25 Jahre Regionalentwicklung - Tag der hessischen LEADER-Regionen mit Umweltministerin Priska HinzLändlicher Raum ist mehr als Freizeitregion und Wasserlieferant
VOGELSBERG (ol). Die ländlichen Regionen profitieren von einer facettenreichen Förderkulisse – darunter auch seit über 25 Jahren das LEADER-Entwicklungsprogramm der Europäischen Union. Dieses Jubiläum nahm der Verein „Hessische Regionalforen e.V. (HRF e. V.)“, in dem alle 24 hessischen LEADER-Regionen vernetzt sind, zum Anlass, einen ganzen Tag lang über die Wirkung und Nachhaltigkeit sowie über Kritik und Perspektiven der Programme zu diskutieren.
In der Pressemitteilung der Vogelsberg Consult heißt es, hierzu hatte der HRF e. V. in das Forschungszentrum Neu-Ullrichstein eingeladen – das größte Freilandforschungszentrum seiner Art in Europa war seinerzeit als LEADER-Projekt gestartet und bot somit nicht nur eine angenehme Tagungsumgebung, sondern auch inhaltliche Anknüpfungspunkte.
Neben Vertreterinnen und Vertretern der hessischen Regionalforen, von interessierten Unternehmen sowie von politischen, gesellschaftlichen und kirchlichen Gremien, begrüßte Thomas Schaumberg, LEADER-Regionalmanager für die Region Vogelsberg und Vorsitzender des Hessische Regionalforen e.V., am Freitagmorgen die hessische Umweltministerin Priska Hinz. Der volle Saal zeige das Interesse an dem Thema Regionalentwicklung, schlussfolgerte Schaumberg, der dem Tagesprogramm vorausschickte, dass 25 Jahre LEADER Anlass zu Stolz gäben, besonders auf die Menschen in den Regionen, die sich engagiert hätten.
Sein Tagesthema war die Wirksamkeit von politischen Entscheidungen und Normen auf den ländlichen Raum: Die Stilllegung einer Berufsschulklasse wegen Nichterfüllung der vorgegeben Schülerzahl beispielsweise habe viele Folgen auf die lokale Wirtschaft, hier bis hin zu einem Rückgang der Ausbildungsplätze. Somit stehe eine solche Entscheidung in direktem Zusammenhang mit dem Fachkräftemangel und einer Schwächung des ländlichen Raums. Desweiterein unterstrich Schaumberg die Leistungen und Expertise der Menschen vor Ort und der LEADER-Foren. Für sie forderte er eine größere Autonomie ein. Als drittes wichtiges Thema machte Schaumberg das wachsende Gefälle zwischen Stadt und Land aus – Aspekte genug, um einen Tag lang Antworten zu finden auf die Frage, was mit und jenseits von Förderprogrammen getan werden kann, um sowohl den ländlichen Raum zu stärken als auch eine Balance zwischen Stadt und Land zu schaffen.
Priska Hinz: Die Vielfältigkeit des ländlichen Raums hervorheben
Moderator Stefan Kämper (stellv. Leiter Deutsche Vernetzungsstelle Ländliche Räume, Bonn), der selbst durchaus einen Trend zur „Landlust“ bei den Menschen aus den Ballungsgebieten erkennt, bat als erste Rednerin Priska Hinz ans Rednerpult. 80 % der Fläche Hessens seien ländlicher Raum, gab die Staatsministerin bekannt, 50 % der Bewohnerinnen und Bewohner Hessens lebten dort. „Gleichwertige Lebensverhältnisse“ sollten also kein leerer Spruch sein, sondern Maßstab für die Regionalentwicklung. Sie betonte die Vielfältigkeit der hessischen Regionen – ein Pfund, mit dem man wuchern könne, sei es hinsichtlich der Entwicklung nachhaltiger Tourismusstrategien, regionaler Wertschöpfung mit regionalen Lebensmitteln und Gerichten oder mit Naturschutzkonzepten, die sowohl mit dem Klimaschutz als auch der Landwirtschaft in Einklang zu bringen seien.
