Ein Rückblick auf die Geschichte der A49Eine Autobahn spaltet die Region
VOGELSBERG (ls). Es geht um nicht weniger als 43 Kilometer Autobahn, die seit vielen Jahrzehnten geplant werden – und mindestens genauso lange sorgen diese 43 Kilometer der A49 für Klagen und für Streit. Eine Chronologie der Ereignisse seit den 60er Jahren bis in die Gegenwart.
Ende der 60er Jahre: Der damalige Bundesverkehrsminister Georg Leber verspricht der Stadt Marburg einen vierspurigen Ausbau der B3 nach Kassel.
1970: Die Autobahn A49 soll östlich von Marburg verlaufen und vor Gießen an die B3 angeschlossen werden. Es werden zwei Varianten einer Führung durch den Ebsdorfer Grund vorgelegt, mit den Zielpunkten Hassenhausen und Odenhausen. Diese Pläne werden später aufgegeben. Aus den betroffenen Gemeinden und der Landwirtschaft war zu diesem Zeitpunkt bereits Widerstand zu spüren.
Mitte der 70er Jahre: Eine Autobahn Bremen-Gießen soll westlich von Marburg verlaufen und vor Gießen auf die B3 geführt werden. Die West-Ost-Autobahn von Olpe zum Hattenbacher Dreieck, also die A4, ist nördlich von Marburg durch den Burgwald geplant. Die A49 soll in Form der Ohmtaltrasse geführt werden, mit einer Querung des Ohmbeckens zwischen Rüdigheim und Schweinsberg in Richtung Erfurtshausen/Mardorf. Die Autobahn Bremen-Gießen soll nun aus dem Bereich Cölbe östlich Richtung Kirchhain geführt und dann mit der A49 verbunden werden.
Gründungsjahre der Aktionsgemeinschaft „Schutz des Ohmtals“
1978: Die „Aktionsgemeinschaft Schutz des Ohmtals“ wird gegründet.
1979: Die geplante Autobahn Bremen-Gießen wird aus Kostengründen aufgegeben.
Anfang der 80er Jahre: Die „Aktionsgemeinschaft Schutz des Ohmtals“ bündelt im Kreis Marburg-Biedenkopf und in Teilen des Vogelsbergs und des Kreises Gießen den Widerstand gegen die A49. Im Bereich Schwalm ist es die Bürgerinitiative „Rettet die Schwalm“. Dazu kommt in dieser frühen Zeit noch die „Schutzgemeinschaft Gleental“. Der Hessische Wirtschaftsminister Heinz-Herbert Karry unterbreitet den Bürgerinitiativen im Bereich der Schwalm, des Vogelsbergs und des Kreises Marburg-Biedenkopf folgendes Angebot: Wenn die Bürgerinitiativen sich bereit erklären, das Votum eines neutralen Schiedsrichters zu akzeptieren, werde er 50.000 DM für eine Untersuchung zur Verfügung stellen. Die Landesregierung werde das Ergebnis der Untersuchung ebenfalls akzeptieren, auch wenn sie ein negatives Votum zur Autobahn enthalte.
Im August 2019 treffen sich A49-Gegner auf Einladung der Schutzgemeinschaft Gleental zu einer Traktoren- und Fahrrad-Demo in Lehrbach. Fotos: kdDie Bürgerinitiativen nehmen das Angebot an. Doch es kommt zu einem Missverständnis. Während das Land Hessen alle möglichen Varianten für das weitere Vorgehen prüfen will, den Bau der A49 auf verschiedenen Trassen sowie den Nicht-Bau, wollen die Umweltschützer lediglich die Entwicklungsmöglichkeiten der bestehenden Straßen untersuchen lassen. So geht es aus einem Brief des Schiedsrichters an die Landesregierung hervor. Daraufhin platzt der Deal. Dennoch wird eine „Nutzwertanalyse“ zu Trassenvarianten der A49 (Ohmtaltrasse, Maulbachtrasse, Herrenwaldtrasse) erstellt. Die Ohmtaltrasse wird bestätigt. Die Aktionsgemeinschaft „Schutz des Ohmtals“ weist nach eigener Darstellung inhaltliche Fehler der Nutzwertanalyse nach. Trotz ursprünglich gegenteiliger Aussage kommt es zu einer erneuten Untersuchung.
