Interview: Alsfelder Fotograf und US-Bürger Gerd Ludwig berichtet von der Stimmung in Kalifornien„Es wird eine Zitterpartie“
ALSFELD/LOS ANGELES. Einer, der die Präsidentschaftswahl in den USA als knappes Rennen hautnah miterlebt, ist Gerd Ludwig, Top-Fotograf mit Wurzeln in Alsfeld und einem Wohnsitz in Los Angeles. Gerd Ludwig hat auch die us-amerikanische Staatsbürgerschaft, kann also ebenfalls mitwählen. OL-Gründer Axel Pries hat am Tag nach der Wahl mit dem prominenten Freund per Videotelefonat gesprochen und gefragt: Wie geht es dir als Betroffener bei dieser Spannung?
Das Interview wurde geführt, als nur feststand, dass noch gar nichts am Ausgang der US-Wahl wirklich feststand. Neuste Meldungen und Nachrichten zu der Abstimmung finden Sie zum Beispiel hier.
Oberhessen-live: Gerd! Hast du überhaupt gewählt?
Gerd Ludwig: Natürlich! Ich habe schon vor zwei Wochen per Briefwahl meine Stimme abgegeben. Mein Sohn hat seine und meine Stimme in die vorgesehene Dropbox gepackt. Hier stehen überall Boxen in den Straßen, in die man seine Briefwahlunterlagen einwerfen konnte. Das sind spezielle Briefkästen, die nur für diese Wahl gedacht sind. Dazu konnte man übers Internet verfolgen, ob dieser Wahlbrief auch akzeptiert worden ist.
Der Wahltag ist jetzt rum. Wie war die Stimmung? Warst du mal draußen – immerhin gibt es bei euch auch Corona, und man meidet besser Menschenansammlungen.
Ich war seit gestern Abend nicht draußen (Anmerkung: Für Gerd Ludwig hat dieses Gespräch am Mittwoch um 9 Uhr morgens stattgefunden. In Alsfeld war bereits 18 Uhr.) Da habe ich die Nachrichten geschaut und bin dann ganz deprimiert ins Bett gegangen. Aber heute in der Frühe bin ich mit etwas mehr Hoffnung aufgestanden. Aber es wird eine Zitterpartie.
Wie ist denn die Stimmung? Hier überschlagen sich die Nachrichten, und man ist etwas erstaunt, dass die Wahl doch anders ausfällt, als von Demoskopen erwartet. Wie ist das in Kalifornien? Verfolgt man die Wahl dort überhaupt so Minute für Minute?
Ich habe mit ein paar wenigen Freunden gesprochen, und eine war den Tränen nahe wegen dem gestrigen Ergebnis. Aber heute sieht es ja doch wieder etwas hoffnungsvoller aus. Selbst ein angefochtenes Wahlergebnis werden wir aber erst in ein paar Tagen bekommen.
Gibt es denn tatsächlich die Angst, dass Trump eine knappe Abwahl gar nicht akzeptiert? Er hat sich ja schon zum Sieger erklärt.
Ja, er hat sich schon versteckt zum Sieger erklärt, was von vielen Leuten sehr verurteilt worden ist. Auch von Republikanern.
Hier sagt man auch, dass es zu Ausschreitungen kommen könnte – bis hin zu bürgerkriegsähnlichen Situationen, wenn die bewaffneten Milizen im Streit aufeinander losgehen. Ist das ein aus der Luft gegriffenes Szenario? Wird das auch in den USA diskutiert?
Das wird so nicht in den USA diskutiert. Jede Diskussion darüber fördert so eine Bewegung ja auch nur, finde ich. Außerdem lebe ich in Kalifornien in einem Staat, der einfach mehrheitlich demokratisch ist. In meiner Umgebung gibt es nur einen Menschen, der ein Trump-Abzeichen an seinem Auto hat – und dem geht jeder aus dem Weg (lacht). Ich habe einen Freund, der wäre bekennender Trump-Wähler. Aber der lebt in Thailand.
Was glaubst du, wie es weitergeht nach der ersten Nacht mit einem Teilergebnis?
Im Moment sieht es ja so aus, als könnte Biden noch gewinnen – mit einer Stimme Mehrheit.
Die Briefwahl soll noch eine Rolle spielen. Auf die Stimmen kommt es noch an – auch auf deine!
Die Briefwahlstimmen sind hier in Kalifornien fast unerheblich. Es wäre viel besser gewesen, wenn ich in North Carolina oder sonstwo hätte wählen können. Hier ist es ganz klar, dass Kalifornien blau bleibt. Was man in Deutschland oft vergisst, ist, dass Donald Trump durch das zwei-Parteien-Wahlsystem all jene Wähler mit aufsaugt, die in Deutschland zum Beispiel die AfD wählen würden. Würde man das deutsche Wahlspektrum auf zwei Parteien reduzieren, würde es in Deutschland wahrscheinlich nicht sehr viel anders aussehen. Wobei die CDU in Deutschland nicht mit den Republikanern vergleichbar wäre. Das ganze Spektrum hier ist im Vergleich nach rechts verschoben.
BREAKING: Joe Biden wins California, NBC News projects. https://t.co/qRp6C84zEO pic.twitter.com/YX4jCk9H6W
— NBC News (@NBCNews) November 4, 2020
Es gab viele Bemühungen, die Wähler stärker zu aktivieren als früher. Wen du mal vergleichst: Hast du davon etwas gemerkt?
Es gab einfach eine stärkere Beteiligung der Leute am politischen Prozess. Da spielte auch Corona eine Rolle: Man hatte mehr Interesse und Zeit, Nachrichten zu verfolgen. Hinzu kommt, dass die Medien hier stärker kommerziell ausgerichtet sind. Und die haben ständig über Trump berichtet, denn er war wie ein Entertainer – ein gehasster Entertainer. Das haben die Medien für sich selbst ausgenutzt.
Wenn Trump gewinnt. Wann kehrst du nach Alsfeld zurück – ins Asyl?
Ludwig: (lacht) Ich gehe im Moment noch nicht davon aus, dass er gewinnt. Die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt.
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