Für die Verbesserung der regionalen Wertschöpfung sieht Hinz die Notwendigkeit der Digitalisierung, die flächendeckend durch stabile und leistungsfähige Netze gesichert sein müsse – eine Versorgung, auf die viele Orte in den ländlichen Regionen noch warten. Klimaverträgliche Mobilitätskonzepte seien vonnöten, dazu Strukturen zur Daseinsvorsorge: Mit Blick auf den Veranstaltungsort sagte die Ministerin, Menschen müssten einen Anreiz haben, in den Vogelsberg zu kommen, Unternehmen einen Grund sehen, um Arbeitsplätze hierhin zu verlagern. Um dies zu erreichen, seien starke Städte und Kommunen gefragt, die das große Plus des ländlichen Raumes in die Betrachtungen einbringen. Hier sieht Hinz auch eine Aufgabe der LEADER-Foren, die gegenseitig von Konzepten und Entwicklungsstrategien profitieren könnten. Die LEADER-Regionen deckten Hessen fast vollständig ab – mit einer Fördersumme von insgesamt 51 Mio. Euro aus EU- und Landesmitteln in der aktuellen Förderperiode von 2014 bis 2020 seien viele lokale Initiativen gefördert worden.
Beispielhaft nannte sie das Dorfbräuhaus in Landenhausen, die Errichtung von Qualitätswanderwegen wie dem „Lahnwanderweg“ oder die Unterstützung von Erlebniszentren wie dem „Haus am Roten Moor“. „Die Projekte kommen aus der Region, von Menschen aus der Region“, führte die Ministerin aus. Damit böten sie ein hohes Identifikationspotenzial in der Bevölkerung, zudem würden die Ressourcen einer Region damit gut genutzt. Für die Zukunft seien Perspektivwechsel, Kontinuität und Vertrauen nötig, so Hinz abschließend. Die Verwaltung der Förderanträge müsse unkomplizierter werden, die LEADER-Managements vor Ort sollten flexibler reagieren können. „Erfolg ist da am größten, wo viele gute Bereiche zusammenarbeiten und eine kohärente Strategie über Einzelprojekten steht.“ Sie freue sich auf Anregungen und Ergebnisse dieses Tages.
Gefahr einer Abwärtsspirale durch demographischen Wandel
Dennoch, und bei allen guten Projekten zur Regionalentwicklung, mache sich der Mega-Trend zur Urbanisierung auch in Hessen immer deutlicher bemerkbar. Boomende Metropolen und schrumpfenden Peripherien bringen jedoch für beide Nachteile: Steigende Preise und zu wenig Wohnraum auf der einen Seite, eine strukturelle Abwärtsspirale auf der anderen. Manuel Slupina vom Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung hatte viele Charts und Zahlen zu diesem Thema mitgebracht. Er referierte über die aktuelle und zukünftige Schrumpfung in den ländlichen Regionen Hessens und ein deutliches Nord-Süd-Gefälle im Land.
Slupina machte hier sowohl eine demographische als auch eine wirtschaftliche Zweiteilung aus. Exemplarisch prophezeite er dem Vogelsberg eine Schrumpfung von 14 Prozent bis 2030. Eine solche Entwicklung führe dazu, dass wirtschaftliche, soziale und infrastrukturelle Strukturen in Gefahr geraten. Mit drei Thesen untermauerte der Referent diese Prognosen, gleichzeitig zeigte er Mittel zur Gegensteuerung auf: Metropolen ziehen vermehrt Fachkräfte aus dem ländlichen Raum, was die Wirtschaft vor Ort massiv gefährde. In der Regel gebe es nämlich keinen Mangel an Jobs auf dem Land, sondern an Fachkräften. Mit Schulpartnerschaften und Ausbildungsbörsen könnten sich Unternehmen auf dem Land als Arbeitgeber präsentieren.
Sie könnten Duale Studiengänge anbieten und Dual Career Services für Land-Rückkehrer und ihre Partner entwickeln. Kommunen könnten tragende Konzepte für junge Familien anbieten. Multifunktionale Dorfläden, inter- und multimodale Mobilitätskonzepte und Anreize für junge Mediziner könnten Strukturprobleme auffangen. Dem Paradoxon von Neubaubedarf in den Städten – allein Frankfurt fehlten jährlich 8.000 Wohnungen – und dem Leerstand in der Peripherie könne man mit Rückkehrangeboten begegnen.
In der nachstehenden Fragerunde stieß die Forderung nach einer Ausdehnung des Frankfurter Nahverkehrsnetzes auf die Peripherie auf große Zustimmung. So könnten Pendler leichter in das Rhein-Main-Gebiet reisen und Arbeitnehmer demnach ihren Wohnraum problemlos weiter aufs Land verlegen.