Ab 1990: Die erneute Untersuchung kommt zum Ergebnis, dass die Maulbachtrasse (bis Amöneburg identisch mit der Ohmtaltrasse) die beste Trasse für die Führung der A49 ist. Sie wird dem Projektdossier des Bundes zur A49 zugrundegelegt.
Die Bürgerinitiativen der verschiedenen Bereiche haben sich zur Arbeitsgemeinschaft „Keine A49″ zusammengeschlossen. Daneben gibt es eine „Bürgeraktion pro A49″, die Unterschriften für den Bau der A49 sammelt. Die CDU/FDP-Landesregierung lässt unter Sofortvollzug die A49 ab Borken/Kerstenhausen weiterbauen.
1994: Der Hessische Verwaltungsgerichtshof verfügt einen Baustopp der A49 bei Bischhausen. Durch den Baustopp, einer Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht und einer daraus folgenden Koalitionsvereinbarung der Landesregierung von SPD und Grünen wird das Untersuchungsgebiet ausgeweitet.
Dezember 1994: Die Bauarbeiten im Teilabschnitt der A49 zwischen Borken und Neuental ist abgeschlossen. Der Weiterbau der A49 kam zu diesem Zeitpunkt erst einmal zum Erliegen.
BUND unterstützt den Vogelsberger Widerstand
1995: „Wer Straßen sät, wird Verkehr ernten“ – unter diesem Motto ist der Bund für Umwelt und Naturschutz im Vogelsberg im Widerstand gegen den Bau der A49 aktiv.
Ende der 90er Jahre: Die von der Landesregierung beauftragte Gutachtergruppe, die die Auswirkungen der Autobahnplanung auf Mensch und Umwelt untersucht, empfiehlt wegen der Schwere der Schäden einen Verzicht auf die Autobahnplanung und eher Lösungen im Bereich von Ortsumgehungen. Das Hessische Wirtschaftsministerium hält an den Planungen fest.
1999: Als beste Trasse wird nach einem Modulvergleich die Herrenwaldtrasse (West) vorgeschlagen. Der Zusatz „West“ bezieht sich auf die Führung westlich von Ziegenhain und Treysa.
Planungen für Lückenschluss werden wieder aufgenommen
Anfang 2000er: Hessen nimmt die Planungen für den Lückenschluss wieder auf. Dabei wird die Trassenführung erneut zwischen Neustadt und Homberg Ohm verändert. Die Autobahn soll östlich an Stadtallendorf und Homberg Ohm vorbeiverlaufen und bei Rülfenrod in Gemünden die A5 im Bereich Gießen–Alsfeld erreichen.
2001: Die Regionalversammlung Mittelhessen spricht sich (unter Ablehnung durch die Vertreter des Vogelsbergkreises, der Grünen und eines Mitglieds der SPD aus dem Kreis Gießen) für die A49 in Form der Herrenwaldtrasse aus. Die CDU/FDP-Landesregierung bereitet ein Planfeststellungsverfahren für diese Trasse vor.
Die Stadt Kirtorf fordert – mit Rückhalt im Vogelsbergkreis – die Führung der Autobahn westlich an Stadtallendorf vorbei und über die B62 neu nach Marburg (mit Anschluss an die B3). Die in der Arbeitsgemeinschaft „Keine A49″ zusammengeschlossenen Gruppen treten weiterhin für grundsätzliche Alternativen zum Bau der Autobahn ein und legen dem Bund ein entsprechendes Grundkonzept vor.
2003: Die Planunterlagen für die Trasse West Herrenwald werden vorgestellt. Gleichzeitig wird der Herrenwald vom Gießener Regierungspräsidium als FFH-Naturschutzgebiet gemeldet. Ein großes Kammmolchvorkommen bewegt die für die Planung Verantwortlichen, eine neue Trassenvariante im Bereich des Herrenwalds entwickeln zu lassen.
