Lateinamerika: zauberhaft und mit viel Kriminalität – Michelle berichtetZwischen Entzücken und Angst vor dem Überfall
VOGELSBERGKREIS. Die 22-jährige Michelle Ricarda Bauer aus Feldatal hat gerade spannende acht Monate in Mittel- und Südamerika hinter sich. Als Sprachenstudentin verbrachte sie ein Auslandssemester in San José, Costa Rica, nutzte den Aufenthalt aber auch für ausgedehnte Ausflüge nach Mexiko, Nicaragua und Brasilien. Für Oberhessen-live berichtet sie von ihren Erfahrungen. Im dritten Teil geht es um ein trauriges Kapitel: Kriminalität. Ein Fazit könnte lauten: Kriminalität ist nicht unbedingt alltägliche Erfahrung – aber häufig genug, dass man in den Ländern Mittel- und Südamerikas vorsichtiger lebt.
Während meiner acht Monate in Lateinamerika habe ich insgesamt neun Länder besucht. Durch manche bin ich nur durchgefahren, in anderen habe ich mich Wochen bis Monate aufgehalten und dabei die verschiedensten Erfahrungen gemacht oder Geschichten erzählt bekommen. In Costa Rica war ich die meiste Zeit, insgesamt fünf Monate. Durch Internet-Recherchen habe ich die beängstigsten Dinge erfahren, und die ersten Wochen waren für mich schrecklich, da in jedem vorbeilaufenden Menschen einen potenziellen Räuber sah. Am Ende war zum Glück alles nur halb so schlimm und mit ein paar Regeln ist Costa Rica definitiv zu überleben.
Nachts besser leise durch die Straßen gehen
Natürlich, ein Überfall ist niemals zu einhundert Prozent vermeidbar, und man sollte die Gefahr definitiv nicht unterschätzen. Trotzdem braucht man nicht mit ständiger Angst durch die Straßen laufen, denn so macht der Aufenthalt keinen Spaß. Costa Rica ist mit Sicherheit gefährlicher als Deutschland. Nachts sollte man am besten mit dem Taxi heimfahren, wenn man sich nicht in einer großen Gruppe befindet. Und wer nachts zu Fuß unterwegs ist, sollte nicht laut sprechen, denn das zieht potenzielle Räuber aus der Nachbarschaft an.
So ging es auch unseren französischen Mitbewohnern, die direkt vor unserer Haustür ausgeraubt wurden. Die Diebe waren dabei so ungeduldig, dass sie die Taschen unserer Freunde selbst ausleerten und einem sogar die Kette vom Hals rissen. Die Bilanz meiner WG fällt auch eher beängstigend aus: Auf uns neun Mitbewohner kamen fünf Überfälle. Ich gehörte zu den Ungeschorenen.
Den Frauen wird oft einfach die Tasche aus der Hand gerissen. Und leider geschehen diese Überfälle oft auch nicht unbewaffnet. Eine Gruppe deutscher Mädchen, unter ihnen ebenfalls eine meiner Mitbewohnerinnen, wurde am Bahnsteig nahe der Uni überfallen.
Während die anderen Mädchen vorangingen, wurde einem ein Messer an den Bauch gehalten, und die beiden wurden ihr gesamtes Hab und Gut los, ohne dass es der vordere Teil der Gruppe mitbekam. Trotzdem sollte das, wie gesagt, nicht unbedingt von einer Reise nach Costa Rica oder Mittelamerika abschrecken, denn trotz all der Überfälle ist niemandem körperlich etwas zugestoßen. Sollte es wirklich zu dem Falle eines Falles kommen, ist nur eines angesagt: keine Gegenwehr leisten und sämtliche Wertgegenstände oder gleich die Tasche übergeben. Ich habe oft eine alte Tasche mitgenommen, wenn wir abends unterwegs waren und mir extra ein altes Handy gekauft. Große Geldbeträge oder die Kamera haben wir, so lustig das auch klingt mag, in unseren BH gesteckt. Die hier genannten Überfälle haben sich zudem ausschließlich in der Hauptstadt San José zugetragen, in den Touristengebieten und Nationalparks geht es um einiges ruhiger zu, doch auch hier sollte man auf Taschendiebe achten und sich vor Überfällen hüten.
