aktien. Eine Anmerkung noch zu den 2600 Euro in Monat, die man bei Amazon angeblich verdienen kann: Wir haben mehrfach bei den langjährigenVersandmitarbeitern in Bad Hersfeld nachgefragt, diese Summe hat keiner erreicht.

Was verdient man denn als Logistikmitarbeiter in einem DHL-Expresszentrum in Hessen mindestens pro Stunde laut Tarifvertrag?

Insofern es sich dabei tatsächlich um DHL Express Germany GmbH handelt und wir den aktuellen Haustarifvertrag zugrunde legen, kämen Beschäftigte im Lagerbereich in den ersten drei Beschäftigungsjahren, je nach Tätigkeit, auf einen Stundenlohn von circa 13 bis 14 Euro bei einer 39 Stundenwoche.

Verdi würde die Entscheidung für einen DHL-Stand in Alsfeld grundsätzlich natürlich sehr begrüßen

Alsfeld liegt nicht in Ihrem geografischen Zuständigkeitsbereich, und die Logistikbranche als solche auch nicht. Sie haben sich, soviel kann man hier sagen, für die Beantwortung der folgenden Frage mit Ihren zuständigen Kollegen abgesprochen: Was sagt Verdi generell dazu, dass DHL plant, in Alsfeld den neuen Drehpunkt für seinen Express-Zustelldienst in Deutschland zu eröffnen?

Verdi würde die Entscheidung für einen DHL-Stand in Alsfeld grundsätzlich natürlich sehr begrüßen und als Chance für die Schaffung tariflich abgesicherter Arbeitsplätze begreifen. Allerdings habe ich von meinem Kollegen Roland Blumenauer, Fachbereich für Postdienste, Speditionen & Logistik, erfahren, dass die Planungen für Alsfeld intern bei der Arbeitnehmerseite offensichtlich noch gar nicht angekommen sind. Zudem habe ich von meinem Kollegen erfahren, dass die DHL Express Germany GmbH einen großen Teil der Arbeitsplätze im Rahmen von Werksverträgen an Subunternehmer fremdvergeben hat.

So beschäftigt die DHL Express Germany GmbH, wie zum Beispiel unter anderem auch Amazon und DPD, keine eigenen Zustellfahrer. Auch ein Teil der Arbeitsplätze im operativen Geschäft in den Paketumschlaghallen ist in vielen DHL Express Germany Standorten “outgesourced“. In den Unternehmen der Subunternehmer existieren in der Regel auch weder Betriebsräte noch Tarifverträge. Es käme also zunächst tatsächlich auf konkretere Informationen und eine sehr differenzierte Analyse an.

Gehen wir nochmal zurück zu Amazon: Gibt es denn irgendetwas, was das Unternehmen in Ihren Augen in der Vergangenheit gut gemacht hat in Bezug auf seine Beschäftigten?

Amazon reagiert natürlich schon auf Druck, der an sie herangetragen wird. Sie haben zum Beispiel ein Gesundheitsmanagement eingeführt und das Thema Ergonomie am Arbeitsplatz etwas genauer angeschaut. Amazon ist durchaus immer wieder bereit, zu reagieren und Dinge zu ändern. Das seh’ ich schon.

Es gibt in Alsfeld vereinzelt die Ansicht, dass es sich bei der Arbeit in Logistikbetrieben generell um schlecht bezahlte und daher auch ein stückweit minderwertigere Jobs handelt, die man in einer Stadt mit niedriger Arbeitslosenquote vielleicht gar nicht braucht. Was ist Ihre Meinung dazu?

Stadtpolitik muss sich natürlich genau angucken, wie die Ansiedlung von weiteren Firmen in das Gefüge vor Ort passt – auch unter ökologischen Gesichtspunkten wie Flächenversiegelung und Verkehr. Ich bin dafür, dass man dort, wo es geht, auf die Qualität und die Bezahlung der Arbeitsplätze guckt. Das steht für mich schon im Fokus. Daher bin ich auch eher der Auffassung, nicht zu sagen, „Arbeitsplätze um jeden Preis“, sondern man sollte dabei eine gute Messlatte anlegen. Und die Messlatte besteht für uns aus tarifvertraglichen Bedingungen und allgemeinen, guten Arbeitsbedingungen, die man von Unternehmen erwartet.

3 Gedanken zu “Verdi: „Tendenz geht grundsätzlich zu DHL“

  1. Es sollte Platz für beide gemacht werden , das kann Alsfeld gut gebrauchen.

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    1. Ach, papalapap…. brauchen wir doch alles nicht, so wie das Glasfaser…wir gehen einfach in den Wald und auf das Feld in 20-30 Jahren zurück und leben hinter dem Mond.

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  2. Wie weit sind wir gekommen, dass die Gewerkschaft in Entscheidungen der Stadtpolitiik befragt ,bzw.Einfluss nimmt.Hier erkennt man die Fähigkeit unserer Stadtpolitiiker!?!?
    Traurig,wahrscheinlich ist DHL der leichtere Verhandlungspartner für sie.

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