Gesellschaft4

Sandra Hamamy und Fabian Melber von Sea-Watch über die Rettung von Flüchtenden auf hoher SeeTrennline verläuft zwischen Barmherzigkeit und Unbarmherzigkeit

ALSFELD (ol). Flucht und Migration, Ursachen, Wirkung und Folgen sind eines der beherrschenden Themen der Gegenwart und der Zukunft. Nicht selten wird diese Diskussion hochemotional geführt, bestimmt auch von Ängsten um das eigene Wohlergehen in vielerlei Hinsicht. Seit den EU-Deals mit der Türkei und Libyen hat die Zahl der nach Deutschland einreisenden Flüchtlingen stark nachgelassen. Was von vielen Menschen als Erleichterung empfunden wird, ist teuer erkauft – nicht nur finanziell, wie jetzt Sandra Hamamy und Fabian Melber von der NGO Sea-Watch einen Vormittag lang in der Max-Eyth-Schule ausführten.

Die beiden Aktivisten sprachen auf Einladung des Fachbereichs Religion in Kooperation mit dem Fachbereich PoWi und unterstützt von dem Bundesprogramm „Demokratie leben“ vor den 12. Klassen der Fachoberschule. Die Schulpfarrerinnen Christine Schellhaas und Claudia Kautzmann führten in den intensiven Tag ein und luden die Schülerinnen und Schüler auch zum Austausch mit den beiden Gästen ein. Schulleiter Friedhelm Walther unterstrich, wie wichtig es sei, in dieser schwierigen Situation Orientierung zu bekommen und auch den Wert eines Lebens in Frieden als etwas ganz Besonderes wahrzunehmen und nicht als Selbstverständlichkeit.

Dieser Einschätzung schloss sich im Nachgang auch Sandra Hamamy an: „Wir leben durch puren Zufall in diesem Land, einer Demokratie mit einer stabilen Regierung und lange währendem Frieden“, unterstrich sie die Willkürlichkeit dieser pivilegierten Situation. Ein Glück, das vielen anderen Menschen nicht zuteilwird. „Die Trennlinie, inwieweit das privilegierte Europa Geflüchtete aufnehmen und unterstützen soll, verläuft nicht zwischen politischen Lagern“, sagte Hamamy, „sondern zwischen Barmherzigkeit und Unbarmherzigkeit.“

Engagiert und konkret: Sandra Hamamy über ihre Arbeit auf den Seawatch-Schiffen.

Sea-Watch will nicht nur Menschenleben retten

„Ertrinken ist ein leiser Vorgang und doch ein langer Kampf gegen das Untergehen.“ In eindrücklichen Worten schilderte Hamamy den Tod, den in jedem Jahr tausende von Menschen im Mittelmeer zwischen Libyen und Italien finden. „Es folgt der Tod. Sich langsam krümmend, sinkt der Körper in die Tiefe.“ In der Tiefe der Meere, dort wo keine Hoheitsgebiete mehr sind, herrsche Freiheit. Der Meeresgrund sei „Heritage of Manhood“, das Erbe der Menschheit. Ebenso wie die Toten darauf. Mit diesen Worten begann ein nachdenklicher Tag, dessen Inhalt noch lange nachklingen wird.

Gemeinsam mit vielen anderen Menschen sind Sandra Hamamy und Fabian Melber regelmäßig auf dem Mittelmeer unterwegs, sie die „im richtigen Leben“ Politologin an der Gießener Universität ist, als Dolmetscherin und Rettungsschwimmerin, er, Student der Fotografie, als Fotojournalist und Chronist der Ereignisse. Denn Sea-Watch will nicht nur Menschenleben retten, sondern auch dokumentieren, was dort draußen, fernab des medialen und auch des gesellschaftlichen Interesses passiert.

Folter, Erpressung und Sklavenhandel

Das Schiff der Sea-Watch patrouilliert regelmäßig vor der lybischen Küste. In das lybische Hoheitsgebiet, das ab der Küste noch 24 Meilen beträgt, darf das Schiff nicht eindringen. Die sogenannte lybische Küstenwache hindert sie daran und unterbindet dort jegliche Rettungsversuche. Berichte von Sea-Watch dokumentieren, dass die Libyer Geflüchtete in ihrem Hoheitsgebiet ertrinken ließen. Die Retter selbst wurden bereits mehrfach von lybischem Militär bedroht und beschossen. Teil des Geschäfts, das die EU mit dem politisch völlig instabilen Land gemacht hat. 42 Millionen Euro gingen laut Hamamy im Jahr 2017 dort an Warlords, Terroristen und Milizen, die die aus Ost- und Westafrika in Libyen gestrandete Flüchtlinge unter KZ-artigen Zuständen halten, wie jüngst ein Bericht der Vereinten Nationen bestätigt hat.

