Das Abitur rückt näher, der Lernstress nimmt zu – Ein Gespräch mit Absolventen über Abi gestern und heute – Der Tipp für die mündliche Prüfung: Locker bleiben, denn„Die Lehrer wollen nicht, dass du versagst“
VOGELSBERGKREIS (aep). In diesen Monaten beginnt wie in jedem Jahr die heiße Phase der Abitur-Vorbereitung. Betroffene Schülerinnen und Schüler, so die Erfahrung, haben kaum noch Sinn und Zeit für anderes als Pauken – setzen sich oftmals bis zur Schmerzgrenze unter Druck. Eine Abschlussnote mit einer 1 soll es sein, eine 2 vor dem Komma gilt vielen bereits als Niederlage. Muss das so sein? War das immer so?
Allein 2013 gab es rund 370.600 Absolventen, und die Anzahl steigt.
Die Autorin Friederike Gerbig hat sich in Alsfeld einmal. umgehört: Wie war das Abitur vor 20 Jahren? Gibt es Unterschieden und Gemeinsamkeiten zu heute? Melina Helm und Bettina Haas-Schultheis aus Alsfeld berichten von ihren Erfahrungen.
Laut Definition ist das Abitur der höchste deutsche Schulabschluss den man erreichen kann, in früheren Jahren galt er als besonders lohnenswert – im Gegensatz dazu haben Schüler heute neben dem Abi viele andere Möglichkeiten, wie beispielsweise die Fachhochschulreife (umgangssprachlich „Fachabi“), die einen Besuch an Fachhochschulen ermöglicht und ebenso einen Einstieg in die Berufswelt eröffnen kann.
Dennoch ist das Abitur nach wie vor gefragt und wird von vielen Oberstufenschülern angestrebt. Für viele bedeutet das: Lernstress, Nachhilfe, stundenlanges Büffeln – aber auch: Die eigenen Grenzen austesten, mit anderen gemeinschaftlich Arbeiten und vor allem nach den Prüfungen das lang ersehnte Zeugnis in den Händen halten. Wie fühlt es sich an, das Abitur zu bestehen und wie war das noch im Jahr 1983?
Im Gespräch: Bettina Haas-Schultheis und Melina Helm
Die Alsfelder Krankenschwester Bettina Haas-Schultheis absolvierte ihren Abschluss vor 32 Jahren. 2014 hielt auch die 18-jährige Alsfelderin Melina Helm, ehemalige Schülerin am Albert-Schweitzer-Gymnasium in Alsfeld, ihr Zeugnis in den Händen. Während Letztere momentan ein Freiwilliges Soziales Jahr in der Denkmalpflege absolviert, hat Bettina Haas-Schultheis bereits das Studium der Kunstpädagogik, Kulturanthropologie, Europäischen Ethnologie und der Sonder- und Heilpädagogik abgeschlossen.
Beide Frauen stehen an verschiedenen Punkten in ihrem Leben und blicken mit gemischten und differenzierten Gefühlen auf das Abitur zurück.
Für oberhessen-live erzählen beide von ihrer Schulzeit und zeigen auf, wie unterschiedlich und doch in vielen Punkten ähnlich das Abitur damals war und heute noch ist.
Welches Erlebnis ist aus der Schulzeit besonders in Erinnerung geblieben?
Bettina H.-S.: Welche Erlebnisse…. Oh! Das ist schon lange her, aber ich hatte zum Beispiel Bio-LK gewählt und graute mich vor solchen Themen wie dem Zitronensäurezyklus. Das Thema sollte durchgenommen werden: Unser Lehrer malte das Bild an die Tafel, erzählte was dazu und am Ende der Stunde meinte er „So, das war´s – ab jetzt machen wir richtige Biologie!“. Pflanzen nach Standort bestimmen, Feuchtbiotope anlegen, Wasserqualität anhand der Tiere die dort leben bestimmen. Gehe ich heute an einem Fluss spazieren, drehe ich manchmal einen Stein um und schaue nach Käfern und Larven. Das nenne ich nachhaltigen Biounterricht!
Melina H.: Eigentlich die letzten 2 Jahre, weil ich das erste Mal wirklich etwas mit den Schülern der anderen Klassen zu tun hatte. Davor hatten wir alle eher nur etwas mit den Schülern der eigenen Klasse zu tun. Mir ist besonders das Mathe Abi in Erinnerung geblieben. Das war das einzige Mal, dass so ziemlich alle gleichzeitig Prüfung hatten und danach hatte man auch das Gefühl das Schlimmste hinter sich zu haben.
Wie empfinden Sie Ihre Schule im Nachhinein: War damals alles einfacher?
Bettina H.-S.:Die Schulzeit empfinde ich im Nachhinein durchaus als einfach: Es gab einen vorgegeben Plan, der musste erfüllt werden, außerdem viel Freizeit. Das war schon ein einfaches Leben.
Stimmt es, dass man nach der Schulzeit viele Freunde verliert – oder haben Sie heute noch Kontakt zu ehemaligen Schulkameraden?