Stärken des ländlichen Raums in alle Richtungen kommunizieren
Nach der Mittagspause, die wie zuvor das Morgenprogramm von der Formation „Tolle Tröten – SaxConAction Vogelsberg“ unter der Leitung von Ulrike Schimpf musikalisch eingerahmt wurde, stand eine Podiumsdiskussion auf dem Programm, an der Manuel Slupina, Thomas Schaumberg, die Landrätin des Marburg-Biedenkopf-Kreises Kirsten Fründt, die Schottener Bürgermeisterin Susanne Schaab und Frank Bartelt vom Europäischen Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raums (ELER) teilnahmen. Fründt stellte das aktuelle Projekt ihres Kreises vor, das nachhaltiges Wirtschaften, Gemeinwohlorientierung und fairen Handel in der Region forcieren soll mit dem Ziel, Zuzug und Nachhaltigkeit zu generieren.
Schaab, deren Kommune mit als erste am IKEK-Programm teilgenommen hatte, kritisierte, dass viele Projekte für die Größe der Kommunen unterfinanziert seien. Mit Blick auf die vorhergehenden Ausführungen Slupinas führte sie an, dass ihre Kommune gemessen an den schlechten Prognosen eine durchaus stabile Bevölkerungsanzahl verzeichnen könne, wenngleich eine leicht schwinde Population nicht von der Hand zu weisen sei. Wie Fründt auch zeigte sich die Bürgermeisterin der Meinung, dass der ländliche Raum keineswegs allein als Freizeitregion und Wasserlieferant für die Menschen aus den Ballungsgebieten zu sehen sei, noch sei er das politische Sorgenkind. Im Gegenteil: Der ländliche Raum biete viele Stärken, die deutlich und selbstbewusst sowohl an die Politik und die Menschen in den großen Städten als auch an die Bewohnerinnen und Bewohner der Dörfer und kleinen Städte kommuniziert werden müssten.
Slupina gab zu bedenken, dass der Trend dennoch in Richtung Wachstum der Ballungsräume und Schrumpfung der ländlichen Räume zeige, auch wenn er zugestand, dass es individuelle Entwicklungen gebe. Thomas Schaumberg forderte, dass die Politik dem städtischen Wachstum Grenzen aufzeigen müsse, was auf viel Zustimmung im Publikum stieß. Die Wirtschaftskraft, die auf dem Land zum einen durch Schrumpfung, zum anderen aber auch durch die nicht zu Ende gedachte Wirksamkeit politischer Entscheidungen wegfalle, werde in den Ballungsräumen nicht aufgefangen, stellte er fest und betonte, dass starkes Wachstum auch dort Schmerzen verursache. „Von einer Steuerung profitieren beide Räume“, zeigte Schaumberg sich gewiss.
Frank Bartelt beleuchte die Fördermaßnahmen aus Sicht der Vergabestelle. Der Kritik des zu hohen Verwaltungsaufwandes schloss er sich an und stellte Vereinfachungen ist Aussicht. Wie nötig das ist, führten insbesondere die Landrätin und die Bürgermeisterin aus, da viele Unternehmen vor dem Antragswesen zurückschreckten. Darüber hinaus war sich das Podium einig, dass mehr innovative Ideen und Projekte in die Förderung eingebunden werden müssten und überregionale Kooperationen gefördert werden sollten. Zum Abschluss betonte Thomas Schaumberg die Bedeutung der Folgenabschätzung und warf die gesamte Expertise der LEADER-Regionen in den Ring, die bei der Schaffung gleichwertiger Lebensverhältnisse eine wichtige Rolle spielen könne.
Am Ende des Tages ging das Wort an den Gastgeber. Prof. Dr. Klaus Peter Ebke stellte die Forschungseinrichtung in Neu-Ulrichstein vor uns sorgte damit noch einmal für einen Wissenszuwachs ganz anderer Art. Die Vertreterinnen und Vertreter des Ministeriums sowie die Teilnehmenden hatten nach dem Tag der hessischen LEADER-Regionen jedenfalls viel mitzunehmen, um es in ihre zukünftigen Aktivitäten und Entscheidungen einzubinden.
