Mord in der Kleingartenanlage: Plädoyer des Staatsanwalts Thomas Hauburger - Psychologisches GutachtenStaatsanwaltschaft fordert lebenslange Haft und besondere Schwere der Schuld
ALSFELD/GIEßEN (akr). Viele zurückgewiesene Fragen, eine Verhandlungsunterbrechung, Unverständnis und nur eines von drei Plädoyers: Der Prozess um den mutmaßlichen Mord in der Alsfelder Beerenwiese gestaltete sich an diesem Freitag schwieriger, als an den vorherigen Verhandlungstagen. Dennoch konnte eine wichtige Frage geklärt werden – und zwar die nach der Schuldfähigkeit des Angeklagten.
„Wir machen hier keine Schuldzuweisungen an Zeugen“, betonte Richterin Regine Enders-Kunze, als nur wenige Sekunden zuvor der Nebenklage-Rechtsanwalt Ralf Kuhn einem Zeugen gegenüber etwas äußerte, was im gesamten Gerichtssaal für Unverständnis sorgte. Doch zunächst ein paar Minuten zurück. Es war der vorletzte Verhandlungstag, der im Prozess um den Mord in der Alsfelder Kleingartenanlage Beerenwiese an diesem Freitag auf dem Programm stand. Geplant waren an diesem Tag unter anderem eine letzte Zeugenaussage, das Gutachten eins Sachverständigen sowie die Plädoyers.
Als erstes nahm der ehemalige Vorsitzende des Kleingartenvereins im Zeugenstand Platz. Eigentlich hätte er schon am vorherigen Verhandlungstag aussagen sollen, doch die Vorladung wurde an seine ehemalige Wohnanschrift geschickt, hat ihn also nicht erreicht. Nun war er da und bereit, seine Sicht der Dinge zu schildern. Er habe sowohl zum Opfer als auch zum Angeklagten ein gutes Verhältnis gehabt. „Ich konnte mit jedem gut sprechen“, erzählte er. Leszek M. sei ein freundlicher und hilfsbereiter Mann gewesen, und so auch der Angeklagte. „Man konnte nichts negatives über ihn sagen“, berichtet er.
Am Tattag selbst war der ehemalige Vorsitzende nicht vor Ort. Er schilderte den Tag, als der Angeklagte Steine durch die Hecke geworfen haben soll und es später zur Prügelei kam – eine Vorgeschichte des tödlichen Streits, die schon zuvor in dem Prozess Thema gewesen war. Leszek sei mit einem Stein in der Hand zu ihm gekommen, habe ihn über den Vorfall informiert. „Man hat die aufgeheizte Stimmung gemerkt“, erzählte er. Er habe sich dann mit dem Angeklagten unterhalten, dass dieser zu dem Zeitpunkt betrunken gewesen sein soll, habe er nicht gemerkt. Als B. kurze Zeit später M. an seinem Garten gesehen habe, sei er auf ihn losgestürzt. Der Schwiegersohn des Opfers beschrieb diese Situation so: „Er wollte wie eine Bestie auf meinen Schwiegervater einschlagen.“
Nur wenige Tage nach dem Vorfall traf sich der Vorstand des Vereins, um über die Konsequenzen zu sprechen. Man entschied sich dazu, Ali B. nicht aus dem Verein zu werfen, sondern ihn abzumahnen, berichtet der Zeuge. Der Angeklagte habe sich auch bei dem Opfer entschuldigen wollen, doch M. habe dies „tragischerweise abgelehnt“.
Fragen, Fragen und noch mehr Fragen
Dann begann Rechtsanwalt Ralf Kuhn, der in dem Prozess die Witwe des Getöteten als Nebenklägerin vertritt, dem Zeugen einige Fragen zu stellen. Fragen, die jedoch, um es einfach auszudrücken, nichts mit der Frage der Schuld oder ähnlichem zu tun hatten. So wollte Kuhn unter anderem wissen, ob er den Angeklagten auch in seinem Verein aufgenommen hätte, wenn er über die Vorstrafen Bescheid gewusst hätte.