Bettina H.-S.: Nun einige Freundschaften lösen sich eben, man wechselt den Wohnort, findet neue Freunde und es ist unmöglich jede Freundschaft aufrechtzuerhalten. Aber die ganz echten Freundschaften bestehen weiter, auch wenn mal lange Pausen ohne Treffen oder Telefonieren dazwischenliegen – ich habe heute noch Freunde und Freundinnen, mit denen ich damals vor 30 Jahren Abitur gemacht habe.
Die Freundschaften, die nicht mehr bestehen, sind allerdings ohne Groll oder ähnliches auseinandergegangen – es ist einfach passiert.
„Zuerst war es ein komisches Gefühl. Plötzlich hatte man Zeit“
Was war es für ein Gefühl, nach 12 Jahren mit der Schule fertig zu sein?
Melina H.: Zuerst war es ein komisches Gefühl. Ständig musste man sich auf eine Prüfung vorbereiten und plötzlich hatte man Zeit. Man wusste zuerst gar nichts mit mir anzufangen. Fast das ganze Leben war auf die Schule eingestellt. Der ganze Tagesablauf. Aufstehen, Schule und dann kamen erst die Freizeitaktivitäten, solange man nicht für irgendwelche Arbeiten lernen musste. Aber trotzdem war es aufregend, weil ein neuer Lebensabschnitt begonnen hatte.
Hast Du Tipps von Familie und Freunden bekommen, was Du anschließend tun solltest?
Melina H.: Ja. Am Anfang wurde ich von Ratschlägen nur so überhäuft. Es war gar nicht so einfach da den Überblick zu behalten und sich für etwas zu entscheiden. Denn so verlockend es ist, einfach mal nichts zu tun, irgendwann langweilt man sich doch.
Schauen wir jetzt mal genauer auf das Abitur: Wieso hast Du Dich dafür entschieden Abitur zu machen? Welche Chancen siehst Du darin?
Melina H.: Damals in der vierten Klasse wurde uns von unserer Klassenlehrerin vorgeschlagen, auf welche Schule wir gehen könnten, und in meinem Fall war das für mich das Gymnasium. Außerdem wurde immer gesagt, dass man mit dem Abitur die besten Möglichkeiten hat und das fand man natürlich gut. Ich sehe das auch so. Zwar kann man immer mehr auch mit der Fachhochschulreife studieren, aber manche Studiengänge erfordern eben doch das Abitur und so hält man sich alles offen.
War das Abitur die richtige Entscheidung oder hätten Sie stattdessen im Nachhinein lieber eine Ausbildung gemacht?
Bettina H.-S.: Abitur? Die richtige Entscheidung? Für mich war das Abi auf jeden Fall die richtige Entscheidung! Ich hatte nach der Schule erst mal Lust auf was Praktisches und habe eine Ausbildung begonnen und abgeschlossen. Danach konnte ich dann in Ruhe studieren. Das empfand ich als Freiheit: Mir standen alle Türen offen. Andere mühten sich mit berufsbegleitendem Abi ab und das empfand ich als echten Stress, da waren die paar Monate vor den Prüfungen im Nachhinein ein Klacks.
„Klar gehört Lernen vor so einer Prüfung dazu“
Abitur bedeutet oft intensive Vorbereitung und stundenlanges Lernen: Welche Erfahrungen haben Sie, beziehungsweise hast Du damit gemacht?
Bettina H.-S.: Klar gehört Lernen vor so einer Prüfung dazu, aber ich erinnere mich noch gerne daran dass meine Freundin mir mit Engelsgeduld bei Matheaufgaben geholfen hat – und das stundenlang, Woche für Woche. Irgendwie eine tolle Zeit!
Melina H.: Ich hab das, ehrlich gesagt, nicht so erfahren. Am meisten habe ich tatsächlich für Mathe gelernt und da ich statt einer zweiten mündlichen Prüfung eine Präsentationsprüfung in Religion hatte, musste ich mich auch da ziemlich reinhängen, denn eine Präsentation erstellt sich nicht von allein.
Wie war die Stimmung vor den Prüfungen?
Bettina H.-S.: Oh, da muss ich etwas ausholen. Ich habe meine Gymnasiumszeit im Internat verbracht. Und Jahr für Jahr blickten wir Kleinen ehrfürchtig zu den Abiturienten auf. An den Prüfungstagen bekamen die sogar gesondert Frühstück, mit allem drum und dran am gedeckten Tisch. Und ich dachte: „Wow, wenn du da mal sitzt, dann hast du es geschafft!“. Und plötzlich war es soweit! Da mischte sich zu der ganzen Anspannung vor der Prüfung auch so etwas wie Stolz: Jetzt wurden wir ja von den Kleinen beäugt. Vielleicht war es auch die Freude jetzt DA zu sitzen, die ein bisschen die Anspannung überdeckt hat.
Melina H.: Die Stimmung war ziemlich angespannt. Im Unterricht wurde man immer wieder darauf vorbereitet, was die Anspannung ein bisschen in Grenzen hielt. Aber als die Prüfungen dann näher kamen, wurde ich dann von Tag zu Tag nervöser. Am Schlimmsten war es, auf den Bänken auf dem Gang darauf zu warten, dass ich in den Raum für meine Präsentationsprüfung gehen konnte. Man saß mit anderen Schülern zusammen und unterhielt sich über die verschiedenen Fächer, in denen man gleich geprüft werden sollte. Dies machte einen noch nervöser als man ohnehin schon war.