Was heute die Entwicklung auf dem „abgehängten“ Lande hemmt, ist eine Kombination alter und neuer politischer Sünden. Um die eigene Industrieproduktion zu pushen, vernachlässigte man die heimische Landwirtschaft. Nur so konnte man den agrarisch strukturierten oder industriell weniger erfolgreichen EU-Partnern im Ausgleich der Handelsbilanzen entgegen kommen. Regionale Erzeugung und Direktvermarktung wären auch vor Jahrzehnten schon attraktive Modelle gewesen, denn sie stellten ja den ursprünglichen Zustand dar. Statt die Landwirte in die Aussiedlerhöfe und die Verschuldung zu treiben, hätte man auch in „Ortsumgehungen für Kühe“ und moderne Anlagen zur Stallmistverwertung ohne Geruchsbelästigung investieren können. Das flächendeckende Netz von Dorfgemeinschaftshäusern war völlig unnötig, denn es gab die Gasthöfe mit Saalanbau, deren Existenzen man vernichtete. Sparkassenbus und fliegenden Lebensmittelhändler hätte man gleich installieren können, statt überall Kleinstfilialen der Banken und Lebensmittelketten zu eröffnen. Der SPD-Hessenplan war der Weg in die Verschuldung der Kommunen, der bis heute die öffentlichen Investitionen hemmt und Förderprogramme wirkungslos macht, weil der geforderte Eigenanteil nicht geleistet werden kann. Da war eben sehr vieles nicht zu Ende gedacht, und es fehlte die Politikfolgen-Abschätzung. Heute gibt es im Vogelsberg nicht mehr viel abzuschätzen, weil Politik zum folgenlosen Geschwätz verkommen ist. Notwendige Veränderungen werden nicht mehr durch konkrete Maßnahmen bewirkt, sondern nur noch an die Wand gemalt, entweder durch „Begleitforschung“ im Rahmen von geförderter Regional-PLANUNG (d.h. ohne praktische Umsetzung) oder durch „Standortmarketing“ (Schönreden der Verhältnisse, oft im Gegensatz zur Realität!) und öffentlich geförderte Wolkenkuckucksheim-Projekte, deren Finanzaustattung vielleicht gerade mal für ein „Modellprojekt“ reicht. Aber die guten Ideen kommen eben in der Fläche nie an. Stattdessen gibt’s die nächste Auftaktveranstaltung für das nächste Förderprogramm. Es spricht die/der Minister*in und es blasen die „Tollen Tröten“ immer wieder ins selbe Horn. Späte Erkenntnis: Oft sorgt schon der Zuschnitt der Förderprogramme dafür, dass Fördermittel sinnlos verpulvert werden. Da möchte man gern mal hören, was genau denn jetzt für die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse in Stadt und Land sorgen soll, wenn eine vernünftige Finanzausstattung der Kommunen bereits strittig ist.
Mancher der in Neu-Ulrichstein Versammelten mag das anders sehen, aber nach 25 Jahren LEADER-Förderung sind die Resultate nicht gerade berauschend. Es fehlte wohl die klare Linie und der klare Blick für die Erfordernisse der Zukunft. Dies wird an dem Thema Informationstechnologie deutlich. Nicht nur beim „schnellen Internet“ hat man immer die ungünstigsten Optionen gewählt bzw. wurden gegensätzliche Schwerpunkte der Regionalentwicklung gesetzt, die sich gegenseitig neutralisieren. Naturschutz und Tourismus ergeben zusammen ein klares Profil. Kommt aber die Industrialisierung der Landschaft aufgrund einer Fehlanreize setzenden Subventionspolitik (Windkraft, Energiewende!) hinzu, reißt man mit dem Hintern ein, was die Hände erschaffen haben. Die grüne Ministerin hätte ihr Statement, dass der ländliche Raum mehr sei als Freizeitregion und Wasserlieferant um folgenden Punkt ergänzen müssen: Der ländliche Raum ist auch mehr als der Aufstellplatz für fast 200 m hohe WKA-Monster, um die Ballungsgebiete mit alternativer Energie zu versorgen. Sollen die doch ihre Hausfassaden selbst mit Solarmodulen beplanken, ihre Dächer mit Maisfeldern für eigene Biogasanlagen begrünen oder das Gas aus den eigenen Kläranlagen gewinnen!