2004: Der Herrenwald wird als FFH-Gebiet anerkannt.
September 2004: Die Marburger Stadtverordneten lehnen einstimmig eine Führung der A49 durch Marburg ab. Homberg Ohm und später auch der Vogelsbergkreis geben nach einem Mehrheitsbeschluss ihren Widerstand gegen die Führung der A49 durch den Vogelsberg auf.
November 2005: Der damalige Hessische Verkehrsminister Alois Rhiel stellte aufgrund des FFH-Schutzgebiets im Herrenald eine Alternativtrasse vor, die näher an Stadtallendorf liegt, den Herrenwald aber nur am Rande anschneidet.
2006: In der Schwalm gründet sich in Nachfolge der Bürgerinitiative „Rettet die Schwalm“ der Verein „Schwalm ohne Autobahn“, der mit größeren Veranstaltungen auf grundsätzliche und regionale Probleme in Zusammenhang mit dem geplanten Autobahnbau aufmerksam macht.
Oktober 2006: Das Auslegeverfahren für die Planungen Treysa – Stadtallendorf (VKE 30) ist abgelaufen.
Im Oktober 2019 besetzten Aktivisten die Bäume im Dannenröder Wald und versuchen seither die Rodungen zum A49-Bau zu verhindern.Februar 2007: Es gibt Petitionsanträge gegen die A49. Das Planfeststellungsverfahren für den Abschnitt Bischhausen – Treysa (VKE 20) läuft. Die Anhörungen sind abgeschlossen. Die Hessische Landesregierung plant für Frühjahr 2007 die Auslegung der Planfeststellungsunterlagen für die VKE 40 von Stadtallendorf nach Maulbach beziehungsweise Gemünden/Felda.
Die zwischenzeitlich aufgegebenen Pläne einer West-Ost-Autobahn (A4) werden fortgeführt. Ausweislich des Projektdossiers zur A49 gibt es Überlegungen, sie auf einem Teilstück (Stadtallendorf – Neustadt) mit der A49 zu koppeln.
September 2007: Das Planfeststellungsverfahren für den drittletzten Abschnitt vom derzeitigen Ausbauende bei Neuental bis nach Schwalmstadt ist mit der Unterzeichnung des Planfeststellungsbeschlusses abgeschlossen.
Januar 2008: Der BUND erhebt im Januar Klage gegen den geplanten Ausbau vor dem Bundesverwaltungsgericht in Leipzig. Allerdings wurde der Weiterbau der A49 durch ein Bundesgesetz für sofort vollziehbar erklärt, weshalb die Klage den Baubeginn nicht verzögern kann.
Nach 17 Jahren Spatenstich in Neuental
April 2009: Der BUND zieht die Klage gegen dieses Teilstück zurück.
Oktober 2010: Im Zuge von Vorabmaßnahmen werden westlich von Schwalmstadt/Treysa Bäume gefällt, um eine behelfsmäßige Umfahrung für die bestehende L3155 zu errichten.
Oktober 2010: Die A49 zwischen Neuental-Bischhausen und Schwalmstadt-Treysa wird neu gebaut.
März 2011: 17 Jahre lang hat die A49 bei Neuental geruht, bis am 15. März 2011 Bundesverkehrsminister Bundesverkehrsminster Dr. Peter Ramsauer und Hessens Wirtschafts- und Verkehrsminister Dieter Posch in der Schwalm mit dem symbolischen ersten Spatenstich den Weiterbau der Strecke bis zur A5 bei Homberg/Ohm eröffneten.
März 2011: Es erfolgt mit dem Spatenstich der Bau der ersten Brücke, die später die zur B454 umgewidmete L3155 über die Trasse der A49 führen und zur Anschlussstelle Schwalmstadt gehören soll.
Mai 2012: Die B454 wird neu gebaut, wofür auch zwei Brücken neu errichtet werden.
