Von der Kirchenmusikerin Christine GeitlÜber die Heinemann-Orgel in Nieder-Gemünden
NIEDER-GEMÜNDEN (ol). Die Orgel wurde 2021 zum Instrument des Jahres gewählt. In unserem Dekanatsgebiet hier im Vogelsberg haben wir zahlreiche schöne, alte und besondere Orgeln – das haben die vier Kirchenmusiker Christine Geitl, Claudia Regel, Dr. Diana Rieger und Simon Wahby zum Anlass genommen, ab sofort regelmäßig jeden Monat eine Orgel vorzustellen. Im Juni widmet sich Kirchenmusikerin Christine Geitl der Heinemann-Orgel in Nieder-Gemünden. Der Text im Wortlaut.
Betritt man die Kirche in Nieder-Gemünden wird der Blick sofort auf die Orgel gelenkt, die direkt gegenüber dem Eingang aufrecht und stolz auf der Empore steht. Und so klingt sie auch, direkt, geradeaus, präsent und klar, oft auch zart und farbenreich. Pfarrerin Kadelka fasst es zusammen: „Ein schöner Sound“. Bei näherer Betrachtung fallen Pfeifen auf, die unten dunkel, oben hell sind. Sie wurden angelängt. Konnte man das nicht schöner machen? Ja, das hätte man, aber aus gutem Grund sollte die Anlängung sichtbar sein.
Pfarrerin Kadelka berichtet: Wie so viele Kirchengemeinden musste auch unsere Gemeinde im 2. Weltkrieg Glocken und Prospektpfeifen abgeben, ein klanglich herber Verlust. Nachdem die Kirche um die Jahrtausendwende renoviert wurde, kam ein Nieder-Gemündener mit seinem Besucher, um die wunderbar aussehende Kirche zu besichtigen. Der Besucher staunte und stutzt: Unsere Orgel. Der Besucher stammt aus Gemünden/Wohra, wo Orgelbauer Heinemann eine sehr ähnliche Orgel gebaut hatte.
Diese Orgel war leider marode und musste aufgegeben werden, aber sie besaß noch die originalen Pfeifen aus dem 18. Jahrhundert. Durch Vermittlung des Besuchers gelang es, diese originalen Pfeifen nach Nieder-Gemünden zu bringen. Die Gemeinde aus dem Wohratal war glücklich, dass ihre Pfeifen eine solch wunderbare Verwendung in der Schwesterorgel im Feldatal fanden.
Man verständigte sich darauf, den Verlust der Orgel in Gemünden und der Pfeifen in Nieder-Gemünden als Wunde sichtbar zu lassen. Deshalb wurden die originalen Pfeifen mit hellem Material angelängt. Aber der klangliche Unterschied zu den Ersatzpfeifen, die nach dem 2. Weltkrieg eingebaut waren, war für jeden hörbar. Eine beeindruckende Geschichte.
Wie kommt eine Orgel mit thüringischen Wurzeln nach Oberhessen? Mitte des 18. Jahrhunderts wird in Laubach mit finanzieller Unterstützung des Laubacher Grafen eine große Orgel von thüringischen Orgelbauern erbaut. Der Geselle Johann Andreas Heinemann verliebt sich, heiratet in Laubach und wird in Gießen mit seiner Orgelbauwerkstatt sesshaft.
Er baut in Oberhessen mehr als ein Dutzend neuer Orgeln und gilt als bedeutendster Orgelbauer dieser Region. Seit 1760, nun also bereits 261 Jahre, klingen die Pfeifen in Nieder-Gemünden und die Orgel tut mit großer Zuverlässigkeit ihren Dienst. Bis heute zeugt das Instrument von der hohen Kunst der mitteldeutschen Orgelbautradition. Und nun lade ich Sie herzlich ein, den Kirchraum und die Orgel mit Hörbeispielen, Fotos und einem kleinen Film auf der Dekanatswebsite unter www.vogelsberg-evangelisch.de kennenzulernen.
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