In Romrod entsteht ein Altenheim besonderer Art: Man lebt miteinander mitten im OrtMillionen für den Traum vom lebendigeren Alter
ROMROD (aep). Die Alten leben miteinander und kommen mit jungen Leuten zusammen – sie leben mitten im Ort: Das ist der Kerngedanke für ein millionenschweres Modellprojekt, das jetzt in Romrod Realität werden kann. Es geht um ein Alten- und Pflegeheim der besonderen Art auf dem Grundstück des alten Oberforstamts. Am Donnerstagabend fielen dazu nach jahrelanger Diskussion die entscheidenen Beschlüsse im Parlament – und Freitag folgten die Unterschriften unter die Verträge. Allerdings meldeten sich in letzter Sekunde auch noch kritische Stimmen.
In dem Moment war der Bürgermeisterin Dr. Birgit Richtberg am Donnerstagabend bei der Sitzung des Romröder Stadtparlamnts die Anspannung anzumerken: Die entscheidenden Beschlussfassungen standen auf der Tagesordnung, mit denen das Romröder Modellprojekt „Leben und Wohnen im Alter“ zur Realisierung angeschoben werden sollten. Seit 2011 war es diskutiert worden und ist seit 2012 im Grundsatz beschlossen. Die Zuschüsse sind bewilligt, ein Partner gefunden, der den Betrieb übernimmt, nur Minuten zuvor hatte am Donnerstag auch der Haupt- und Finanzausschuss noch einstimmig grünes Licht gegeben. Und dann zeigt sich die SPD-Fraktion unschlüssig, beantragt eine Sitzungsunterbrechung, die sich auch noch in die Länge zieht. Sie hätte sich als deutliches Signal ein einstimmiges Votum gewünscht, erklärt Dr. Birgit Richtberg.
Zwei sind gegen das „ein Modellprojekt in Hessen“
Die Einstimmigkeit bekommt sie aber am Ende nicht ganz von den Fraktionen. In den namentlichen Abstimmungen über den Bau des Heimes und die Vermietung an eine Betreiber-Gesellschaft scheren zwei Abgeordnete aus – unter anderem auch der Stadtverordnetenvorsteher Jörg Gaudl. In einer Erklärung begründet er seine Ablehnung mit der Befürchtung, die Betreiber-Gesellschaft könnte scheitern, und die Stadt würde dann auf ihren Investitionskosten hängenbleiben – immerhin hätten die meisten Interessenten wieder abgesagt. Damit blieb er aber fast alleine, und mit der übergroßen Mehrheit des Parlaments kann nun Realität werden, was die Bürgemeisterin noch einmal als „ein Modellprojekt in Hessen“, angepriesen hatte: der Versuch, das Leben im hohen Alter nicht in Vereinzelung und Vereinsamung enden zu lassen.
Dazu geht die Stadt eine Kooperation mit der Behindertenhilfe im Vogelsbergskreis ein, die eigens für den Betrieb des Hauses die gemeinnützige SozioVita GmbH gründete. Zur Unterzeichnung des Mietvertrags zwischen Stadt und Behindertenhilfe fuhren die Vorstandsvorsitzende Katja Diehl und die Vorstandsmitglieder Walter Fricke sowie Frank Haberzettl am Freitag nach Romrod.
Aktives Seniorenleben in Wohngruppen
Auf dem Eckgrundstück des Abzweigers von der B49 nach Zell entsteht ab dem Sommer in zweijähriger Bauzeit das Heim für 47 Senioren mit zwölf Plätzen in der Tagespflege und fünf für die Kurzzeitunterkunft. Die erste Besonderheit: Die alten Leute leben in fünf Wohngruppen zu neunt oder zehnt zusammen – mit familiärem Charakter. Man hilft sich gegenseitig und geht miteinander um. „Die Menschen bleiben aktiver“, erklärt die Rathaus-Chefin. Walter Fricke formuliert den Grundgedanken dieser Wohneinheiten seitens der Behindertenhilfe: „Die alten Leute bleiben in sozialen Miteinander.“ Die Menschen bleiben auch mitten in der Stadt wohnen und können am Leben teilhaben.
Für mehr Austausch mit den jüngeren Generationen soll zugleich das Mehrgenerationenhaus sorgen, das als Begegnungsstätte ebenfalls auf dem Grundstück entsteht: Dort finden Aktionen und Veranstaltungen statt, an denen Menschen verschiedener Generationen beteiligt sind. Die Tagespflegeplätze ermöglichen letztlich, pflegebedürfitge Angehörige tagsüber im Heim betreuen zu lassen und abends wieder nach Hause zu bringen. „Damit müssen diese Menschen nicht vereinsamen“, erklärt die Bürgermeisterin.
