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Pogromgedenken mit gut 40 TeilnehmernKirtorfer mahnten an alten und neuen Orten vor Schrecken der NS-Zeit

KIRTORF (ol). Kirtorfer Bürger haben sich am 9. November getroffen, um wie im Rest des Landes mahnend an die Reichspogromnacht 1938 zu gedenken. Ihre Route führte die Teilnehmer zu den ehemaligen Häusern getöteter Juden – und an den Schweinestall, in dem einst Neonazi-Konzerte stattfanden.

1938, in der Reichspogromnacht, brannte das Mobiliar der Kirtorfer Synagoge auf dem Marktplatz. 81 Jahre später steht ein Mann aus Homberg (Ohm) auf dem zentralen Ort der Stadt, um gemeinsam mit anderen Menschen mahnend an die Verbrechen der Nazizeit zu Gedenken. „Bei uns gibt’s das leider nicht, deshalb bin ich hier her gekommen“, sagt der Besucher. Er habe irgendwo gelesen, dass man über Fehler reden müsse, weil sie sonst wieder passieren. Dem stimme er zu, auch deswegen sei er hier, sagt der Mann.

Verhindern, dass sich Geschichte wiederholt: Dieses Motiv wurde an mehreren Punkten beim Kirtorfer Pogromgedenken spürbar. Vom Marktplatz aus zog die Gruppe der Teilnehmer zu drei mit Stolpersteinen markierte Häuser, in denen einst Juden gewohnt hatten, die den Nazis zu Opfer fielen. Insgesamt 27 waren es in Kirtorf und Umgebung. Bei ihrer Tour kamen die geschätzt 40 Teilnehmer auch am Haus der Familie Köhler vorbei – dem Gehöft, auf dem früher Neonazi-Konzerte in einem Schweinestall stattfanden.

Kirtorfs Bürgermeister Andreas Fey nutzte die Gelegenheit, um an die Anfänge des Bündnisses „Aktionsbündnis für Vielfalt – Kirtorf“ zu erinnern, dass sich 2004 als Reaktion auf Aktivitäten der Rechten Szene in der Stadt gegründet hatte und die Pogromgedenkstunde mit organsierte. Als Fey spricht, fährt eine Polizeistreife in sachtem Tempo an ihm vorbei, die Beamten scheinen die Umgebung genau zu beobachten. Kirtorf sei heute nicht „das braune Nest“, auch wenn ab und zu davon noch gesprochen werde. „Aber ich denke, den Ruf haben wir zu recht abgelegt“, sagte Fey.

21 Konfirmanden aus Lehrbach, Kirtorf, Obergleen, Bernsburg und Gleimenhein wirkten bei der Gedenkveranstaltung mit, indem sie unter anderem die Namen von deportierten Familien sowie Auszüge aus den zehn Geboten verlasen, und sie in den geschichtlichen Kontext einbetteten. Zum Gebot „Du sollst nicht töten“ hieß es zum Beispiel: „Dieses Gebot sollte doch so einleuchtend sein. Durch die gut organisierte Naziherrschaft wurden in Europa 6 Millionen Juden sozusagen flächenmäßig ermordet.“

Fotos des Gedenkens

Der Antrifttaler Pfarrer Frank Hammel, der die Konfirmanden vertretungsmäßig begleitete, fand lobende Worte für die Jugendlichen. „Die Konfirmanden haben sich die Texte selbst rausgesucht und freiwillig mitgemacht, sie wurden nicht dazu gedrungen. Ich bin begeistert, wie gut sie mitgemacht haben“, sagte er. In einer Ansprache später erinnerte Hammel an den antisemitisch motivierten Anschlag in Halle in diesem Jahr und ermutigte dazu, Gewaltlosigkeit und die Würde aller Menschen „mit aller Kraft zu leben versuchen.“

Auch beim Gedenkstein für die 1951 abgerissene Synagoge gegenüber des Rathauses hielten die Teilnehmer im zweiten Teil der Gedenkveranstaltung inne. Der Stein, der seit 1983 an die Schrecken der Pogromnacht erinnert, wurde in diesem Jahr erneuert, die Witterung hatte ihm zu sehr zu schaffen gemacht. Bürgermeister Fey erinnerte daran, wie die jüdische Bevölkerung nach und nach unter anderem durch Boykottaufrufe vertrieben, verschleppt und getötet wurde, bis 1942 schließlich die letzten sieben jüdischen Bürger aus Kirtorf deportiert wurden. 1880 lebten noch 66 Juden in Kirtorf, was sieben Prozent der Bevölkerung entsprach.

