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Streit zwischen dem Kreis und der Kassenärztlichen VereinigungWas es mit den angeblich falschen Corona-Tests im Vogelsberg auf sich hat

VOGELSBERG. Es geht um 15 Corona-Tests von Patienten im Vogelsberg. 15 Tests, die erst positiv waren und in einer zweiten Testung dann doch negativ ausfielen. Wie ist das möglich? Und wer hat in dem Streit darum Recht – der Kreis oder der die Kassenärztliche Vereinigung? Eine medizinische Spurensuche von Luisa Stock.

Es war der 15. Mai, als Dr. Henrik Reygers, der kommissarische Leiter des Gesundheitsamtes des Vogelsbergkreises das erste Mal skeptisch wurde. Eine 18-jährige Schülerin des Lauterbacher Gymnasiums hatte sich vermeintlich mit dem Coronavirus infiziert. Im Testcenter der Kassenärztlichen Vereinigung Hessen (KVH) in Alsfeld wurde ein Abstrich von ihr genommen, ein Labor in Mainz untersuchte die Probe und meldete: sie ist positiv. Damit war die Schülerin die 123. bestätigt infizierte Patientin im Vogelsbergs, zeigte allerdings keinerlei Symptome.

Das Gesundheitsamt wurde skeptisch und ordnete eine zweite Testung durch ein anderes Labor an. Das Ergebnis diesmal war negativ – genau wie die zweite Testung in einem weiteren Fall um diese Zeit. Im Fall der Schülerin wurde sogar eine dritte Testung gemacht, die ebenfalls ein negatives Ergebnis zeigte. Nur knapp einen Monat später liegen bereits zehn solcher zunächst positiven und dann negativen Testergebnisse vor, Anfang Juli sind es 15.

Informierten in einer Pressekonferenz zum erste Corona-Fall im Vogelsberg: Andreas Smakal und Dr. Dr. Rüdiger Rau vom Vogelsberger Gesundheitsamt, Landrat Manfred Görig, Erster Kreisbeigeordneter Dr. Jens Mischak und Kreisbrandinspektor Dr. Sven Holland. Fotos: ls

Wie der Kreis darauf kommt

Deshalb fordern Landrat Manfred Görig und Gesundheitsdezernent Dr. Jens Mischak die Kassenärztliche Vereinigung Hessen auf, das Untersuchungslabor zu wechseln. „Wir brauchen Sicherheit, deshalb dürfen Proben nur an die Labore gegeben werden, die nach dem sogenannten Screeningtest auch eine Bestätigungsuntersuchung auf ein zweites Gen durchführen“, erklärten beide damals in der Presse. 14 zunächst positive Testergebnisse kamen zum größten Teil aus einem Mainzer Labor, laut Aussage des Kreises ohne jegliche Erklärung, auf welche Genabschnitte des Virus getestet wurde. Was es mit den verschiedenen Gen-Tests auf sich hat, ist in der folgenden Infobox erklärt.

Der Corona-Test

Erklärt von Privatdozent Dr. Christian Keller, Leiter der Virusdiagnostik und Facharzt für Mikrobiologie, Virologie und Infektionsepidemiologie am Institut für Virologie am Universitätsklinikum Marburg

Um auf das neuartige Corona-Virus zu testen, gibt es verschiedene Möglichkeiten. Der übliche Test derzeit ist ein RT-PCR-Test. Bei diesem Verfahren wird die RNA, also das Erbgut, des Virus in Untersuchungsmaterialien nachgewiesen.

Dazu wird eine Sekretprobe tief aus der Nase und dem Rachen entnommen. Die Probe wird mit bekannten Erbgutschnipseln der RNA von SARS-CoV-2 verglichen. Man untersucht dabei auf bestimmte Bereiche der viralen RNA aus meist zwei oder mehreren spezifischen Genen. Wenn diese gefunden werden, fällt der Test positiv aus. Dabei gilt: Je mehr Gene gesucht werden, desto genauer ist der Test.

