Plädoyers im Mordfall Johanna Bohnacker verlesenStaatsanwaltschaft fordert lebenslange Haft für Rick J.
GIEßEN (akr/jal). Vor 19 Jahren wurde die damals achtjährige Johanna Bohnacker entführt, missbraucht und getötet, ihre Leiche wurde in der Nähe Lingelbachs gefunden. Heute wurden in dem Prozess dazu die Plädoyers verlesen. Die Staatsanwaltschaft fordert für den Angeklagten Rick J. lebenslange Haft – und plädiert unter anderem auf Mord. Die Verteidigung spricht hingegen von Totschlag.
„Er sagt es war ein Unfall, ich, der Staatsanwalt, sage es war Mord und kein Unfall“, eröffnete Staatsanwalt Thomas Hauburger sein Plädoyer am Freitagmorgen im Gießener Landgericht. Der Angeklagte ist Rick J. Die Anklage beschuldigt ihn, die zur Tatzeit achtjährige Johanna Bohnacker am 2. September 1999 in Bobenhausen entführt und an einem abgelegenen Ort sexuell missbraucht und getötet zu haben. Außerdem warf sie ihm vor, insgesamt über 150 Bild- beziehungsweise Videodateien mit kinder-und jugendpornographischen Inhalten besessen zu haben. Spuren auf einem Klebeband in einem anderen Fall hatten die Ermittler schließlich zu J. geführt.
Bei der Hauptverhandlung hatte sich der Angeklagte Rick J. immer wieder in Widersprüche verstrickt. Ein Gutachter erklärte den 42-Jährigen jedoch für schuldfähig. „Ich glaube ihnen kein Wort“, hatte die Vorsitzende Richterin während des Prozesses zum Angeklagten gesagt. J. hatte unter anderem ausgesagt, vor der Tat die harte Droge Crystal Meth konsumiert zu haben. Er sei danach mit seinem Auto einige Zeit auf einer Straße unterwegs gewesen, an die an Radweg grenzte. Dort habe er ein Mädchen an einem Bach spielen sehen, das er anfangs für 13 oder 14 Jahre alt gehalten habe. „Die Geilheit überkam mich“, hatte J. gesagt, er habe das Mädchen unbedingt haben wollen und machte die Droge für sein Verhalten mitverantwortlich
Das Pläydoyer des Staatsanwalts
In seinem Plädoyer ging der Staatsanwalt noch einmal auf die Eckdaten der Tat ein und deckte immer wieder die Widersprüche auf, die der Angeklagte in seinen Aussagen traf. Er wies unter anderem darauf hin, dass es beispielsweise von der Zeit her nicht hin käme dass Rick zu einer Pferdekoppel gefahren ist, wo er ein langes Seil gefunden haben solle. Eine Zeugin hat ihn nämlich zu dieser Zeit an der besagten Tankstelle gesehen, an der er damals versuch haben soll, Klebeband für die Fesselung Johannas zu besorgen. „Was für ein Zufall kann das bitte sein, dass auf einer Pferdekoppel ganz zufällig ein Seil mit zwei Schlaufen hängt, die man zuziehen kann“, fügte Hauburger noch hinzu.
Der Staatsanwalt kam in seinem Plädoyer zudem noch auf das Klebeband beziehungsweise Klebebandstück zurück, „die sagenumwobene Spur 11. Die Spur über die Sie gestolpert sind“, sprach Hauburger den Angeklagten an. Rick J. gab in seinen Aussagen immer wieder an, dass er das Klebeband, das er 29 Mal um ihren Kopf klebte und dadurch erstickte, nur haben kaufen wollen, um Johanna ruhig zu stellen, nicht aus sexuellem Interesse. Das sah Hauburger allerdings anders und wies darauf hin, dass „verkleben in der Vita des Angeklagten einen bestimmten Zweck erfüllt“.