„Wir diskutieren hier nicht über die Satzung des Kleingartenvereins“, betonte Richterin Enders-Kunze. Doch Kuhn stellte weiter solche Art von Fragen, die die Richterin immer wieder zurückwies. Seiner Meinung nach gebe es hier nämlich „eine Verantwortung des Zeugen am Tod des Opfers“. Diese Aussage sorgte im gesamten Gerichtssaal für Unverständnis. „Wir machen hier keine Schuldzuweisungen an Zeugen“, betonte die Richterin. Als Kuhn jedoch äußerte, dass er der Meinung sei, dass „der Zeuge ein eingeschränktes Wahrnehmungsvermögen“ habe, unterbrach die Richterin die Verhandlung.
Aber auch nach der Unterbrechung stellte Kuhn weiter Fragen, die immer wieder zurückgewiesen wurden – beispielsweise, wieso der Zeuge nicht mehr der Vorsitzende des Vereins sei und ob er nach der Tat immer noch der Meinung wäre, dass es sich bei dem Angeklagten um einen „integrationsfähigen Menschen“ handele. Der Zeuge betonte, dass er erschüttert über die Tat sei. Er habe sich eben mit Beiden gut verstanden, habe Ali B. als hilfsbereiten, freundlichen und fleißigen Menschen kennengelernt. „So verrückt wie das klingt, aber es ist einfach so“, sagte er.
Über die Schuldfähigkeit des Angeklagten
An diesem Tag stand aber nicht nur die letzte Zeugenaussage auf dem Programm, sondern auch das psychologische Gutachten des Sachverständigen. In diesem gab er zunächst die Biografie des Angeklagten wieder, berichtete von dessen Kindheit und den Suizidversuchen, die es gegeben haben soll. In Deutschland sei B. drei Mal in psychologischer Behandlung gewesen, wo ihm unter anderem eine depressive Störung mit Pseudo-Halluzinationen, eine Impulskontrollstörung und eine Depression mit „wahnhaften Inhalten“ diagnostiziert wurden.
Diese Erkrankungen habe der Sachverständige nicht feststellen können, wie er ausführlich erklärte. „Für den Tattag kann ich keinerlei psychiatrische Diagnose stellen.“ Es sei ein Nachbarschaftsstreit gewesen, der an diesem Tag eskaliert sei. Für ihn sei der Angeklagte voll schuldfähig und B. sei in seiner Auffassung keinesfalls eingeschränkt gewesen. Der Angeklagte war also laut Gutachten bei Verstand, B. selbst hatte am Anfang des Prozesses behauptet, „nicht normal“ und „nicht bei sich“ gewesen zu sein, als er mit einem Hammer auf Leskez M. einschlug. Der Gutachter erklärte zudem, dass auch die abgesetzten Medikamente nichts mit der Tat zu tun gehabt hätten.
Nachdem sich der Sachverständige dann auch noch einigen Fragen Kuhns stellen musste – und das obwohl man eigentlich hätte denken können, dass der Rechtsanwalt mit diesem Gutachten doch zufrieden sein sollte, immerhin wurde dem Angeklagten die volle Schuldfähigkeit attestiert, sollten eigentlich die Plädoyers folgen. Sowohl Staatsanwalt Thomas Hauburger als auch Verteidiger Ralf Alexander Becker wären dafür auch bereit gewesen. Nicht aber Kuhn. Er wollte an diesem Tag kein Plädoyer halten. Er wolle sich noch vorbereiten, sagte er. Darüber hinaus habe er vor, noch einen Antrag zu stellen, damit auch die Vorstrafen des Angeklagten noch mal genau eruiert werden. Damit wolle er „auf Nummer sicher gehen“, dass sich die Kammer für die besondere Schwere der Schuld ausspreche.
