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Darstellendes Spiel präsentiert „Die Räuber“ als Abschluss einer zweijährigen FortbildungSchillers Räuber neu, ungewöhnlich und mit Sahne

LAUTERBACH (ol). Zu einem außergewöhnlichen Theaterabend mit außergewöhnlichen Schauspielern hatten sich in der vergangenen Woche zahlreiche Zuschauer in der Aula der Alexander-von-Humboldt-Schule eingefunden. Auf der Bühne standen acht Lehrkräfte aus verschiedenen Regionen Nord- und Mittelhessens, unter ihnen Julia Speck vom Lauterbacher Gymnasium.

Sie hatten laut Pressemitteilung der Alexander-von-Humboldt-Schule in einem Weiterbildungskurs für Darstellendes Spiel unter der Leitung von Nikolaos Lampos in Kassel ihre Befähigung zum Unterrichten in diesem Fach weiter ausgebaut und stellten nun in einem Spielprojekt ihre Spielfähigkeit und ihre Spielfreude unter Beweis. Sechsmal waren sie damit bereits an der Kasseler Georg-Christoph-Lichtenberg-Schule aufgetreten; den Abschluss ihrer kleinen Aufführungsreihe machten sie auf Einladung der Schulleitung der AvH schließlich im Vogelsberg.

Kursleiter Nikolaos Lampos freute sich sehr, seine Schauspieltruppe auch außerhalb der eigenen Reihen spielen zu sehen. Er lobte die Begeisterung der Lehrkräfte, die die Vorbereitungen für die Aufführungen zusätzlich zu ihrer Arbeit auf sich genommen hatten. „Modernes Theater will immer mehr sein – man soll und wird auch hier nicht alles verstehen“, prophezeite Lampos, der mit seinem Kurs auch für die Inszenierung des Schiller-Klassikers „Die Räuber“ verantwortlich zeichnete.

Mit einer Inhaltsangabe aufs Stück eingestimmt

Mit einer kleine Inhaltsangabe zur Geschichte der beiden Brüder Franz und Karl Mohr stimmte Lampos auf das Theaterstück ein – eine hilfreiche Hinführung, fielen der Kürze der Aufführung und der dramaturgischen Schnitte doch einige schicksalhafte Wendungen und Begegnungen zum Opfer, über die man nun auch als Nichtkenner des Stücks zumindest schon einmal grob im Bilde war. „Wir haben keine 1:1-Übersetzung gewählt“, unterstrich der Spielleiter, „sondern eigene Schwerpunkte gesetzt, durch die in unserer Inszenierung alles ein wenig anders ist als sonst.“

Nikolaos Lampos, Kursleiter und Spielleiter, führte in die Aufführung ein. Fotos: Traudi Schlitt

Von „What a wonderful World“, gespielt aus dem Off, war es nur ein kurzer Schritt der Schauspieler aus dem Publikumsraum auf die Bühne und hin zu den Klagen des sich stets benachteiligt und hässlich fühlenden Franz Mohr, der seinem Vater die Bevorzugung des in Leipzig studierenden Bruders mehr und mehr verübelte. So sehr, dass er mit einem gefälschten Brief für ein Zerwürfnis sorgte, das Karl zu den Räubern und den Vater in den Tod trieb. Einzig Karls Verlobte Amalia blieb standhaft, wenngleich Franz sie heftig bedrängte.

Inszeniert war die Eröffnungsszene als Puppenspiel: Franz, der Spieler, ließ die Marionetten tanzen, so wie er es wollte. Intrigen und Verleumdungen waren seine Mittel, die er großzügig einsetzte, bis am Ende – man weiß es ja – alle um ihn herum, auch er selbst, das Zeitliche gesegnet hatten. Bis es soweit war, gab es viele dramatische Szenen, die die Darsteller mit Bravour, Humor und einer großen Brise Absurdem meisterten. Das Bühnenbild war – wie so oft bei Schulvorstellungen – sparsam.

„Rollensplitting“ war angesagt

Dennoch machten kleine visuelle Elemente darauf aufmerksam, wo man sich befand, und wen die Schauspieler gerade darstellen. Denn auch dies fiel aus dem klassischen Rahmen: „Rollensplitting“ heißt das Stilmittel, dessen sich die Truppe bediente und unter dem viele Schauspieler ein und dieselbe Rolle spielen können oder sich darin abwechseln.

Wenige, doch effektvolle Accessoires und Requisiten hatten sich die Schauspieler mitgebracht – wie hier die Knalleffekte aus der Konfettipistole.

Kostümelemente und Accessoires machen dem Publikum deutlich, um welchen Charakter es sich wann handelt, der Text wird oft im Chor gesprochen, Szenen somit gewissermaßen vielfach dupliziert, bevor sie sich wieder auflösen – eine fantastische Welt innerhalb der fantastischen Welt des Theaters entsteht auf diese Weise. Sie verlangt dem Publikum Aufmerksamkeit ab, ist aber äußerst faszinierend.

Als Hilfsmittel dienten in einer Szene Rasierschaum als Schreibwerkzeug auf einer schwarzen Wand und Schlagsahne, die sich der Übeltäter in vielfältiger Ausführung nicht nur selbst in den Mund sprühte, sondern mit der er auch den alten Grafen Mohr traktierte, bis dieser sein Leben aushauchte – warum auch immer… Neben Verfremdungen wie dem Einbruch des Realen, beispielsweise der direkten Ansprache an den Spielleiter außerhalb der Handlung, war die Musikauswahl ein weiterer interessanter Baustein der Inszenierung, unter anderem das Stück „Ich will kein Engel sein“ von Rammstein, genauso wie die Lichtchoreografie.

So sehen Räuber aus – zumindest in der eigenwilligen Inszenierung des WBK-Kurses.

Am Ende des Stücks – Karl ist ins elterliche Schloss zurückgekehrt, hat Amalia zurückgewonnen und seinen intriganten Bruder seinen Räuberkumpanen zur Tötung vorgeworfen – steht der Satz vom Anfang: „Was ist die größte Sünde? Vatermord heißt die eine und Brudermord die andere“. Beides hat sich in Schillers Stück Bahn gebrochen und hinterlässt verzweifelte Menschen, denen ein Schuss als letzter Ton kein gutes Ende verheißt.

Der Applaus kam stehend zu dem Ensemble auf der Bühne, das alles gegeben hatte, um seine ganz eigene, neue und ungewöhnliche Version von „Die Räuber“ zu zeigen. Begeistert über die Leistung ihrer Kollegin Julia Speck zeigte sich sowohl die Fachschaft Kunst und Darstellendes Spiel als auch die Schulleitung selbst: „Wir sind sehr froh und stolz, Sie an unserer Schule zu haben“, gratulierte Schulleiterin Gitta Holloch ihrer Lehrkraft, die sich ihrerseits für die großartige Unterstützung seitens der Schule bedankte.

Viele fleißige Helfer im Vorder- und Hintergrund hatten die Aufführung in Lauterbach ermöglicht. Sie wurde auch, nachdem der imaginäre Vorhang in der Aula der Schule gefallen war, noch diskutiert. Und genau das ist es, was Theater will. Polarisieren, animieren und Gespräche anregen.

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