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Albert-Schweitzer-Schule entlässt 84 Abiturientinnen und Abiturienten in besonderen Zeiten in die ZukunftGewappnet für die großen Veränderungen des Lebens

ALSFELD (ol). Als vor gut drei Monaten die Schulen ihre Tore schlossen und noch nicht einmal klar war, ob die Abiturprüfungen überhaupt würden stattfinden können, war der Tag der Zeugnisverleihung – eine gesetzte Größe zum Abschluss der Schulzeit, wie viele andere Pläne auch, ungewiss geworden. Doch nun, am vergangenen Freitagabend, saßen 84 frischgebackene Abiturientinnen und Abiturienten in der Aula der Albert-Schweitzer-Schule in der Krebsbach und nahmen die Zeugnisse ihrer Allgemeinen Hochschulreife entgegen. Oder besser gesagt, sie nahmen sie sich selbst vom „Zeugnis-Buffet“, das die Schulleitung für sie angerichtet hatte – nur ein Umstand von vielen anderen, die den Schulabschluss in Zeiten von Abstands- und Hygieneregeln zu einem mehr als besonderen machten.

Dennoch: Die Abiturientinnen und Abiturienten ließen sich das Feiern über ihre bestandenen Prüfungen nicht nehmen und zeigten, wie verantwortlich man das in solchen Zeiten tun kann. So heißt es in der Pressemitteilung der Schule. Mit 99 Teilnehmenden – Schülerinnen und Schüler, Tutoren und Schulleitung – fand die Zeugnisverleihung statt – den Vorgaben des Gesundheitsamtes geschuldet und natürlich mit nachgemessenem Abstand zwischen den abgezählten Stühlen. In einer schulinternen Umfrage hatten sich die Absolventen klar dafür ausgesprochen, diesen Termin als Jahrgang gemeinsam zu begehen und dafür schweren Herzens auf die Anwesenheit jeglicher Familienmitglieder verzichtet.

Für diese und zur Erinnerung für die alle wurde das Geschehen per Kamera festgehalten, Redner waren per Videobotschaft zugeschaltet, und die kleine, auch instrumental abgespeckte Band bestand ausschließlich aus Abiturientinnen und Abiturienten.

„Ihr sollt eure hart erkämpften Abiturzeugnisse mitnehmen und hinaus in die Welt starten“

Studienleiterin Doris Roth begrüßte die Absolventen mit einer gutgelaunten Rede, in der sie als Erste ihre Wertschätzung für diesen Jahrgang zum Ausdruck brachte, der an diesem Tag nicht nur sein Abitur feiern könne, sondern der auch Konsequenz, Durchhaltevermögen, Flexibilität und Disziplin gezeigt habe. „Und dabei habt ihr nie die gute Laune verloren, dankte Roth ihnen für ihre Kooperationsbereitschaft. Auch an diesem besonderen Tag sollten die guten Gefühle im Vordergrund stehen: „Ihr sollt eure hart erkämpften Abiturzeugnisse mitnehmen und hinaus in die Welt starten. Dass die immer die eine oder andere Überraschung bereithalten kann, ist ja klar. Dass ihr damit umgehen könnt, habt ihr jetzt gezeigt!“

Studienleiterin Doris Roth begrüßte den Jahrgang. Foto: Traudi Schlitt

Mit einer ersten Videobotschaft meldete sich Alsfelds Bürgermeister Stephan Paule zu Wort. Er gratulierte den Abiturientinnen und Abiturienten zu ihrem Abschluss. „Diese Station ist ein Einschnitt auf Ihrem Weg“, so der Rathauschef. Mit der wachsenden Freiheit gehe stets wachsende Verantwortung einher – beidem müsse man gerecht werden.

„Ihr seid die Helden der Stunde“, rief Bianca Eichenauer, Vorsitzende des Schulelternbeirats, per Bildschirm den Absolventen zu. Das Corona-Thema solle dieses Ereignis nicht bestimmen, sondern die Erinnerung an geschmierte Pausenbrote, nachgelieferte Turnbeutel und zahllose Taxifahrten. Neben sich selbst könnten die Abiturientinnen und Abiturienten daher auch ihren Eltern auf die Schulter klopfen, genauso wie ihren Lehrkräften. Eichenauer dankte den scheidenden Schülerinnen und Schülern dafür, dass sie sich eingebracht und die Werte des Gymnasiums mit Leben gefüllt hätten.