Honduras: zu abschreckend für eine Reise
Ein Land gab es jedoch innerhalb Mittelamerikas, das mich komplett abgeschreckt hat: Honduras. Nach der Mordrate ist es das gefährlichste Land der Erde. In Costa Rica haben wir eine Honduranerin kennengelernt, die uns zu sich nach Hause einlud. Nach reichlicher Internetrecherche und auf Bitten meiner Mutter sind wir die Reise dann aber doch nicht angetreten. Wir haben es einfach als zu gefährlich angesehen und hätten keinen Spaß gehabt. Zwei Freunde sind dann alleine nach Tegucigalpa, der Hauptstadt Honduras, gefahren, um unsere Freundin Azaria dort zu besuchen. Beide sind heil nach Hause gekommen, haben jedoch unsere Angst bestätigt.
Unsere französische Freundin Clarisse sagte nach der Reise: „Eine Erfahrung war es mir wert, noch einmal möchte ich aber nicht in dieses Land.“ Zu sehr fällt man dort als Ausländer auf und wird von allen begafft. Als sie in einer Bank Geld holen waren, wurden sie von einer Gruppe Jugendlicher genaustens beobachtet und selbst das Überqueren so mancher Straße erschien überaus gefährlich. Die Mutter unserer honduranischen Freundin Azaria erklärte den beiden, wann wo wie viele Menschen erschossen wurden und wo der korrupteste Präsident Mittelamerikas wohne.
Azaria selbst hat mit den beiden zum ersten Mal in ihrem Leben den öffentlichen Bus benutzt. Normalwerweise fahren ihre Eltern sie in die Universität, denn im Bus ist die Wahrscheinlichkeit sehr hoch, dass der gesamte Bus Opfer eines bewaffneten Überfalls wird – und so mancher Busfahrer musste hierbei sein Leben lassen. Auch erschreckend: Azaria ist noch nie im abgesicherten Bereich ihres Condominios herumgelaufen. Das tat sie mit Jorge und Clarisse zum ersten Mal.
Natürlich ist dies nur die Sicht dreier Personen, und die meisten Touristen kommen lebend aus dem Land heraus. Aber unsere Freundin tut alles dafür, um nicht mehr in Honduras leben zu müssen, und ich persönlich brauche die Erfahrung von einem Trip in Angst und Schrecken einfach nicht. Egal, ob im Endeffekt etwas passiert oder nicht. Honduras ist unbestreitbar gefährlich und mit Sicherheit gefährlicher als der Rest Mittelamerikas.
Als ganz das Gegenteil empfunden habe ich den Touristenort Bocas del Toro in Panama. Dort konnte man nachts durch die Stadt laufen, mit dem Boot auf eine Partyinsel fahren, oder nachmittags an einsamen Stränden entlang laufen, ohne von großer Gefahr bedroht zu werden.
Der Dokumentenbeutel unter der Kleidung
Auf unserer von Dezember bis Januar laufenden Mittelamerikatour, die wir nach unserem Austausch angetreten sind, habe ich immer einen Dokumentbeutel unter der Kleidung getragen. Darin: mein Reise- sowie Impfpass und meine Tickets für die Rückfahrt nach Costa Rica. Am 4. Dezember 2013 startete unsere große Tour durch Nicaragua, Guatemala, Belize und das karibische Mexiko. Nicaragua ist nach Erzählungen der Ticos, den Costa Ricanern, gefährlicher als Costa Rica. Wir waren in drei verschiedenen Touristenorten und haben uns eigentlich immer relativ sicher gefühlt.
