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Poetry Slam „Poesiereich 17“ fasziniert wieder durch moderne DichterGenialer Wettstreit reimender Wortakrobatik

NIEDER-OFLEIDEN (ol). Man muss es lieben, wenn Poeten von heute sich eine Dichterschlacht liefern, Wortakrobatik praktizieren, dabei gelegentlich rappen, beatboxen oder singen und im Texten sich komischerweise nicht in Worten verfingen – so wie beim jüngsten Poetry Slam in Nieder-Ofleiden, zu dem „Poesiereich 17“ in die „Halle 17“ einlud.

Nein, die Zahl 17 ist nicht ganz zufällig dieselbe – es ist die Hausnummer des Veranstaltungsortes, an dem eine kulinarische Eventhalle im Industriestyle mit freiliegenden Versorgungsrohren, spannenden Deckenkonstruktionen, funktionaler Theke und vielen urbanen Einrichtungsgegenständen steht. Und es ist das Zuhause von „Poesiereich 17“, der Poetry-Company von Stella Jantosca und Pauline Puhze, heißt es in der Pressemitteilung.

Zufällig gehört Stellas Vater Martin Jantosca die Halle 17. Sie teilen sich nicht nur die Zahl und ihren Nachnamen, sie teilen vor allem auch die Leidenschaft zu ihrem Tun: Die eine lässt sich genussvoll Worte auf der Zunge zergehen, der andere lieber leckere Speisen. Gemeinsam haben sie vor kurzer Zeit beides zusammengeworfen und luden jetzt bereits zum dritten Mal zu einem kulinarischen Dichterstreit ein.

Die Zuschauer waren begeistert von der Dichterkunst der jungen Poetinnen und Poeten. Fotos: Anja Kierblewski

Die gerade 20-jährige Stella und ihre Poeten-Kollegin Pauline haben als Gewinnerinnen von landesweiten Wettbewerben im Poetry Slam ihre guten Kontakte spielen lassen und für den Abend hervorragende Slamer gefunden: Leah Weigand, Laura Paloma, Hagen Halfpaap, Holger Rolfs und das Team Mint Tea, die mal abwechselnd, mal duellierend, mal synchron ihre Texte rhythmisch vortrugen.

Nicht nur fröhliche und heitere Themen

Ja, der Rhythmus der Poeten ist meist etwas ganz Besonderes, die Intonation, die Schnelligkeit, die Reime, die fast zum Mitklatschen, Fußwippen und manchmal sogar Tänzeln einladen. Dabei geht es beim Slamen mitnichten nur um fröhliche und heitere Themen, nein! Manche sind traurig, melancholisch, nachdenklich, wütend und vor allem oft gesellschaftskritisch.

Während die Gäste sich von Martin Jantoscas Team kulinarisch verwöhnen ließen, lieferten sich die Sprachgewandten im Scheinwerferlicht einen Wettkampf um die Gunst der Zuschauer. Bevor der Kampf aber offiziell begann – moderiert von Stella und Pauline, die immer wieder durch ihre Schlagfertigkeit und Wortwitz brillierten – bestieg erst ein „Opferlamm“ die Bühne.

Unerfahrene Zuschauer beim Slamen denken vielleicht, ok, im Haus eines Spitzenkochs ist dies wohl etwas zu essen. Aber weit gefehlt, als Opferlamm bezeichnet man einen jungen Nachwuchspoeten, der beziehungsweise die noch nie vor Publikum aufgetreten ist, Erfahrungen sammeln möchte und quasi das Feature – die Einstimmung – auf den Abend übernimmt. Hier war es keine Geringere als die Jüngste der Jantosca-Schwestern, Leni, die mit ihren 13 Jahren die Sache hervorragend meisterte und fast einen 10-Punkte-Applaus bekam.

Das diesmalige „Opferlamm“ Leni Jantosca.

Dieser 10-Punkte-Applaus ist wichtig, denn nur so werden schließlich die Wortkünstler für ihr selbstgeschriebenes und rezitiertes Wort belohnt, kämpfen ums Weiterkommen und um den Einzug ins Finale. Und es war ein harter, zweistündiger Kampf, in dem manch penetranter Juror aus dem Publikum mehrfach über zehn Punkte versuchte zu vergeben, was die beiden Chefinnen im Ring natürlich nicht zuließen.

Erinnerung an den Opa, Weiberfasching, Begegnungen am Spielplatz

Leah fragte provokativ, warum man alte Menschen nicht so gut wie Oldtimer behandelt, und kam ins Schwärmen bei den Erinnerungen an ihren Opa – auch wenn sie zugab, dass sie das jetzt vielleicht ein wenig glorifiziert. Hagen überzeugte bei seinem ersten Auftritt bei einem Slammer-Wettbewerb mit seinem Protokoll von seinem Tag mit Kumpels an Weiberfasching. Dabei konnte er in seinen Beiträgen nicht verschweigen, dass er angehender Historiker und Religionslehrer ist, der natürlich an Weiberfasching auch im Kardinalskostüm eher unchristlich unterwegs war, schließlich hasste er irgendeinen Rudolf und erbrach sich auf ihm – unvorstellbar, dass so etwas eine literarische Pointe sein kann, aber zu Recht war.

Laura erzählte von ihrem Fluch, nirgendswo richtig zuhause zu sein und dass es keinen Grund gibt stolz auf etwas zu sein, was man in die Wiege gelegt bekommen hat. Holger Rohlfs wählte eine weniger rhythmische Darstellungsform erzählte eher Geschichten, von seinen Kindern, fünf an der Zahl, Begegnungen am Spielplatz mit Helikoptermüttern oder Befehlsempfängerinnen und plädierte für eine linksalternatives-freies-grünes Deutschland, um dem herrschenden Hass und der zunehmenden Aggressivität entgegenzuwirken.

Kein Blatt vorm Mund

Ein besonderes Highlight waren die zwei Auftritte von Team Mint Tea, bestehend aus Nicki Schuck und Artem Zolotarov. Beide alleine schon stark, waren sie zusammen unglaublich. Kraftvoll, rhythmisch, treffsicher, humorvoll und vor allem kein Blatt vor dem Mund nehmend: „Sie ist müde und frustriert, ihre Beine sind rasiert, das Intimste epiliert und sie sucht die große Liebe, die sie wieder f***** wird“ – provokativ, ganz klar, aber wenn es um sexuelle Nötigung im Showbiz geht, darf man nun mal kein Blatt vor den Mund nehmen.

Genauso wenig wie die zwei späteren Finalisten Leah und Hagen. Leah gab ganz offen zu, „was sie nicht bewegt“, während Hagen seine reimenden Urlaubserinnerungen damit abschloss, ein Handtuch auf die Teenie-Tochter zu werfen, schließlich war sie noch nicht 16, aber er wollte sie schon mal – ganz deutsch und urlaubslike – reservieren.

Der Sieger, erstmals bei einem offiziellem Poetry Slam dabei: Hagen Halfpaap.

Apropos reservieren kann man schon Karten für die nächsten Slam-Veranstaltungen von „Poesiereich 17“ – in Homberg in der Halle 17 oder auch in Alsfeld am 8. August 2020 im Rahmen der diesjährigen „BäderKultur“ in der Tiefe des leergepumpten Alsfelder Hallenbadbeckens. Besondere und moderne Dichterkunst benötigt eben auch eine passende, außergewöhnliche Bühne. Übrigens: „Zwei Herzen schlagen in meiner Brust, das eine isst vegan, das andere liebt Wurst…“

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