Meist wird in der ersten Stufe das sogenannte E-Gen nachgewiesen, was allerdings auch bei anderen Betacoronaviren – genauer: der Untergattung der Sarbecoviren – positiv ausfallen kann. Zu dieser Untergattung gehört neben dem neuartigen SARS-CoV-2 ebenfalls das SARS-CoV, das allerdings seit 2003 beim Menschen nicht mehr nachgewiesen wird. Das E-Gen gilt zwar als ein guter Screening- oder Suchtest bei Corona-Verdacht, doch um den Verdacht zu erhärten, sind weitere Tests auf beispielsweise das S-Gen wichtig – und seit dem 2. Juni auch vom RKI vorgeschrieben.

Dass ein Labor dem Gesundheitsamt auf den Auswertungsbögen mitteilt, auf welche Gene getestet wurde und welche Tests angeschlagen haben, ist nicht vorgeschrieben. Die Vermutung des Kreises war deshalb: Es ist in den fraglichen Fällen lediglich ein Test auf das E-Gen erfolgt. Ein Bestätigungstest auf ein zweites Gen fehle.

Schon am 23. April habe das Mainzer Labor in einer Mail ans Gesundheitsamt erklärt, dass zu diesem Zeitpunkt „kein Bestätigungstest“ mehr durchgeführt würde. „Zum Nachweis des Virus werden Testkits verwendet, die das N-Gen oder das E-Gen nachweisen (je nach Verfügbarkeit)“, zitiert der Kreis aus der Mail. Der Kreis intervenierte eigener Aussage nach bei der KVH – mit dem Hinweis, ein Test lediglich auf ein Gen reiche nicht aus.

Im Landratsamt entschloss man sich dazu, die positiven Ergebnisse des Mainzer Labors – und auch anderer Labore – mit einem zweiten Test in einem anderen Labor zu kontrollieren, 15 Mal, also bei allen vermeintlich positiven Testergebnissen im ganzen Kreis, kam es vor, dass die Ergebnisse dort dann negativ ausfielen. Für die neuen Tests wurden jeweils neue Abstiche genommen. Der Kreis empfahl schließlich öffentlichkeitswirksam, sich in neu eingerichteten Teststationen im Alsfelder und dem Lauterbacher Krankenhaus testen zu lassen, das Mainzer Labor und damit die KVH-Teststation in Alsfeld sollten außen vor bleiben. Das Testcenter sollte schließlich geschlossen werden.

Was die KVH von den Vorwürfen hält

Die KVH will die Vorwürfe des Kreises, es sei nur auf ein Gen getestet worden, so nicht stehen lassen – räumt zeitgleich jedoch eine Entwicklung der Abläufe ein. Richtig sei, dass es Phasen in der Pandemie gab, in denen viele Labore durch fehlende Testkits und Reagenzien nur ein Gen getestet hätten. Anfang Juni allerdings präzisierte das Robert-Koch-Institut demnach seine Vorgaben und schrieb Tests auf mindestens zwei Gene verbindlich vor, alle Labore mit denen die KVH zusammenarbeitet, hätten das bestätigt.

Die Vorwürfe des Kreises seien „substanzlos“, hieß es von der KVH auf Rückfrage von Oberhessen-live. Bereits Ende Juni hatte die Kassenärztliche Vereinigung die Behauptung aus Lauterbach in ungewöhnlich scharfen Worten zurückgewiesen. Sie würde ein „hohes Maß an medizinischer Inkompetenz und Verantwortungslosigkeit“ offenbaren, hieß es in einer Mitteilung. Dass ein Test wenige Tage nach einem ersten Test anders ausfalle, sei keineswegs unmöglich, schließlich handele es sich bei einer Virusinfektion um einen biologischen Prozess, der sich stetig verändere.

Ein Blick in das Corona-Testcenter der Kassenärztlichen Vereinigung Hessen zu Beginn der Pandemie. Mittlerweile hat das Testcenter geschlossen. Ob es im Falle einer zweiten Welle nochmal öffnet bleibt ungewiss. „Das Verhalten des Kreises hat die Zusammenarbeit auf jeden Fall nicht erleichtert“, heißt es von der KVH. Foto: akr

Auch würden nicht alle Tests zu 100 Prozent positiv oder negativ ausfallen, es gebe entsprechend uneindeutige Testergebnisse. „Wir halten es aber für infektiologisch unverantwortlich, einen solchen Fall nicht als positiven Test zu klassifizieren, denn das Risiko angesichts der Pandemie und eines nach wie vor hohen Ansteckungsrisikos für Nichtinfizierte wäre viel zu groß“, erklären die KVH-Vorstandsvorsitzenden Frank Dastych und Dr. Eckhard Starke damals.