Für den Förderverein der Schule schickte Amelie Kreuter ihre Grüße in die Runde. Sie gratulierte den Absolventen für deren großartige Leistung in diesen Zeiten, noch dazu für das Engagement darüber hinaus. Im Blick hatte sie dabei die Baumpflanzaktion zum Start eines Abi-Waldes vor wenigen Wochen. Sie unterstrich die Bedeutung des Fördervereins, der viele außerschulische Aktivitäten finanziere und den Austausch mit Alumni fördere. „Behaltet eure Heimat und eure Schule im Herzen, egal, wohin euer Weg euch führt“, so ihr Wunsch für die Abiturientinnen und Abiturienten.

Wofür es sich lohnt Verantwortung zu übernehmen

Das Glas auf ihre ehemaligen Mitschülerinnen und Mitschüler erhob ebenfalls aus der Ferne Paulina Georg von der Schülervertretung. „Schaut euch an, eure Zeugnisse in Händen und ein Lächeln auf den Lippen – und das nach einer Zeit, in der alles auf den Kopf gestellt wurde.“ Georg teilte den Stolz über die bewältigten Herausforderungen mit allen Anwesenden, die Höhen und Tiefen, Erfahrungen und Hindernisse geteilt hätten.

„Der Weg zum Ziel beginnt an dem Tag, an dem du die hundertprozentige Verantwortung für dein Tun übernimmst.“ Mit diesem Zitat von Dante Alighieri stieg Schulleiter Christian Bolduan in das Schlüsselthema seiner Abschiedsworte ein: Die Schülerinnen und Schüler hätten sich vor Jahren auf den Weg gemacht, Verantwortung für ihr Lernen zu übernehmen, gemeinsam mit ihren Familien und den Lehrkräften. „Wofür lohnt es sich Verantwortung zu übernehmen?“, fragte er die Abiturientinnen und Abiturienten, die sicher schon ihre Erfahrungen mit zu viel oder zu wenig davon gemacht hätten – nicht zuletzt im Elternhaus oder in der Schule.

Einsichten auf Verantwortung gab Schulleiter Christian Bolduan den Abiturientinnen und Abiturienten mit auf den Weg. Foto: C. Kotlorz

Man müsse sich, um mit Molière zu sprechen, auch für das verantworten, was man nicht tue, so der Schulleiter an den Jahrgang, der ihn sehr überrascht habe. „Ihr habt die Herausforderungen angenommen und mit der Aktion ‚Saturdays for the Forest‘ auch Weitblick und Engagement gezeigt.“ Mehr als tausend Bäume hinterließen die Schülerinnen und Schüler nach fünf Aktionen der Region; mit ihrem Abi-Wald könnten sie eine kleine Tradition begründet haben, über die sie sich vielleicht in vielen Jahren alle noch gemeinsam freuen könnten. Häufig könne man erst im Nachhinein erkennen, ob Entscheidungen gut waren, dennoch müsse man sie treffen. „Setzt dabei euren Kopf und euer Herz ein, denkt nach, denkt quer“, so Bolduans Appell.

Eine Überraschung für die Abiturienten

Schulpfarrerin Katja Dörge hatte für die jungen Erwachsenen eine Überraschung vorbereitet: Unter jedem Stuhl klebte ein Umschlag mit einem roten Faden, genau hundert Zentimeter lang. „Das ist euer Lebensfaden – macht einen Knoten bei etwa zwanzig Zentimetern, denn da steht ihr jetzt.“ Im Anschluss hatten die Schülerinnen und Schüler drei Minuten Zeit, um prägende Erinnerungen per Knoten zu markieren. Sie stellten fest, dass, obwohl sie noch jung sind, auch ein gutes Stück des Fadens schon erlebt war. Gerade bei der Erinnerung an traurige Einschnitte können man sich fragen, wie man sie bewältigt habe, schlug Dörge vor. Was von den drei großen Themen Glaube-Liebe-Hoffnung habe einem geholfen?