Albert Naumann vom Aktionsbündnis für Vielfalt erklärte in einem kurzen Vortrag, dass nur die Einrichtung, nicht aber die Synagoge selbst in Kirtorf in der Reichspogromnacht gebrannt habe. Die Gefahr sei als zu hoch eingeschätzt worden, dass das Feuer auf umstehende Höfe habe übergreifen können, sagte er.

In seinem Schlusswort freute sich Bürgermeister Fey darüber, dass Teilnehmer verschiedenen Alters bei dem Gedenken mitgemacht hatten. „Das gilt es, weiter fortzuführen“, sagte Fey.

7 Gedanken zu “Kirtorfer mahnten an alten und neuen Orten vor Schrecken der NS-Zeit

  1. Hallo,

    Ich stimme ihnen zu.
    Hier gab es aber den
    Hinweis zu den Aktivisten.
    Mir ging es eigentlich
    Darum hervor zu heben,
    Wie man sich z. B. in
    Alsfeld distanziert hat
    Von dem Umgang mit anders
    Denkenden Menschen.
    Danke für ihre Informationen.

  2. Unsachlich und Provokant
    Ohne Kenntnis der Rechtslage. Auch dieser Kommentar, wie andere vorher,qualifiziert sich selbst.
    In diesem Zusammenhang möchte ich
    Ganz besonders die Alsfelder Initiative loben, die sich deutlich gegen die Wortwahl des CDU-Fraktonsvorsitzenden Herrn Heinz positioniert und damit ein Zeichen gegen Hetze gesetzt hat.
    In dem OZ-Interview heute habe ich
    Von Herrn Ruhl insoweit nichts gelesen.

  3. Nazikonzerte im Schweinestall. Das passt doch. Schädigt aber den Ruf eines Ortes. Konkret an die ehemaligen jüdischen Bewohner zu erinnern, die erst vertrieben und dann deportiert und ermordet wurden, ist sicherlich eine sinnvolle Form der Mahnung und des Gedenkens, die auch dem Abstempeln Kirtorfs als „braunes Nest“ entgegen wirkt. Noch wichtiger aber wäre es, dem völkischen Rechtsempfinden und der latenten Gewaltbereitschaft schon viel früher entgegen zu wirken. Ich denke nur an das Thema B49. Wer da die Baumbesetzer verbal mit der Kettensäge bedroht bzw. Umweltaktivisten oder einfach Andersdenkende beleidigt, sollte deutlich zu spüren bekommen, dass man diese Haltung im Ort nicht toleriert.

    1. Haha sie nennen also Leute welche illegal anderer Leute Grund besetzten Umweltaktivisten. Ich nenne das Hausfriedensbruch .

      1. Gehört der „Grund“ dort einer Privatperson?
        Stehen dort Häuser, so das es überhaupt zu einem Hausfriedensbruch kommen kann?
        Und haben Sie als Kind nicht mal ein Baumhaus oder Hütte im Wald gebaut?

      2. Ja haha. Sie nennen also Leute, die Bäume besetzen, Hausfriedensbruch und versuchen ungeschickt vom Thema abzulenken. Stattdessen könnte man ja mal überlegen, ob man Leute, die an Nazikonzerten im Schweinestall teilnehmen, nicht Nazischweine nennen könnte. Oder die Umstände, unter denen 7 Prozent der Bewohner*innen Kirtorfs „nach und nach unter anderem durch Boykottaufrufe vertrieben, verschleppt und getötet wurde, bis 1942 schließlich die letzten sieben jüdischen Bürger aus Kirtorf deportiert wurden,“ nicht als Riesenschweinerei bezeichnen sollte. Ich meine, wo wir gerade beim Umbenennen sind.

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