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Martina Heide-Ermel verlässt das DW Vogelsberg und findet neuen Wirkungskreis in Marburg„Dankbar für den Schatz der Diakonie“

VOGELSBERG/LAUTERBACH (ol). Acht Jahre lang war sie das Gesicht des Diakonischen Werks Vogelsberg, ein „diakonisches Eigengewächs“, wie sie selbst sagt: Martina Heide-Ermel, Diakonin, Sozialarbeiterin und Sozialpädagogin, leitete seit 2012 das Regionale Werk der Diakonie Hessen im Vogelsberg, nun bricht sie auf zu neuen Ufern, sucht noch einmal die Herausforderung einer neuen Führungsposition und hinterlässt „einen Schatz, voller Dankbarkeit und Erfüllung.“

Als Heide-Ermel im Jahr 2012 die Nachfolge von Christa Wachter antrat, hatte sie ein Vierteljahrhundert in der Hephata-Diakonie gearbeitet, war dort für die Begleitung geistig behinderter oder psychisch kranker Menschen tätig, zuletzt als Abteilungsleiterin der Hephata Werkstätten. Der Sprung ins DW nach Lauterbach erweiterte ihren Blickwinkel in vielerlei Hinischt. „Es war eine aufregende Zeit, gerade am Anfang“, erinnert sie sich.

Anstatt mit einer überschaubaren Zahl an Menschen wie in den Wohnheimen und Werkstätten von Hephata hatte sie es nun mit vielen Menschen aus vielen gesellschaftlichen Bereichen zu tun. „Ich bin hier wirklich auf meine Nächsten getroffen und habe die Nöte und Sorgen von Menschen gelernt, die in unserer Gesellschaft gleich nebenan leben. Und ich war auch überrascht, wie viele in verschiedenster Hinsicht Hilfebedürftige es auch im Vogelsberg gibt.“

Von Menschen, die sich an die Diakonie wenden, weil der Kühlschrank leer ist, berichtet Heide-Ermel, von großer Armut und auch von Wohnungslosigkeit, die viele in ihrer nächsten Umgebung nicht für möglich halten. Und davon, wie sie und ihr Mitarbeiterteam sich stets in der Pflicht gesehen haben, an diesen Menschen dranzubleiben, „das zu geben, was wir haben“.

Neue Aufgabenbereiche konnten etabliert werden

Neben den klassischen diakonischen Aufgaben wie Lebensberatung, Familien-, Ehe- und Paarberatung, konnte Martina Heide-Ermel auch einige neue Angebote anstoßen und etablieren: die Erziehungsberatung, die Flüchtlingsverfahrensberatung und später das Bewerbungstraining für Migranten. Auch die Täterarbeit innerhalb der Beratung bei häuslicher Gewalt wurde unter ihrer Leitung im Vogelsberg auf feste Füße gestellt sowie die Erweiterung der Platzzahl im Betreuten Wohnen der Wohnungsnotfallhilfe.

Von besonders großer Bedeutung ist für die engagierte Sozialpädagogin auch das Thema „Frauen-Familie-Gesundheit“, besser bekannt unter dem alten Begriff „Müttergenesung“. „Gerade in Zeiten der Doppelbelastung durch Beruf und Familie und den vielfältigen Herausforderungen, die ein familiärer Alltag heute mit sich bringt, ist es wichtig, die Ansprüche und Rechte von Frauen und Familien im Blick zu halten“, findet Heide-Ermel. Fast wäre dies gescheitert. Dank ihres Einsatzes kann das DW Vogelsberg weiterhin Kuren und intensive Beratung anbieten: „Auch in Zeiten leerer Kassen und vielfältiger gewordenen Aufgaben ist es wichtig, an klassischen diakonischen Angeboten festzuhalten“, ist sie überzeugt.