Mai 2012: Der Nabu erhebt Klage beim Bundesverwaltungsgericht in Leipzig gegen den Bau der A49 von Schwalmstadt nach Stadtallendorf (Abschnitt VKE 30), nimmt diese jedoch im Juni 2013 wegen gesunkener Erfolgsaussichten zurück.
Mai 2012: Der Planfeststellungsbeschluss für den Teilabschnitt zwischen Stadtallendorf und Gemünden liegt vor.
Herbst 2012: Gegen den Südabschnitt (VKE 40, von Stadtallendorf zur A5) reicht der NABU gemeinsam mit dem BUND Klage ein.
April 2013: Mit dem Bau Tunnel Frankenhain wird begonnen.
Juni 2013: Der Nabu zieht eine seiner beiden Klagen gegen die A49 zwischen Schwalmstadt und der A5 zurück. Die Rücknahme der Klage gegen die VKE 30 begründet der NABU mit einer Neubewertung der Klageaussichten aufgrund aktueller Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichtes in ähnlich gelagerten Verfahren, zum Beispiel bei der A44.
Juni 2013: Der Planfeststellungsbeschluss für den Teilabschnitt der A49 von Schwalmstadt bist Stadtallendorf bleibt damit bestandskräftig.
April 2014: Die Klage von BUND und NABU wird durch das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig abgewiesen.
2015: Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt gibt seine Zusage zu 120 Millionen Euro, womit nun die komplette Finanzierung des Abschnitts zwischen Neuental und Stadtallendorf steht.
Mitte 2015: Mit einer Fertigstellung der A49 wird im Jahr 2021 gerechnet.
Oktober 2015: Mit den Bauarbeiten für die Verlängerung am bisherigen Autobahnende in Neuental wird begonnen.
Oktober 2015: Der Baubeginn der taktgeschobenen Talbrücke Todenbach findet statt, das Bauende ist für den Jahreswechsel 2017 vorgesehen.
Oktober 2016: Die Bauarbeiten an der Gründung der Talbrücke Katzenbach beginnen.
Widerstand gegen A49 im Vogelsbergkreis nimmt wieder Fahrt auf
Mai 2019: Die Schutzgemeinschaft Gleental fordert in einem offenen Brief an Verkehrsminister Tarek Al-Wazir, die Planung der A49 im Abschnitt zwischen Stadtallendorf und Gemünden neu zu bewerten und dort einen sofortigen Rodungs- und Baustopp auszusprechen.
August 2019: Die Schutzgemeinschaft Gleental ruft zur Fahrrad- und Traktoren-Demonstration gegen die geplante A49 auf. In diesem Zusammenhang fordert die Schutzgemeinschaft die Aufhebung des Planfestellungsbeschlusses aus dem Jahr 2012, da dieser „schon bei seinem Erlass gegen geltendes EU-Recht verstoßen habe“. Es wird nicht nur bei einer Demo bleiben.
September 2019: Der BUND Hessen schließt sich den Forderungen der Schutzgemeinschaft Gleental an, nach der ein sofortiger Rodungsstop im Danneröder Forst und Herrenwald gefordert wird und stellt einen Antrag auf Rücknahme des Planfeststellungsbeschlusses beim Hessischen Ministerium für Wirtschaft, Energie, Verkehr und Wohnen.
Oktober 2019: Aktivisten besetzen den Dannenröder Wald, um mit Beginn der Rodungssaison, die Rodungsarbeiten zu verhindern und den Weiterbau der A49 zu stoppen.
Oktober 2019: Der BUND und ein Bürger hatten zuletzt beim Wirtschaftsministerium beantragt, das Baurecht für die dritte Ausbaustufe wegen angeblicher Verstöße gegen das Wasserrecht aufzuheben. Das Ministerium lehnte den Antrag Anfang Oktober ab. Die Antragsteller können dagegen vor dem Bundesverwaltungsgericht klagen.