Die Pfarrerin wünschte den Abiturientinnen und Abiturienten, dass sie Vertrauen in die Liebe finden mögen, die das Rot des Fadens symbolisiere und die auch als die Liebe Gottes gesehen werden könne. Den roten Faden konnten die jungen Leute mitnehmen. Vielleicht nimmt der eine oder die andere ihn im Lauf des Lebens ja immer mal wieder zur Hand.

Über den Roten Faden im Leben sprach Schulpfarrerin Katja Dörge. Foto: Traudi Schlitt

Ehrungen: Sonja Karl und Lena Jung die Jahrgangsbesten

Nach diesen Ansprachen standen die Ehrungen auf dem Programm des Abends. Zunächst erhielt Sonja Karl den Schulsozialpreis, gestiftet vom Rotary Club Alsfeld. Doris Roth, dieses Mal in ihrer Eigenschaft als Gattin des amtierenden Präsidenten des Clubs, überreichte ihn und würdige Karl für ihr unermüdliches Engagement im schulischen Leben, bei Veranstaltungen, im Miteinander und im Unterricht. Sie habe sich seit der 5. Klasse verdient gemacht, so Roth, sei Ansprechpartnerin für viele Belange gewesen – bis hin zur Mitorganisation der Abiturveranstaltungen. Der Preis ist dotiert mit 300 Euro.

Martin Wilhelm, Leiter des mathematisch-naturwissenschaftlichen Bereichs der Schule, überreichte sodann die Auszeichnungen der verschiedenen Verbände: Den DMV-Abiturpreis für Mathematik, den die Deutsche Mathematiker-Vereinigung in Zusammenarbeit mit dem Springer-Verlag Heidelberg für exzellente Leistungen im Abiturfach Mathematik vergibt, ging an Kim Leon Oeppert. Er erhielt ein Buch und eine einjährige kostenlose Mitgliedschaft.

Den GDCh-Abiturientenpreis Chemie, den die Gesellschaft Deutscher Chemiker für die jahrgangsbesten Abiturienten im Fach Chemie auslobt, erhielten Lars Michaelis und Constantin Kuttler. Der Preis beinhaltet eine aktuelle Buchveröffentlichung, eine Urkunde und eine kostenlose Mitgliedschaft in der GDCh für ein Jahr. Beide Absolventen erhielten auch den Buchpreis und eine Mitgliedschaft in der Deutschen Physikalischen Gesellschaft. Diese verleiht die Anerkennung für sehr gute Leistungen im Prüfungsfach Physik.

Sie sind die Besten ihres Jahrgangs mit einem Notendurchschnitt unter 1,5. Foto: Traudi Schlitt

Mit dem Karl-von-Frisch-Preis, einer Auszeichnung des Verbandes Biologie, Biowissenschaften und Biomedizin für herausragende Leistungen im Fach Biologie wurde Theresa Herrmann ausgezeichnet.

Im Anschluss an diese Runde konnten Christian Bolduan und Doris Roth die Jahrgangsbesten ehren. Mit einer Durchschnittsnote besser als 1,5, sind dies: Sonja Karl, Lena Jung, Theresa Herrmann, Sophie Frank, Gina-Marie Schmidt, Maria Zinn, Johannes Kuttler, Marcel Loeser, Kim-Leon Oeppert, Helene Benz, Leana Hett, Johanna Merle und Marie Schott. Mit dem Musikpreis der Schule zeichnete schließlich Martin Wilhelm Sonja Karl und Ina Kneußel aus.

111. Abitur an der ASS im Jahr 2020

Mit einer launigen Rede, gespickt mit Schnapszahlen zum 111. Abitur an der ASS im Jahr 2020, blickten die Jahrgangsbesten Sonja Karl und Lena Jung auf ihre Schulzeit und die besondere Abiturphase zurück – und auf ein fast schon prophetisches Motto: „Abicalypse – Der Weltuntergang wäre einfacher gewesen!“ Die beiden warfen einen Blick in den Abiraum und ließen Kursfahrten Revue passieren. Sie dankten den Tutorinnen und Tutoren sowie den andren Lehrkräften für deren Wirken: „Sie sind uns doch sehr ans Herz gewachsen.“ Ihr Dank galt auch ihren Familien und der Schulleitung, die in diesen unübersichtlichen Zeiten die Abiturprüfungen sehr gut organisiert habe. Alle gemeinsam hätten sie eine beispiellose Aufgabe bewältigt. „Lasst uns jetzt etwas anfangen damit“, riefen sie ihren Mitschülerinnen und Mitschülern zu.