Die Sache mit den Daten

Das Mainzer Labor wertet im Auftrag der KVH die Ergebnisse aus Testcentern von vier Landkreisen aus, bisher habe man keine negativen Erfahrungen mit dem Labor gemacht. Es bestehe kein Grund, an der Richtigkeit der Testergebnisse zu zweifeln. Dass es zu falsch-positiven Tests kommt, ist laut Meinung der KVH eher selten. Den Beweis in Form einer Auflistung der angezweifelten Ergebnisse, die die KVH vom Kreis erbat, habe man bis heute nicht erhalten. Der Kreis selbst beruft sich dabei darauf, dass es sich hier um „patientenbezogene Daten“ handelt, weshalb man der KVH keine Liste mit den entsprechenden Fällen zukommen lassen habe. Die Einzelfälle seien mit der KVH „fernmündlich“ kommuniziert worden.

Dass es sich wirklich um geschützte Daten handelt, bestätigt Dr. Nils Gaebel, beim Hessischen Beauftragten für Datenschutz zuständig für Gesundheitsfragen, auf OL-Anfrage. „Wenn das Gesundheitsamt gegenüber der KV Hessen zu erkennen gibt, um wen es sich bei den jeweiligen Personen handelt, offenbart es damit ein der KV Hessen oder dem Labor bisher noch nicht bekanntes medizinisches Datum, nämlich dass der Betroffene negativ getestet wurde. Das Gleiche würde gelten wenn der Kreis diese Informationen an das Labor weitergibt“, schätzt Gaebel die Situation ein.

Für eine solche Offenbarung bedürfte es entweder einer Entbindung von der ärztlichen Schweigepflicht durch eine Einwilligung der Betroffenen oder eine entsprechende Rechtsgrundlage. „Sofern keines von beidem vorliegt, kann dem Labor oder der KVH nicht mitgeteilt werden, wer genau betroffen ist“, sagt der Experte. Gefragt wurden die betroffenen Patienten vom Kreis nicht, wie der auf Rückfrage wiederum mitteilt. Die Fehleranalyse sei vom Gesundheitsamt dargestellt worden, allerdings, so sagt es der Kreis, habe die KVH selbst recherchieren können, welche Patienten falsch-positiv seien – durch einen Abgleich der positiven Fälle der KVH mit den gemeldeten Fällen des Gesundheitsamts an das Robert-Koch-Institut.

Dr. Henrik Reygers, der kommissarische Leiter des Gesundheitsamtes im Gespräch. Foto: ls

Dennoch weist die KVH in einem internen Schreiben an ihre Mitglieder Anfang Juli, welches Oberhessen-live vorliegt, darauf hin, dass es „angeblich zu vereinzelten Problemen“ durch positive Testergebnisse gekommen sei, bei denen „das Labor keinen Bestätigungstest durchgeführt haben soll“ und bittet daher ausdrücklich, die Tests auf das Coronavirus „nur in solchen Laboren vornehmen zu lassen, die gemäß den vom RKI bzw. von der WHO veröffentlichten Kriterien arbeiten“, die also mindestens zwei Gene nachweisen und auch bei einem positiven ersten Befund einen Bestätigungstest vornehmen.

Ein vermutlich falsch-positiver Test führt nach Fulda

Auch im Labor von Dr. Bernd Schühle in Fulda wurde ein Patient aus dem Vogelsberg positiv getestet. Auch hier soll das Testergebnis bei einer zweiten Testung negativ ausgefallen sein – einer der 15. Fälle. „Wir testen immer zwei spezifische Gensequenzen“, erklärt Schühle auf Nachfrage von Oberhessen-live. Auch unterschiedliche Testverfahren würden in dem Labor zum Einsatz kommen. Warum der zweite vom Gesundheitsamt veranlasste Test negativ ausfiel, erklärt Schühle anhand von zwei Gründen: Die Technik der Probenentnahme oder aber das Fortschreiten der Virusinfektion, wodurch bei einer späteren Entnahme vielleicht nicht mehr genügend Virusmaterial im Nasen-Rachen-Raum verfügbar war. „Je größer der zeitliche Abstand zweier Proben, desto eher kann ein positives Ergebnis negativ werden“, erklärt er.

