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Erstes Weihnachten ohne Orgel: Nach über 70 Jahren verabschiedet sich Erhard Münch aus Bernsfeld als Organist„Ich hab’se alle gespielt“

BERNSFELD (ol). Seit er sechs Jahre alt war, liebt Erhard Münch die Musik. An der Ziehharmonika seines Vaters machte er seine ersten musikalischen Gehversuche, auch Akkordeon spielte er gerne. Doch sein Herz verloren hat er ans Klavier und an die Orgel – eine Leidenschaft, die bis heute besteht. Über 70 Jahre lang war der heute 85-Jährige als Organist in Bernsfeld im Kirchspiel Nieder-Ohmen tätig. Jetzt wurde er in einem feierlichen Gottesdienst verabschiedet.

Münch erinnert sich noch genau an die Familie, die vor zig Jahren während des Kriegs aus Darmstadt in den Vogelsberg, genauer gesagt, nach Bernsfeld kam. „Der Mann war im Krieg, die Frau und die beiden Kinder kamen bei Verwandten von ihnen in unserem Ort unter“, erzählt der zierliche Mann mit den silbergrauen Haaren, während er auf dem Sofa in seinem Wohnzimmer sitzt. „Und bei dieser Frau hab ich dann zwei Jahre lang Klavierunterricht bekommen“, sagt der Landwirt im Ruhestand. So aus der Pressemitteilung des Dekanats.

Als die Familie zurück in ihre Heimat ging, zog auch das Klavier, an dem Münch spielen lernte, mit um nach Darmstadt. Damit Münch aber seinem neuen Hobby weiterhin nachgehen konnte, kauften seine Eltern ihm ein ganz eigenes Klavier. „Das war etwas Besonderes, und ich habe mich sehr darüber gefreut“, erinnert sich der 85-Jährige. Dieses Klavier steht bis heute in Münchs Wohnzimmer. „Zwar funktioniert es nicht mehr richtig, aber es ist ein schönes Erinnerungsstück.“ Daneben steht noch ein weiteres, funktionstüchtiges Klavier, das ihm sein Schwiegersohn geschenkt hat. „An dem spiele ich mindestens einmal die Woche.“

Das Debüt mit 14 Jahren im Gottesdienst

Seit 1948 hatte Erhard Münch zudem die Orgel in Bernsfeld gespielt. Als er das erste Mal alleine im Gottesdienst spielte, war er gerade einmal 14 Jahre alt und „sehr aufgeregt“, erinnert sich Münch. Welches sein Lieblingslied in all den Jahren war? „Ich bete an die Macht der Liebe oder Lobet den Herren vielleicht“, überlegt Münch. „Ach, ich weiß nicht so genau. Ich hab’se alle gespielt“, sagt er lachend.

Jetzt, über 70 Jahre später, hat Erhard Münch sich als Organist verabschiedet – schweren Herzens, wie er sagt. „Ich habe es immer gerne gemacht. Aber ich höre nicht mehr so gut, und es ärgert mich dann, wenn ich nicht richtig mitbekomme, wann mein Einsatz ist“, erklärt er. In einem feierlichen Adventsgottesdienst in Bernsfeld wurde er jetzt von Pfarrerin Lea Schellhaas und seiner Kirchengemeinde verabschiedet.

Edwin Schmitt bedankte sich im Namen des Kirchenvorstandes für die Orgeldienste und würdigte die Zuverlässigkeit und jahrzehntelange Treue von Münch: „70 Jahre – das sind fast 4000 Sonn- und Feiertage, an denen du als Organist immer zur Verfügung standst. Immer“, so Schmitt weiter, „das heißt, egal wieviel Arbeit zuhause war, egal ob es dir gut oder schlecht ging, egal wer den Gottesdienst hielt. Egal ob nur wenige Gottesdienstbesucher da waren oder das Gotteshaus voll war, ob Heiligabend, Konfirmation oder Karfreitag, ob mit oder ohne Posaunenchor, ob es in der Kirche zu warm oder zu kalt war, und du hast auch ohne Murren auf dem Klavier gespielt, wenn die Orgel mal ihren Dienst versagte“, zählte Schmitt auf.

Münch: „Das wird mir schon fehlen“

„Du warst immer zur Stelle, immer gut gelaunt und mit frohem Mute. Es spielte auch keine Rolle welche Lieder gesungen wurden, du hast immer wunderbar und gekonnt gespielt. Mal laut, mal leise und immer im richtigen Tempo, sodass die Gemeinde gut und gerne mitsingen konnte“, würdigte Edwin Schmitt. Der Gesangverein „Frohsinn“, den Erhard Münch sehr lange leitete und der heute unter der Leitung von Münchs Tochter Regina Diehl steht, überraschte ihn zudem mit den zwei Liedern „Vater unser“ sowie dem „Irischen Segen“.

„Das wird mir schon fehlen“, sagt Münch. „Aber ich werde dann vielleicht wieder mehr Klavier zuhause spielen.“ Besonders gerne habe er die Orgel immer an Weihnachten gespielt – eine Aufgabe, die dieses Jahr jemand anderes für den Organisten aus Leidenschaft übernommen hat. Das erste Weihnachten seit mehreren Jahrzehnten also, an dem Erhard Münch nicht an der Orgel im Bernsfelder Weihnachtsgottesdienst saß. „Das macht mich schon ein bisschen traurig“, verrät Münch. „Aber ich spiel dann hier daheim ein paar Lieder für meine Familie – zum Beispiel ‚Stille Nacht‘ oder ‚O du fröhliche‘“.

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