Beeindruckend und hoffnungsvoll: das Friedenszeichen im Hof der Max-Eyth-Schule.

Folter, Erpressung und Sklavenhandel sind dort dokumentiert. In diesem Jahr sollen dafür 80 Millionen Euro an Geldern aus Deutschland eingeplant sein. „Für dieses Geld machen die Libyer den Drecksjob für Europa“, fasste Hamamy zusammen. Die EU umgehe damit nicht nur die Genfer Flüchtlingskonvention, sondern auch die „Duty to rescue“, die Pflicht eines jeden Schiffes, in Not geratene Schiffe und Boote zu retten und zu einem sicheren Hafen zu bringen.

„Es ist die Erbärmlichkeit der Umstände und es ist die Erbärmlichkeit der beteiligten Regierungen, die uns zum Handeln zwingen“, erklärte Hamamy ihre Motivation, ihre komplette Freizeit auf See zu verbringen und sich dort nicht nur dem Retten von Menschen sondern auch dem Zusehen von Sterben auszusetzen. „Es gibt Situationen, da können wir nicht alle retten. Wir sind zu wenige Rettungsschwimmer, wenn ein Boot mit vielen hundert Geflüchteten untergeht.“

„Niemand, niemand nimmt eine Flucht auf sich für ein wenig mehr Wohlstand“

Dennoch wurden seit Gründung von Sea-Watch im Jahr 2014 30.000 Menschen gerettet. Wie sie das tun, auf welchen Routen das Sea-Watch-Schiff unterwegs ist, welche Begegnungen sie hatten und wie menschenverachtend die Versuche der EU sind, die Grenzen zu schützen, darüber berichteten Hamamy und Melber jeweils einer Schülergruppe mit Fotos, Fakten und Filmen. Hamamy berichtete von einem Boot mit „jungen Männern“, 14- bis 17-Jährige, die sie vor Libyen rettete. Sie erklärte, wie es kommt, dass so viele junge Männer und Kinder allein unterwegs sind.

Fabian Melber, Sandra Hamamy, Claudia Kautzmann und Christine Schellhaas während der Abschluss-Statements.

„Wenn Sie nur einen retten könnten, wäre das dann nicht Ihr Kind?“, fragte sie die Schülerinnen und Schüler, für die die Zustände, die Familien dazu bringen, ihre Kinder auf die Flucht zu schicken, nicht vorstellbar sind. „Man kann über die Flüchtlingspolitik diskutieren, man kann kontroverser Meinung sein, aber man sollte sich immer an Fakten halten, und nicht an Schlagzeilen der Bildzeitung“, mahnte sie die jungen Leute zu einem differenzierten Umgang mit dem Thema und betonte: „Niemand, niemand nimmt eine Flucht auf sich für ein wenig mehr Wohlstand.“

Friedenszeichen mit Kerzen im Hof der Schule

Die finanziellen Bemühungen, die Flüchtenden an den europäischen Grenzen aufzuhalten und somit zu verhindern, dass sie ihr hier gültiges Recht auf Asyl wahrnehmen, überstiegen die Kosten für Geflüchteten in der EU um ein Vielfaches, berichtete Hamamy. Darüber hinaus müsse sich die EU durchaus fragen lassen, ob ihre Geschäfte mit Partnern wie Erdogan oder Dikatoren und Warlords in Afrika moralisch vertretbar seien. „Man hört darüber wenig in den Medien – die Flüchtlingsdeals sollen als Erfolg verkauft werden.“ Dabei stärken sie nach Meinung der Aktivistin das Schmuggler- und Schleppergeschäft. Für sie sind legale Fluchtwege der einzige Weg, dieses zu verhindern.