Allerdings gebe es auch andere Gründe, die dazu führen könnten. Er revidierte eine Aussage, mit der er bei Osthessen-News zitiert wurde, wonach es keine falsch-positiven Testergebnisse gebe. Die Aussage sei „aus dem Kontext gerissen“. Gemeint sei damit, dass die Hersteller der vom Labor verwendeten Verfahren eine Spezifität von 100 Prozent angeben, entsprechend sei davon auszugehen, dass sich mit Gewissheit genetisches Material von Sars-CoV-2 in der Probe befunden habe, wenn der Test anschlägt.

Auf Spurensuche in der Virologie in Marburg

Bleibt die Frage, wer in dieser ganzen Angelegenheit nun eigentlich Recht hat. Ganz so einfach lässt sich das wohl nicht beantworten, was ein Gespräch mit PD Dr. Christian Keller, dem Leiter der Virusdiagnostik und Facharzt für Mikrobiologie, Virologie und Infektionsepidemiologie am Institut für Virologie am Universitätsklinikum Marburg, zeigt. Kellers Labor ist zwar genau das, welches die Testergebnisse aus dem Vogelsberg im Auftrag des Kreises überprüfte – das brachte den Experten jedoch nicht dazu, sich voll und ganz auf die Seite des Landrats zu stellen.

„Der Idealzustand ist natürlich, dass ein Test in der Lage ist, die Erkrankten von den Nicht-Erkrankten eindeutig zu unterscheiden. Das heißt 100 Prozent der Erkrankten bekommen ein positives Testergebnis, 100 Prozent der Nicht-Erkrankten ein negatives. Es ist aber unrealistisch, Tests mit einer so hohen Sicherheit zu haben, besonders bei den PCR-Tests“, erklärt Keller. Es gibt also immer einen kleinen Anteil an Patienten, die, obwohl sie erkrankt sind, ein negatives Ergebnis haben und immer einen kleinen Anteil, die ein positives Ergebnis bekommen, obwohl sie nicht erkrankt sind.

Privatdozent Dr. Christian Keller, Leiter der Virusdiagnostik und Facharzt für Mikrobiologie, Virologie und Infektionsepidemiologie am Institut für Virologie am Universitätsklinikum Marburg erklärt, wie es dazu kommen kann, dass Test falsch-positiv sind.

Bei niedriger Prävalenz fallen falsch-positive Ergebnisse mehr ins Gewicht

Besonders in Phasen, in denen die Zahl der tatsächlichen Infektionen abnimmt, schätzt Keller die Anzahl der falsch-positiven Tests höher ein – oder anders: Sie fallen deutlicher ins Gewicht.

„Ganz am Anfang der Pandemie hatten wir ein paar Probleme mit der Spezifität, weshalb eine Bestätigungstestung durch ein weiteres Gen gefordert wurde. Während der Hochphase der Pandemie hat man auf den Bestätigungstest verzichtet, weil man gesagt hat: Das Virus ist in der Bevölkerung so verbreitet, dass es relativ wahrscheinlich ist, dass bereits bei Nachweis eines einzigen Gens die Wahrscheinlichkeit hoch ist, dass der Patient die Infektion hat. Diesen Wert, wie oft das Virus in der Bevölkerung vorkommt, nennen wir Prävalenz. In der Hochphase waren unter den Getesteten so viele dabei, dass die falsch-positiven Testergebnisse gar nicht so sehr ins Gewicht fielen, zumal es Berichte über sehr milde bis asymptomatische Verläufe gab. Da hat man nicht nochmal genauer geschaut, ob sie korrekt positiv sind. Jetzt ist das anders, weil wir eine niedrige Prävalenz haben. Da kommen die falsch-positiven stärker heraus“, erklärt Keller.