Trotz allem wurde auch hier immer zu besonderer Vorsicht ab Sonnenuntergang und vor Strandspaziergängen bei Nacht gewarnt. Vor allem die Hauptstadt Managua soll gefährlich sein. Uns ist allerdings nichts passiert bei einem abendlichen Einkauf – den man, so der Rat, jedoch schweigend zurücklegen sollte. In Guatemala kursierten die meisten Gerüchte, wie gefährlich das Land doch sei. Da es in der Hauptstadt nicht allzu viel zu entdecken gibt, haben wir diese nicht besucht und sind anstatt mit einem Bus mit einem etwas teureren Shuttle nach Antigua gefahren.
Wer in Gruppen ab drei Leuten unterwegs ist und ein bisschen Spanisch spricht, kann übrigens an jeder Ecke Vergünstigungen ergattern. Sei es im örtlichen Shuttle, Souvenirladen oder wenn es darum geht, mit dem Taxifahrer ein günstiges Hostel auszumachen. Antigua habe ich zum ersten Mal seit Wochen als eine wirklich sichere Stadt empfunden. Nachts konnte man hier ohne Probleme herumlaufen und die Einwohner sind überaus freundlich. Weiterhin haben wir einen Vulkan bestiegen und sind an den Lago Atitlan gefahren. Und später in den wunderschönen Park Semuc Chapey im Osten des Landes. Und auch in der Maya Stätte Tikal habe ich mich sicher gefühlt. Um ehrlich zu sein, war Guatemala das Land, in dem ich mich auf der Reise am sichersten gefühlt habe.
Danach kam Belize. Aufgrund des schlechten Wetters mussten wir diese Reise jedoch von zehn auf zwei Tage verkürzen und somit haben wir nur die größte Stadt des Landes, Belize City, und ein kleines Maya-Dorf kennengelernt. Besonders an Belize ist, dass die Amtssprache Englisch ist und die Bevölkerung zu fast 100 Prozent afrikanischer Herkunft. Wir weiße Touristen sind somit der Blickfang Nummer eins gewesen, und ein bisschen unwohl habe ich mich schon gefühlt. Der örtliche Busbahnhof wurde als sehr gefährlich beschrieben und sollte von vielen Drogenabhängigen und Obdachlosen belagert werden – jedoch muss ich sagen, dass ich einen anderen Eindruck hatte. Natürlich, wenn ein Belizianer verdächtig freundlich zu dir ist und dir zum Beispiel beim Koffertragen helfen möchte, dann braucht man sich hinterher nicht wundern, wenn der Koffer weg ist oder Geld verlangt wird. Ansonsten gab es das für viele lateinamerikanische Länder übliche Feilschen und Betteln, das auf der Straße praktiziert wird. Mit einfachem Ignorieren ist dieses Problem jedoch meistens gebannt und eigentlich nicht gefährlich.
In Touristenorten ein sicheres Gefühl
Unser letztes Ziel war Mexiko. Wir waren in drei Touristenorten: Tulum, Playa del Carmen und Cancún. Somit war die Sicherheit in diesen Orten relativ groß, und es waren eher die üblichen Urlaubsort-Vorsichtsmaßnahmen die man treffen musste: die Tasche immer in der Hand haben, das Handy nicht auf den Tisch legen. Ironischerweise ist dies der einzige Ort der ganzen Reise, an dem mir etwas passiert ist. Ich wurde Opfer einer Phishing Attacke, vermutlich in Playa del Carmen. In Brasilien wurde meine Kreditkarte, zum Glück, plötzlich gesperrt. Geld konnten die Betrüger glücklicherweise nicht abheben. Den anderen Mitreisenden ist nichts passiert, und auch alle Traveler die wir auf dem Weg angetroffen haben, hatten überwiegend positive Erfahrungen gemacht.