4,6 Millionen Euro Baukosten stehen an
Das ist nicht billig: Rund 4,6 Millionen Euro soll der Bau kosten. Davon übernimmt das Land für das Modellprojekt fast 1,7 Millionen als Zuschuss und gewährt ein zinsloses Darlehen über knapp 1,6 Millionen Euro. Bei der Stadt bleiben aus dem günstigen Landesdarlehen noch 1,34 Milliinen Euro, die über Kredite beschafft werden müssen – aber über Mietzahlungen wieder hereinkommen sollen.Immerhin: 210.000 Euro wird die SozioVita gGmbH jährlich an die Stadt zahlen, und der Vertrag, den beide Seiten am Freitag unterzeichneten, soll 30 Jahre lang laufen. Es wird viel Geld bewegt, doch beide Seiten betonen, dass Gewinn nicht an vorderster Stelle stehe. „Das Projekt ist durchgerechnet“, betont die Bürgermeisterin – aber es gehe vor allem um mehr Lebensqualität in Romrod.
Für die Behindertenhilfe, so stellt Walter Fricke fest, stehe auch bei diesem Projekt die Inklusion im Vordergrund, die somit die Brücke zum Engagement des Verbandes in der Altenpflege bilde: „Diese Menschen werden in die Gesellschaft eingeschlossen“.
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Im Gespräch: „Es geht uns um ein gutes Projekt zum Wohle der Bevölkerung“
Jahre der Diskussion sind rum, und doch blieben anscheinend Fragen offen. Im Gespräch mit OL-Redakteur Axel Pries gibt Bürgemeisterin Dr. Birgit Richtberg Antworten auf die Grundfragen, die zuletzt im Raum standen.
Frage: Der Beschluss kam doch nicht einstmmig zustande, obwohl der Ausschuss noch einstimmig dafür war und Sie sich für ein einstimmiges Votum als Signal an den Betreiber ausgesprochen hatten. Sind Sie enttäuscht von dem Beschluss gestern?
Richtberg: Ich bin nicht enttäuscht über den Beschluss, ich fand es ein wenig schade, wenn man im Vorfeld die Möglichkeiten nicht nutzt, bestimmte Fragen zu klären. Aber ansonsten ist natürlich jeder in seiner Meinung frei.
Auf dem Paper sieht die Finanzierung sehr schlüssig aus und für die Stadt Romrod sehr günstig. Wo sehen Sie das größte Risiko für Romrod?
Wenn jemand etwas unternimmt, dann ist der Ausgang nie klar. Aber es gibt eine Kalkulation, und es gibt eine gute Vorausrechnung, und die haben wir gemacht. Nicht alleine, sondern die haben wir von unabhängigen Finanzexperten überprüfen lassen, um sicherzustellen, dass wir mit den Eckdaten im Mietvertrag für die Stadt eine Refinanzierung darstellen. Es geht uns ja nicht um eine Gewinnerzielung, sondern es geht uns um ein gutes Projekt zum Wohle der Bevölkerung.
Der Stadtverordnetenvorsteher Jörg Gaudl erklärt seine ablehnende Haltung damit, dass ihm das Risiko einer Insolvenz bei der Betreibergesellschaft zu groß ist und Romrod dann mangels Gegenfinanzierung auf den Kosten sitzen bleibt. Wie sehen Sie seine Argumentation?
Das ist mir ein bisschen überraschend, denn auf den Gedanken hätte man seit zwei Jahren kommen müssen, weil das projektimanennt ist. Die Stadt Romrod hätte, egal wie sie agiert, immer für Fördermittel gehaftet. Und die Entscheidung, mit Eigenmitteln hineinzugehen, war die, das Projekt vollständig im Eigentum zu behalten. Damit sind wir vollständiger und allein handelnder Partner für einen Betreiber. Das finde ich extrem wichtig für eine gute und möglichst reibungslose Zusammenarbeit. Das Insolvenzrisiko bei einem Mieter oder Betreiber – das gibt es überall auf der Welt. Wir haben aber in dem Mietvertrag, den eine Spezialkanzlei für uns entworfen hat, schon Sicherheiten eingebaut. Das Gebäude dann als Wert ja auch da. Und es sollte möglich sein, innerhalb der 18 Monate, die in dem Vertrag als Sicherheitsleistung vorgesehen sind, gegebenfalls einen neuen Betrieber zu finden.
Es gab am Anfang sechs Bewerber für den Betrieb dieses besonderen Heims, von denen nur zwei übrig geblieben sind. Was ist mit den anderen passiert?
Das ist so: Je mehr man über ein Projekt erfährt, und je mehr ein Betreiber für sich kalkuliert, trifft jeder für sich seine indivduelle Entscheidung: Kann ich das tun, will ich das? Ein wesentliches Kriterium war, dass wir hier eine relativ kleine Einrichtung haben, eine Einrichtung, die einen erhöhten Anspruch an die Fähigkeiten des Mieters und den Betrieb stellt. Und zwar nicht nur fachlicher Fähigkeitedn in der Altenhilfe, sondern auch sozialer Fähigkeiten. Das Kriterium war für viel wohl auch hinderlich.
Wir haben für Romrod die richtige Entscheidung getroffen. Allerdings war die SPD Fraktion nicht unschlüssig. Für einen Teil der Fraktionsmitglieder waren noch Fragen offen, die ich als Fraktionsvorsitzender in der Sitzungsunterbrechung noch klären konnte. Arndt Planz, Fraktionsvorsitzender der SPD Fraktion.