Sensitivität, Spezifität, Prävalenz und die prädiktiven Werte

Erklärt von Privatdozent Dr. Christian Keller, Leiter der Virusdiagnostik und Facharzt für Mikrobiologie, Virologie und Infektionsepidemiologie am Institut für Virologie am Universitätsklinikum Marburg

Prävalenz: Die Prävalenz ist im Grunde genommen die Häufigkeit einer Krankheit in der Bevölkerung zu einem bestimmten Zeitpunkt.
 
Sensitivität: Die Sensitivität eines Testverfahren zeigt an, bei welchem Prozentsatz der erkrankten Patienten tatsächlich eine Infektion erkannt wird – es also wirklich ein positives Testergebnis gibt. Wenn ein Test eine Sensitivität von 98 Prozent verspricht, dann identifiziert er 98 von 100 tatsächlichen Infektionen und 2 nicht.
 
Spezifität: Die Spezifität hingegen gibt die Wahrscheinlichkeit an, bei der tatsächlich gesunde Menschen – als Patienten, die wirklich ohne Erkrankung sind – von dem Test auch als wirklich gesund gefunden werden. Ein Test mit einer Spezifität von 95 Prozent würde bei 5 von 100 nicht erkrankten Patienten ein positives Ergebnis anzeigen, fälschlicherweise. Hat ein Test also eine hohe Sensitivität, aber nur eine geringe Spezifität, dann kann es zu vielen falsch-positiven Testergebnissen kommen.
 
Negativer und positiver prädiktiver Wert: Aus diesen Werten werden wichtige Vorhersagewerte errechnet wie der negative und der positive prädiktive Wert. Beide bieten eine Einschätzung der Aussagekraft von Testverfahren. Der negative prädiktive Wert zeigt, wie viele Menschen, bei denen eine Krankheit nicht festgestellt wurde, auch wirklich gesund sind. Der positive prädiktive Wert hingegen zeigt an, bei wie vielen Menschen, bei denen eine Krankheit durch einen Test festgestellt wurde, auch tatsächlich erkrankt sind. 

Eine genaue Angabe konnte der Kreis im Nachhinein nicht machen, überschlug allerdings, dass seit Corona im Kreis angekommen ist, wöchentlich rund 200 Tests gemacht werden. Insgesamt sind es etwa 2.700 Testergebnisse seit Beginn der Pandemie im Vogelsberg, wobei negative Ergebnisse in der Hochphase des Virus nicht mitgeteilt wurden und auch Ärzte und Krankenhäuser testen würden, durch die man auch nur die positiven Fälle gemeldet bekomme.

Verschiedene Einflussfaktoren führen zu uneindeutigen Ergebnissen

Dass es zu falschen Ergebnissen kommen kann, egal ob falsch-positiv oder aber falsch-negativ, kann nach Keller an vielen verschiedenen Einflussfaktoren hängen. Durch das molekularbiologische Verfahren des PCR-Tests, bei dem die Gene des Virus nachgewiesen werden, können schon gleich zu Beginn Fehler gemacht werden. „Der erste Schritt ist die Probenentnahme mit einem geeigneten Tupfer, denn die Probe wird von den Schleimhäuten entnommen. Nicht jedes Material ist aber geeignet, das Virusmaterial möglichst effizient aufzunehmen“, sagt er.

In der Hochphase habe man im Labor bei den Einsendungen alles zu Gesicht bekommen: Baumwolltupfer, „irgendwelche Ersatzkonstruktionen“, weil nichts Besseres verfügbar war, aber auch professionelle Tupfer mit Nylon-Beflockung, die das Material am besten aufnehmen. Auch bei Transport oder Lagerung der Proben kann der Testträger verunreinigt werden.

Die Proben werden im Labor vorbereitet.

Dann folgt die Extraktion, also der Schritt, in dem die Erbsubstanz herauspräpariert wird – und wo ebenfalls Fehler gemacht werden können. Die unterschiedlichen Verfahren dafür sind unterschiedlich effizient und auch hier kann schlichtweg die Menge des Virusmaterials nicht ausreichend sein. Im dritten Schritt erfolgt der Nachweis der Gene. Da kann es durchaus zu schwach-positiven Ergebnissen kommen, die zunächst den Anschein erwecken, positiv zu sein, es aber nicht sind – und umkehrt.

