Angeklagter räumt Tat ein, aber nicht das MotivProzess um Mord in Alsfelder Obergasse gestartet
ALSFELD/GIEßEN (akr). Es war im Mai, als eine Frau in ihrer Wohnung in der Alsfelder Obergasse mit einem Gipserbeil erschlagen wurde. Der Tatverdächtige: Ihr Ehemann, der getrennt von ihr lebte. Seit Dienstag muss sich der 35-Jährige mit syrischer Staatsbürgerschaft vor dem Gießener Landgericht verantworten. Die Staatsanwaltschaft stuft das Delikt als Tötung aus niedrigen Beweggründen und damit als Mord ein. Insgesamt acht Verhandlungstage sind angesetzt.
An diesem Dienstag war es so weit: Vor dem Gießener Landgericht startete der Prozess gegen den Angeklagten I., der im Mai seine Ehefrau mit einem Gipserbeil erschlagen haben soll. Pünktlich um 9 Uhr sollte es eigentlich losgehen. Vor dem großen Saal mit der Raumnummer 207 warteten bereits einige wenige Zuschauer sowie der Verteidiger. Doch als der mutmaßliche Täter am Ende des Flures von den zwei Justizvollzugsbeamten vorbeigeführt wurde, machte sich plötzlich ganz schnell der Verteidiger Roj Khalaf auf den Weg zu ihm, denn Khalaf war irritiert. Seit wann hat sein Mandant lange Haare?
Es war nicht sein Mandant, auch wenn der Name identisch war. Aus Versehen war ein anderer Mann aus der JVA Gießen ins Gericht gebracht wurden. Also ging der falsche I. zurück, der richtige kam, der Prozess konnte starten – wenn auch mit ein paar Minuten Verwechslungs-Verspätung.
Nachdem der Angeklagte seine Personalien bestätigte, verlas Staatsanwalt Thomas Hauburger die Anklageschrift. Die Staatsanwaltschaft wirft dem Mann vor, seine damalige Ehefrau am 2. Mai mit einem Gipserbeil erschlagen zu haben, da er die Trennung von ihr nicht habe akzeptieren wollen. Eine Trennung würde nicht den Wertevorstellungen seiner syrischen Kultur entsprechen und seine Frau sollte ausschließlich mit ihm zusammenleben, sagt die Anklagebehörde. Am Tattag habe der Mann seine Frau in ihrer Wohnung überwältigt und mindestens neun Mal auf sie eingeschlagen – und das nur ganz kurz, nachdem die Polizei ihm einen Platzverweis ausgesprochen hatte. Dazu aber später mehr.
Verteidiger: „Die Trennung von ihm war aber nicht der Auslöser für die Tat“
Der Angeklagte I. äußerte sich selbst nicht zum Tatvorwurf. „Mein Anwalt wird für mich sprechen“, sagte er ganz leise zu seinem Dolmetscher in seiner Muttersprache. Das war es dann auch. Verteidiger Khalaf übernahm das Wort. Er erklärte, dass sein Mandant das äußere Tatgeschehen vollständig einräume, nicht aber das innere, sprich: seine Beweggründe, die Absicht, wieso er es getan hat. „Die Trennung von ihm war aber nicht der Auslöser für die Tat“, betonte sein Verteidiger. Er habe sich mit der Trennung abgefunden und sich um einen Wohnortwechsel bemüht. Über diese „Erklärung“ hinaus wolle sein Mandant vorerst keine weiteren Angaben machen, sagte Khalaf. Der Verteidiger erklärte nach dem Prozesstag, dass sein Mandant das äußere Tatgeschehen eingeräumt habe, damit seine Kinder nicht vor Gericht aussagen müssen, da die drei Kinder die einzigen direkten Augenzeugen sind.
Insgesamt sechs Zeugen sagten an diesem Dienstag aus. Fünf Polizeibeamte, ein Nachbar. Zunächst nahm ein 23-jähriger Polizeibeamte im Saal platz. Zwei Mal wurde er am 2. Mai in die Obergasse zum selben Mehrfamilienhaus alarmiert. „Den ersten Einsatz gab es um 21.05 Uhr“, erzählte er. Die Ehefrau des Angeklagten habe die Polizei wegen „Familienstreitigkeiten“ gerufen. Ein Streit habe sich aber vor Ort soweit nicht bestätigen können, denn auch die Verständigung sei nicht gerade einfach gewesen. „Beide haben aber einen sehr ruhigen Eindruck gemacht“, erzählte der Beamte. Man habe also mit beiden Parteien getrennt voneinander das Gespräch geführt und I. einen Platzverweis erteilt. Man habe sich darauf verständigt, dass der Angeklagte die Nacht über bei der Nachbarin bleiben könne – einer älteren Dame, die sowohl er, seine Frau und auch ein weiterer Hausbewohner als „Oma“ bezeichneten, da sie ein familiäres Verhältnis zu ihr pflegten.