Oktober 2019: Die Fraktionen der Linken und der Grünen im Vogelsberger Kreistag legen. Darin fordern sie den weiteren Ausbau eine gemeinsame Resolution vor, den Bau der A49 zu stoppen, bis ein Klimaplan für Deutschland vorliegt. Außerdem sollen die Ausgleichsmaßnahmen für den Naturschutz überprüft werden.
Oktober 2019: „Wir wollen den Lückenschluss und sprechen uns ganz klar für den Weiterbau der A49 bis zum Ohmtal-Dreieck aus“, erklären Landrat Manfred Görig und Erster Kreisbeigeordneter Dr. Jens Mischak in einer gemeinsamen Stellungnahme.
Mischak und Görig über den Ausbau der A49: „Wir wollen den Lückenschluss“
Oktober 2019: Die A49-Gegner starten eine Online-Petition, bei der um die 10.000 Unterschriften für den Baustopp der A49 zusammenkommen. Auch die A49-Befürworter in Leusel und Angenrod starten eine Unterschriftenaktion und übergeben die Listen an Alsfelds Bürgermeister Stephan Paule.
November 2019: Der BUND Hessen hat beim Bundesverwaltungsgericht in Leipzig Klage gegen den Ausbau der A 49 im Teilabschnitt VKE 40 eingereicht, weil der 2012 erlassene Planfeststellungsbeschluss angeblich die europäische Wasserrahmenrichtlinie mißachtet. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hatte eine Prüfung auf Grundlage dieser Vorschrift kurz nach der ersten Klage des BUND in Leipzig bei derartigen Projekten für verpflichtend erklärt.
Februar 2020: Eigentlich war geplant, dass sich der Vorstand der CDU-Landtagsfraktion und Mitglieder der Landesregierung gemeinsam mit Vertretern der Bürgerinitiative pro A49 und der Planungsgesellschaft Deges treffen, um sich über den aktuellen Stand in Sachen A49 zu informieren. Der Plan ging so nicht auf, denn dass auch viele A49-Gegner zu dem Termin im DGH in Angenrod erschienen sind, damit hatte man nicht gerechnet, schließlich waren sie nicht eingeladen gewesen. Dennoch: Draußen stehen gelassen wurden sie nicht. Richtig angehört aber auch nicht.
April 2020: Der Prozess des BUND vor dem Bundesverwaltungsgericht soll eigentlich beginnen, wird aber verschoben. Der neue Termin ist der 23. Juni.
Juni 2020: Das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig weist die Klage des BUND gegen die A49-Planung ab – auch wenn sie einen Rechtsfehler bemängelten: Ja, die Prüfung des Autobahnbaus auf Grundlage der Wasserrahmenrichtlinie fehlen, sagen die Richter. Doch sie sehen sich an ihr eigenes früheres Urteil gebunden. Wasserschutzmaßnahmen könnten auch noch später erfolgen, die Aufhebung des Planfeststellungsbeschlusses sei unverhältnismäßig. Das Verkehrsministerium kündigt kurz nach dem Urteil an, den Bau noch im Jahr 2020 voranzutreiben. Ab Oktober seien Rodungen erlaubt, heißt es aus Wiesbaden.
Es ist ein echtes Armutszeugnis für unser Land, daß die A49 seit 1978 bis heute lediglich vo Borken bis Neuenweg weitergebaut wurde, der aktuelle Abschnitt bereit seit Jahren vor sich hingetrödelt wird und der weitere Ausbau immernoch nicht wirklich erfolgt. Diese Autobahn könnte vielen LKWs viel Zeit und Sprit und der Umwelt entsprechend Abgase ersparen, aber man denkt nur klein klein!
Wer war bei diesem Jahrzehnte sich hinschleppenden Straßenbau-Projekt nicht alles involviert, hat mit geplant und mit entschieden und hat oft nur seine ebenso kurzfristigen wie kurzsichtigen (parteipolitischen) Interessen ins Spiel gebracht, während man die Menschen, die in der Region leben, zu allerletzt gefragt hat. Nur sind sich die eben auch nicht einig, und es entwickeln sich über Jahrzehnte unterschiedliche Stimmungstrends und Mehrheiten mit durchaus wechselnder und widersprüchlicher Tendenz.