Schwach-positive Signale durch unspezifische Bindungen an humanes Material

So einfach ist das leider nichtDr. Christian Keller

„Auch wenn das alte Sars-CoV ausgestorben ist, heißt das noch lange nicht, dass wenn ein Test positiv anschlägt, es direkt Sars-CoV-2 ist. So einfach ist das leider nicht. Man muss es sich so vorstellen: In der Probe selbst ist ja nicht nur Virus-Material, sondern sehr viel anderes genetisches Material, also humanes Material mit Erbgut des zu testenden Patienten. Da kann es durchaus vorkommen, dass die Proben falsch an humanes Material binden“, erklärt er. Dazu kommt: Die Tests seien zwar möglichst genau für Sars-CoV-2 konzipiert, doch das neuartige Virus gehöre dennoch zur Gruppe der Coronaviren – und davon gibt es viele verschiedene Untergattungen, die auch Grippesymptome auslösen können. Durch Ähnlichkeiten in der Viruserbsubstanz kann es deswegen zu ungenauen, nicht eindeutigen Ergebnissen kommen. Das ist zwar unwahrscheinlich – ausgeschlossen ist es aber nicht.

„Im Fall der Vogelsberger Tests haben wir es eher nicht mit einem Fehlnachweis anderer Coronaviren zu tun, weil man eigentlich bei den Tests darauf geachtet hat, dass man die Genabschnitte auswählt, die ganz typisch für das neue Coronavirus sind und keine Ähnlichkeiten mit anderen Coronaviren haben. Ich glaube eher, dass man es hier mit unspezifischen Bindungen von Testsonden an humanes Material zu tun hat, was zu schwach-positiven Signalen führt“, sagt Keller.

So sehen die Ergebniskurven auf dem Monitor aus. Foto: ol

Der Experte hält es also für möglich, dass die Tests in seltenen Fällen fälschlicherweise zum Beispiel auf Gene des Menschen reagieren und so eine Sars-CoV-2-Infektion vortäuschen. Möglicherweise seien solche Mängel aufgrund der hohen Entwicklungsgeschwindigkeit bei einigen Testverfahren nicht frühzeitig aufgefallen. So oder so gilt es in Fällen mit schwach-positiven Ergebnissen weiter zu testen, um die tatsächlichen Fälle mit niedriger Viruskonzentration von unspezifischen Reaktionen zu unterscheiden – mit Verfahren, die andere Genomabschnitte des Virus nachweisen. So wie es der Kreis von sich aus bei den fragwürdigen Ergebnissen veranlasst hat.

Unterschiedliche Testzeitpunkte, können zu unterschiedlichen Ergebnissen führen

Idealerweise sollte Keller nach für den Bestätigungstest allerdings zunächst dieselbe Probe genutzt werden. Bei den zweiten Testungen des Kreises war das nicht der Fall. Hier wurde ein neuer Abstrich entnommen, da an die Probe aus dem Mainzer Labor nach Darstellung des Landratsamts kein Herankommen mehr war. Zwischen den beiden Tests bei den 15 fragwürdigen Fällen im Vogelsberg lagen im Schnitt zwölf bis 48 Stunden, erklärt das Gesundheitsamt auf Nachfrage. In seltenen Fällen sei es erst nach einem Wochenende – also nach etwa drei Tagen – zu einer zweiten Testung gekommen. Einige Labore und auch Verwaltungen sind an den Wochenenden nur spärlich besetzt, es wird also in Sachen Corona-Bewältigung weniger gearbeitet als unter der Woche.

„Im Verlauf der Infektion gibt es Zeitpunkte, in denen man das Virus wahrscheinlicher auf den Schleimhäuten nachweisen kann und dann gibt es Phasen, besonders in der zweiten Woche der Infektion, also meist dann, wenn Patienten bereits schwerer erkranken und einen Husten bekommen, wo das Virus in den oberen Atemwegen an den Schleimhäuten fast gar nicht mehr nachweisbar ist, sondern nur noch im tiefen Atemwegssekret zu finden ist“, erklärt Keller. Denkbar ist also auch, dass zum Zeitpunkt des zweiten Tests kaum noch Virusmaterial in der Region, in welcher der Abstich genommen wird, vorhanden war.