Die Erfolge oder scheinbaren Erfolge der Regionalentwicklung im Vogelsberg werden ja immer mit großem Stolz, gegenseitigem Schulterklopfen und ausgiebiger Selbstbeweihräucherung vorgetragen. Gut dass im obigen Artikel auch einmal andere Stimmen zu Wort kommen, die nicht immer nur über den grünen (oder roten, schwarzen usw.) Klee loben. Es ist an der Zeit, das Augenmerk auf Dinge wie einen zu hohen Verwaltungsaufwand oder zu aufwändige Antragsverfahren zu lenken, die bestehende Firmen, Initiativen oder Gründer ohne Ambitionen zum ständigen Fragebogenausfüllen davon abhalten, sich mit ihren vielleicht zukunftsträchtigen Ideen um Förderung zu bemühen. Interessant erscheint mir, dass die Zahl der geförderten Projekte von den Beteiligten allgemein als zu niedrig angesehen wird. Dass da noch Platz nach oben ist, kann man sich gut vorstellen. Einer TV-Sendung habe ich entnommen, dass man in Estland nur einen Online-Fragebogen ausfüllen muss, um innerhalb von zwanzig Minuten eine Firma zu gründen. Die Steuererklärung dauert dank günstiger Pauschalregelung angeblich sogar nur 3 Minuten (https://www.tagesschau.de/ausland/estland-digitalisierung-101.html). Warum geht so etwas bei uns nicht?
Der Mega-Trend zur Urbanisierung ist unverkennbar. Dies kann man ebenso wenig leugnen wie den Klimawandel. Aber genau wie bei diesem Thema steckt die Lokalpolitik angesichts unbequemer Wahrheiten gern den Kopf in den Sand. Zudem scheint man zu befürchten, dass „Krisengerede“ die demografisch bedingten Probleme der Region noch verstärken.
Probleme wirklich lösen kann allerdings nur derjenige, der diese Probleme klar erkennt und auch kommuniziert, schon deshalb, weil „geniale Ideen“ einzelner eben nicht ausreichen, sondern so viel Expertise und Kenntnis der lokalen Gegebenheiten wie möglich mobilisiert werden müssen. Da macht es wenig Sinn, wenn einzelne – offensichtlich stärker begünstigte – Städte und Gemeinden im Kreisgebiet glauben, sie seien von dem prognostizierten Schrumpfungsprozess nicht betroffen und dies zum Anlass nehmen, die Prognosen gleich mal in toto anzuzweifeln. Hier zeigt sich übrigens, dass der Vogelsbergkreis eben ein sehr inhomogenes Gebilde geblieben ist. Alsfeld, Lauterbach, der Altkreis Büdingen, die Wetterau, zuletzt noch das Wahlkreis 20-Anhängsel Laubach… Überall gehen die Blickrichtungen zur Peripherie, während schon die Topografie das Entstehen eines Zentrums verhindert hat.
Von daher ist es schwer, das „Wir-sind-Vogelsberg-Gefühl“ wirklich mit Leben zu erfüllen. Da nützt auch keine Vogelsberg-Hymne und kein Standortmarketingsloganwettberwerb. Vulkan war vor Millionen Jahren und reicht weit über die Kreisgrenzen hinaus (siehe Amöneburg, Nordeck am Rand der Rabenau usw.). Klar gibt es überall interessante Naturdenkmale und erdgeschichtliche Zeugnisse. Das macht das größte zusammenhängende Vulkangebiet Europas noch lange nicht zum „abendfüllenden“ Thema. Neulich brachte der WDR eine Sendung über Super-Vulkane (https://www1.wdr.de/mediathek/audio/wdr5/wdr5-leonardo-top-themen/audio-supervulkan-kurz-vor-dem-ausbruch-102.html). Der Vogelsberg wurde jedenfalls dort nicht erwähnt. Was da an Werbestrategien – übrigens auch mit LEADER-Mitteln – im Laufe der Jahre um das vermeintliche Alleinstellungsmerkmal herum imaginiert oder besser „imaginisiert“ wurde, hat wenig gebracht und verdämmert jetzt noch auf Bäcker-Tüten. Und wieder wurde in den Fördermitteltopf gegriffen und http://www.vogelsberg.de aus dem Hut gezaubert, mit dem Vogelsberg als „Teil“ der Metropolregion Frankfurt/Rhein-Main.