Seine Ex-Freundin erzählte nämlich, dass er sie früher auch immer mit Klebeband fesselte. Zudem gebe es auch Aufnahmen von Rick J., die ihn mit Klebeband in sexueller Pose zeigen. Als dritten Punkt nannte Hauburger den Maisfeldfall, als der Angeklagte mit einer 14-Jährigen, der Kopf und die Brüste mit Klebeband abgebunden, im Maisfeld aufgefunden wurde. Diesen Klebeband-Fetisch bestätigte der Angeklagte nicht, immer wieder verstrickte er sich in unglaubwürdigen Aussagen, „ein schlecht erzähltes Märchen“, wie Hauburger seine Äußerungen beschrieb. „Ich habe noch niemanden erlebt, der eine derart dilletantische Geschichte auftischt und die Aussagen auf die Prozesssituation anpasst“. Rick J. solle für den Mord an Johanna Bohnacker eine lebenslange Freiheitsstrafe absitzen, denn er habe Hauburger zufolge „auf eine ganz besondere egoistische Weise sich über den Lebensanspruch des Kindes hinweggesetzt“.
Hauburger ist zudem dafür, die „besondere Schwere der Schuld“ bei dem Angeklagten festzustellen. Weil auch zu lebenslangen Freiheitsstrafen verurteilte Mörder eine Chance haben müssen, jemals wieder aus dem Gefängnis zu kommen, wird in der Regel nach 15 Jahren Haft geprüft, ob die Strafe zur Bewährung ausgesetzt werden kann. Diese Automatik wird jedoch außer Kraft gesetzt, sollte das Gericht der Auffassung der Staatsanwaltschaft folgen und bei Rick J. die „besondere Schwere der Schuld“ feststellen.
„Er soll mit einer lebenslangen Freiheitsstrafe büßen“
Dann folgte das nächste Plädoyer. Die Mutter der getöteten Johanna tritt als Nebenklägerin auf. Sie hielt eine emotionale Rede, in der sie darüber sprach, das man Opfer nicht vergessen dürfe, die Lücke die entstehe, wenn jemand geliebtes stirbt oder auch wie schwer die 19 Jahre für die gesamte Familie, den gesamten Umkreis war. Denn auch sie sollen unter Tatverdacht gestanden haben, etwas mit Johannas Verschwinden zu tun zu haben. Diese Rede fiel ihr schwer, immer wieder hörte man ein Schluchzen, besonders als sie über das Wesen von Johanna sprach, dass sie ein lebensfrohes, neugieriges Kind gewesen ist. „Es sind viele Erinnerungen. Und die bleiben auch Erinnerungen. Wir werden nie erfahren, was genau passiert ist. Uns fehlt ein Mensch, den niemand ersetzen kann“, sagte die Mutter – und dafür solle er mit einer lebenslangen Freiheitsstrafe büßen.
Das letzte Plädoyer des Tages war das des Verteidigers Uwe Krechel. Er plädiert anders als die anderen auf Totschlag. Totschlag sei objektiv und juristisch nachvollziehbar, denn es gebe keine Beweise, dass es sich um Mord handele. Die Wirren Aussagen des Angeklagten verteidigte er unter anderem damit, „dass ihm ein Strick der Höchstrafe um den Hals liegt“. Das er sich deshalb in seinen Aussagen winde, Sachverhalte mal so und mal so darstelle, das sei einfach der Überlebensdrang des Menschen. Immer wieder ging Krechel zudem darauf ein, dass er die ganze Geschichte objektiv betrachte. Er stelle sich immer die Frage, warum erfindet er diese Dinge. Es spiele keine Rolle, ob er an der Tankstelle Klebeband gekauft hat oder an der Pferdekoppel eben ein Seil war oder nicht. Es liegen einfach keine eindeutigen Beweise für Mord vor. „Die Grundvoraussetzungen für Totschlang sind erfüllt“, sagte der Verteidiger, wofür er auch plädiert. Sein Mandat solle zudem noch in eine Entzugsanstalt eingewiesen werden.