Als Fazit möchte ich jedem Mittelamerika ans Herzen legen. Man muss sich natürlich der Risiken bewusst sein, mit gewissen Vorsichtsmaßnahmen denke ich aber, dass eigentlich nicht viel passieren dürfte. Die Länder sind einfach atemberaubend schön und vor allem anders. Es ist vor allem die Lebenskultur der Menschen die mich fasziniert, die Lockerheit, das Klima, die gebirgige Ebene Guatemalas, welches mein persönliches Lieblingsland war, oder die wunderschöne Karibikküste Mexikos. Hier war mein Lieblingsort ein Campingplatz in Tulum.
In touristischen Gegenden die Gefahr sehr gering wahrgenommen
Mitte Januar ging es für mich dann noch einmal für zwei Monate nach Brasilien. In Brasilien hatte ich mich noch nie unsicher gefühlt. Ich bin mit dem Bus bis zu 28 Stunden allein durch das Land gereist und nachts durch die 60.000 Einwohner Stadt meines Austauschaufenthaltes von 2008 gewandert. Doch auch Brasilien ist und wird gefährlicher als früher. Durch neue politische Maßnahmen werden viele Favelas, nicht nur in Rio, aufgeräumt und treiben die Armen und Drogenabhängigen in die reicheren Viertel der Städte, wo sie sich durch Klauen von Geld, Handys und anderen Wertsachen ihren Drogenkonsum beziehungsweise ihr Leben finanzieren müssen.
In vielen touristischen Gegenden habe ich die Gefahr als sehr gering wahrgenommen, wie zum Beispiel in Cabo Frio. Dafür ist die Gefahr jedoch in Rio de Janeiro recht hoch. Sobald die Sonne unterging oder wir in einer verlassenen Gasse unterwegs waren, habe ich mich extrem unwohl gefühlt. Dabei zählt Rio die Tageszeit kaum. Jederzeit kann ein Überfall stattfinden, und die Polizei hat gar nicht die Zeit dazu, solch kleinen Überfällen hinterherzugehen. Ein Tourist wird höchstens ein müdes Lächeln bekommen, wird er eine Anzeige wegen Diebstahls aufgeben wollen.
„Ein wunderschönes Land voller herzlicher Menschen“
Gerade wegen der WM steht das Land Kopf, und die Sicherheitszustände sind teilweise katastrophal. Das finde ich sehr schade, denn Brasilien ist ein wunderschönes Land voller herzlicher Menschen, die selbst ihr eigenes Volk fürchten müssen, die Schuld jedoch eindeutig der korrupten Politik zusprechen. Kontroverse Maßnahmen zur Verschönerung der Stadt Rio werden getroffen. Häuser in den bekannten Favelas werden renoviert, um dann von Familien verkauft zu werden, die danach in die nächste Favela umziehen.
Was ich persönlich extrem schlimm finde, sind die in Rio angebotenen Favela-Touren. Abgesehen davon, dass ich es absurd finde, das arme Volk zu begaffen, fließt die Hälfte des Geldes an die Drogenbosse der Stadt, die dann für die Sicherheit der Touristen sorgen sollen. Garantiert ist dabei natürlich trotzdem nichts. All diese Umstände finde ich extrem traurig, da Rio eine wunderschöne Stadt mit Tausenden Unternehmungsmöglichkeiten ist.
Im Endeffekt ist auch Deutschland kein zu 100 Prozent sicheres Land, und überall auf der Welt kann etwas passieren. Das Schlimmste wäre für mich jedoch, mich vor Angst in meinen eigenen vier Wänden einzusperren und nichts von der wunderschönen Welt dort draußen mitzubekommen.
In diesem Sinne also: Viel Spaß bei eurer hoffentlich nächsten Reise nach Lateinamerika!
Von Michelle Bauer
Schreibe einen Kommentar
Bitte logge Dich ein, um als registrierter Leser zu kommentieren.
Einloggen Anonym kommentieren