Sonja Karl (links) und Lena Jung blickten in ihrer Abirede zurück und nach vorn. Foto: Traudi Schlitt

Und dann war es soweit: Kurs für Kurs kam auf die Bühne, jede und jeder Einzelne nahm sein bereitgelegtes Zeugnis selbst zur Hand, ein Abschluss ohne Händedruck, ohne Umarmung, die Fotos auf markierten Plätzen, die für Abstand sorgten. Und dennoch: Die Stimmung war gut, der Jahrgang feierte sich selbst gemeinsam. Die Abiturientinnen und Abiturienten genossen die Schüler- und Lehrerrankings, die Josi Weber und Jessica Schött vorstellten, und sie erhielten von ihren nicht anwesenden LK-Lehrern per Video weitere Glückwünsche. Und als am Ende der Veranstaltung die Piccoli geöffnet wurden und die Band spielte, dann war bei der Polonäse zu dem unvermeidlichen „Tequila“ auch mit Abstand und ohne Anfassen alles ein wenig wie immer. Ein besonderer Jahrgang bricht auf in besondere(n) Zeiten.

Die Abiturientinnen und Abiturienten der Albert-Schweitzer-Schule 2020 sind:

Tutor Daniel Wolf – Leistungskurs Chemie

Foto: C. Kotlorz

Melcan Aslanca, Leonie Marie Donath, Daniel Freidhof, Sonja Maria Karl, Kristin Kreuter, Sarah Erna Kuhla, Johannes Constantin Kuttler, Benjamin Landenberger, Marcel Christian Losert, Lars Michaelis, Melina Müller, Fabian Planz, Philipp Bastian Reibeling, Michelle Steinbrecher, Marie-Dorothee Vey, Ina Weckesser

Tutorin Tina Kester – Leistungskurs Deutsch

Foto: C. Kotlorz

Elisa Michaela Allendorf, Maria Babette Bastian, Miriam Beitler, Manel El Asmi, Alicia Leonie Fleißner, Sophie Frank, Anna Gischler, Isabella Graaf, Johanna Graaf, Julia Jacobi, Lena Jung, Sarah Klaholz, Ina Elisabeth Kneußel, Celina Meinecke, Johanna Merle, Maria Schäfer, Janina Schleich, Anne Schraub, Vanessa Elisabeth Specht, Jasmin Theiß, Maria Zinn

Tutorin Miriam Reus – Leistungskurs Englisch

Foto: C. Kotlorz

Tessa Altenbrand, Lea Boksgorn, Malte Graulich, Theresa Herrmann, Kerim Maden, André Schäfer, Luca Marie Stork, Carolyne-Helena Nina Ribanna Wolff

Tutorin Doris Roth – Leistungskurs Geschichte

Foto: C. Kotlorz

Sarah Altenbrand, Katrin Ammermann, Helene Benz, Moritz Bottenhorn, Tiziano Decker, Hendrik Gonder, Robin Günther, Jonas Haupt, Leana Hett, Aaron Dan Reibeling, Moritz Luca Saupe, Marie-Claire Schmidt, Marie Schott, Jessica Schött, Joshua Max Steinbrecher, Tim Wagner, Franca Wasem, Josephine Weber, Niklas Wolff, Julius Ziesche

Tutorin Astrid Rodday – Leistungskurs Mathematik

Foto: C. Kotlorz

Lisa Marie Damm, Luc Bastian Hofmann, Sara Jungermann, Benno Möser, Kim Leon Oeppert, Tim Schneider

Tutor Steffen Kaiser – Leistungskurs Sport

Foto: C. Kotlorz

Lennart Baumgarten, Erik Böcher, Tamina Boppert, Tim Brosig, Carla Dietz, Leocadia Dörr, Lennart Elsing, Robin Hahn, Fynn Heinrich, Maxim Nerling, Andreas Rohd, Gina-Marie Schmidt, Kevin Welk