Und danach?
Bettina H.-S.: Hey! Wir waren die Größten, uns gehörte die Welt!
Melina H.: Nach manchen Prüfungen war man erleichtert und froh, es hinter sich gebracht zu haben und bei anderen kamen Zweifel auf, weil man es nicht einschätzen konnte, wie streng die Lehrer bei der Kontrolle waren. Da war es nach den mündlichen Prüfungen gut, die Bewertung schon am gleichen Tag zu erfahren. Die Ergebnisse der schriftlichen Prüfungen erhielt man nämlich erst später, was die Unsicherheit noch weiter steigerte. Nach der Mathe Prüfung, welche fast alle Schüler am gleichen Tag, ich glaube es war ein Mittwoch, schrieben, gingen wir dann gemeinschaftlich ins Filou – möge es in Frieden ruhen – und ließen den anstrengenden Tag bei ein oder zwei Apfelwein-Cola ausklingen.
Würdest Du im Nachhinein etwas anders machen? Vielleicht andere Prüfungsfächer wählen oder mehr lernen?
Melina H.: Nein. Ich bin ziemlich zufrieden mit meinen LKs und den anderen Prüfungsfächern, die ich gewählt habe. Bei Chemie war ich mir zuerst nicht sicher, ob ich mich darin prüfen lassen sollte, aber im Nachhinein war alles gut so, wie ich es gemacht habe.
Mit welchem Gefühl blicken Sie heute auf das Abitur zurück: Ist der viele Stress, den sich viele Schüler machen wirklich nötig?
Bettina H.-S.: Ich glaube Stress gehört nun mal zur Prüfungssituation und, dass man eine Prüfung möglichst gut ablegen möchte ist auch normal, denke ich.
„Ja, ich habe den Eindruck, das Abitur ist schwieriger geworden“
Oft wird behauptet, dass Abitur sei heute schwieriger: Welchen Eindruck haben Sie?
Bettina H.-S.: Ja, ich habe den Eindruck, das Abitur ist schwieriger geworden, weil die Menge, die zu erlernen ist, größer geworden ist. In Chemie gibt es zum Beispiel Dinge, die kannte man vor 30 Jahren noch gar nicht. All das Wissen über Computer ist ein Wissen, über das wir uns damals keine Gedanken gemacht haben, weil vieles davon noch nicht existiert hat.
Auch mein Lehrer im Mathe-LK mir bestätigt, dass die Anforderungen gegen damals gestiegen sind. Allerdings ist es heute einfacher, zum Abitur zu gelangen, durch Fachabi: Nach der Elften aufhören und ein Jahr Praktikum machen – oder welche Möglichkeiten es noch gibt. Früher gab es Hauptschule, Realschule, Gymnasium – fertig. Die Geschichte mit Gesamtschulen war zu meiner Zeit auch noch nicht so stark verbreitet.
Vielen sehen das Abitur als einzigen Weg, im Berufsleben wirklich Fuß zu fassen, zum Beispiel durch ein gutes Studium – wie beurteilen Sie das?
Bettina H.-S.: Ich denke es muss nicht jeder Abitur machen und manch einer ist in einem Beruf, in dem man kein Abitur braucht, besser aufgehoben und fühlt sich wohl – das ist wichtig. Aber das Abitur schadet ja nicht, wenn man vielleicht erst später merkt dass man noch studieren möchte, dann kann man das eben einfach tun.
Was würdest Du Schülern denen das Abitur noch bevorsteht raten?
Melina H.: Ich persönlich hatte Angst vor den mündlichen Prüfungen, weil man dabei allein vor den Lehrern reden musste. Deshalb würde ich raten, sich dabei ins Gedächtnis zu rufen, dass es sich dabei um Lehrer handelt, die natürlich auch nicht wollen, dass du versagst und dir im Notfall auch auf die Sprünge helfen.
Ein Blick in die Zukunft und Vergangenheit… Wie stellst Du Dir das Abitur vor 25 Jahren vor?
Melina H.: Ich habe keine genauen Vorstellungen davon, aber soweit ich das mitbekommen habe, konnte man seine Prüfungsfächer freier wählen. Außerdem durfte man glaube ich, Mathe abwählen, was denke ich Viele auch gerne in Anspruch genommen hätten.
Und in 25 Jahren?
Melina H.: Hoffentlich wird das Abitur in 25 Jahren in ganz Deutschland einheitlich sein. Außerdem hoffe ich, dass es nicht mehr solche großen Abweichungen in dem Schwierigkeitsgrad der einzelnen Vorschlägen gibt.
Und zu guter Letzt: Wie würden Sie, beziehungsweise wie würdest Du das Abitur in drei Worten beschreiben?
Bettina H.-S.: Ende (der Schulzeit), Sprungbrett (ins neue Leben), Spannung (was Neues kommt).
Melina H.: Handkrämpfe, Wasabi-Erdnüsse und Zettelberge.
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