Und da wären wir wieder beim Mega-Trend zur Urbanisierung. Es wird Zeit, dass die in dem obigen Beitrag eingeforderten steuernden Maßnahmen endlich stattfinden. Mehr Infrastruktur in den ländlichen Raum, damit wenigstens das Wohnen hier attraktiver wird! Und bitte keine Krokodilstränen vergießen, wenn man zulässt, dass die zuziehenden Neubürger die alten Fachwerkhäuser renovieren, während die alt eingesessenen Vogelsberger am Ortsrand Neubauten aus Fertigteilen errichten und damit auch noch die Arbeitsplätze in hiesigen Zimmereien, Dachdeckerbetrieben und Baufirmen ruinieren (siehe https://programm.ard.de/TV/Themenschwerpunkte/Dokus—Reportagen/Gesundheit/Startseite/?sendung=28108819434657). Wer die eigene Heimat selbst nicht pflegt, sollte nicht erwarten, dass mit zusätzlichem Steuergeld ein „Vogelsberg-Reservat“ unterhalten wird, wo man nur noch den einheimischen Indianer spielen muss. Hugh! Ich habe gesprochen.
Hoffentlich haben da nach den Darbietungen der „Tollen Tröten“ nicht zu viele peinliche Pfeifen das Wort ergriffen. Nach 25 Jahren Regionalentwicklung mit LEADER-Förderung darf vielleicht auch einmal nachgefragt werden, wer denn – außer den Fördermittel-Empfängern selbst – über sinnvolle Projektgestaltung und Mittelverwendung befindet. Immerhin sind in dem genannten Zeitraum 13,7 Millionen Euro aus der EU-Kasse in die Vogelsbergregion geflossen (Quelle Oberhessische Zeitung vom 24.11.2017). 150 Existenzgründungen und Erweiterungen von Kleinbetrieben (welche bestehen heute noch?), rund 80 touristische Infrastrukturprojekte (waren/sind die wirklich alle sinnvoll?) und 70 Vorhaben im Bereich Kultur und Soziales (auch ohne Förderung nachhaltig finanzierbar?) ergeben sicherlich eine stattliche Bilanz. Aber da mag auch manches lokalpolitische Steckenpferd geritten worden oder einfach der „richtige Einfall“ gefehlt haben, um das unverhofft verfügbare Geld irgendwie „sinnvoll“ zu verwenden. Das Projekt „E-Mobilität im Vogelsbergkreis“ samt „Kaffmobil“ für die Jugend könnte einem hierzu einfallen. „Der Weg ist das Ziel…“ ist da eine gern gebrauchte Floskel für nicht zu Ende gedachte „Ideen“, die – deutlich vorhersehbar – am Ende ins Nichts und zu nichts führen, aber einem überschaubaren Personenkreis doch irgendwie Spaß gemacht haben.
Verbunden mit der Forderung nach unabhängiger Erfolgskontrolle der sog. Fördermaßnahmen und -projekte ist auch die nach echter Beteiligung der Bevölkerung. Das Ziel sind „Lernende Regionen“, in denen sich Bildungseinrichtungen mit regionalen Institutionen und Unternehmen vernetzen, um Lernprozesse zu organisieren, kraft derer breite Kreise der Bewohner*innen einer Region ihre kommunikativen Kompetenzen erweitern und ihre Interessen zu artikulieren lernen, um die Verantwortung für die Entwicklung ihres Lebensumfeldes selbst zu übernehmen. Ein Vergleich der verschiedenen LEADER-Regionen hinsichtlich der Zukunftsbedeutung und Nachhaltigkeit der geförderten Projekte fördert erhebliche Unterschiede zu Tage. Der Vogelsbergkreis glänzt hier mehr durch Eigenlob und provinzielle „Kleinteiligkeit“ als durch ein Muster aufeinander abgestimmter Projekte, die sich zu einer nachhaltigen Vorstellung zusammenfügen, wie die Region in den 2020er, -30er und -40er Jahren aussehen soll. Kein Wunder. Die heute in Politik und Verwaltung Verantwortlichen werden dann längst nicht mehr in Verantwortung sein. Dann, wenn die Versäumnisse in der sozialen Infrastruktur, die auch in 25 Jahren LEADER nicht fortentwickelt wurde, uns allen auf die Füße fallen werden.