Man kann also auch davon sprechen, dass man vielleicht zum ersten Zeitpunkt noch schwaches Virusmaterial hatte, zum zweiten Zeitpunkt nicht mehrDr. Christian Keller

„Man kann also auch davon sprechen, dass man vielleicht zum ersten Zeitpunkt noch schwaches Virusmaterial hatte, zum zweiten Zeitpunkt nicht mehr“, sagt Keller. Zusätzlich ist es so, dass das Virus in der Frühphase nur schwach nachweisbar ist, dann deutlicher wird und am Ende in den für die Tests wichtigen Körperregionen eben wieder abflacht. „Es ist wirklich kompliziert“, räumt Keller ein. PCR-Tests auf Sars-CoV-2 aus Schleimhautabstrichen eigneten sich gut für die Akutdiagnostik Erkrankter. Werde das Verfahren aber für Reihenuntersuchungen nicht symptomatischer Menschen eingesetzt, komme es bisweilen an seine Grenzen.

Ein Zusammenspiel aus Diagnostik und dem klinischen Bild

Wichtig sei daher das Zusammenspiel der Diagnostik mit dem klinischen Bild des Patienten. Sind offensichtliche Symptome vorhanden oder eben nicht. „Das ist besonders bei den uneindeutigen Testergebnissen wichtig“, erklärt er. „Wenn man viel testet, dann kann man Patienten erwischen, die nicht symptomatisch sind, aber schon ein bisschen Virus haben. Aber man erwischt auch Patienten, die die gesamte Breite an klinisch typischen Symptomen haben und eben auch das Virus. Und man hat Patienten, die sich am Ende der Infektion befinden und wo die Viruslast bereits stark abgenommen hat.“

Ein Blick auf das Extraktionsgerät im Labor – hier können 90 Proben gleichzeitig extrahiert werden. Foto: ol

Es ist also eine paradoxe Situation: Es gilt als sicher, dass viele Tests zu machen ein wichtiges Mittel im Kampf gegen das Virus ist. Gleichzeitig haben die Experten aber auch mit Schwierigkeiten im Labor zu kämpfen, wenn viele Menschen getestet werden und neben ganz offensichtlichen Fällen auch einige dabei sind, die zu früh oder zu spät getestet wurden.

Zusätzlich hat man mittlerweile die Erfahrung gemacht, dass Patienten, die wieder geheilt sind, noch immer Viruslast in den Schleimhäuten mit sich tragen – wenn auch nur eine geringe. „Da schlagen dann mehrere Tests immer wieder abwechselnd positiv und negativ an. Was soll man da machen? Sind sie noch infiziert oder nicht? Das ist eine schwierige Entscheidung, die man nur in Zusammenhang mit dem klinischen Bild des Patienten wirklich beurteilen kann“, sagt Keller.

5 Gedanken zu “Was es mit den angeblich falschen Corona-Tests im Vogelsberg auf sich hat

  1. Informierten in einer Pressekonferenz zum erste Corona-Fall im Vogelsberg: Andreas Smakal und Dr. Dr. Rüdiger Rau vom Vogelsberger Gesundheitsamt, Landrat Manfred Görig, Erster Kreisbeigeordneter Dr. Jens Mischak und Kreisbrandinspektor Dr. Sven Holland. Fotos: ls Und die Herren alle ohne Maske und dem Sicherheis Abstand von mindestens 1,50 m !?!

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    1. @ Herr Meier-Schabl,
      Das Bild ohne Masken oben stammt – wie zu lesen – von der Pressekonferenz zum 1. Corona-Fall im Vogelsberg. Das war am 06.03.2020.
      Die Maskenpflicht in Hessen wurde jedoch erst zum 27.04.2020 eingeführt!
      Es ehrt Sie ja, wenn Sie auch vorher schon mit Maske umher gelaufen sind. Jedoch haben Sie nicht das Recht, das in diesem genannten Zeitraum auch von Anderen einzufordern.

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      1. Es gab aber auch andere Beispiele/Beiträge hier, wo Herr Meier_Schabl Recht hatte oder DR HONK.Woher soll er wissen das es vom 06.03.ist.

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