Weitere Eindrücke von Traudi Schlitt und C. Kotlorz

2 Gedanken zu “Gewappnet für die großen Veränderungen des Lebens

  1. „Gewappnet für die großen Veränderungen des Lebens“ heißt es in der Überschrift. Ist schnell mal hingeschrieben, sollte dann aber im Text auch dann wieder auftauchen. Also: Um welche großen Veränderungen des Lebens mag es sich handeln, für die die Albert-Schweitzer-Abiturienten des Jahrgangs 2020 sich in ihrer langen Schulzeit gewappnet haben? Nun, so recht will das nicht deutlich werden oder versteckt sich zwischen den Zeilen. „Ihr sollt eure hart erkämpften Abiturzeugnisse mitnehmen und hinaus in die Welt starten“, lautet die launige Ansage von Studienleiterin Doris Roth. Und weiter:„Dass die immer die eine oder andere Überraschung bereithalten kann, ist ja klar. Dass ihr damit umgehen könnt, habt ihr jetzt gezeigt!“ Mmh. Es geht also um die Überraschungen, die „die Welt“ mitunter bereit halten kann. Schon so ein Abi-Zeugnis kann ja manche Überraschung bereiten – im Positiven wie im Negativen. Niemand weint. Überraschung gelungen. Aber sind das schon die großen Veränderungen des Lebens?
    Auch Bürgermeister Paule spricht in seinem Grußwort eher in Rätseln. „Diese Station ist ein Einschnitt auf Ihrem Weg.“ Ja, irgendwie schon. Und mit der Freiheit wachse die Verantwortung – „beidem müsse man gerecht werden“. Klingt etwas nach Phrasenschwein. Und was hätte sich damit groß verändert? Fällt er in den Graben, fressen ihn die Raben… Die Elternvertreterin erinnert die „Helden der Stunde“ an „geschmierte Pausenbrote, nachgelieferte Turnbeutel und zahllose Taxifahrten“. Klingt nach Helikoptereltern und Verwöhnaroma, aber nicht nach den Herausforderungen des Lebens, hinter denen die großen Veränderungen zum Vorschein kommen.
    Auch die Gedanken von Schulleiter Christian Bolduan schweifen in die Vergangenheit und zu den unterschiedlichen Erfahrungen der Absolvent*innen mit Verantwortung.
    Und wieder nichts zum Thema große Veränderungen. Die Schulpfarrerin klebt jedem einen roten Lebensfaden unter den Stuhl (Überraschung!!!) und drängt dazu, auf den ersten zwanzig Zentimetern, die die bisherige Lebenszeit symbolisieren, innerhalb von drei Minuten die prägenden Ereignisse durch Knoten zu markieren. Gerade bei der Erinnerung an traurige Einschnitte könne man sich fragen, was von den drei großen Themen Glaube-Liebe-Hoffnung einem geholfen habe, diese zu bewältigen.
    Und ab da dann nur noch Ehrungen und launige Erinnerungen, die den Eindruck vermitteln, mit der Ablegung der Abiturprüfung habe sich im Grunde das Leben der Gehrten bereits erfüllt. Alle gemeinsam hätten sie eine beispiellose Aufgabe bewältigt. „Lasst uns jetzt etwas anfangen damit“, riefen sie ihren Mitschülerinnen und Mitschülern zu. Doch wird das allen gelingen angesichts der großen Veränderungen des Lebens, die offensichtlich zu groß sind, um sie auszusprechen?
    Vielleicht schaut/hört man sich diese ja mal im Internet an. Leben 2.0 (https://www.hessenschau.de/wirtschaft/corona-schickt-berufseinsteiger-in-die-krise,corona-berufsanfaenger-100.html ).

