Vogelsberger werfen einen Blick zurück2020 – Was war gut an diesem verflixten Horrorjahr?
VOGELSBERG (ls/akr). Corona beherrschte das Jahr. Viele Menschen wurden krank, viele landeten im Krankenhaus und mussten beatmet werden, einige verloren den Kampf gegen das Virus. Zeitgleich war Deutschland im Lockdown: Schulen hatten geschlossen, Geschäfte ebenfalls. Existenzen sind bedroht, das Gesundheitssystem kam an seine Grenzen. Zugegeben, es ist nicht leicht dem Pandemie-Jahr 2020 etwas Positives abzugewinnen. Und trotzdem hat die Krise auch Chancen geboten. Was war gut an Corona? Vogelsberger und ehemalige Vogelsberger erzählen.
Axel Pries, OL-Gründer
„Eine Betrachtung darüber, was 2020 gut war, gar an Corona? Oh, weh! 2020 war auch für mich ein schwieriges Jahr: Neustart in neuer Umgebung. Das haben wir selbst so gewählt, aber dann hat uns Corona den Zauber des Neuen genommen, weil es sich wie Mehltau über die Stadt Emden legte. Außer beruflich haben sich in dem Jahr kaum Kontakte ergeben. Wie denn: Genau das soll ja vermieden werden. Andersherum kann ich manche Entschleunigung und Einschränkung auch genießen. Corona wirkt ein bisschen wie Regenwetter am Sonntag. Es nimmt die Entscheidung ab, ob man unbedingt einen Ausflug machen sollte – und wenn ja: wohin bloß? Ohne schlechtes Gewissen aufs Sofa, fernsehen, ein Buch lesen: Das kann ja auch entspannend sein.
Und vielleicht bleibt ja auch ein bisschen was hängen von der Erkenntnis, dass die alte Welt doch nicht so alternativlos ist, wie stets behauptet wird, wenn dringende Veränderung angemahnt werden. Die Pandemie hat gelehrt, dass viel von unserem früheren Luxus tatsächlich Luxus ist – nicht nur im Materiellen, sondern auch in den Ansprüchen unserer Vollkasko-Gesellschaft. Vielleicht können diese Lehren genutzt werden, um Bestrebungen der Fridays-for-Future-Bewegung tatsächlich umzusetzen. Dann hätte Corona in einer Nachbetrachtung auch ein gutes Element.“
Felix Dickhaut, Lehrer und Fußballer bei SpVgg. Leusel
„Corona war und ist sicherlich ein Stresstest für die Gesellschaft im Ganzen, als auch für den privaten Bereich. Durch die getroffenen Verordnungen und daraus hervorgegangenen Maßnahmen hat man sicherlich vor Augen geführt bekommen, welche alltäglichen Dinge doch keine Selbstverständlichkeit darstellen. Sei es das Essengehen in einem Restaurant, der Kinobesuch, der Besuch von Freunden oder aber das Feierabendbierchen in einer Kneipe.
Das hat sicherlich dazu geführt, dass man sich mit dem, was einem noch blieb, stärker auseinandergesetzt hat. Das waren meist die Menschen, mit denen man zusammenwohnt oder die eigene engste Verwandtschaft. Hier ist der Zusammenhalt noch stärker geworden. Außerdem haben neue Aufgaben am Arbeitsplatz die ein oder andere innovative und interessante Sache ergeben. Der verstärkte Einsatz von digitalen Medien und Programmen hat dazu geführt, dass ich hier sicherlich Dinge neu dazugelernt habe, die ich auch beibehalten werde. Das Gute an Corona ist also sicherlich, dass ich meinen ‚Vor-Corona-Alltag‘ jetzt viel abwechslungsreicher und spannender betrachte, als vorher.“
Traudi Schlitt, Kolumnistin
„Für mich war an Corona gut zu sehen, was ich alles vermisse, wenn ich es nicht wie sonst selbstverständlich habe: Kultur, Reisen, theoretisch überall hinzukönnen, wohin ich will, und zu tun und lassen, was ich will. Später habe ich kleine Freiheiten, Begegnungen, Veranstaltungen viel intensiver genießen können. Und ich wurde dankbar für unsere Jobs, unsere Situation insgesamt, im Kleinen und im Großen. Das teile ich wahrscheinlich mit vielen Menschen. Was ich aber richtig wichtig fand, war, wie deutlich man sehen konnte, welche Berufe wirklich wichtig sind. Wir alle haben das Wort „systemrelevant“ gelernt. Und wenn man da jetzt mal von den Müllmännern absieht, waren das in der Regel klassische Frauenberufe: Erzieherinnen, Verkäuferinnen, Pflegekräfte: wenig wertgeschätzt und schlecht bezahlt. Ich hoffe, dass das Klatschen vom Frühjahr sich für die Beschäftigten dauerhaft in mehr Einkommen verwandelt und damit auch in eine gescheite Rente.