Für die Schülerinnen und Schüler bot dieser bewegende Vormittag tiefe Einblicke in einen dramatischen Aspekt der sogenannten Flüchtlingskrise und wie Europa sie zu lösen versucht. Sie bekamen damit Argumentationshilfen für Gespräche zum Thema Flucht und Migration, aber sie nutzten die Anwesenheit der Aktivisten auch, um kritische Fragen zu stellen. Am Ende des Vortrages und des Austauschs bildeten die Schülerinnen und Schüler ein großes Friedenszeichen mit Kerzen im Hof der Schule. Sie nahmen damit Bezug auf eine Sea-Watch-Aktion und gedachten damit den vielen Menschen, die auf den Fluchtwegen nach Europa ihren Wunsch nach Sicherheit und Frieden mit ihrem Leben bezahlt hatten. Mehr Informationen unter www.sea-watch.org.

Aus vielen kleinen Kerzen bildeten die Schülerinnen und Schüler das Friedenszeichen.

4 Gedanken zu “Trennline verläuft zwischen Barmherzigkeit und Unbarmherzigkeit

  1. „Die Trennlinie, inwieweit das privilegierte Europa Geflüchtete aufnehmen und unterstützen soll, verläuft nicht zwischen politischen Lagern“, sagte Hamamy, „sondern zwischen Barmherzigkeit und Unbarmherzigkeit.“ Frau Hamamys Haltung entspricht voll meiner Auffassung von Humanität.
    Ich möchte an das Gleichnis vom barmherzigen Samariter erinnern (insbesondere diejenigen, die vom christlichen Abendland sprechen), das ein Aufruf zur tätigen Nächstenliebe ist.
    Jesus gibt eine Antwort auf die Frage, wer unser Nächster ist: Der Nächste ist derjenige, der unsere Hilfe benötigt!

  2. @ Michael Hartmann
    Nein, NGOs sind nicht die „schlimmsten Schleuser“, auch wenn sie vielleicht manchmal unfreiwillig als Helfer von Schleuserbanden missbraucht werden, die ihre Opfer dort sich selbst überlassen, wo die Rettungsschiffe von NGOs kreuzen und so ihr Risiko verringern, entdeckt und bestraft zu werden. Trotzdem zolle ich den (zumeist) jungen Menschen, die im Auftrag von NGOs humanitäre Aufgaben übernehmen und dabei oft das eigene Leben einsetzen, höchsten Respekt.
    Folgte man Ihren radikalen Prinzipien, dann müssten die deutschen Regierungs-kabinette, Konzernmanager, ein Großteil der wissenschaftlichen Elite usw. alle bereits reihenweise hinter Gittern sitzen, denn sie spielen in Verfolgung nationaler oder eigener Interessen ständig Elementen in die Hände, die Dreck am Stecken haben. Schon unsere Steuergesetzgebung ist Beihilfe zur Steuerhinterziehung, die personelle Unterbesetzung von Polizei und Justiz läuft auf Komplizenschaft mit Straftätern und Rechtsverweigerung, die Privatschulgesetzgebung verletzt vielfach den verfassungsmäßigen Gleichheitsgrundsatz. Sie können heute praktisch nirgends mehr arbeiten, ohne in irgendwelche halblegalen Machenschaften hineingezogen und korrumpiert zu werden. Und am Ende versprechen irgendwelche faschistischen Bewegungen, mit all dem aufzuräumen, sind aber selbst die übelsten der Verbrecher. Und am Ende liegt dann – nach vielmillonenmal verbreitetem Elend und Leid – wieder alles in Schutt und Asche. Danach erinnert man sich wieder der schönen alten humanen Werte, baut alles wieder auf und schon geht’s in Endlosschleife wieder von vorne los: Aufstieg, Dekadenz, Verfall, Untergang; Aufstieg, Dekadenz, Verfall, Untergang. Die Menschheit ist halt blöde, und dagegen ist kein Kraut gewachsen. Ich habe auch kein Rezept. Aber gegen diejenigen zu mobilisieren, die in diesem Chaos das Fähnlein der Menschlichkeit hoch zu halten versuchen, ist auch nur eine hilflose Geste und keine „Lösung“!

  3. NGO’s gehören in den Knast und müssten alle für den Schaden haften.
    Ihr seit die schlimmsten Schleuser.
    NGO’s sind dafür verantwortlich, das diese Leute in angeblicher Seenot geraten und letztendlich ertrinken.

Comments are closed.

Schreibe einen Kommentar

Bitte logge Dich ein, um als registrierter Leser zu kommentieren.

Einloggen Anonym kommentieren