Staatsanwaltschaft fordert lebenslange Haft und besondere Schwere der Schuld
Das tat Hauburger bereits an diesem Freitag. Er war der einzige, der plädierte. Becker hatte sich zwar auch bereit gefühlt, entschied sich aber dennoch dagegen. Zu Beginn seines Plädoyers zitierte Hauburger den Sohn des Verstorbenen: „Jemanden grundlos wegzunehmen, das kann ich nicht verstehen.“ Er sehe das nämlich genauso. „Ich kann nicht verstehen, was da passiert ist, aber wir müssen es verständlich machen“, betonte Hauburger. Der Angeklagte habe sich von M. missachtet gefühlt, habe das mit der Beleidigung „Kurwa“ falsch verstanden und dieses Missverständnis habe im April 2020 dann ganz massive Folgen gehabt: Mit einem 1,2 Kilogramm schweren Hammer schlug der Angeklagte, nachdem er sich ihm seitlich von hinten näherte, mehrmals massiv auf ihn ein, sodass M. noch am Unfallort an den schwerwiegenden Verletzungen verstarb.
Hauburger sagte, dass er in seiner ganzen Laufbahn noch nie einen so zugerichteten Schädel gesehen habe. Er konnte sich kaum vorstellen, wie es der Witwe des Verstorbenen in diesem Moment erging, als sie ihren Mann so vorfinden musste. Dass M. sterben musste, weil B. ein Schimpfwort falsch verstanden hatte, sei für ihn schlichtweg kaum nachvollziehbar. Für ihn sei es ein klassischer Heimtücke-Mord, der schon allein vom Gesetz her mit einer lebenslangen Freiheitsstrafe bestraft werden müsse. Hauburger setzte sich auch intensiv mit der Frage nach der besonderen Schwere der Schuld auseinander. Spricht man von der besonderen Schwere der Schuld, dann kommt man nur in bestimmten Ausnahmefällen nach 15 Jahren Haft wieder auf freien Fuß.
Es habe einige Momente gegeben, die für den Angeklagten gesprochen hätten. Beispielsweise, dass er sich von Anfang an vollkommen geständig zeigte und sich in einem Schreiben bei den Opfern entschuldigte. „Ich habe auch keinen Zweifel daran, dass sie die Tat bereuen“, sagte Hauburger. Doch reichen diese Punkte aus, fragte sich der Staatsanwalt. Am Anfang habe er es gedacht, doch dann kam er zu der Auffassung, dass es nicht reiche – und auch das habe ganz bestimmte Gründe. Dazu zählt laut Hauburger dieses „extreme Missverhältnis zwischen Anlass und Tat“. Sprich: Dass der Angeklagte so reagierte an diesem Tag. „Man kann es nicht nachvollziehen, sie wurden nur zurückgewiesen“, betonte der Staatsanwalt.
Als weiteren Punkt merkte er an, dass die Tat in der Öffentlichkeit geschah – vor Zeugen. Und er trotz Aufforderungen, damit aufzuhören, weiter auf das Opfer einschlug. Zwischenzeitlich ging er rüber in seinen Garten und kehrte wieder zu M. zurück, schlug weiter mit dem 1,2 Kilogramm schweren Hammer zu. „Sie haben das Opfer zu einem Objekt ihrer Wut gemacht“, betonte Hauburger und forderte wegen Mordes eine lebenslange Haftstrafe mit der besonderen Schwere der Schuld und der Anordnung einer Haftfortdauer. Letzteres bedeutet einfach ausgedrückt, dass der Angeklagte solange in Untersuchungshaft bleibt, bis das Urteil rechtskräftig ist.
Habe hier den Eindruck als ob die örtliche Polnische Diaspora u. der Statsanwalt an dem Mann ein Exempel statuieren will, es war ein Hassverbrechen der sich spontan entladen hat, wenn er heimtückische Pläne geschmiedet hätte, hätte er ihm Nachts aufgelauert und wirklich heimtüschisch maskiert ihn überfallen/ermordet.
Sehr gut geschrieben, ich war dabei. Ich finde leider nichts von den vergangenen Prozesstagen.