Was immer wieder sichtbar wird, ist eine grundlegende Unzufriedenheit mit der Kommunalpolitik, was immer wieder dazu führt, dass sich innerhalb von Dorfgemeinschaften Lager bilden, die sich mit der Zeit vollständig auseinander leben und spinnefeind werden.
Es liegt aber an den Menschen selbst, es nicht so weit kommen zu lassen und sich als Gemeinschaft der Bürger selbst zu ermächtigen, die bestehenden Probleme eines Dorfes zu lösen. Ein besonders gutes Beispiel für so einen Prozess ist das Dorf Hülsenbusch im Bergischen Land (http://www.dorf-huelsenbusch.de/wp-content/uploads/2019/07/Dorfprospekt-Ansehversion2.pdf). Nahversorgung mit Lebensmitteln (Dorfladen), Dorfkneipe und Gesundheitszentrum machte man kurzerhand zur Angelegenheit der gesamten Dorfgemeinschaft, die auch eigenes privates Geld investierte und sich über eine Genossenschaft ihr Ärztehaus selbst finanzierte. Parteien und Politiker wurden kurzerhand ausgebootet und entmachtet. Machen wir es doch überall so!
Wenn auch die Stimmung teilweise hoch kocht und sich in der Bürgerschaft der betroffenen Ortschaften deutlich zwei Lager gebildet haben, nach deren Umweltverständnis entweder dem Lärmschutz oder der Gewässerschutz Vorrang gebührt, weshalb man dann entweder für oder gegen den Weiterbau der A 49 votiert, so rate ich dringend davon ab, durch Dramatisierungen wie „Eine Autobahn spaltet die Region“ einen zusätzlichen Keil zwischen die Kontrahenten zu treiben. Wir haben zum Glück eine Medienlandschaft, die sich durch Vielfalt und journalistische Qualität auszeichnet. Hier dürfte es sich verbieten, durch eine zuspitzende Wortwahl den Gang der Ereignisse seinerseits zu beeinflussen statt einfach nur sachlich darzustellen, „was ist“. Gerade heute konnte man gute Beispiele finden für einen angemessenen Wortgebrauch und die Befriedung der Gesellschaft. So machte das ZDF in seiner Sendung „Berlin Direkt“ von heute deutlich, angesichts welcher explosiver Widersprüche mit vollem Recht von einer Spaltung der Gesellschaft, einer sozialen Spaltung nämlich, gesprochen werden kann, nein muss! Es geht um die Gräben, die sich für alle sichtbar seit Jahrzehnten in unserem Land auftun und die nun unter dem Eindruck der Pantemiekrise wie unter einem großen Brennglas derart deutlich sichtbar werden, dass beschwichtigende Schönmalerei sie nicht mehr zudecken kann und keine Möglichkeit mehr besteht, es einfach bei den gegenwärtigen Zuständen zu belassen. Ich rede von dem Graben zwischen Ost und West, den der Sender phoenix heute dokumentiert und der nach wie vor die Bevölkerungen von BRD und DDR spaltet (https://www.phoenix.de/sendungen/dokumentationen/phoenix-history-s-121553.html),
aber auch von dem „Berlin Direkt“- Beitrag über die „Soziale Spaltung durch Corona (https://www.zdf.de/politik/berlin-direkt/berlin-direkt-clip-1-392.html).
Auf der anderen Seite erinnert ein Rückblick der Hessenschau auf die heftigen Auseinandersetzungen um den Bau der „Grimm-Welten“ in Kassel, dass auch scharf ausgetragene Meinungsverschiedenheiten zwischen Bevölkerungsgruppen zum Wesen der Demokratie gehören und Konflikte – spätestens mit einem rechtskräftigen Urteil eines hohen Gerichts – dann aber auch beigelegt werden sollten. Wie ein Vergleich der Positionen von gestern und heute zeigt, muss keineswegs immer nur die eine Seite die Zukunft richtig einschätzen, während die andere den Untergang einer Region bewirkt. Siehe https://www.hessenschau.de/tv-sendung/buergerinitiative-besaenftigt,video-125954.html. Mein Rat: Trotz aller Unterschiedlichkeit der Beurteilung in einer Einzelfrage – Das ist kein Grund von Spaltung zu reden oder sich spalten zu lassen!