Eine besondere Herausforderung war auch für das Diakonische Werk die hohe Anzahl an Geflüchteten, die in den Jahren 2015/2016 nach Deutschland und damit natürlich auch in den Vogelsberg kamen. „In dieser Zeit haben wir die Flüchtlingsverfahrensberatung etabliert und gemeinsam mit Einrichtungen wie dem Evangelischen Dekanat und der Caritas Freiwillige geschult und begleitet. Auch die Arbeit auf politischer Ebene, also mit dem Landkreis, war sehr konstruktiv. Es war ein Arbeiten auf Augenhöhe mit dem Ziel, Menschen zu helfen, Hand in Hand das Beste zu geben“, fasst Heide-Ermel ihre Erfahrungen aus dieser Zeit zusammen. Das Arbeiten in Netzwerken, der Blick auf größere Zusammenhänge, die Arbeit in sozialpolitischen Gremien wie der Liga der Freien Wohlfahrtspflege sind Aspekte, auf die die scheidende Leiterin mit großer Freude blickt.

Gottesdienste als besonderes Highlight

Als besondere Highlights ihrer Amtszeit führt Heide-Ermel die Diakonie-Gottesdienste an, die sie gemeinsam mit Mitarbeitenden ihres Hauses gestaltet hat. Als Diakonin und als Mensch, der immer vom Glauben getragen sei, liege ihr die Verkündigung sehr am Herzen. Auch dass sie einige gute Projekte mit auf den Weg bringen konnte, die auch für die Zukunft noch viel Potenzial in sich tragen, erfüllt sie mit großer Zufriedenheit: Hier nennt sie den Besuchsdienst DRIN, oder AGIL, ein Projekt zur Bewegungsförderung hochaltriger Menschen.

„Ich habe all diese verschiedenen Aufgaben wirklich mit Leidenschaft erfüllt, ich konnte alles einbringen, was mich als Person und mit meiner Ausbildung und Erfahrung ausmacht: Coaching, Beratung, Leitung, Netzwerkarbeit. Und dafür empfinde ich große Dankbarkeit.“ Eine Dankbarkeit, die sie auch ihrem Team gegenüber zeigt: Von Anfang an sei sie sehr gut aufgenommen und eingearbeitet worden – ein Team, das sich gegenseitig in allen Fachbereichen und bei allen Herausforderungen gut unterstützt und krisenfest ist, wie sie sagt. Letzteres habe man gerade in den letzten Wochen und Monaten sehr gut beobachten können: Heide-Ermel sieht ihre Einrichtung auch in der Corona-Zeit gut aufgestellt. „Seit Anfang der Krise haben wir gemeinsam Konzepte entwickelt, um mit den Menschen, die uns brauchen, in Verbindung zu bleiben“, berichtet sie, „zunächst telefonisch, jetzt auch wieder in Einzelgesprächen, drin oder draußen.“

Bei all den vielen positiven Erfahrungen ist es verständlich, dass Martina Heide-Ermel nun mit einem lachenden und einem weinenden Auge geht: „Ich lasse viel zurück, aber ich vertraue darauf, dass meine Nachfolge und das Team den guten Weg des DW Vogelsberg weitergehen können“, zeigt die scheidende Leiterin sich zuversichtlich.

Neue Wege bestreiten

„Mit Blick auf meinen Ruhestand in zehn, elf Jahren war es jetzt noch einmal Zeit, etwas Neues zu beginnen, noch einmal meine ganze Kraft als Gestalterin in einen neuen Verantwortungsbereich einzubringen.“ Als geschäftsführende Vorständin der Marburger Bürgerinitiative Sozialpsychiatrie wird sie einem Team von hundert Mitarbeitenden vorstehen. „Auch dieser Verein ist eine diakonische Einrichtung, von Bürgerinnen und Bürgern entwickelt, die die Bedeutung von Bedarf, Teilhabe und Inklusion erkannt haben.“ Martina Heide-Ermel freut sich darauf.

Auf den Etappen ihres Lebens begleiten die gläubige Christin stets passende Bibelverse. Für ihren Weggang und Neubeginn hat sie sich das Wort aus dem 2. Brief des Paulus an Timotheus ausgesucht: „Denn Gott hat uns nicht gegeben den Geist der Furcht, sondern der Kraft und der Liebe und der Besonnenheit.“ Martina Heide-Ermel verlässt den Vogelsberg Ende Mai, ihren Verabschiedungsgottesdienst hebt sie sich auf, bis die Umstände rund um die Corona-Pandemie dies wieder zulassen, denn auf den Segen Gottes und einen schönen Abschied aus diesem Wirkungskreis will die 55-Jährige nicht verzichten.

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