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  2. Was macht einen Abschluss der Hochschulreife in diesen Zeiten „zu einem mehr als besonderen“, oder – weniger gestelzt – zu einem Meer des Besonderen? Was ist das Foto mit der größten Symbolkraft für die Zukunft dieser Abiturienten-Jahrgänge? Vielleicht das mit der wie das Bord-Orchester der Titanik nach Kenter-Stufe 3 und bei 70% Schlagseite auf Lücke sitzenden Schulgemeinde? Wird nur gefühlt jede(r) dritte Abiturient*in sämtliche von unseren Schlachthäusern ausgehenden Infektionswellen überleben? Oder nach misslungener Klimarettung noch einen Platz im Rettungsboot erhalten? Oder einen seiner Vorbildung entsprechenden Arbeitsplatz? Ich erinnere mich noch meiner Abi-Feier 1969. Da war man voll Zuversicht und Zukunftshoffnung. Denn nach den Wirtschaftswunderjahren winkten Wohlstand und Aufstieg durch Bildung, Sozialstaat und Nato-Schutzschirm. Dazu endlich eine Regierungsbildung ohne Beteiligung von CDU/CSU, im katholischen Sauerland eine Vorstufe des geistig-moralischen Weltuntergangs.
    Aber wir hatten noch Ideale. Die alten Nazis ihre und wir die unseren. Und noch begegnete man sich lächelnd im dem feierlichen Anlass geschuldeten Outfit, gekauft beim örtlichen Textilhändler, der gerade sein Geschäft mit einer breiten Schaufensterfront modernisiert hatte. Die Festgottesdienste – natürlich streng nach KOnfession getrennt – klangen aus bei vollem Geläut. Die Abitursreden bestanden schülerseits aus Dank, lehrer- und elternvertreterseits aus Mahnungen, vom Pfade der Tugend und den ewig gültigen Werten nicht abzulassen. Der Rest war Tanzmusik nach dem Programm einer angejahrten, aber bewährten Kapelle, für deren Gage zuvor gesammelt worden war. Die schwarrrze Barbara, trallala. Polonaise Blankenese nach Spargel mit Sauce Bernaise. Seit dem Tanzkurs hatte man kein Mädchen mehr berührt. Dancing mit Social Distancing auch ohne Corona. Vor kurzem noch war großzügig entschieden worden, dass die schwangere Unterprimanerin aus dem Jahrgang unter uns die Schule nicht verlassen musste.
    Und schon Anfang der 1970er Jahre begann der Untergang. Gottvater zürnte. „Mehr Demokratie wagen…“ Das konnte nur schief gehen und war das unbedingt nötig im Schatten von Mauer und Stacheldraht? Gerade erst reichten Wolfgang Schäuble, Kohls Mann mit dem schwarzen Geldkoffer, und Philipp Amthor, einer der jüngsten Volks(handels)vertreter des Bundestages, einander gefühlt die Hand (https://www.der-postillon.com/2020/06/schaeuble-amthor.html). Wozu ermahnt man da die heutige Abiturientengeneration? Auf welches Leben bereitet man sie vor?
    „Der Weg zum Ziel beginnt an dem Tag, an dem du die hundertprozentige Verantwortung für dein Tun übernimmst.“ Mit diesem Zitat von Dante Alighieri gab Schulleiter Christian Bolduan seinen Abschiedsworten richtig Wumms. Doch wenn man die zweite vor der ersten Frage stellt („Wofür lohnt es sich Verantwortung zu übernehmen?“), ist das ziemlich witzlos. Vom blinden Schicksal ins Leben gestoßen, ausgestattet mit einem Gencocktail, den man auch nicht selbst angerührt hat, und einem nicht vorherseh- und voraussagbaren Schicksal ausgeliefert… Wer will da von Verantwortung sprechen und diese übernehmen? Wer übernimmt die Verantwortung für Corona? Wie viel Eigenverantwortung steckt in den Reifezeugnissen, die da auf dem Buffet ausliegen?
    Wer für seine Abiturreden nicht in Haftung genommen werden will, verhält sich wie das sybillinische Orakel: Er bleibt mehrdeutig. Und so heißt es dann am Ende: „Häufig könne man erst im Nachhinein erkennen, ob Entscheidungen gut waren, dennoch müsse man sie treffen.“ So viel Verantwortung muss dann schon sein.
    Deshalb empfehle ich ein anderes Lebensmotto: „Wuist wissen, woas passieren kann / Schu die den Philipp Amthor an!“

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