Auch der Angeklagte bekam die Möglichkeit, sich noch einmal zu Wort zu melden. „Angesichts des Leides und des Schmerzes den ich verursacht habe, kann alles was ich sage nur noch lächerlich klingen“, sagte er und die Richterin schloss die Verhandlung.
Wie das Urteil ausfallen wird, das entscheidet sich am 19. November.
@ Pleiten…
Grundsätzlich sollte man nicht vergessen, dass der Täter – sofern er nicht auf frischer Tat ertappt wird – den Ermittlern immer mehrere Schritte voraus ist. Zunächst muss ein Verbrechen überhaupt als solches identifiziert werden. Doch bei den Mordfällen zum Beispiel bleiben ca. 50% unentdeckt, von schweren Wirtschaftsstraftaten erst gar nicht zu reden. Nicht, weil bei der Polizei nur Pfeifen arbeiten, sondern weil die Leichenschau so schlecht ist (https://www.kriminalpolizei.de/ausgaben/2008/maerz/detailansicht-maerz/artikel/jeder-zweite-mord-bleibt-unentdeckt.html). Zitat: „Nach offizieller Statistik werden in Deutschland 92 Prozent aller Morde aufgeklärt.
Wenn erst einmal ermittelt wird, geschieht das professionell, mit hohem Aufwand und großem Erfolg.“
Und leider herrscht zwischen polizeilichen Ermittlern und potenziellen Straftätern in keiner Weise „Waffengleichheit“. Die „Unterwelt“ ist bestens organisiert und ausgerüstet, die Polizei kämpft mit Personalmangel, veralteter Technik, Kompetenzenwirrwar in ineffektiven behördlichen Strukturen und, und, und. Die Arbeit der Polizei krankt nicht daran, dass man keine Experten hätte, die wüssten, wie’s geht. Sie wird dadurch behindert, dass die Politik nicht die Rahmenbedingungen schafft, mit denen die Polizei ihre Arbeit effektiv gestalten kann. Zudem verhindert der Beamtenstatus (Loyalitätspflicht gegenüber dem Dienstherrn), dass die Beamten die bestehenden Missstände wirkungsvoll in die Öffentlichkeit tragen und sich massiv für eine Verbesserung ihrer Arbeitsbedingungen einsetzen können. Wo sich bei den großen Ermittlungsskandalen wie RAF, NSU usw. die Ungereimtheiten häufen, tragen zumeist die Politik und die gegenüber der Politik weisungsgebundenen Staatsanwaltschaften die Hauptverantwortung.
„…wie schwer die 19 Jahre für die gesamte Familie, den gesamten Umkreis war. Denn auch sie sollen unter Tatverdacht gestanden haben, etwas mit Johannas Verschwinden zu tun zu haben.“
Kann ich gut nachvollziehen. Auch bei mir standen zwei Kriminalbeamte vor der Tür, weil „liebe Nachbarn“ mich auf einer Phantomzeichnung erkannt zu haben glaubten. Die „Ähnlichkeit“, so stellte sich heraus, war etwa so ausgeprägt wie die zwischen diesem Bild hier (https://cdn.pixabay.com/photo/2016/02/19/11/53/pug-1210025__340.jpg)
und diesem
(https://cdn.pixabay.com/photo/2016/05/05/02/34/gecko-1373165__340.jpg).
Aber man musste natürlich jedem Hinweis nachgehen. Dass man schließlich – nach 19 Jahren angestrengtester Ermittlungen – auf Rick J. kam, war purer Zufall und nicht etwa das Ergebnis gediegener Aufklärungsarbeit.
Egal ob NSU-Morde, RAF-Terrorismus oder arabische Ghetto-Gangster… Immer wieder stößt man auf endlose Ermittlungen und absurdeste Ermittlungsfehler. Im Zweifelsfall vergreift man sich an den Opfer-Familien oder vollkommen Unbeteiligten. Neue Stellen bei der Polizei zu schaffen, ist sicherlich richtig. Aber diese müssen dann auch mit entsprechend befähigten Personen besetzt werden. Die genialen Experten gibt es leider nur im Fernsehen.