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Vortrag über Professor Eduard Zinßer im Katholischen Pfarrzentrum Christkönig in Alsfeld„Glaubenszeugen des 20. Jahrhunderts“

ALSFELD (ol). „Glaubenszeugen des 20. Jahrhunderts“ lautete der Titel eines Vortragsabend der Kolpingsfamilie Alsfeld am 8. Mai, dem Tag, der 1945 das Ende des 2. Weltkriegs in Deutschland markiert. Ein angemessenes Datum, um an einen Menschen zu erinnern, der am 11. Juni 1933 während eines großen Treffens der katholischen Gesellenvereine in München Opfer der Gewalt und des Psychoterrors der Nationalsozialisten wurde: Professor Eduard Zinßer.

Der Vorsitzende der Kolpingsfamilie Joachim Schlitt konnte laut Pressemitteilung ein zahlreiches und interessiertes Publikum im katholischen Pfarrzentrum Christkönig begrüßen, darunter auch Pfarrer Hans-Joachim Wahl aus Gießen, der – wie Eduard Zinßer damals – Diösesanpräses der Kolpingsfamilie im Bistum Mainz sei. Der Referent des Abends, Gerhard Zinßer aus Alsfeld, soll anschließend mit seinem lebendigen Vortrag – stets im Dialog der Zuhörerschaft – einen umfassenden Einblick in das Leben und Wirken seines Urgroßonkels gegeben haben:

Eduard Zinßer soll 1875 als zehntes und damit jüngstes Kind einer Seibelsdorfer Bauernfamilie geboren worden sein. Obwohl er das bäuerliche Leben geliebt haben soll und ursprünglich gerne Landwirt geworden wäre, habe ihn sein Lebensweg zum Studium der Theologie nach Mainz geführt, wo er 1902 zum Priester geweiht wurde. Der zentrale Ort seines weiteren Lebens aber sollte die Stadt Offenbach werden. Hier habe er als Seelsorger über Jahrzente in der Pfarrei St. Paul gewirkt sowie als Lehrer am großherzoglichen Gymnasium und der Oberrealschule.

Gerhard Zinßer während seines Vortrags. Foto: Kluth

Der Referent habe anschaulich deutlich gemacht, welchen Herausforderungen Eduard Zinßer sich damals in der wachsenden Industriestadt Offenbach als Priester und Pädagoge stellen musste. In einer Predigt vor dem Offenbacher Gesellenverein beschrieb Eduard Zinßer selbst die damals ‚alles beherrschende soziale Frage’, die ihn auch politisch – er war führendes Mitglied der Zentrumspartei in Hessen – angetrieben und bewegt habe:

„Wie arm ist unsere heutige Zeit dagegen geworden. Sie gräbt dem Handwerkerstand das Lebenswasser ab; er schwindet dahin wie der siechende Kranke, die Fabrik wälzt ihre schwarzen Rauchwolken über ihn, um ihn mit einem Leichentuche zu bedecken. Der eigentliche Gesellenstand wird klein und kleiner; da unten in der Fabrik kreischt und knurrt die Maschine und davor der junge Mann, nicht mehr als fertiger Meister, sondern im ewigen Einerlei macht er stets nur einen Teil von dem, was er früher ganz beherrschen mußte, die schaffend freie Arbeit, sie ist in der Zeit der Fabrik eine Sklavin geworden und die denkende Arbeit, sie ist in der Zeit der Gedanken gedankenlos geworden.“

Wege der Veränderung

Eduard Zinßer habe sich den Handwerkern und Arbeitern der Lederstadt verbunden gefühlt, nahm ihre Situation wahr und suchte vor dem Hintergrund der christlichen Soziallehre nach Wegen der Veränderung. Als der inzwischen zum Diösesanpräses der Gesellenverbände im Bistum Mainz gewählte und zum ‚geistliche Rat‘ ernannte Professor gemeinsam mit vielen Gleichgesinnten aus ganz Deutschland im Juni 1933 zum einem Gesellentag nach München aufbrach, hatten die Nationalsozialisten bereits die Macht im Land übernommen.

Dass diese keine anderen gesellschaftlichen Kräfte mehr neben sich dulden wollten, haben sie deutlich durch die gewalttätigen Aktionen bei diesem großen Treffen der katholischen Gesellenverbände gezeigt, an dem über 20000 Menschen teilgenommen haben sollen. „Die in orange-schwarzer Kluft gekleideten Kolpinggruppen wurden angegriffen, Banner entwendet und zerstört und Teilnehmer verprügelt“, so zitierte Gerhard Zinßer Berichte über die Vorkommnisse in München, bei denen schließlich auch sein Urgroßonkel von der SA niedergeschlagen worden sei.

Stellvertretend für die Anwesenden bedankt sich Joachim Schlitt bei dem Referenten Gerhard Zinßer für den gelungenen und interessanten Vortrag. Foto: Kluth

Kolpingbanner im Sarg versteckt

Offensichtlich infolge dieser Gewaltakte erlitt Eduard Zinßer während des Gottesdienstes im Dom einen Schlaganfall und starb. Bei der Überführung des Leichnams nach Hessen sollen Offenbacher Gesellen das Kolpingbanner im Sarg versteckt haben und retteten es so vor der Zerstörung. Dieses ‚Zinsser-Banner’ erinnert heute in Offenbach an den Priester, Professor und Politiker, der in der Seibelsdorfer Kirche seine letzte Ruhestätte gefunden habe.

„Ausgestattet mit hervorragenden Gaben des Geistes und des Herzens, war er seinen Amtsgenossen ein hochgeschätzer, allzeit freundlicher und liebenswürdiger Mitarbeiter, seinen Schülern ein anregender, liebevoller und gütiger Lehrer und väterlicher Freund“, so hieß es in dem Nachruf der beiden Offenbacher Schulen, der am 14. Juni 1933 in den ‚Offenbacher Nachrichten’ erschienen sei. Dass dieser ‚Glaubenszeuge’ auch heute nicht vergessen werden sollte und dass es wichtig sei, sich solcher Vorbilder zu erinnern, soll die einhellige Meinung aller Besucher am Ende der eindrucksvollen Veranstaltung im Alsfelder Pfarrzentrum gewesen sein.

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