Zweiter Einsatz innerhalb kurzer Zeit
Anschließend machten sich die beiden Polizisten wieder auf den Weg zurück zur Dienststelle. Lange sollten sie dort aber nicht bleiben. Nur knapp eine Stunde später wurden sie wieder zu dem Haus in der Obergasse alarmiert. „Unterwegs bekamen wir dann die Nachricht, dass die Frau geschlagen wurde und auch bluten würde“, erinnert sich sein Partner, der auch schon beim ersten Einsatz dabei war. „Als wir ausgestiegen sind, war es ruhig“, erzählte der 41-Jährige. Normalerweise erwarte man bei so Streitigkeiten eine gewisse Lautstärke. Doch das war eben nicht der Fall. „Da hatte man schon ein mulmiges Gefühl.“
Die Beamten gingen die Treppen hoch zur Wohnung des Opfers, wo die Tür einen kleinen Spalt offenstand. Direkt hinter der Tür im Eingangsbereich haben die Beamten dann die Frau auf dem Boden in einer Blutlache liegend vorgefunden. „Sie hatte keinen Puls mehr“, erzählte der 23-Jährige. Sowohl er als auch sein Kollege können sich noch gut an das Bild erinnern, dass sie an diesem Abend vorfanden. Viel Blut, ausgerissene Haarbüschel, ein umgefallener Wäscheständer und das Gipserbeil direkt neben ihr. Vom mutmaßlichen Täter keine Spur, auch die Kinder waren weg. Beide erinnerten sich daran, dass es ziemlich dunkel war, weil das Licht im Flur nicht funktionierte. „Es war ruhig. Im Hintergrund hörte man dann aber leise den Fernseher laufen“, sagte der Beamte.
Als weiterer Zeuge war ein Nachbar geladen, der im selben Haus wohnt. Auch er sollte seine Erinnerungen an den Abend schildern. Das gestaltete sich allerdings etwas schwierig, denn er sprach kein Deutsch und auch mit dem Übersetzer hatte er scheinbar leichte Verständigungsschwierigkeiten, weshalb die Fragen oft wiederholt werden mussten. Der Zeuge berichtete, dass die Verstorbene wohl schon öfter die Sorge geäußert habe, dass ihr Mann sie umbringen wolle.
Das habe sie nicht nur einmal seiner Frau bei einer Tasse Kaffee erzählt. Der Angeklagte selbst soll aber auch ihm gegenüber geäußert haben, seine Frau töten zu wollen. Doch dieser habe sich dabei nichts gedacht. Am Tattag habe er am späten Abend plötzlich die Kinder schreien gehört. Daraufhin sei er aus seiner Wohnung raus und habe den Angeklagten im Flur angetroffen. Er sei in Eile gewesen, habe seine weinenden Kinder an den Händen gehalten. „Ich habe Shadi getötet“, soll er laut dem Zeugen gesagt haben, als er gerade die Treppe hinunterlief und gemeinsam mit den Kindern das Haus verlassen wollte.
Die Polizei suchte nach dem Mann, der mit einem Fahrzeug bis bei Hausen in der Nähe von Würzburg flüchtete. Dort ließ er sich von der bayerischen Polizei widerstandslos festnehmen, das berichtete ein weiterer Polizeibeamte. „Ich habe ihm die Fesseln angelegt und er hat keinen Widerstand geleistet.“ Man habe ihn dann zur Vernehmung nach Schweinfurt gebracht. Dort soll er einem Polizisten gegenüber gesagt haben, dass er seine Frau mit einem Hammer erschlagen habe, den er sich von einem Nachbarn geliehen habe. Als Grund für die Tat habe er damals gesagt, dass er seine Kinder seit drei/vier Monaten nicht mehr gesehen habe.
Als letzte Zeugin war an diesem Tag eine weitere Polizeibeamtin geladen. Sie hatte die drei Kinder in der Tatnacht vom Festnahmeort wieder nach Alsfeld gebracht. „Anfangs waren alle sehr still. Wir haben dann ‚Ich sehe was, was du nicht siehst‘ auf der Fahrt gespielt.“ Langsam seien die Kinder dann aufgetaut. Der älteste, zehnjährige Sohn, habe wissen wollen, ob sein Vater jetzt ins Gefängnis müsse. „Ich habe ihn dann gefragt, wie er darauf kommt“, erinnerte sie sich. Daraufhin habe er gesagt, dass der Papa doch so oft auf die Mama eingeschlagen habe. Die Kinder wollten dann auch wissen, wohin ihre Mutter nun käme und ob sie zum Papa könnten. „Ich hatte nicht den Eindruck, dass sie Angst vor ihm hatten“, erzählte die Beamtin, ehe die Richterin Regine Enders-Kunze die Verhandlung für diesen Tag schloss.
Schreibe einen Kommentar
Bitte logge Dich ein, um als registrierter Leser zu kommentieren.
Einloggen Anonym kommentieren