Also, insgesamt gut war an Corona, dass wir in vielerlei Hinsicht Denkanstöße bekommen haben: Konsum, Wohlstand, Inklusion, Lieferketten, Lebensmittelproduktion, soziale Absicherung, Digitalisierung, Emanzipation, Miteinander der Generationen, letztendlich auch Klimaschutz, weil wir sehen konnten, wie gut sich die Natur erholt, wenn wir sie mal ein wenig in Ruhe lassen. Ich hoffe sehr, dass wir diese Impulse als Gesellschaft gemeinsam nutzen.“
Mathias Köhl, Vorsitzender der Alsfelder Tafel
„Als erster Vorsitzender der Alsfelder Tafel und als Privatperson schlagen bei der Frage, was an Corona gut war, zwei Herzen in meiner Brust. Nach meiner Einschätzung ist die Pandemie noch lange nicht gebannt, zumindest im nächsten Jahr werden wir uns alle weiterhin den Herausforderungen stellen müssen. Als Vorsitzender der Tafel konnte ich beobachten, dass all unsere ehrenamtlichen Mitarbeiter sehr großen Wert darauf gelegt haben, weder in Hysterie noch in Ignoranz im Umgang mit Corona zu verfallen. In diesem Jahr achtet man sehr viel aufeinander, das ist gut. Am Ende des Tages zählt für uns, gesund in die nächste Ausgabe zu starten – für die, die ohnehin benachteiligt sind. Gesunder Menschenverstand, der sich dieser Tage oftmals zu verflüchtigen scheint, den versuchen wir uns zu erhalten.
Privat mache ich mir natürlich Gedanken um die soziale Distanz, die fehlende freundschaftliche und persönliche Nähe, gute Gespräche in geselliger Runde. All das, was vor Corona normal in unserem Leben war. Vieles werden wir sicherlich neu erlernen müssen. Wir werden lernen müssen mit unseren Ängsten und denen unserer Mitmenschen sorgsam umzugehen.“
Achim Spychalski-Merle, Geschäftsführer von Pf-Schweißtechnologien
„Ich muss eingestehen, dass es schwierig ist der derzeitigen Situation überhaupt etwas Positives abzugewinnen. Beruflich bin ich immer viel in der Welt unterwegs. Deshalb habe ich bereits seit Januar die Entwicklung in China sehr genau verfolgt, alles über das neue Virus gelesen was ich finden konnte und sehr früh erkannt, dass es ein weltweites Problem werden wird. Seitdem habe ich kein Flugzeug mehr betreten und die meiste Zeit zu Hause oder in der Firma verbracht. Ob das gut war, müssen allerdings andere entscheiden. Ich habe die viele Zeit mit meiner Familie genossen.
‚Jede Krise birgt eine Chance‘ habe ich mir zu Beginn des ersten Lockdowns auf einen Zettel geschrieben und die viele Zeit genutzt, einige Entwicklungen im Unternehmen voran zu treiben oder Dinge auszuprobieren. Darunter fiel auch die Gelegenheit den Mitarbeitern – wo möglich – das Arbeiten im Home-Office anzubieten.
Ähnlich positiv sind die Erfahrungen mit Video-Konferenzen, Online-Schulungen und -Präsentationen. Wir haben gelernt mit diesen Werkzeugen umzugehen und wann es sinnvoll ist diese einzusetzen. Allerdings haben wir auch erfahren, dass nichts die persönliche Begegnung ersetzen kann. Und vielleicht ist genau das das eigentlich Positive an dieser Krise: Die Wertschätzung der persönlichen Begegnung – des Augenblicks des Augenblicks, des Händedrucks oder der Umarmung.“
Angelo Müller, Schulleiter der Gerhart-Hauptmann-Schule
„Ich blicke auf ein sehr turbulentes, ungewisses und außergewöhnliches Jahr zurück. Viele Traditionen und Rituale, die über Jahre und Jahrzehnte in einem ’normalen‘ Jahr gelebt wurden, konnten dieses Jahr leider nicht oder nur unter besonderen Bedingungen stattfinden. Neue Regelungen und Erlasse haben von uns allen immer wieder ein großes Maß an Flexibilität gefordert. Schule und Unterricht konnte unter Corona-Bedingungen nicht mehr so stattfinden, wie wir es alle gewohnt waren und kannten. Von der kompletten Schulschließung mit Homeschooling über die Rückkehr einzelner Jahrgänge bis hin zu einem Wechselunterricht haben wir Schule unter ganz anderen Bedingungen erlebt.
Trotz der Corona-Pandemie konnten wir für unsere Schule auch in diesem Jahr wieder einiges erreichen: die Sanierung des Schulhofes, die Besetzung der Konrektorenstelle, den Anschluss an das Glasfasernetz und die Auszeichnung zur Umweltschule sind dabei nur einige positive Dinge.“
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