„Wenn du den Sumpf trocken legen willst, darfst du nicht die Frösche fragen“? Aber was lernen wir zum Beispiel aus Großprojekten wie Stuttgart 21? Gegen den Willen eines nicht unerheblichen Teils der Bevölkerung und sämtlicher Juchtenkäfer Südwestdeutschlands durchgesetzt, aber per Volksbefragung durchgesetzt, könnten sich selbst die meisten der damaligen Befürworter heute in den Allerwertesten beißen, dass sie dieses Wahnsinnsprojekt immer weiter getrieben haben. Wo man auf Mahner und Betroffene nicht hört, gibt es eben auch oft keinen Fortschritt, sondern zahlt bitter für seinen Fortschrittsglauben und schlechte Zukunftsprognosen.
Liebes Oberhessen-Live-Team,
warum sprechen Sie wiederholt von einer “Spaltung”? Es scheint eher, als wollen Sie spalten?
Mal ein paar unumstößliche Fakten, die Gier gerne mal auftauchen dürfen. Bei der letzten Landtagswahl haben in den beiden am meisten betroffenen Kreisen (VB und HR) eine überwältigende Mehrheit der Wähler für Parteien ausgesprochen, die explizit für den Weiterbau waren.
Dagegen sind bekanntermaßen die Linke und die Grünen. Diese erhielten im VB zusammen 17,6% und im HR zusammen ca. 18% (ca. nur deshalb, weil dieser in zwei Wahlkreise aufgeteilt war und ich hier einfache arithmetische Mittel verwendet habe).
Keine Frage: Die Meinung der ca. 18% der Anwohner, die gegen die A49 ist, ist legitim und in einer Demokratie zulässig und für den Diskurs notwendig. Warum sprechen Sie aber IMMER WIEDER von einer Spaltung, wenn schlappe 82% für den Bau sind!?
Vielen Dank für diesen sehr sachlichen Beitrag. Ich stimme dir vollkommen zu. Wenn man die Beiträge hier liest vergessen manche wohl häufig, dass der große Gegenwind aus überregionalen und deutschlandweit aktiven grünen Aktivisten besteht. Hier vor Ort sind die Mehrheitsverhältnisse ganz klar anders.
Von der A49 profitiert der ländliche Raum in Mittelhessen sehr. Wenn es um Trinkwasserschutz geht sollte man viel eher mal an dem Hahn nach Frankfurt drehen.
Hallo Herr Professor,
In welcher Form profitiert der ländliche Raum in Mittelhessen. Wie darf ich mir das ganz sachlich vorstellen? Mehrheitsverhältnisse?
Sind Sie der Meinung, dass falsche Entscheidungen dadurch richtiger werden, wenn es dafür Mehrheiten gibt?
Fortschritt wird immer teuer erkauft. Manchmal gegen den Willen der Betroffenen. Aber wo man auf Mahner und Betroffene hört, gibt es keinen Fortschritt.
@Salzekuchen
Was bitte ist Fortschritt am Bau einer Autobahn. Wir haben schon jetzt mit die meisten Autobahn-Kilometer weltweit. Fortschritt sieht für mich anders aus.
Lieber Manfred,
da haben Sie vollkommen recht! Nur leider haben wir auch Trucker aus ganz Europa, die unsere wunderbaren Straßen belasten. Und wer von FFM nach Kassel möchte, der kriegt angesichts der LKW-Kolonnen auf A5 und A7 schlagartig Herpes. Die A49 wird beide Autobahnen entlasten. Und die Anwohner in den Dörfern auch. LKW-Verkehr drastisch reduzieren wäre die einzige Alternative.