Übergabe des Singeweins an den Gesangverein Liederkranz-Harmonie„In schwierigen Zeiten stehen wir nun vor der Tür“
ALSFELD (akr). Es gibt ein Ritual, das beim Christkindwiegen auch in diesem Jahr nicht fehlen darf: Die Übergabe des Singeweins an den Gesangverein Liederkranz-Harmonie. Die fand allerdings nicht wie gewohnt auf dem Turm der Walpurgiskirche statt, sondern, wie Pfarrer Peter Remy es in Worte fasste, „in schwierigen Zeiten vor der Tür“.
Im Jahr 1674 wurde es erstmals urkundlich erwähnt, seit 1849 hält der Gesangverein „Liederkranz-Harmonie“ zusammen mit dem Posaunenchor der Kirchengemeinde diese Tradition aufrecht – gemeint ist natürlich das Christkindwiegen, das seit nunmehr fast 350 Jahren am Heiligabend nicht fehlen darf. „Selbst in Kriegszeiten hat es stattgefunden“, betonte Pfarrer Peter Remy. In dieser Krisenzeit allerdings nicht – zumindest nicht so, wie man es gewohnt ist.
Aufgrund der Corona-Pandemie steigen die Sänger und Turmbläser am Heiligabend nicht die Stufen hinauf und erfreuen die Menschen auf dem Marktplatz mit ihren Klängen. „In diesem Jahr ist alles anders, so auch das Christkindwiegen“, erklärte Bürgermeister Stephan Paule. Keine werde auf dem Turm sein. Auf das Christkindwiegen an Weihnachten zu verzichten, das kam allerdings nicht in Frage.
Eine Aufnahme aus dem Jahr 1978 wurde digitalisiert und wird am 24. Dezember um 15.45 Uhr, 17.30 Uhr und 19 Uhr aus den Fenstern des Weinhauses zu hören sein. Parallel werden die Choräle online in einem Video per Livestream übertragen. „Bitte kommen Sie nicht extra vorbei, sondern hören Sie es sich einfach von Zuhause aus an, außer Sie sind gerade zufällig in der Stadt unterwegs“, appellierte der Rathauschef. Es soll auf keinen Fall zu irgendwelchen Menschenansammlungen kommen. „Aufgrund der dramatischen Situation wird es auch keine Präsenzgottesdienste geben, das ist nicht mehr zu verantworten“, betonte Remy.
Die Übergabe des Singeweins
Zum traditionellen Christkindwiegen gehört auch, dass die evangelische Kirchengemeinde den „Singewein“ an den Gesangverein Liederkranz-Harmonie übergibt. Normalerweise findet das auch am Heiligen Abend auf dem Kirchturm statt. „In schwierigen Zeiten stehen wir nun vor der Tür“, sagte Remy. Mit dabei waren an diesem Freitag auch Ingrid Kober, Vorsitzende des Vereins und Christkindwiegen-Organisator Hans Buchhammer, die den Geldsack von Pfarrer Remy entgegennahmen. Für Buchhammer wäre es in diesem Jahr übrigens das 43. Mal gewesen. „Was will man machen, was muss, das muss“, sagte er.
Der Pfarrer betonte, dass es ein wichtiges Signal sei, dass diese Tradition nicht durchbrochen wird, „das ist ein Trost in dieser Situation und Grund genug, dem Gesangverein Danke zu sagen“. Remy zitierte noch den Evangelisten Lukas in der Weihnachtsgeschichte: „Denn sie hatten sonst keinen Raum in der Herberge…“. Das treffe auch auf das Christkindwiegen zu, für das es auch keinen Raum gibt. „Wir mussten uns einen Weg suchen und haben mit Gottes Hilfe einen gefunden“, betonte der Pfarrer – und es werde auch einen Weg aus dieser Krise geben, ist sich Remy sicher.
Der „Singewein“, ursprünglich an die Schüler der Alsfelder Lateinschule gezahlt, die den Gottesdienst musikalisch umrahmten, betrug ursprünglich 18 Gulden im Jahr. Das entspreche heute etwa einem Goldwert von 1.500 Euro. Auch heute wird der Singewein noch in Münzen bezahlt. Immer wieder in die neuen Währungen umgerechnet, von Gulden in Taler, dann in Goldmark, Rentenmark, Reichsmark, D-Mark und schließlich in Euro, beträgt der Wert der Münzen 35,72 Euro. Dabei handelt es sich auch vielmehr um ein symbolisches Dankeschön für den wichtigen, christlichen Dienst. Zusätzlich übergab die Stadt dem Verein noch einen Spenden-Scheck in Höhe von 383 Euro sowie zwei Vogelsberger Original Taschen mit Produkten aus der Region.
Kober bedankte sich bei Pfarrer Peter Remy und Bürgermeister Stephan Paule. „Wie alle Spenden wird auch dieses Geld für den Erhalt des Christkindwiegens verwendet“, betonte sie und machte darauf aufmerksam, dass die Choräle des Christkindwiegens sowie andere Weihnachtslieder des Gesangvereins Liederkranz-Harmonie auf einer CD für zehn Euro erworben werden können. Bestellungen können einfach telefonisch bei Ingrid Kober unter der Nummer 06631/3610 – „das ist bestimmt auch ein schönes Geschenk für alte Alsfelder, die nun in der Ferne leben“.
Zu diesen Uhrzeiten wird die Aufnahme abgespielt:
15.45 Uhr Erstes Abspielen der Lieder des Christkindwiegens.
16 Uhr Ökumenisches Stadtgeläut
17.30 Uhr Zweites Abspielen der Lieder des Christkindwiegens
19 Uhr Drittes Abspielen der Lieder des Christkindwiegens
Die Live-Streams werden hier auf Oberhessen-live und auf Erlebnis.Alsfeld übertragen.
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